Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Mittwoch, 17. Mai 2017

La bugiarda 1965 Luigi Comencini


Silvana/Maria (Catherine Spaak) bei der Vorbereitung im Taxi-Fonds
Inhalt: Eine Stewardess (Catherine Spaak) scheint in Eile. Geschwind nimmt die uniformierte junge Frau ihr Gepäck aus dem Taxi und eilt in die Empfangshalle des römischen Flughafens. Doch statt sich zu ihrer Crew zu begeben, läuft sie an das entgegen gelegene Ende der Halle und verlässt diese wieder, um sich in den Fonds eines amerikanischen Straßenkreuzers zu setzen. Nachdem sie freundlich vom Chauffeur (Riccardo Cucciolla) begrüßt wurde, nimmt dieser sofort Fahrt auf in Richtung eines römischen Palazzo im Zentrum der Stadt, um sie - am Ziel angekommen - schnell zu ihrem modern eingerichteten Appartement zu geleiten. 

Graf Silveri (Enrico Maria Salerno) beim zweiten Teil des Weihnachtsabends
Während es sich Silvana, wie sie sich nennt, bequem macht, versucht Graf Adriano Silveri (Enrico Maria Salerno) ein Stockwerk tiefer das weihnachtliche Dinner zu beenden, zudem er sich mit seiner Frau und zwei älteren männlichen Familienangehörigen zusammen gefunden hat. Mit wenig Appetit sitzt er vor seinem Teller und muss sich die spöttischen Bemerkungen seiner Frau hinsichtlich seiner Lustlosigkeit sowohl beim Essen als auch beim Sex gefallen lassen. Doch davon ist nur wenig zu bemerken, als er endlich mit Silvana in deren von ihm zur Verfügung gestellten Appartement zusammen sitzt. Er häuft sich den Teller voll und freut sich auf die Weihnachtstage mit ihr, aber sie beklagt, dass sich schon am nächsten Tag wieder ihren Dienst antreten muss. Schweren Herzens versichert er ihr seine Liebe und lässt sie von seinem Chauffeur wieder zum Flughafen bringen. Von wo sie sogleich wieder ein Taxi in Richtung Stadt nimmt… 


Ein junge "Stewardess" in Eile, um rechtzeitig...
Die damals noch 19jährige Catherine Spaak gleitet in ihrem Stewardessen-Kostüm aus dem Fond eines Taxis und betritt beschwingt die Eingangshalle des römischen Flughafens - um sie gleich darauf wieder an einer anderen Seite zu verlassen. Dort wartet ein amerikanischer Straßenkreuzer auf sie, auf dessen breiter Rückbank sie Platz nimmt. Bis sie an der Pforte eines römischen Palazzo ankommt, wo sie sich kurz unter einer Decke verbirgt, die ihr der Chauffeur (Riccardo Cucciolla) reicht, der sie auch zu ihrem Appartement unter dem Dach begleitet. Dort angekommen entledigt sie sich zuerst ihres Kostüms, um es sich auf der Chaiselongue bequem zu machen, während ihr der Chauffeur - inzwischen ins Diener-Fach gewechselt - die Hausschuhe reicht.

...zum Chauffeur (Riccardo Cucciolla) ihres Geliebten zu gelangen
Nachdem Luigi Comencini in "Tre notti d'amore" (Drei Liebesnächte, 1964) eine von drei Episoden als Regisseur verantwortet hatte, in denen Catherine Spaak jeweils in unterschiedlichen Frauenrollen im Zentrum gestanden hatte, drehte er diesmal den kompletten Film mit ihr. Und wiederholte im Prinzip die Idee. Erneut sieht sich Catherine Spaak drei Männertypen gegenüber - darunter wieder mit Enrico Maria Salerno als deutlich älterem Liebhaber. Nur blieb sie bei einem Frauencharakter, der aber ähnlich wandelbar ausfiel. Meist nennt sie sich Silvana, Anderen gegenüber auch Maria. Mal gibt sie sich als Stewardess, dann als Studentin aus. Oder lebt in den Tag hinein in einer kleinen Wohnung, die sie sich mit einer Freundin (Janine Reynaud) teilt, einer echten Stewardess. Optisch weiß sie sich ähnlich variabel zu inszenieren. Ob ihr langes blondes Haar offen tragend oder mit dunkler Perücke, im Kostüm oder leger auf dem Bett liegend, modisch schick ist sie immer. Stil, Eleganz und Leichtigkeit - "La bugiarda" ist 60er Jahre pur.

Gemeinsame Stunden mit dem Zahnarzt Arturo Santini (Marc Michel)...
Trotzdem ist der Film heute nahezu unbekannt und kam Mitte der 60er Jahre nicht einmal in die deutschen Kinos, obwohl Luigi Comencinis Komödie über eine Frau zwischen drei Männern ganz dem damaligen Zeitgeschmack entsprach: dezent frivol, spielerisch lässig im Umgang mit den Geschlechter-Klischees und – wie bei Catherine Spaaks Rollen gewohnt – emanzipatorisch frech. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied. „La bugiarda“ (Die Lügnerin), dessen Drehbuch auf dem gleichnamigen 1956 herausgekommenen Theaterstück von Diego Fabbri basierte, nahm seine weibliche Hauptrolle in ihrer Position ganz ernst. Das wird schon am Beginn des Films deutlich, der sich den normalerweise ungünstigsten Zeitpunkt für wechselndes Liebesgeplänkel aussuchte: Weihnachten. Auch Graf Adriano Silveri (Enrico Maria Salerno) und der Zahnarzt Arturo Santini (Marc Michel) werden von der Ehefrau oder den zahlreichen Familienmitgliedern komplett in Beschlag genommen. Da bleibt für eine Geliebte normalerweise nur die Nebenrolle. Nicht so bei Silvana/Maria (Catherine Spaak), die von einem Ort zum nächsten hetzt und mit der Organisation ihrer Geschenkeverteilung kaum nachkommt. Schließlich plant sie noch einen Besuch bei den Nonnen im Waisenhaus, unter deren Obhut sie aufgewachsen ist.

