Inhalt: Frankreich,
Mai 1940 - Während draußen eine Einheit der französischen Armee von der Bevölkerung verabschiedet wird, führt Madame Eliane Michoud (Lisa Gastoni) die Apotheke einer
französischen Kleinstadt. Die penible Geschäftsfrau achtet nicht nur auf ihre
Angestellten Juliette (Andréa Ferréol) und Armand (Franco Nero), sondern
darauf, dass sowohl in der Apotheke, als auch in ihrem Haus jederzeit Ordnung
herrscht. Selbst das von der Köchin zubereitete Abendessen für ihren Mann Henri
(Raymond Pellegrin), einem Intellektuellen, der sich mit Literatur und
Kunstgegenständen beschäftigt, und ihrer minderjährigen Tochter Justine
(Claudia Marsani), wird noch von ihr abgeschmeckt.
Armand, der
es der Anstellung in der Apotheke zu verdanken hat, dass er nicht zum
Militärdienst einberufen wurde und damit nicht sein Land vor den einrückenden
deutschen Truppen verteidigen muss, wartet wie häufig darauf, dass seine
Kollegin Juliette sich noch zum Sex nach Feierabend mit ihm trifft. Doch
Juliette, für die Armand nur ein netter Freizeitvertreib ist, hatte sich schon,
ohne ihm Bescheid zu sagen, von ihrem Mann abholen lassen. Als ihm im Dunklen
eine Frau gegenüber tritt, glaubt er, sie vor sich zu haben, weshalb er
erstaunt reagiert, als er sich für sein Drängen eine Ohrfeige einhandelt. Noch
mehr gerät er aus der Fassung, als Juliette ihm am kommenden Tag auf seine Beschwerde
hin erklärt, dass sie gar nicht mehr in der Apotheke war. Ihm wird klar, dass
es seine Chefin gewesen sein muss, weshalb er seine Entlassung fürchtet. Doch
diese wird nicht ausgesprochen…
Am 10.Mai
1940 begann der "Westfeldzug" der deutschen Wehrmacht, der am 25.Juni
mit einem Waffenstillstand in Folge der Kapitulation Frankreichs enden sollte.
Vor diesem historischen Hintergrund siedelte Salvatore Samperi seinen Film
"Scandalo" (Submission) an, womit er - wie zuvor schon in
"Malizia" (1974) und ein Jahr später in "Nenè" (1977) -
eine enge Verzahnung der Darstellung sexueller Begierden mit einem räumlichen
und zeitlichen Kontext herzustellen versuchte. Trotz Samperis Fähigkeit, einen
fast malerischen, atmosphärisch dichten Hintergrund aufzubauen, wird deutlich,
das es ihm dabei weniger um historische Genauigkeit ging, als um die Verbindung
zur Gegenwart der 70er Jahre und damit die Phase des sexuellen Aufbruchs.
Ebenso typisch für Samperis erotische Dramen ist der räumlich beschränkte
Rahmen der Handlung, die in "Scandalo" nur im unmittelbaren Umfeld
der Apotheke von Eliane Michoud (Lisa Gastoni) stattfindet, die am zentralen
Platz einer französischen Kleinstadt gelegen ist. Dank der Fürsprache des alten
Colonel (Antonio Altoviti) erhielt Armand (Franco Nero) den Job in der Apotheke
und entkam damit der Einberufung zum Militär, während eine Einheit aus seiner Stadt gerade in den Krieg zieht. Doch nicht nur sein Leben
erscheint sonst unberührt von den realen Ereignissen, auch seine Chefin widmet
sich wie gewohnt der Apotheke, der Haushaltsführung und der Erziehung ihrer
minderjährigen Tochter Justine (die damals 16jährige Claudia Marsani - Miss
Teenager 1973 und 1975 auf dem Titelbild des italienischen Playboy - in ihrer
letzten Rolle), deren Konzentration auf guten Schulleistungen liegt, während
Elianes Mann, Professor Henri Michoud (Raymond Pellegrin), Lesungen für die
Einwohner des Ortes veranstaltet, die zu intellektuellen Diskussionen über
Stendhal führen, und seiner Sammelleidenschaft wertvoller Kunstobjekte frönt,
für deren Erwerb er sogar mit dem Zug nach Paris fährt.
Ganz generell beschreibt Samperi das normale Leben einer französischen
Kleinstadt, angesichts dessen die Dramatik des Krieges, die der Film mit
regelmäßigen Meldungen aus dem Radio vermittelt, fast unwirklich wirkt. Noch
absurder erscheint dadurch der Gegensatz zwischen der ruhig bleibenden
Konzentration des Films auf die sexuellen Obsessionen seiner Protagonisten,
während die Besetzung Frankreichs mit hoher Geschwindigkeit fortschreitet. Es
ging Samperi offensichtlich nicht um die Darstellung realer Verhaltensweisen im
Angesicht einer Gefahr, sondern um die Schaffung eines künstlichen Raumes. Die
Wahl eines konkret lebensbedrohenden Szenarios sollte noch die Fähigkeit des
Menschen betonen, ganz auf sich und seine Obsessionen zurück fallen zu
können.
Für das Verständnis der Beziehung zwischen Armand und Madame Michoud ist dieses
künstliche Umfeld notwendig, denn es entzieht sich den bekannten Klischees und
verweigert sich den Mechanismen einer üblichen Bewertung. Die Entstehung ihrer
sexuellen Beziehung erfolgt noch konventionell, als Armand von seiner Kollegin
Juliette (Andréa Ferréol) erfährt, dass es nicht sie, sondern seine Chefin war,
die er in der Dunkelheit sexuell berührte, weshalb er jeden Moment seine
Kündigung erwartet. Als diese nicht ausgesprochen wird, wird er mutiger und
beginnt sie zu provozieren. Sie wehrt sich, aber nicht mit der für sie
selbstverständlichen Konsequenz, woran deutlich wird, das sein Versehen etwas
in ihr ausgelöst hat. Trotzdem ist die häufige Interpretation, sie als sexuell
frustrierte Ehefrau Ende 30 anzusehen, die den Avancen eines jüngeren Mannes
erliegt, zu einfach, wie auch Armand als typischen Verführer zu betrachten.
