Inhalt: Selene (Graziella Galvani) kommt mit dem Zug von der
Arbeit aus Lucca und wird von ihrem Vater am Bahnhof des Badeorts Viareggio mit
der Kutsche abgeholt. Von Ferienstimmung ist nichts zu merken, denn es regnet
in Strömen, aber Selenes Bruder Manolo (Philippe Leroy) nutzt die Zeit für
Reparaturen an seinem Eselskarren, mit dem er sonst am Strand Kinder
herumfährt. Ihre Schwester Foschina (Gabriella Giorgelli) sollte eigentlich das
Essen vorbereiten, aber sie streitet sich stattdessen eifersüchtig mit ihrem
Freund Paolo (Giampiero Littera), der als Fotograf arbeitet – seine Kamera
überlebt ihren Krach nur knapp.
Seine Filme entwickelt Paolo in einem Nachbarhaus, wo er
sich eine Wohnung mit der allein stehenden, knapp 40jährigen Yvonne (Sandra Milo)
teilt, die in den Vorbereitungen für ihre Backwaren steckt, die sie am Strand
verkauft. Währenddessen erreicht Marcello (Amadeo Nazzari) Viareggio, um im
zentralen Hotel der Stadt einzuchecken. Überall wird der elegante, souverän
auftretende 50jährige als „Graf“ begrüßt“, als der er sich ausgibt. Tatsächlich
arbeitet er als männliches Mannequin in der Show seiner Freundin, die täglich
für die Touristen Mode vorführen lässt…
"Viareggio" - groß fängt die Kamera das Schild am
Bahnhof ein, das von der Ankunft an einem der bekanntesten Badeorte Italiens an
der Riviera kündet. Doch "Viareggio" ist auch ein Symbol für den
soziologischen Wandel nach dem Krieg. Aus dem exklusiven Seebad der
Vorkriegszeit wurde ein beliebter Ferienort für die italienische Bevölkerung.
Im Sommer herrscht hier und in der nahe gelegenen toscanischen Stadt Lucca
Hochbetrieb. Hotels, Restaurants, Vergnügungslokale und Attraktionen jeder Art
sind wie Pilze aus dem Boden geschossen, um die Menschenmassen unterzubringen
und zu unterhalten. Überfüllte Strände und nächtliche Touristenkolonnen sind
die Folge, gepaart mit extremen Verhaltensweisen, wie sie wiederholt im
italienischen Film thematisiert wurden - beispielhaft in Alberto Lattuadas
"La spiaggia" (Der Skandal, 1954), aktueller in Dino Risis "Il sorpasso" (Verliebt in scharfe Kurven, 1962). Gemein ist diesen Filmen die
Sezierung einer bürgerlichen Doppelmoral, die im Alltag die Einhaltung von
Anstands-Regeln predigt, die am Urlaubsort außer Kraft gesetzt werden.
Kein ungewöhnliches Verhalten, dass aber auf Grund der
stetig wachsenden Zahl an Feriengästen nach dem Krieg die gesellschaftlichen
Prozesse hinsichtlich der Geschlechterrollen und der Sexualität beschleunigte. Entsprechend
viele erotische Komödien spielen vor dem Hintergrund eines Urlaubszenarios („Peccato veniale“ (Der Filou, 1974)), da erst der dort vorhandene Freiraum die
Möglichkeit von Tabubrüchen schuf, deren Alltagstauglichkeit nicht nachgewiesen
werden musste. Auch umgingen die Macher so den Fallstricken der Zensur, da sie
sich auf die Ausnahmesituation am Urlaubsort berufen konnten. Regisseur Luigi
Zampa ging in „Frenesia dell’estate“ (Verrückter Sommer) den entgegengesetzten
Weg. Ihn interessierten weniger die Gäste, die in seinem Film bis auf geringe Ausnahmen
nur als gesichtslose Masse vorkommen, sondern die Menschen, die hier leben und/oder
in den Ferienmonaten hier arbeiten. Für sie ist „Frenesia“ - übersetzt
“Raserei“ oder „rasende Begierde“ – ihr Alltag.
„Eine sozialkritische Komödie des berühmten Italieners Luigi
Zampa, die mit den großen Werken des Regisseurs nicht zu vergleichen ist,
jedoch unverkennbar seine Handschrift aufweist. Leider siedelte er aber die
kleinen Schicksale jener kuriosen Typen in Lucca bzw. Viareggio in zwei der
Begegnungen zu einseitig lediglich bei deren sexuellen Beziehungen an. Deshalb
nur etwas für verständige Erwachsene.“
Yvonne (Sandra Milo) kümmert sich um den spanischen Radfahrer |
Diese keineswegs negative Aussage des „Evangelischen
Filmbeobachters“ lässt zwei Haltungen dieser Zeit deutlich werden – die Geringerschätzung
komödiantischer Stoffe gegenüber den ernsthaften „großen Werken“ und die Ablehnung
einer scheinbar zu sehr in den Vordergrund gerückten Sexualität, die als
reißerisch und spekulativ angesehen wurde.