...und dem Studenten Gianni (Manuel Miranda)
Bis zu diesem Zeitpunkt lässt der Film offen, wie konkret die Beziehungen der jungen Frau zu dem deutlich älteren verheirateten Grafen, dem heiratswilligen Zahnarzt und dem gleichaltrigen Studenten (Manuel Miranda) sind. Auch ihre Beweggründe oder ihre emotionale Gewichtung bleiben bis dahin im Ungefähren. Bis sie im Beichtstuhl sitzt. Nicht dass sie sich darum gerissen hätte, aber sie möchte die Nonnen nicht enttäuschen. Häppchenweise offenbart sie dem Pfarrer ihre Situation, der jede ihrer Informationen zu relativieren versucht, bis er rot angelaufen fluchtartig den Beichtstuhl verlässt. Ein für Diego Fabbri typisches Szenario, der seine Stücke vorzugsweise vor dem Hintergrund der katholischen Kirche spielen ließ und die Konfrontation mit deren moralischen Ansprüchen suchte. Denn Silvana/Maria hat nicht nur zu allen drei Männern ein sexuelles Verhältnis, sie hat auch nicht vor, daran etwas zu ändern oder diese bürgerlich zu legitimieren. Die Forderung des Pfarrers, ihr Verhalten zu bereuen, lehnt sie konsequent ab.

Entspannung: zu Hause mit ihrer Mitbewohnerin (Janine Reynaud)
Comencini inszenierte die Sequenz am Beichtstuhl mit so viel Witz und Tempo, dass sich aus heutiger Sicht kaum noch erschließt, wie sehr „La bugiarda“ damals gegen Tabus verstieß. Sex mit verschiedenen Partnern regt heute Niemanden mehr auf, aber die Leichtigkeit, mit der sich Frau hier drei männliche Liebhaber leistet, ohne heimlich von einer festen Beziehung zu träumen – und damit wie ein Mann zu handeln - ist immer noch nicht selbstverständlich. Auch in „La bugiarda“ schien die Strafe für Silvanas/Marias unmoralischen Lebenswandel auf dem Fuß zu folgen. Die Maschine, in der sie als Stewardess angeblich mitgeflogen war, wird vermisst. Und es dauert nicht lange, bis sich die besorgten Liebhaber Silveri und Santini am Flughafen begegnen und feststellen müssen, dass sie mit derselben Frau liiert sind. Zuerst schweißt sie ihre Trauer zusammen, aber als sie erfahren, dass sie keine Stewardess ist – wann hätte sie auch arbeiten sollen, schließlich war die gesamte Woche schon für die Männer verplant – und entsprechend nicht abgestürzt sein kann, sind sie sich einen Moment lang nicht mehr sicher, ob sie sich darüber freuen sollen.

Ärger: die Männer haben die Wahrheit erfahren
Komödien mit jungen, attraktiven Frauen, die mit mehreren Männern poussieren, kamen in den 60er Jahren zwar in Mode, aber sie endeten fast immer in der gewohnten Ordnung einer monogamen Paar-Beziehung. „La bugiarda“ drehte den Spieß einfach um. Statt der ertappten Lügnerin werden ihre beiden Liebhaber vorgeführt – der Dritte erfährt nichts von dieser Situation, die Anderen nichts von ihm -, deren aus gemeinsamer Empörung geschlossener Pakt schnell bricht. Stattdessen versuchen sie sich gegenseitig auszustechen, da sie sich jeweils für den einzigen legitimen Partner halten. Ihr Besitzanspruch an eine junge Frau, die ihnen nie eine konkrete Beziehung versprochen hatte, droht eine Konstellation zu zerstören, die zuvor nur Profiteure kannte. Dass Silvana/Maria einen vorgetäuschten Selbstmordversuch unternimmt, um das schlechte Gewissen der beiden Männer noch zu bestärken, ist angesichts ihres souveränen Auftretens unter ihrem Niveau und der einzige Schwachpunkt eines Films, der elegant und ohne erhobenen Zeigefinger mit Sexualität und tradierten Geschlechterrollen jonglierte.

Auflösung: Silvana/Maria bleibt entspannt
Das letzte Wort gehört in „La bugiarda“ dem sonst im Hintergrund bleibenden dritten Liebhaber. Er will erfahren haben, dass Silvana gar keine Studentin ist, sondern Stewardess. Doch keine Kritik kommt wegen ihrer falschen Behauptung über seine Lippen, denn als modern denkender Mann findet er es gut, dass auch Frauen arbeiten. Sie lächelt.  


"La bugiarda" Italien, Frankreich, Spanien 1965, Regie: Luigi Comencini, Drehbuch: Luigi Comencini, Marcello Fondato, Diego Fabbri (Theaterstück), Darsteller : Catherine Spaak, Enrico Maria Salerno, Marc Michel, Manuel Miranda, Riccardo Cucciolla, Janine Reynaud, Laufzeit : 91 Minuten 

weitere im Blog besprochene Filme von Luigi Comencini: 

"Pane, amore e fantasia" (1953) 
"A cavallo della tigre" (1961) 
"Tre notti d'amore" (1964) 
"Le bambole" (1965) 
"Delitto d'amore" (1974)

Keine Kommentare:

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.