Inhalt: Fabio Santamaria (Enzi Cerusico) hat sich eine
einsame Stelle an einem See in der Nähe Roms ausgesucht, um in Ruhe angeln zu
können, während er die Radioübertragung eines zeitgleich stattfindenden
Fußballspiels über einen Kopfhörer empfängt. Trotzdem nimmt er die Hilfeschreie
einer Frau wahr, die aus dem Schilf dringen. Er läuft in die Richtung der
Geräusche, kann aber nur noch den Mord an einer jungen Frau mitansehen. Als der
Täter (Riccardo Cucciolla) auf ihn zugeht flieht Santamaria panikartig mit
seinem Auto, um zur nächsten Polizeidienststelle in der ländlichen Gegend zu
fahren.
So zuerst sein Plan, doch als er bemerkt, dass der Mann ihm
folgt, begibt er sich mit überhöhtem Tempo zurück nach Rom, verkriecht sich in
seiner leeren Wohnung - seine Frau (Martine Brochard) und seine Tochter sind
gerade im Kino - und schläft ein. Er wacht nachts mit großem Hunger auf, aber
seine Lust, den Mord anzuzeigen, ist dahin. Befriedigt liest er am nächsten
Morgen in der Zeitung, dass die Polizei die Getötete gefunden hat, aber als er
feststellen muss, dass die Täterbeschreibung auf ihn zutrifft, ändert sich
seine Stimmung…
Es gibt Geschichten, die sind so naheliegend, dass sich die
Frage stellt, warum sie nicht häufiger erzählt werden? - Am Sonntagnachmittag
wird ein Angler Zeuge eines Gewaltverbrechens. Er hört die Hilfeschreie einer
Frau und läuft durchs Schilf des einsam gelegenen Sees in die Richtung des
Lärms, um im letzten Moment mitansehen zu müssen, wie ein Mann brutal eine
junge Frau erschlägt. Ihre Blicke begegnen sich. Der Mörder geht mit dem
Knüppel auf den Zeugen zu, der daraufhin panikartig zu seinem Auto rennt, um
zur nächsten Polizeidienststelle zu fahren. So weit, so vorstellbar. Es ist
eine Geschichte zwischen zwei Männern und einem weiblichen Opfer, die ähnlich
im Park, auf einer Landstraße, nachts sogar mitten in der Stadt möglich ist.
Regisseur Vittorio Salerno betonte diese Ausgangssituation
noch durch die Kontrastierung der Geräusche, bei gleichzeitiger Parallelität
des Bildaufbaus. Während das Fußballstadion in Stille liegt, dringt der Lärm
der Radio-Übertragung aus dem Kopfhörer des Anglers. Die ovale Form von Stadion
und See gleichen sich, der Blick der Kamera auf die Zuschauerränge wird zum
Blick auf den Angler am Seeufer. Dieses anfängliche Spiel mit Kontrast und
Konformität gibt die Linie des Films vor: wer ist der Täter und wer ist der
Zeuge? – Oder sind beide Männer Täter? – Dabei ist die Konstellation eindeutig
und eine Überführung des Täters scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Doch
es kommt anders.
Damiano Damiani? – Vittorio Salerno!
Salernos Film „No, il caso è felicamente risolto“ (Betrachten
wir die Angelegenheit als abgeschlossen), nach seinem gemeinsam mit Augusto
Finocchi verfassten Drehbuch, wird auf Grund seines sozialkritischen Gestus,
verbunden mit der Kritik an staatlichen Institutionen, häufig in die Nähe der
Filme Damiano Damianis gerückt, die den Missbrauch des Rechtssystems zugunsten
politischer und krimineller Interessen anprangerten. Der Einzelne, einmal in
den Fokus mafiöser Strukturen geraten, war diesen hoffnungslos ausgeliefert.
Die Parallelen zu den Ereignissen um den Zeugen Fabio Santamaria (Enzi
Cerusico) scheinen auf der Hand zu liegen - eine nur an Äußerlichkeiten orientierte
Betrachtungsweise, denn entscheidend für Santamarias Schicksal ist dessen eigenes
Verhalten. Dem Rechtsstaat lassen sich Vorurteile und mangelndes Engagement
vorwerfen, aber er ist nicht korrumpiert wie bei Damiani. Weder fälscht die
Polizei Beweise, noch beeinflusst sie Zeugen, es geht auch keine direkte Gefahr
von ihr aus. Im Gegenteil reagiert der Apparat nur auf das Verhalten der beiden
Protagonisten und wirft damit die Frage auf, warum Santamaria den Mord nicht sofort
meldete?
