Silvana/Maria (Catherine Spaak) bei der Vorbereitung im Taxi-Fonds |
Graf Silveri (Enrico Maria Salerno) beim zweiten Teil des Weihnachtsabends |
Während es sich Silvana, wie sie sich nennt, bequem macht,
versucht Graf Adriano Silveri (Enrico Maria Salerno) ein Stockwerk tiefer das
weihnachtliche Dinner zu beenden, zudem er sich mit seiner Frau und zwei älteren männlichen Familienangehörigen zusammen
gefunden hat. Mit wenig Appetit sitzt er vor seinem Teller und muss sich die spöttischen Bemerkungen seiner Frau hinsichtlich seiner Lustlosigkeit sowohl beim Essen als auch
beim Sex gefallen lassen. Doch davon ist nur wenig zu bemerken, als er endlich mit
Silvana in deren von ihm zur Verfügung gestellten Appartement zusammen sitzt.
Er häuft sich den Teller voll und freut sich auf die Weihnachtstage mit ihr,
aber sie beklagt, dass sich schon am nächsten Tag wieder ihren Dienst antreten
muss. Schweren Herzens versichert er ihr seine Liebe und lässt sie von seinem
Chauffeur wieder zum Flughafen bringen. Von wo sie sogleich wieder ein Taxi in
Richtung Stadt nimmt…
Ein junge "Stewardess" in Eile, um rechtzeitig... |
Die damals noch 19jährige Catherine Spaak gleitet in ihrem
Stewardessen-Kostüm aus dem Fond eines Taxis und betritt beschwingt die
Eingangshalle des römischen Flughafens - um sie gleich darauf wieder an einer
anderen Seite zu verlassen. Dort wartet ein amerikanischer Straßenkreuzer auf
sie, auf dessen breiter Rückbank sie Platz nimmt. Bis sie an der Pforte eines
römischen Palazzo ankommt, wo sie sich kurz unter einer Decke verbirgt, die ihr
der Chauffeur (Riccardo Cucciolla) reicht, der sie auch zu ihrem Appartement
unter dem Dach begleitet. Dort angekommen entledigt sie sich zuerst ihres
Kostüms, um es sich auf der Chaiselongue bequem zu machen, während ihr der
Chauffeur - inzwischen ins Diener-Fach gewechselt - die Hausschuhe reicht.
...zum Chauffeur (Riccardo Cucciolla) ihres Geliebten zu gelangen |
Nachdem Luigi Comencini in "Tre notti d'amore"
(Drei Liebesnächte, 1964) eine von drei Episoden als Regisseur verantwortet
hatte, in denen Catherine Spaak jeweils in unterschiedlichen Frauenrollen im
Zentrum gestanden hatte, drehte er diesmal den kompletten Film mit ihr. Und
wiederholte im Prinzip die Idee. Erneut sieht sich Catherine Spaak drei
Männertypen gegenüber - darunter wieder mit Enrico Maria Salerno als deutlich
älterem Liebhaber. Nur blieb sie bei einem Frauencharakter, der aber ähnlich
wandelbar ausfiel. Meist nennt sie sich Silvana, Anderen gegenüber auch Maria. Mal gibt sie sich als Stewardess, dann als Studentin aus. Oder lebt in den Tag
hinein in einer kleinen Wohnung, die sie sich mit einer Freundin (Janine
Reynaud) teilt, einer echten Stewardess. Optisch weiß sie sich ähnlich variabel
zu inszenieren. Ob ihr langes blondes Haar offen tragend oder mit dunkler
Perücke, im Kostüm oder leger auf dem Bett liegend, modisch schick ist sie
immer. Stil, Eleganz und Leichtigkeit - "La bugiarda" ist 60er Jahre
pur.
Gemeinsame Stunden mit dem Zahnarzt Arturo Santini (Marc Michel)... |
Trotzdem ist der Film heute nahezu unbekannt und kam Mitte
der 60er Jahre nicht einmal in die deutschen Kinos, obwohl Luigi Comencinis
Komödie über eine Frau zwischen drei Männern ganz dem damaligen Zeitgeschmack
entsprach: dezent frivol, spielerisch lässig im Umgang mit den
Geschlechter-Klischees und – wie bei Catherine Spaaks Rollen gewohnt –
emanzipatorisch frech. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied. „La
bugiarda“ (Die Lügnerin), dessen Drehbuch auf dem gleichnamigen 1956
herausgekommenen Theaterstück von Diego Fabbri basierte, nahm seine weibliche
Hauptrolle in ihrer Position ganz ernst. Das wird schon am Beginn des Films
deutlich, der sich den normalerweise ungünstigsten Zeitpunkt für wechselndes Liebesgeplänkel aussuchte: Weihnachten. Auch Graf Adriano Silveri
(Enrico Maria Salerno) und der Zahnarzt Arturo Santini (Marc Michel) werden von
der Ehefrau oder den zahlreichen Familienmitgliedern komplett in Beschlag genommen.
