Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Samstag, 19. März 2016

La parmigiana (Das Mädchen aus Parma) 1963 Antonio Pietrangeli

Inhalt: Dora (Catherine Spaak) steigt in Parma mit einem Lächeln aus dem Zug und lässt sich auch von einem ungeduldigen Fahrgast nicht die Laune verderben. Ihr Weg führt sie zu Amneris (Didi Perego), einer alten Freundin ihrer früh verstorbenen Mutter, die sie sogleich freudig in die Arme schließt. Ihr Mann Scipio (Salvo Randone) reagiert verhaltener auf die überraschende Besucherin, aber er weiß, dass er gegen seine emotionale, raumgreifende Frau keine Chance hat.

Entsprechend nimmt sich Amneris, die als Krankenschwester in Privathaushalten arbeitet, der jungen Frau an, die für sie noch ein Mädchen ist. Als wären nicht viele Jahre seit ihrem letzten Zusammentreffen vergangen. Doch Dora genießt ihre Aufmerksamkeit und Obhut und lässt sich auf Amneris Versuche, sie in die Gesellschaft Parmas einzuführen, gerne ein. Sie hofft, von neuem anfangen zu können, da Niemand ihre Vergangenheit kennt und weiß was geschah, nachdem sie mit ihrer Jugendliebe Giacomo (Vanni De Maigret), einem angehenden Priester, von zu Hause weggelaufen war…



Vordergründig lief alles wie gewohnt bei Antonio Pietrangelis neuestem Filmprojekt "La Parmigiana" (Das Mädchen aus Parma), das zwei Jahre nach "Fantasmi a Roma" (Das Spukschloß in der Via Veneto, 1961)) in den Kinos startete. Ettore Scola und Ruggero Maccari schrieben gemeinsam mit dem Regisseur das Drehbuch und mit Catherine Spaak stand erneut eine junge, aufstrebende Schauspielerin im Mittelpunkt des Geschehens. Wie meist lag der Schwerpunkt des Trios auf einer weiblichen Hauptfigur, an deren Schicksal sie die soziokulturellen Veränderungen nach dem Krieg so signifikant, wie unterhaltsam festmachen konnten. Doch diesmal griffen sie auch auf eine von einer Frau geschriebenen literarischen Vorlage zurück – den gleichnamigen, 1962 erfolgreich publizierten Roman „La Parmigiana“ von Bruna Piatti, die zudem Einfluss auf das Drehbuch nahm. Der Untertitel ihres bis heute wiederholt aufgelegten Buches lautet im Italienischen:

„Una lolita parmigiana che brucia le tappe, i giorni, le notti“ 
„Ein junges Mädchen aus Parma, das ihrer Zeit immer voraus ist“ 

klingt so positiv wie Dora (Catherine Spaak) vor Freude strahlend am Bahnhof von Parma aus dem Zug steigt. Sie ist auf dem Weg zu Amneris (Didi Perego), einer Freundin ihrer früh verstorbenen Mutter, die die junge Frau, die sie zuletzt als kleines Kind gesehen hatte, ohne zu Zögern und mit Begeisterung bei sich aufnimmt. Amneris, die als Krankenschwester Pflegedienste bei betuchten Kranken leistet und mit dem Berufsmusiker Scipio (Salvo Randone) verheiratet ist, ist immer gut gelaunt und voller Tatendrang, geht damit ihrem wortkargen Mann aber gehörig auf die Nerven. Für Dora ist sie ein Glücksfall, denn sie nimmt sich der jungen Frau ohne Vorbehalte an.

