Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Montag, 22. Februar 2016

No, il caso è felicemente risolto (Betrachten wir die Angelegenheit als abgeschlossen) 1973 Vittorio Salerno

Inhalt: Fabio Santamaria (Enzi Cerusico) hat sich eine einsame Stelle an einem See in der Nähe Roms ausgesucht, um in Ruhe angeln zu können, während er die Radioübertragung eines zeitgleich stattfindenden Fußballspiels über einen Kopfhörer empfängt. Trotzdem nimmt er die Hilfeschreie einer Frau wahr, die aus dem Schilf dringen. Er läuft in die Richtung der Geräusche, kann aber nur noch den Mord an einer jungen Frau mitansehen. Als der Täter (Riccardo Cucciolla) auf ihn zugeht flieht Santamaria panikartig mit seinem Auto, um zur nächsten Polizeidienststelle in der ländlichen Gegend zu fahren.

So zuerst sein Plan, doch als er bemerkt, dass der Mann ihm folgt, begibt er sich mit überhöhtem Tempo zurück nach Rom, verkriecht sich in seiner leeren Wohnung - seine Frau (Martine Brochard) und seine Tochter sind gerade im Kino - und schläft ein. Er wacht nachts mit großem Hunger auf, aber seine Lust, den Mord anzuzeigen, ist dahin. Befriedigt liest er am nächsten Morgen in der Zeitung, dass die Polizei die Getötete gefunden hat, aber als er feststellen muss, dass die Täterbeschreibung auf ihn zutrifft, ändert sich seine Stimmung…


Es gibt Geschichten, die sind so naheliegend, dass sich die Frage stellt, warum sie nicht häufiger erzählt werden? - Am Sonntagnachmittag wird ein Angler Zeuge eines Gewaltverbrechens. Er hört die Hilfeschreie einer Frau und läuft durchs Schilf des einsam gelegenen Sees in die Richtung des Lärms, um im letzten Moment mitansehen zu müssen, wie ein Mann brutal eine junge Frau erschlägt. Ihre Blicke begegnen sich. Der Mörder geht mit dem Knüppel auf den Zeugen zu, der daraufhin panikartig zu seinem Auto rennt, um zur nächsten Polizeidienststelle zu fahren. So weit, so vorstellbar. Es ist eine Geschichte zwischen zwei Männern und einem weiblichen Opfer, die ähnlich im Park, auf einer Landstraße, nachts sogar mitten in der Stadt möglich ist.

Regisseur Vittorio Salerno betonte diese Ausgangssituation noch durch die Kontrastierung der Geräusche, bei gleichzeitiger Parallelität des Bildaufbaus. Während das Fußballstadion in Stille liegt, dringt der Lärm der Radio-Übertragung aus dem Kopfhörer des Anglers. Die ovale Form von Stadion und See gleichen sich, der Blick der Kamera auf die Zuschauerränge wird zum Blick auf den Angler am Seeufer. Dieses anfängliche Spiel mit Kontrast und Konformität gibt die Linie des Films vor: wer ist der Täter und wer ist der Zeuge? – Oder sind beide Männer Täter? – Dabei ist die Konstellation eindeutig und eine Überführung des Täters scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Doch es kommt anders.

Damiano Damiani? – Vittorio Salerno!

Salernos Film „No, il caso è felicamente risolto“ (Betrachten wir die Angelegenheit als abgeschlossen), nach seinem gemeinsam mit Augusto Finocchi verfassten Drehbuch, wird auf Grund seines sozialkritischen Gestus, verbunden mit der Kritik an staatlichen Institutionen, häufig in die Nähe der Filme Damiano Damianis gerückt, die den Missbrauch des Rechtssystems zugunsten politischer und krimineller Interessen anprangerten. Der Einzelne, einmal in den Fokus mafiöser Strukturen geraten, war diesen hoffnungslos ausgeliefert. Die Parallelen zu den Ereignissen um den Zeugen Fabio Santamaria (Enzi Cerusico) scheinen auf der Hand zu liegen - eine nur an Äußerlichkeiten orientierte Betrachtungsweise, denn entscheidend für Santamarias Schicksal ist dessen eigenes Verhalten. Dem Rechtsstaat lassen sich Vorurteile und mangelndes Engagement vorwerfen, aber er ist nicht korrumpiert wie bei Damiani. Weder fälscht die Polizei Beweise, noch beeinflusst sie Zeugen, es geht auch keine direkte Gefahr von ihr aus. Im Gegenteil reagiert der Apparat nur auf das Verhalten der beiden Protagonisten und wirft damit die Frage auf, warum Santamaria den Mord nicht sofort meldete?

