Inhalt: Gemeinsam mit ihrem Mann Andrea (Silvano Tranquilli)
bereitet sich Laura (Giovanni Ralli) im Schlafzimmer für den abendlichen
Opernbesuch vor. In Unterwäsche gekleidet steht sie vor ihm, aber er hat nur
Augen für den Fleck hinter ihr an der Wand. Sie versteht erst nicht, welchen
Fleck er meint, bevor sie sich umdreht – es ist, als hätte er durch sie hindurch
gesehen. Als sie wenig später das Dienstmädchen auf den Fleck aufmerksam macht,
weiß diese nicht, wovon Laura spricht. Sie kann ihn hinter ihr nicht sehen.
Während sie sich mit dem befreundeten Ehepaar Anita (Anita
Sanders) und Carlo (Gigi Rizzi) vor der Aufführung in einer Bar treffen, finden
nebenan vor dem zentralen Universitätsgebäude, an dem Andrea als Professor
unterrichtet, lautstarke Studentenproteste statt. Davon ungestört begeben sie
sich in ihre Loge, wo Laura erneut seltsame Fantasien hat. Anita ist plötzlich
nackt und ihr Mann berührt ihre Brust. Doch im nächsten Moment ist diese Vision
wieder verschwunden…
Das Hauptwerk des Regisseurs und Drehbuchautors Paolo
Spinolas beschränkt sich auf drei Filme, die in der zweiten Hälfte der 60er
Jahre in die italienischen Kinos kamen. Fast 10 Jahre später realisierte er mit
"Un giorno alla fine di ottobre" (1977) einen weiteren Film, der aber
keine Aufmerksamkeit mehr erhielt. Auch seinen früheren Filmen erging es nicht
viel besser. Einzig "La fuga" (1964) erschien mit dreijähriger Verspätung
unter dem Titel "Liebe im Zwielicht" noch in den deutschen Kinos und
wurde in der Originalversion auf DVD veröffentlicht. Nun wäre dieser Fakt nicht
weiter bemerkenswert, hätten Spinola nicht besonders bei "La donna
invisibile" bemerkenswerte Persönlichkeiten zur Seite gestanden, die an
vielen heute noch populären Filmen beteiligt waren.
Die Produktionsfirma "Clesi Cinematografica"
förderte parallel die jungen Regisseure Pasquale Festa Campanile und Salvatore
Samperi und gehört damit zu den Wegbereitern der "Commedia sexy
all'italiana" - unter anderen mit Filmen wie "Il merlo maschio"
(Das nackte Cello, 1971) und "Malizia" (1973). An „Malizia“ war auch
Drehbuchautor Ottavio Jemma beteiligt, der seit "La matriarca"
(Huckepack, 1968) an Campaniles Seite stand, bevor er zum ständigen
Wegbegleiter Samperis wurde. Dagegen blieb seine Zusammenarbeit mit Spinola bei
"La donna invisibile" eine Ausnahme. Das gilt auch für Kameramann
Silvano Ippoliti, der nicht nur für die beeindruckenden Winterimpressionen in Corbuccis
"Il grande silenzio" (Leichen pflastern seinen Weg, 1968) verantwortlich
war, sondern auch für die avantgardistische 60er Jahre-Optik der Tinto
Brass-Filme "L'urlo" (1968) und "Nerosubianco" (1969).
In der Bildsprache weniger expressiv, steht auch „La donna
invisibile“ (Die unsichtbare Frau) ganz im Zeichen der späten 60er Jahre. Ein
Eindruck, der sich dank der von Ippoliti ins rechte Bild gerückten drei
Schönheiten Giovanna Ralli, Carla Gravina und Anita Sanders zu Ennio Morricones
großartiger Filmmusik regelrecht in die Netzhaut brennt. Vielleicht aber auch
der Grund dafür, warum Spinolas Werk trotz seiner unbestreitbaren Qualitäten so
schnell in Vergessenheit geriet, denn alle seine Filme wirken hinsichtlich
ihres Gesellschaftsbilds fest in den 60er Jahren verankert. In „La donna
invisibile“ bestimmen dezente erotische Aufnahmen, Andeutungen von Dreier- und
lesbischen Beziehungen, Studentenproteste und die Dekadenz einer nach dem Krieg
zu Reichtum gekommenen Bürgerschicht die Handlung - alles in bräunlichen Farben ästhetisch
inszeniert, aber Ende des Jahrzehnts nur noch wenig provokant. Spinola selbst
hatte die Thematik einer lesbischen Liebe in „La fuga“ 1964 schon konkreter
angefasst.
Tatsächlich nutzte der Regisseur in „La donna invisibile“ die
Typologien der späten 60er Jahre – freie Liebe, Revolution und beginnender Hedonismus
– nur als äußere Hülle für eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der inneren
Leere und fortschreitenden Entfremdung aus der Sicht einer Frau. Als Vorlage
für sein Drehbuch wählte Spinola „Die Unsichtbare“ von Alberto Moravia, die
dieser als eine von 34 Kurzgeschichten in seinem Buch „Il paradiso“ (Das
Paradies) 1970 herausbrachte. Alle Geschichten wurden von Moravia aus der Sicht
weiblicher Ich-Erzähler geschrieben – und trafen damit auf Spinolas Intention,
in dessen Filmen immer die Frauen im Mittelpunkt standen.