Zurecht erhielt Didi Perego 1964 eine Nominierung als „beste Nebendarstellerin“ für das „Nastro d’argento“ (Goldene Band) durch die italienischen Filmjournalisten, denn ihre Figur und die ihres großartig von Randone gespielten Ehemanns stehen für die Übergangsphase der frühen 60er Jahre. Sie sind tief im konservativen Bürgertum verwurzelt, verhalten sich aber weder autoritär, noch vorurteilsbeladen gegenüber der attraktiven jungen Frau. Zu verdanken ist die neidlose Art der etwa 40jährigen Amnerís auch ihrer grenzenlosen Naivität, die in Dora immer noch ein Kind jenseits jeder Sexualität sieht. Gefördert wird dieser Eindruck noch durch Doras Unschuldsmiene, mit der sie in Parma auftritt, die aber Scipio nicht täuschen kann. Der bei abendlichen Tanzveranstaltungen als Trompeter auftretende Mann mittleren Alters ist mehr Zyniker als Macho, aber der Versuchung durch die junge Frau kann er kaum widerstehen. Als er die Tür zum Schlafzimmer Doras schließen will, sieht er sie nur leicht bekleidet schlafend auf ihrem Bett liegen. Seine Hand zittert, als er sie beinahe berührt, aber es gelingt ihm, sich zurückzuhalten. Schon in dieser frühen Szene wird deutlich, dass nichts ist wie es scheint.

Das gilt für Dora, aber mehr noch für das bürgerliche Leben in Parma. Es sind die begehrlichen Blicke der Männer, die unverhohlenen Anzüglichkeiten hinter der Anstandsfassade, die sie an ihre Vergangenheit erinnern und die Pietrangeli zu Überblendungen nutzte, um auf Doras Zeit vor ihrer Ankunft in Parma zurückzublicken. Gemeinsam mit Giacomo (Vanni De Maigret), einem jungen angehenden Priester, war sie von zu Hause abgehauen. Aus Angst vor den Konsequenzen, nachdem die beiden Verliebten in dem Dorf, in dem Dora als Waise bei dem Pfarrer untergekommen war, zusammen am Fluss gesehen worden waren. Doch Giacomo, unsicher nicht nur hinsichtlich seiner Zukunft, ließ sie allein in dem Hotelzimmer zurück, in das sie sich an einem Badeort eingemietet hatten – ohne Geld, um die schon angelaufenen Rechnungen bezahlen zu können. Kein Problem findet der Geschäftsführer, denn für eine hübsche junge Frau findet sich immer Verwendung.


Catherine Spaak trifft Nino Manfredi und Lando Buzzanca

Eine Haltung, die von Vielen geteilt wird und der sich Dora in ihrer Zwangslage nicht entziehen kann. Auch Nino (Nino Manfredi) nutzt sie für seinen Vorteil, als er sie zufällig am Strand sieht. Um einen Auftrag für eine Werbe-Kampagne von dem Ingenieur Masselli (Umberto D’Orsi) zu erhalten, behauptet er, die Blondine wäre sein Model. Ihm gelingt es, Dora zum Mitmachen zu bewegen, aber als Masselli ebenfalls sexuelle Gefälligkeiten erwartet, steigt sie aus – und Nino unfreiwillig gleich mit. Nino ist ein Betrüger und Selbstdarsteller, aber Manfredi spielte ihn mit so viel jungenhaftem Charme, dass er zur positivsten männlichen Figur des Films wird. Auch weil ihm die machohafte Attitüde und die üblichen Vorurteile fremd sind. Mit ihm erlebt Dora unbeschwerte Tage am Rand des Existenzminimums – bis Nino auf Grund einer früheren Gaunerei im Gefängnis landet.