Eine Antwort darauf lässt sich in der Zusammenarbeit des Regisseurs mit seinem älteren Bruder Enrico Maria Salerno finden, der zu den prägenden Commissario-Figuren des frühen „Poliziesco“ gehörte („La polizia ringrazia“ (Das Syndikat, 1972)), hier aber eine gegensätzliche Position als abgezockter Journalist einnahm. Scheinbar nur eine Nebenfigur spielend, steht er entscheidend für die Intention des Films. Mit zynischer Klarheit kommentiert er die Ereignisse und durchschaut sofort die bürgerliche Fassade des Täters – eine unabhängige, von außen beobachtende Rolle, wie er sie in der zweiten Zusammenarbeit mit seinem Bruder in „Fango bollente“ (1975) wiederholte. Dieser wirkt mit seinem gewalttätigen Aktionismus reißerischer als „No, il caso è felicamente risolto“, behielt aber die Perspektive aus Sicht des Einzelnen bei, spitzte die Darstellung einer egoistischen Gesellschaft nur weiter zu.

Gegenüber den aus Vergnügungssucht mordenden Männern in „Fango bollente“ wirkt Fabio Santamaria harmlos. Verheiratet, eine Tochter, verkörpert der als Fahrkartenverkäufer am Hauptbahnhof arbeitende Mittdreißiger einen männlichen Durchschnittstyp. Optisch gefällig und umgänglich, lässt sich seine Eitelkeit und geringe Neigung zur Selbstreflexion nicht übersehen. Seine Frau (Martine Brochard) behandelt er geringschätzig, einzig gegenüber seiner Tochter verhält er sich liebevoll. Seine erste Reaktion nach dem Anblick des Mordes und dem damit verbundenen Schock ist ebenso verständlich, wie seine Angst, als ihn der Täter scheinbar verfolgt. Auch das er in der Hektik von seinem Versuch ablässt, den Verkehrs-Polizisten zu informieren, ist nachvollziehbar, aber mit zunehmendem zeitlichen Abstand schwindet sein Wille, den Mord anzuzeigen. Hätte er geahnt, dass der Mörder stattdessen selbst zur Polizei geht, hätte er alle Hebel in Gang gesetzt, aber ohne diese Motivation überwiegt bei ihm ein aus Bequemlichkeit gespeister Fatalismus – moralisch wird er zum Mittäter.

Diese Entscheidung wird für Santamaria zum Fanal, das Salerno dazu nutzte, geschickt auf der Klaviatur des Rechtsempfindens zu spielen. War sein Zögern nicht nur ein Faux-Pas? – Sind seine Versuche, der Personenbeschreibung, die ihn als Täter benennt, durch optische Veränderung und Entsorgung verräterischer Kleidungsstücke zu entgehen, nicht legitim? – Wer wird ihm noch glauben, zumal es sich bei dem Mörder um einen angesehenen Schul-Professor handelt? – Der Höhepunkt dieses Diskurses ist die Begegnung von Santamaria mit Professor Ranieri. Riccardo Cucciolla spielte den Lehrer trotz dessen skrupelloser Vorgehensweise nicht als aalglatten Intellektuellen, sondern ließ die Abgründe erahnen, die zu seiner Tat führten. Glaubhaft kann er Santamaria sein inneres Leiden vermitteln und gewinnt so dessen Mitgefühl. Weder die erschlagene junge Frau, eine Prostituierte, noch der bewusst von Salerno gewalttätig inszenierte Tötungsakt haben noch Bedeutung – einen Moment lang entsteht eine Nähe zwischen den zwei Männern, die sie sonst nicht zulassen.

Salerno legte den Akzent seines Films auf die Abgründe hinter den bürgerlichen Fassaden. Sein Interesse galt dabei weniger dem Professor als dem Durchschnittstypen Santamaria, aus dessen Sicht der Großteil der Handlung erzählt wird. Wenn dieser, um seine Unschuld zu bezeugen, herausschreit, er hätte Frau und Kind, wirkt das angesichts seines vorherigen Benehmens als hohle Außendarstellung. Keinen Moment vertraute er sich seiner Frau an, sondern reagierte nur ungehalten auf ihre Nachfragen. Oberflächlich betrachtet lässt sich „No, il caso è felicamente risolto“ als Kritik an einer gnadenlosen Justiz verstehen, die einem Unschuldigen, einmal in die Mühle des Gesetzes geraten, keine Chance gibt. Doch unschuldig ist hier Niemand mehr.

"No, il caso è felicamente risolto" Italien 1973, Regie: Vittorio Salerno, Drehbuch: Vittorio Salerno, Augusto Finocchi, Darsteller: Enzi Cerusico, Riccardo Cucciolla, Enrico Maria Salerno, Martine Brochard, Luigi Cassellato, Laufzeit: 91 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Vittorio Salerno:

"Fango bollente" (1975)

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.