Manolo (Philippe Leroy) will groß ins Geschäft einsteigen |
Das ließ außer Acht, dass Luigi Zampa schon in seinen frühen
Filmen Sozialkritik und unterhaltende Elemente eng miteinander verband - ein
Grund dafür, warum etwa „L’onerevole Angelina“ (Abgeordnete Angelina, 1947)
heute nur selten zum Kanon des Neorealismus gezählt wird. Zampa wechselte zwar
regelmäßig ins dramatische Fach („La romana“ (Die freudlose Gasse, 1954)),
blieb aber auch seiner komödiantischen Linie treu und gehörte neben Steno und
Mario Monicelli zu den prägenden Köpfen der „Commedia all’italiana“ in den 50er
Jahren. Ende des Jahrzehnts schrieb er die Drehbücher zu seinen Filmen gemeinsam
mit Pasquale Festa Campanile und Massimo Franciosa („Ladri lui, ladri lei“ (Dieb
hin, Dieb her (1958)) sowie Rodolfo Sonego („Il vigile“ (Der Schutzmann,
1960)), die wenige Jahre später zu wichtigen Wegbereitern der „Commedia sexy
all’italiana“ werden sollten.
Nardoni (Vittorio Gassman) belügt seine Verlobte (Graziella Galvani)... |
Zuvor legte Zampa mit „Frenesia dell’estate“ selbst schon
einen frühen Meilenstein des erotischen Genres vor - gleichzeitig seine einzige
direkte Zusammenarbeit mit Mario Monicelli und gewissermaßen auch mit Steno, hier
vertreten durch dessen Leib- und Magen-Autoren Agenore Incrocci (Age) und Furio
Scarpelli. Auch die Darstellerliste wies schon in Richtung „Commedia sexy“:
Vittorio Gassman („L’amore difficile“ (Erotica),1962)), Sandra Milo ("Come imparai ad amare le donne" (Das gewisse Etwas der Frauen, 1966)) und
Gabriella Gorgiella ("L'isola di Arturo" (Die Insel der verbotenen
Liebe, 1962)) sowie „Angelique“-Darstellerin Michèle Mercier und Philippe Leroy
(„Les filles sèment le vent“ (Die Ernte der sündigen Mädchen, 1961)) gehörten
zu prägenden Vertretern der sexuellen Liberalisierung im Kino der 60er Jahre.
...um mit seinen Kameraden nach Viareggio in die Travestie-Show zu gehen. |
Wie in der Frühphase des erotischen Films üblich -
gleichzeitig die Hochphase des Episodenfilms Mitte der 60er Jahre - war auch
„Frenesia dell’estate“ episodenhaft angelegt. Um die zentralen Figuren – die
Strandverkäuferin von Backwaren Yvonne (Sandra Milo), den Capitano einer in
Lucca stationierten Armeeeinheit (Vittorio Gassman), Manolo (Philippe Leroy),
der mit seinen Eseln Kinder herumkutschiert, aber von besseren Geschäften
träumt, sowie dem männlichen Mannequin Marcello (Amadeo Nazzari) – entwickeln
sich eigenständige Geschichten, die ineinander verwoben erzählt wurden und über
Berührungspunkte verfügen, die Zampas Film einen einheitlichen Gesamteindruck verleihen.
Nicht ohne Grund beginnt und schließt er mit einer Szene im Regen – sinnbildlich
für den Anfang und das Ende eines Sommers, der Spuren hinterließ, obwohl äußerlich
alles beim Alten blieb.
Dort lernt er Gigi (Michèle Mercier) kennen, die er für einen Mann hält |
Capitano Mario Nardoni hat inzwischen seine langjährige
Verlobte Selene (Graziella Galvani) geheiratet, deren Schwester Foschina
(Gabriella Giorgelli) ist wieder mit dem Fotografen Paolo (Giampiero Littera)
zusammen, mit dem sie sich in der ersten Szene des Films zerstritten hatte, und
ihr gemeinsamer Bruder Manolo backt immer noch kleine Brötchen. Ein Eindruck,
der täuscht. Die Prozesse sind nicht mehr aufzuhalten, auch wenn die
Beteiligten versuchen, wieder zur Tagesordnung zurückzukehren. Während die
amüsante Story um Yvonne, der ein spanischer Hinterbänkler des Giro d’Italia in
den Verkaufswagen stürzt, worauf sie ihn mit zu sich nach Hause und ins Bett
nimmt, eher harmlos der Frivolität frönt, greifen die Ereignisse um die
Schwestern Foschina und Ninette tiefer in die sich verändernde Sozialisation.