Da bleibt für eine Geliebte normalerweise nur die Nebenrolle. Nicht so bei
Silvana/Maria (Catherine Spaak), die von einem Ort zum nächsten hetzt und mit
der Organisation ihrer Geschenkeverteilung kaum nachkommt. Schließlich plant
sie noch einen Besuch bei den Nonnen im Waisenhaus, unter deren Obhut sie
aufgewachsen ist.
...und dem Studenten Gianni (Manuel Miranda) |
Bis zu diesem Zeitpunkt lässt der Film offen, wie konkret
die Beziehungen der jungen Frau zu dem deutlich älteren verheirateten Grafen,
dem heiratswilligen Zahnarzt und dem gleichaltrigen Studenten (Manuel Miranda) sind.
Auch ihre Beweggründe oder ihre emotionale Gewichtung bleiben bis dahin im
Ungefähren. Bis sie im Beichtstuhl sitzt. Nicht dass sie sich darum gerissen
hätte, aber sie möchte die Nonnen nicht enttäuschen. Häppchenweise offenbart
sie dem Pfarrer ihre Situation, der jede ihrer Informationen zu relativieren
versucht, bis er rot angelaufen fluchtartig den Beichtstuhl verlässt. Ein für
Diego Fabbri typisches Szenario, der seine Stücke vorzugsweise vor dem
Hintergrund der katholischen Kirche spielen ließ und die Konfrontation mit
deren moralischen Ansprüchen suchte. Denn Silvana/Maria hat nicht nur zu allen
drei Männern ein sexuelles Verhältnis, sie hat auch nicht vor, daran etwas zu
ändern oder diese bürgerlich zu legitimieren. Die Forderung des Pfarrers, ihr
Verhalten zu bereuen, lehnt sie konsequent ab.
Entspannung: zu Hause mit ihrer Mitbewohnerin (Janine Reynaud) |
Comencini inszenierte die Sequenz am Beichtstuhl mit so viel
Witz und Tempo, dass sich aus heutiger Sicht kaum noch erschließt, wie sehr „La
bugiarda“ damals gegen Tabus verstieß. Sex mit verschiedenen Partnern regt
heute Niemanden mehr auf, aber die Leichtigkeit, mit der sich Frau hier drei
männliche Liebhaber leistet, ohne heimlich von einer festen Beziehung zu
träumen – und damit wie ein Mann zu handeln - ist immer noch nicht selbstverständlich.
Auch in „La bugiarda“ schien die Strafe für Silvanas/Marias unmoralischen Lebenswandel
auf dem Fuß zu folgen. Die Maschine, in der sie als Stewardess angeblich mitgeflogen
war, wird vermisst. Und es dauert nicht lange, bis sich die besorgten Liebhaber
Silveri und Santini am Flughafen begegnen und feststellen müssen, dass sie mit
derselben Frau liiert sind. Zuerst schweißt sie ihre Trauer zusammen, aber als
sie erfahren, dass sie keine Stewardess ist – wann hätte sie auch arbeiten
sollen, schließlich war die gesamte Woche schon für die Männer verplant – und
entsprechend nicht abgestürzt sein kann, sind sie sich einen Moment lang nicht
mehr sicher, ob sie sich darüber freuen sollen.
Ärger: die Männer haben die Wahrheit erfahren |
Komödien mit jungen, attraktiven Frauen, die mit mehreren
Männern poussieren, kamen in den 60er Jahren zwar in Mode, aber sie endeten
fast immer in der gewohnten Ordnung einer monogamen Paar-Beziehung. „La
bugiarda“ drehte den Spieß einfach um. Statt der ertappten Lügnerin werden ihre beiden
Liebhaber vorgeführt – der Dritte erfährt nichts von dieser Situation, die
Anderen nichts von ihm -, deren aus gemeinsamer Empörung geschlossener Pakt
schnell bricht. Stattdessen versuchen sie sich gegenseitig auszustechen, da sie
sich jeweils für den einzigen legitimen Partner halten. Ihr Besitzanspruch an
eine junge Frau, die ihnen nie eine konkrete Beziehung versprochen hatte, droht
eine Konstellation zu zerstören, die zuvor nur Profiteure kannte. Dass
Silvana/Maria einen vorgetäuschten Selbstmordversuch unternimmt, um das schlechte
Gewissen der beiden Männer noch zu bestärken, ist angesichts ihres souveränen Auftretens
unter ihrem Niveau und der einzige Schwachpunkt eines Films, der elegant und
ohne erhobenen Zeigefinger mit Sexualität und tradierten Geschlechterrollen
jonglierte.
Auflösung: Silvana/Maria bleibt entspannt |
"La bugiarda" Italien, Frankreich, Spanien 1965, Regie: Luigi Comencini, Drehbuch: Luigi Comencini, Marcello Fondato, Diego Fabbri (Theaterstück), Darsteller : Catherine Spaak, Enrico Maria Salerno, Marc Michel, Manuel Miranda, Riccardo Cucciolla, Janine Reynaud, Laufzeit : 91 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Luigi Comencini:
"Pane, amore e fantasia" (1953)
"A cavallo della tigre" (1961)
"Tre notti d'amore" (1964)
"Le bambole" (1965)
"Delitto d'amore" (1974)
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