Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Freitag, 31. Juli 2015

La donna invisibile (Die Unsichtbare) 1969 Paolo Spinola

Inhalt: Gemeinsam mit ihrem Mann Andrea (Silvano Tranquilli) bereitet sich Laura (Giovanni Ralli) im Schlafzimmer für den abendlichen Opernbesuch vor. In Unterwäsche gekleidet steht sie vor ihm, aber er hat nur Augen für den Fleck hinter ihr an der Wand. Sie versteht erst nicht, welchen Fleck er meint, bevor sie sich umdreht – es ist, als hätte er durch sie hindurch gesehen. Als sie wenig später das Dienstmädchen auf den Fleck aufmerksam macht, weiß diese nicht, wovon Laura spricht. Sie kann ihn hinter ihr nicht sehen.

Während sie sich mit dem befreundeten Ehepaar Anita (Anita Sanders) und Carlo (Gigi Rizzi) vor der Aufführung in einer Bar treffen, finden nebenan vor dem zentralen Universitätsgebäude, an dem Andrea als Professor unterrichtet, lautstarke Studentenproteste statt. Davon ungestört begeben sie sich in ihre Loge, wo Laura erneut seltsame Fantasien hat. Anita ist plötzlich nackt und ihr Mann berührt ihre Brust. Doch im nächsten Moment ist diese Vision wieder verschwunden…


Das Hauptwerk des Regisseurs und Drehbuchautors Paolo Spinolas beschränkt sich auf drei Filme, die in der zweiten Hälfte der 60er Jahre in die italienischen Kinos kamen. Fast 10 Jahre später realisierte er mit "Un giorno alla fine di ottobre" (1977) einen weiteren Film, der aber keine Aufmerksamkeit mehr erhielt. Auch seinen früheren Filmen erging es nicht viel besser. Einzig "La fuga" (1964) erschien mit dreijähriger Verspätung unter dem Titel "Liebe im Zwielicht" noch in den deutschen Kinos und wurde in der Originalversion auf DVD veröffentlicht. Nun wäre dieser Fakt nicht weiter bemerkenswert, hätten Spinola nicht besonders bei "La donna invisibile" bemerkenswerte Persönlichkeiten zur Seite gestanden, die an vielen heute noch populären Filmen beteiligt waren.

Die Produktionsfirma "Clesi Cinematografica" förderte parallel die jungen Regisseure Pasquale Festa Campanile und Salvatore Samperi und gehört damit zu den Wegbereitern der "Commedia sexy all'italiana" - unter anderen mit Filmen wie "Il merlo maschio" (Das nackte Cello, 1971) und "Malizia" (1973). An „Malizia“ war auch Drehbuchautor Ottavio Jemma beteiligt, der seit "La matriarca" (Huckepack, 1968) an Campaniles Seite stand, bevor er zum ständigen Wegbegleiter Samperis wurde. Dagegen blieb seine Zusammenarbeit mit Spinola bei "La donna invisibile" eine Ausnahme. Das gilt auch für Kameramann Silvano Ippoliti, der nicht nur für die beeindruckenden Winterimpressionen in Corbuccis "Il grande silenzio" (Leichen pflastern seinen Weg, 1968) verantwortlich war, sondern auch für die avantgardistische 60er Jahre-Optik der Tinto Brass-Filme "L'urlo" (1968) und "Nerosubianco" (1969).

In der Bildsprache weniger expressiv, steht auch „La donna invisibile“ (Die unsichtbare Frau) ganz im Zeichen der späten 60er Jahre. Ein Eindruck, der sich dank der von Ippoliti ins rechte Bild gerückten drei Schönheiten Giovanna Ralli, Carla Gravina und Anita Sanders zu Ennio Morricones großartiger Filmmusik regelrecht in die Netzhaut brennt. Vielleicht aber auch der Grund dafür, warum Spinolas Werk trotz seiner unbestreitbaren Qualitäten so schnell in Vergessenheit geriet, denn alle seine Filme wirken hinsichtlich ihres Gesellschaftsbilds fest in den 60er Jahren verankert. In „La donna invisibile“ bestimmen dezente erotische Aufnahmen, Andeutungen von Dreier- und lesbischen Beziehungen, Studentenproteste und die Dekadenz einer nach dem Krieg zu Reichtum gekommenen Bürgerschicht die Handlung - alles in bräunlichen Farben ästhetisch inszeniert, aber Ende des Jahrzehnts nur noch wenig provokant. Spinola selbst hatte die Thematik einer lesbischen Liebe in „La fuga“ 1964 schon konkreter angefasst.

Tatsächlich nutzte der Regisseur in „La donna invisibile“ die Typologien der späten 60er Jahre – freie Liebe, Revolution und beginnender Hedonismus – nur als äußere Hülle für eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der inneren Leere und fortschreitenden Entfremdung aus der Sicht einer Frau. Als Vorlage für sein Drehbuch wählte Spinola „Die Unsichtbare“ von Alberto Moravia, die dieser als eine von 34 Kurzgeschichten in seinem Buch „Il paradiso“ (Das Paradies) 1970 herausbrachte. Alle Geschichten wurden von Moravia aus der Sicht weiblicher Ich-Erzähler geschrieben – und trafen damit auf Spinolas Intention, in dessen Filmen immer die Frauen im Mittelpunkt standen.