Marcello (Amadeo Nazzari) macht sich an Foschina(Gabrielle Giorgelli) heran |
Nach der Trennung von Paolo bändelt die junge Foschina mit
dem viel älteren, gut aussehenden Marcello an, den sie als Freund ihres Bruders
Manolo kennenlernte. Sie ahnt nicht, dass sich der so distinguiert auftretende
Charmeur selbst zum Abendessen einlud, weil er komplett abgebrannt ist. Er
hatte seinen Job bei der Modenschau geschmissen, weil seine Chefin und
gleichzeitige Geliebte ihn nicht mehr in Bademoden auftreten ließ. Daraufhin
hatte sie ihre Zahlungen an den in der Öffentlichkeit als Graf auftretenden Lebemann
eingestellt. In der Begegnung von Foschina und Marcello treffen zwei sich
gegensätzlich entwickelnde Geschlechterrollen aufeinander - hier die junge
Frau, die beginnt, sich der Kontrolle ihres Vaters zu entziehen, dort der
alternde Mann, der bis zur Lächerlichkeit an einem Status festhält, der längst
nicht mehr existiert.
Der Veranstalter(Renzo Palmer) durchschaut, dass Gigi eine Frau ist |
Neuland betraten Zampa und seine Autoren mit der Story um
den Armee-Hauptmann Mario Nardoni, der schon lange mit Ninette verlobt ist, aber
wenig Lust verspürt sie zu heiraten. Mit fadenscheinigen Argumenten bricht er
eine Verabredung ab, um sich mit seinen Kameraden ins Touristen-Getümmel von
Viareggio zu werfen. Sie besuchen eine Travestie-Show französischer Künstler,
die sehr überzeugend als Frauen auftreten. Für Nardoni ein Spaß, der ihn zu
ängstigen beginnt, als sich Gigi während der Show auf seinen Schoß setzt. Irritiert
reagiert er auf dessen spielerische Annäherungen, da er sich angezogen fühlt. Nicht
ahnend, dass es sich bei Gigi (Michèle Mercier) tatsächlich um eine Frau
handelt, die spontan in Frankreich als Ersatz einsprang und zähneknirschend vom
Veranstalter (Renzo Palmer) akzeptiert wurde – unter der Auflage, dass
nichts davon an die Öffentlichkeit dringen darf.
Gassman ist großartig als Mann, der an seinen sexuellen Präferenzen
zu zweifeln beginnt und damit innerhalb der stark patriarchalisch geprägten
italienischen Gesellschaft an seine Grenzen stößt. Seine Empörung gegenüber
Gigi, der er mehrfach in der Öffentlichkeit wieder begegnet, steigert sich so
sehr, dass er nicht mehr in der Lage ist, ihr nächtliches Geständnis, dass sie
eine Frau ist, noch wahrzunehmen. Stattdessen verbringt er eine Nacht mit
Ninette, um sich zu beweisen, dass er ein „richtiger“ Mann ist. Das Vorhaben
gelingt erwartungsgemäß – mit dem Ergebnis, dass er die zudem noch
geschwängerte Ninette heiratet. Ende gut, alles gut? – Kaum, wie sein abschließender Gesichtsausdruck vermittelt, nachdem ihm sein Schwager Manolo vom Geheimnis um
Gigi erzählt hat. Äußerlich scheint alles beim Alten, aber die
Geschlechter-Grenzen beginnen aufzuweichen, die Beziehungs-Strukturen verändern
sich – die Lunte ist gelegt.
"Frenesia dell'estate" Italien, Frankreich 1964, Regie: Luigi Zampa, Drehbuch: Mario Monicelli, Agenore Incrocci, Furio Scarpelli, Piero De Benardi, Renzo Tarabusi, Raffaello Pacini, Leonardo Benvenuti, Folco Provenzale, Darsteller : Vittorio Gassman, Sandra Milo, Philippe Leroy, Michèle Mercier, Gabriella Giorgelli, Graziella Galvani, Amadeo Nazzari, Renzo Palmer, Umberto D'Orsi, Laufzeit : 105 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Luigi Zampa:
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