Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Freitag, 12. April 2013

Il merlo maschio (Das nackte Cello) 1971 Pasquale Festa Campanile

Inhalt: Niccolo Vivaldi (Lando Buzzanca) ist seit Jahren Cellist im Opern-Orchester von Verona, doch weder sein Dirigent kennt ihn, noch sonst nimmt ihn Jemand wahr. Der Bus fährt vor seiner Nase weg und sein Orchesternachbar zündet ihm keine Zigarette an, obwohl er ihm kurz zuvor eine gegeben hatte. Er hätte ihn übersehen, entschuldigt er sich, und so geht es allen Anderen auch. Einzig seine etwas einfach gestrickte, hoch geschlossen gekleidete Ehefrau Costanza (Laura Antonelli) liebt ihn, aber er nimmt sie nicht ernst, sondern ärgert sich über ihre geschmacklose Polenta, die sie ihm fast täglich kocht.

Das ändert sich überraschend, als er sie zu einer Kur begleitet. Bei der ärztlichen Untersuchung sieht er erstmals ihre Brüste und als er die positive Reaktion anderer Männer auf ihr Aussehen mit bekommt, erfährt er erstmals als ihr Ehemann Anerkennung, denn einer der Männer gibt ihm Feuer. Das facht seinen Ehrgeiz an, aber Costanza reagiert abweisend auf seine plötzlichen sexuellen Bedürfnisse…


Als "Il merlo maschio" (Das nackte Cello) Anfang der 70er Jahre herauskam, besaß die "Commedia all'italiana" nicht nur schon eine zwei Jahrzehnte lang anhaltende Tradition, sondern waren in den 60er Jahren vermehrt sexuell orientierte Komödien entstanden, die sich unter dem Begriff "Commedia sexy all'italiana" Ende der 60er Jahre zu einem eigenen Genre-Zweig entwickelten. Die gesellschaftlichen Veränderungen hatten mit dieser medialen Entwicklung nicht Schritt gehalten - im italienischen Alltag ging es nach wie vor sehr konservativ zu. Besonders auf Regisseur und Drehbuchautor Pasquale Festa Campanile, prägend für das Genre, gehen eine Vielzahl dieser zunehmend erotisch provokanten Filme zurück - eine Konfrontation von Tradition und Sexualität, die er in "Il merlo maschio" ironisch auf die Spitze trieb.

Laura Antonelli - seit dem Drama "Le melizie di venere" (Venus im Pelz, 1969) das Objekt der Begierde im italienischen Erotik-Film - besetzte er als hochgeschlossene brave Hausfrau, deren körperliche Vorzüge erst nach einigen Jahren von ihrem Ehemann entdeckt werden. Um gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen, beginnt er, sie nackt den voyeuristischen Blicken Fremder auszusetzen, womit Campanile die Betrachter des Films gleich mit einbezog und deren Erwartungshaltung an einen erotischen Film - zumal mit Laura Antonelli in der weiblichen Hauptrolle - erfüllte. Dass das Streben des Ehemanns, immer wildere erotische Fantasien zu befriedigen, ihn direkt in den Wahnsinn treiben sollte, durfte durchaus im übertragenen Sinne verstanden werden.

Doch zurück zu "Il merlo maschio", womit die Figur des Ehemanns in schöner Doppeldeutigkeit benannt wird. Niccolo Vivaldi (Lando Buzzanca) hatte früher an Vogelstimmen-Wettbewerben erfolglos teil genommen, dabei aber als Amsel ("maschio") das Herz der hübschen, aber etwas naiven Costanza (Laura Antonelli) gewonnen, die ihn bald darauf heiratete. Das der Chauffeur ihres Hochzeits-Autos ohne den frisch gebackenen Ehemann abfuhr, war allerdings signifikant für das Leben des Cellisten, dessen Namen sein Dirigent auch nach zehn Jahren Orchesterzugehörigkeit noch nicht kannte. Überall wird er übersehen oder gar nicht erst wahrgenommen, was Niccolo Vivaldi zunehmend in Depressionen verfallen lässt. Nur seine Frau hat Gefühle für ihn, die er aber nicht ernst nimmt, bis er sie zu einer Kur begleitet, wo er zum ersten Mal bewusst ihre körperlichen Vorzüge wahrnimmt. Als er hört, wie andere Männer bewundernd über ihren Po und ihre Brüste sprechen, stört es ihn nicht, dass sie ihn als hässlich bezeichnen, denn erstmals spürt er so etwas wie Anerkennung. Diese Erfahrung lässt in ihm einen Plan reifen, der der zweiten Bedeutung von "Il merlo maschio" alle Ehre macht - "männlicher Einfaltspinsel".

Der heute kaum noch bekannte Lando Buzzanco, der in den 60er Jahren zu einem der führenden Komödiendarsteller wurde und in der "Commedia sexy all'italiana" dieser Zeit fast omnipräsent war, glänzt hier als Verkörperung eines sympathischen Typen, der als Musiker des Orchesters von Verona und geliebter Ehemann einer hübschen Frau glücklich sein müsste, der stattdessen aber nur um die Anerkennung von unsympathischen Männern ringt - sein arroganter herrschsüchtiger Dirigent, sein heimtückischer Sitznachbar im Orchester und die Vielzahl an Männern, die nur an den körperlichen Vorzüge von Frauen interessiert sind. Genau damit will er punkten, nachdem ihm aufgefallen war, dass seine Frau höchste Bewunderung für ihren runden Po und ihre wohlgeformten Brüste erhielt.

Um Nacktfotos mit der Polaroid-Kamera zu machen, flösst er ihr Schlaftabletten ein und drapiert sie in Posen, wie er sie aus den Sex-Heften vom Kiosk kennt. Als sie am nächsten Tag die Fotos entdeckt, verlässt sie ihn erbost, kehrt aber wieder zu ihm zurück, nachdem selbst ihre Eltern es ganz natürlich fanden, dass ihr Mann sie nackt fotografieren wollte. Diese ahnten zwar nicht, was Niccolo damit bezweckte, aber nachdem er es Costanza gebeichtet hatte, beginnt sie ihn aus Liebe zu unterstützen und macht seine Spielchen mit, die sich ständig steigern müssen, damit ihr Mann nicht in erneute Depressionen verfällt.

Pasquale Festa Campanile treibt hier ein irrwitziges Spiel um den Voyeurismus, den er einerseits mit wunderschönen erotischen Aufnahmen von Laura Antonelli befriedigt, ihn gleichzeitig aber in seiner sich steigernden Spirale immer neuer Anreize kritisiert. Obwohl die Missachtung durch seine ignoranten Zeitgenossen und sein verzweifelter Kampf um Anerkennung durchaus Mitgefühl für Nicolo erzeugen können, profitieren sowohl der Betrachter des Films, als auch die Männer im Film von dessen Obsession, die ihn schließlich in den Wahnsinn treibt. Noch in der Heilanstalt preist er gegenüber anderen Insassen die Qualität der Brüste seiner Frau. Vor lauter Hochgefühl steigt er zwitschernd wie eine Amsel auf einen Baum – letztlich doch ein versöhnliches Ende für ihn.

"Il merlo maschio" Italien 1971, Regie: Pasquale Festa Campanile, Drehbuch: Pasquale Festa Campanile, Luciano BianciardiDarsteller : Lando Buzzanca, Laura Antonelli, Ferruccio De Ceresa, Luciano Bianciardi, Gino Cavalieri, Laufzeit : 105 Minutenweitere im 

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.