Dora wird im Stich gelassen, erleidet Hunger und gerät in Abhängigkeit bis zur Prostitution, aber ihre Geschichte verfällt nicht in Tragik, obwohl Pietrangeli an der Ernsthaftigkeit des Geschehens keinen Zweifel ließ. Neben der kurzweiligen, wiederholt zwischen Gegenwart und Vergangenheit wechselnden Inszenierung, ist dieser Eindruck Catherine Spaaks Spiel zu verdanken, die ihre Dora nie in die Opferrolle geraten ließ. Spaak erwies sich in den 60er Jahren als Idealbesetzung für sexuell konnotierte Rollen, da sie sich trotz ihrer Attraktivität und Jugend auf Grund ihres selbstbestimmten Auftretens nicht als Lustobjekt vereinnahmen ließ. Und damit in der „Commedia all’italiana“ zu einer Ikone der Emanzipationsbewegung wurde, die mit ihren inhaltlich freizügigen Rollen den Weg in Richtung „Commedia sexy“ bereitete, ohne jemals konkret nackt aufzutreten. Nicht zufällig spielte sie bis 1970 viermal allein unter der Regie von Pasquale Festa Campanile, dem „Sexy“- Spezialisten schlechthin, der in „Adultero all’italiana“ (Seitensprung auf Italienisch, 1966) auch Spaak und Manfredi noch einmal gemeinsam auf die Leinwand brachte.

Bemerkenswert ist auch das erste Aufeinandertreffen von Spaak und Lando Buzzanca, das sich nach "Le monachine" (1963) im selben Jahr nur noch einmal 10 Jahre später wiederholen sollte, obwohl beide Schauspieler zu vielbeschäftigten Stars in der „Commedia all’italiana“ wurden. Der gebürtige Sizilianer Buzzanca spielte in „La parmigiana“ einen Kleinbürger, dessen traditionelle Vorstellungen von Ehe und Geschlechterrollen gehörig durcheinander gewirbelt werden – einen Typus, den er später noch mehrfach variierte. So steif und tugendhaft er einen Polizisten spielte, und so aussichtslos seine Bemühungen um Dora wirken, so hinterließ er neben dem quirligen Nino noch den sympathischsten Eindruck. Zumindest den hartnäckigsten, denn selbst nachdem Dora mit ihm geschlafen hatte, um ihm zu beweisen, dass sie keine Jungfrau mehr ist, will er sie noch heiraten. Für sie schmeißt er notfalls auch seine Traditionen über Bord.

Trotz dieser genre-prägenden Konstellationen steht der 1969 früh verstorbene Regisseur Pietrangeli in keiner „Commedia sexy“- Liste, aber die Selbstverständlichkeit, mit der er seit „Il sole negli occhi“ (Die Sonne in den Augen, 1953) Frauen und ihre Sexualität auf die Realitäten einer von Männern bestimmten Sozialisation stießen ließ, gehört zu den Wegbereitern für die Liberalisierung in den 60er und 70er Jahren. Eine Liberalität, von der die Gesellschaft in „La parmigiana“ noch weit entfernt ist. Doras Versuch, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen und im bürgerlichen Parma neu anzufangen, hat keine Chance. Nicht weil sie Jemand durchschaut hätte, sondern weil die Mechanismen, denen sie als Frau ausgesetzt ist, überall gleich sind. Selbst die Rückkehr zum aus dem Gefängnis entlassenen Nino scheitert, da er sein so freies, wie unstetes Leben gegen eine feste Beziehung mit einer älteren Frau eingetauscht hat. Er kapitulierte vor der wirtschaftlichen Not.

Einen Moment scheint es, dass auch Dora aufgibt. Dass sie es nicht tut, verleiht dem Film am Ende eine optimistische Note - ohne zu verschweigen, dass es verdammt hart ist, seiner Zeit voraus zu sein.



"La parmigiana" Italien 1963, Regie: Antonio Pietrangeli, Drehbuch: Antonio Pietrangeli, Ettore Scola, Ruggero Maccari, Bruna Piatti (Roman), Darsteller : Catherine Spaak, Nino Manfredi, Lando Buzzanca, Didi Perego, Salvo Randone, Vanni De Maigret, Laufzeit : 98 Minuten

- weitere im Blog besprochene Filme von Antonio Pietrangeli :

"Porträt Antonio Pietrangeli" 

"Il sole negli occhi" (1953)
"Amori di mezzo secolo" (1954)
"Adua e le compagne" (1960)
"La visita" (1963)
"Io la conoscevo bene" (1965)
"Le fate" (1966)
"Come, quando, perché?" (1969)

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.