„Moravias Frauen dagegen leben: sie sind eigensinnig, unberechenbar, ungreifbar wie die Wirklichkeit und bewahren, selbst wo sie im Käfig einer bürgerlichen Existenz eingeschlossen sind, eine irrationale, kreatürliche Eigengesetzlichkeit“ (Alice Vollenweider, Rezension: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.03.1974)

Das Irrationale zeigt sich in „La donna invisibile“ schon in der ersten Szene, in der Laura (Giovanna Ralli) wenig bekleidet vor ihrem Mann Andrea (Silvano Tranquilli) steht. Er sieht einen Fleck hinter ihr an der Wand, als ob er durch sie hindurch sehen könnte. Einen Fleck, den das Dienstmädchen, das wenig später den Raum betritt, hinter Laura nicht sehen kann. Der Sinn dieser exakt aus der Kurzgeschichte übernommen Anfangssequenz liegt auf der Hand – für ihren Mann ist Laura durchsichtig, ihre verführerische Schönheit wirkt auf ihn nicht mehr. Er liebt sie nicht mehr, wie Laura konkret hinzufügt. Doch Alberto Moravia blieb nicht bei der Visualisierung eines persönlichen Empfindens, sondern konkretisierte die Unsichtbarkeit Lauras – mit für sie unerwarteten Folgen. Ein Spiel mit dem Ausbruch aus den Konventionen, dem Versuch, dem „Käfig einer bürgerlichen Existenz“ zu entkommen.

Diese Phantastik wird in „Il paradiso“ in Kombination mit den anderen Kurzgeschichten zu einem so amüsanten, wie exzentrischen Umgang mit der Realität – „die Gesellschaftskritik geht in ihnen ganz im Erzählerischen auf“ wie Alice Vollenweider in ihrer Buch-Rezension resümiert. In Spinolas Film erschließt sich diese Dimension dagegen nicht, da er die knapp 5seitige Story aus dem Zusammenhang riss und daraus einen abendfüllenden Film machte. Zwar existiert auch bei Moravia eine zweite Frau, die von der Ich-Erzählerin als Bedrohung wahrgenommen wird, aber mit der von Spinola und Jemma neu erdachten gleichaltrigen Delfina (Carla Gravina) hat die Romanfigur Gilberta - „ein 17jähriges Mädchen mit schmächtigem Busen und dicken Schenkeln“ - , die als Nichte des Ehemanns seit zwei Wochen zu Besuch ist, wenig gemeinsam. Spinola nennt weder einen Grund für Delfinas selbstverständliche ständige Anwesenheit in der Wohnung des Ehepaars, noch wird ihre Beziehung zu ihnen klar definiert. Mal wirkt sie wie eine enge Freundin Lauras, mal wie eine Geliebte ihres Mannes, ohne jemals konkret zu werden.

Neben dieser geheimnisvoll bleibenden Figur reicherte Spinola die Handlung mit zeitgenössischen Inhalten an, ohne weiter in deren Tiefe vorzudringen. Ob Studentenproteste, die Dekadenz der reichen Bürgerschicht oder der wenig dezente Seitensprung des Mannes ihrer Freundin Anita (Anita Sanders) – alles läuft wie ein Film vor Lauras Auge ab. Sie wirkt nicht wirklich involviert, selbst als sie mit dem Anführer der Studentenproteste ins Bett geht. Obwohl erhebliches Konflikt-Potential im Raum steht, bleibt das Verhalten der Protagonisten untereinander stets ruhig und emotionslos, nie kommt es zu offenen Diskussionen oder gar Streit. Ähnlich unvollendet bleiben die erotischen Anspielungen, deren Versprechungen nicht eingelöst werden. Selbst das fantastische Element der Unsichtbarkeit besitzt keinerlei Stringenz. Unterstützt von der melancholischen Leichtigkeit der Musik Morricones entsteht ein Zustand, in der die Realität nur noch wie unter einer Glasglocke wahrgenommen wird.

Diese Visualisierung der inneren Entfremdung einer Frau entsprach dem Geist der Vorlage Morawias, dessen Kurzgeschichte Spinola wie eine erzählerische Klammer für seinen umfassenderen Inhalt nutzte, dessen radikal subjektive Sicht er aber offen ließ. Das verleiht dem Film lange Zeit einen diffusen, unentschiedenen Charakter, der dazu beigetragen haben könnte, dass „La donna invisibile“ nur den Eindruck einer stilvollen 60er Jahre-Fingerübung weckte. Zu unrecht, auch wenn sich Spinolas individuelle Intention und damit die innere Konsequenz des Films erst mit dem letzten Satz offenbart.

"La donna invisibile" Italien 1969, Regie: Paolo Spinola, Drehbuch: Paolo Spinola, Ottavio Jemma, Dacia Maraini, Alberto Moravia (Kurzgeschichte), Darsteller : Giovanna Ralli, Carla Gravina, Anita Snaders, Silvano Tranquilli, Gigi Rizzi, Laufzeit : 85 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Paolo Spinola:

"La fuga" (1964)

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.