Im Gegenteil wirkt Franco Nero gegen seinen sonstigen aktionistischen
Rollentypus besetzt, denn Armand, der als 30jähriger noch bei seiner Mutter
lebt, verhält sich zu Beginn passiv und ängstlich - nicht nur als Drückeberger
vor dem Wehrdienst, sondern auch im Gehorsam bei der Arbeit und als er glaubt,
seine Chefin würde ihn entlassen. Auch die sexuelle Beziehung zu seiner
Kollegin Juliette ist kein Anzeichen für sein selbstbewusstes Auftreten
gegenüber Frauen, denn er ist für sie nur ein netter Zeitvertreib. Zu der
Verwechslung mit der Chefin kommt es nur, weil Juliette schon von ihrem Ehemann
abgeholt wurde, ohne das geplante Schäferstündchen abzusagen. In dieser
emanzipierten Haltung wird die Nähe zu den 70er Jahren deutlich, wie auch in
der Rolle der Madame Michoud, die kein Anhängsel ihres Mannes ist, sondern ein
selbst bestimmtes Leben führt. Zwar scheint sich sexuell nichts mehr zwischen
den Eheleuten abzuspielen, wie auch die Kommunikation auf ein Mindestmaß
reduziert scheint, aber das erklärt nicht ihre von Beginn an demütige Haltung
gegenüber Armand, der sich keine Mühe gibt, sie liebevoll zu behandeln, sondern
sie zu sexuellen Handlungen zwingt.
Ihr Verhalten entzieht sich den typischen Mustern zwischen frustrierter Ehefrau
und jüngerem Liebhaber, denn Armand - instinktiv ihre Sucht nach Unterwerfung
spürend - versucht gar nicht erst, positive Emotionen zu erzeugen, sondern
beginnt sofort, sie zu erniedrigen. Die Entwicklung ihrer Beziehung wird von
Samperi weder verharmlost, noch lässt er Konzessionen an romantische Vorstellungen
zu. Einzig in der zentralen Szene des Films, als er sie zwingt, wie eine
Prostituierte nackt über den Platz vor der Apotheke zu laufen, jederzeit in
Gefahr einen Skandal in der Kleinstadt hervorzurufen, und ihr Flehen, sie
wieder hereinzulassen, erst erhört, nachdem ein allerdings Betrunkener sie
schon gesehen hatte, gönnt er ihr einen kurzen euphorischen Moment und lässt
ihre Erregung und Freude zu. Um diesen Augenblick kurz darauf wieder zu
zerstören, indem er sie auffordert, ihm ihre minderjährige Tochter zum Sex zur
Verfügung zu stellen, womit er scheinbar auch ihre Grenze überschreitet.
In den 70er Jahren erschienen eine Vielzahl von Softporno-Filmen oder
erotischen Komödien, die ihre anspruchslosen Stories vor allem für die
Darstellung nackter Tatsachen nutzten. Salvatore Samperi bildete mit seinen
intelligenten Sujets und atmosphärischen Hintergründen eine Ausnahme, bediente
in "Malizia" (1973) aber noch typische Männerfantasien der frühen
70er Jahre. In "Scandalo" gelingt ihm dagegen die verstörende
Darstellung menschlichen Verhaltens, das sich - gleichzeitig nachvollziehbar
und abstoßend - jeder einfachen Identifikation verweigert und den Betrachter
mit seinen eigenen Wertmaßstäben konfrontiert. Die Nacktheit, für deren
Schönheit neben der üppigen Andréa Ferréol vor allem die damals 40jährige Lisa
Gastoni zuständig ist, ordnet sich ganz der Geschichte unter und wirkt nie
künstlich forciert.
"Scandalo" wurde nicht allein ein Film über eine sexuelle Beziehung, sondern über die generelle Flucht vor der Realität. Auch Elianes Mann, der von ihrer sexuellen Obsession, ihrem Leid und der gleichzeitigen Sucht erfährt, ist nicht in der Lage zu reagieren, sondern steigert sich noch mehr in seine intellektuellen Hobbys. Und Armand, gegenüber Eliane überlegen und erniedrigend auftretend, findet letztlich nur Trost in der Nähe einer Minderjährigen - Samperi erfüllt keine Erwartungshaltungen, sondern lässt alles folgerichtig im Feuer des Krieges aufgehen.
"Scandalo" wurde nicht allein ein Film über eine sexuelle Beziehung, sondern über die generelle Flucht vor der Realität. Auch Elianes Mann, der von ihrer sexuellen Obsession, ihrem Leid und der gleichzeitigen Sucht erfährt, ist nicht in der Lage zu reagieren, sondern steigert sich noch mehr in seine intellektuellen Hobbys. Und Armand, gegenüber Eliane überlegen und erniedrigend auftretend, findet letztlich nur Trost in der Nähe einer Minderjährigen - Samperi erfüllt keine Erwartungshaltungen, sondern lässt alles folgerichtig im Feuer des Krieges aufgehen.
"Scandalo" Italien 1976, Regie: Salvatore Samperi, Drehbuch: Salvatore Samperi, Ottavio Jemma, Darsteller : Lisa Gastoni, Franco Nero, Andréa Ferréol, Raymond Pellegrin, Claudia Marsani, Laufzeit : 107 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Salvatore Samperi:
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