Eine Antwort darauf lässt sich in der Zusammenarbeit des
Regisseurs mit seinem älteren Bruder Enrico Maria Salerno finden, der zu den
prägenden Commissario-Figuren des frühen „Poliziesco“ gehörte („La polizia ringrazia“ (Das Syndikat, 1972)), hier aber eine gegensätzliche Position als
abgezockter Journalist einnahm. Scheinbar nur eine Nebenfigur spielend, steht er
entscheidend für die Intention des Films. Mit zynischer Klarheit kommentiert er
die Ereignisse und durchschaut sofort die bürgerliche Fassade des Täters – eine
unabhängige, von außen beobachtende Rolle, wie er sie in der zweiten
Zusammenarbeit mit seinem Bruder in „Fango bollente“ (1975) wiederholte. Dieser
wirkt mit seinem gewalttätigen Aktionismus reißerischer als „No, il caso è
felicamente risolto“, behielt aber die Perspektive aus Sicht des Einzelnen bei,
spitzte die Darstellung einer egoistischen Gesellschaft nur weiter zu.
Gegenüber den aus Vergnügungssucht mordenden Männern in
„Fango bollente“ wirkt Fabio Santamaria harmlos. Verheiratet, eine Tochter, verkörpert
der als Fahrkartenverkäufer am Hauptbahnhof arbeitende Mittdreißiger einen
männlichen Durchschnittstyp. Optisch gefällig und umgänglich, lässt sich seine
Eitelkeit und geringe Neigung zur Selbstreflexion nicht übersehen. Seine Frau (Martine
Brochard) behandelt er geringschätzig, einzig gegenüber seiner Tochter verhält
er sich liebevoll. Seine erste Reaktion nach dem Anblick des Mordes und dem
damit verbundenen Schock ist ebenso verständlich, wie seine Angst, als ihn der Täter
scheinbar verfolgt. Auch das er in der Hektik von seinem Versuch ablässt, den
Verkehrs-Polizisten zu informieren, ist nachvollziehbar, aber mit zunehmendem
zeitlichen Abstand schwindet sein Wille, den Mord anzuzeigen. Hätte er geahnt,
dass der Mörder stattdessen selbst zur Polizei geht, hätte er alle Hebel in
Gang gesetzt, aber ohne diese Motivation überwiegt bei ihm ein aus
Bequemlichkeit gespeister Fatalismus – moralisch wird er zum Mittäter.
Diese Entscheidung wird für Santamaria zum Fanal, das
Salerno dazu nutzte, geschickt auf der Klaviatur des Rechtsempfindens zu spielen.
War sein Zögern nicht nur ein Faux-Pas? – Sind seine Versuche, der
Personenbeschreibung, die ihn als Täter benennt, durch optische Veränderung und
Entsorgung verräterischer Kleidungsstücke zu entgehen, nicht legitim? – Wer
wird ihm noch glauben, zumal es sich bei dem Mörder um einen angesehenen
Schul-Professor handelt? – Der Höhepunkt dieses Diskurses ist die Begegnung von
Santamaria mit Professor Ranieri. Riccardo Cucciolla spielte den Lehrer trotz
dessen skrupelloser Vorgehensweise nicht als aalglatten Intellektuellen,
sondern ließ die Abgründe erahnen, die zu seiner Tat führten. Glaubhaft kann er
Santamaria sein inneres Leiden vermitteln und gewinnt so dessen Mitgefühl.
Weder die erschlagene junge Frau, eine Prostituierte, noch der bewusst von Salerno
gewalttätig inszenierte Tötungsakt haben noch Bedeutung – einen Moment lang
entsteht eine Nähe zwischen den zwei Männern, die sie sonst nicht zulassen.
Salerno legte den Akzent seines Films auf die Abgründe
hinter den bürgerlichen Fassaden. Sein Interesse galt dabei weniger dem
Professor als dem Durchschnittstypen Santamaria, aus dessen Sicht der Großteil
der Handlung erzählt wird. Wenn dieser, um seine Unschuld zu bezeugen,
herausschreit, er hätte Frau und Kind, wirkt das angesichts seines vorherigen Benehmens
als hohle Außendarstellung. Keinen Moment vertraute er sich seiner Frau an,
sondern reagierte nur ungehalten auf ihre Nachfragen. Oberflächlich betrachtet
lässt sich „No, il caso è felicamente risolto“ als Kritik an einer gnadenlosen
Justiz verstehen, die einem Unschuldigen, einmal in die Mühle des Gesetzes
geraten, keine Chance gibt. Doch unschuldig ist hier Niemand mehr.
"No, il caso è felicamente risolto" Italien 1973, Regie: Vittorio Salerno, Drehbuch: Vittorio Salerno, Augusto Finocchi, Darsteller: Enzi Cerusico, Riccardo Cucciolla, Enrico Maria Salerno, Martine Brochard, Luigi Cassellato, Laufzeit: 91 Minuten
"Fango bollente" (1975)
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