„Moravias Frauen dagegen leben: sie sind eigensinnig,
unberechenbar, ungreifbar wie die Wirklichkeit und bewahren, selbst wo sie im
Käfig einer bürgerlichen Existenz eingeschlossen sind, eine irrationale,
kreatürliche Eigengesetzlichkeit“ (Alice Vollenweider, Rezension: Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 11.03.1974)
Das Irrationale zeigt sich in „La donna invisibile“ schon in
der ersten Szene, in der Laura (Giovanna Ralli) wenig bekleidet vor ihrem Mann
Andrea (Silvano Tranquilli) steht. Er sieht einen Fleck hinter ihr an der Wand,
als ob er durch sie hindurch sehen könnte. Einen Fleck, den das Dienstmädchen,
das wenig später den Raum betritt, hinter Laura nicht sehen kann. Der Sinn dieser
exakt aus der Kurzgeschichte übernommen Anfangssequenz liegt auf der Hand – für
ihren Mann ist Laura durchsichtig, ihre verführerische Schönheit wirkt auf ihn
nicht mehr. Er liebt sie nicht mehr, wie Laura konkret hinzufügt. Doch Alberto
Moravia blieb nicht bei der Visualisierung eines persönlichen Empfindens,
sondern konkretisierte die Unsichtbarkeit Lauras – mit für sie unerwarteten
Folgen. Ein Spiel mit dem Ausbruch aus den Konventionen, dem Versuch, dem
„Käfig einer bürgerlichen Existenz“ zu entkommen.
Diese Phantastik wird in „Il paradiso“ in Kombination mit
den anderen Kurzgeschichten zu einem so amüsanten, wie exzentrischen Umgang mit
der Realität – „die Gesellschaftskritik geht in ihnen ganz im Erzählerischen
auf“ wie Alice Vollenweider in ihrer Buch-Rezension resümiert. In Spinolas Film
erschließt sich diese Dimension dagegen nicht, da er die knapp 5seitige Story aus
dem Zusammenhang riss und daraus einen abendfüllenden Film machte. Zwar
existiert auch bei Moravia eine zweite Frau, die von der Ich-Erzählerin als
Bedrohung wahrgenommen wird, aber mit der von Spinola und Jemma neu erdachten gleichaltrigen
Delfina (Carla Gravina) hat die Romanfigur Gilberta - „ein 17jähriges Mädchen
mit schmächtigem Busen und dicken Schenkeln“ - , die als Nichte des Ehemanns
seit zwei Wochen zu Besuch ist, wenig gemeinsam. Spinola nennt weder einen
Grund für Delfinas selbstverständliche ständige Anwesenheit in der Wohnung des
Ehepaars, noch wird ihre Beziehung zu ihnen klar definiert. Mal wirkt sie wie
eine enge Freundin Lauras, mal wie eine Geliebte ihres Mannes, ohne jemals
konkret zu werden.
Neben dieser geheimnisvoll bleibenden Figur reicherte
Spinola die Handlung mit zeitgenössischen Inhalten an, ohne weiter in deren
Tiefe vorzudringen. Ob Studentenproteste, die Dekadenz der reichen
Bürgerschicht oder der wenig dezente Seitensprung des Mannes ihrer Freundin
Anita (Anita Sanders) – alles läuft wie ein Film vor Lauras Auge ab. Sie wirkt
nicht wirklich involviert, selbst als sie mit dem Anführer der
Studentenproteste ins Bett geht. Obwohl erhebliches Konflikt-Potential im Raum
steht, bleibt das Verhalten der Protagonisten untereinander stets ruhig und
emotionslos, nie kommt es zu offenen Diskussionen oder gar Streit. Ähnlich
unvollendet bleiben die erotischen Anspielungen, deren Versprechungen nicht
eingelöst werden. Selbst das fantastische Element der Unsichtbarkeit besitzt
keinerlei Stringenz. Unterstützt von der melancholischen Leichtigkeit der Musik
Morricones entsteht ein Zustand, in der die Realität nur noch wie unter einer Glasglocke
wahrgenommen wird.
Diese Visualisierung der inneren Entfremdung einer Frau
entsprach dem Geist der Vorlage Morawias, dessen Kurzgeschichte Spinola wie
eine erzählerische Klammer für seinen umfassenderen Inhalt nutzte, dessen
radikal subjektive Sicht er aber offen ließ. Das verleiht dem Film lange Zeit
einen diffusen, unentschiedenen Charakter, der dazu beigetragen haben könnte,
dass „La donna invisibile“ nur den Eindruck einer stilvollen 60er
Jahre-Fingerübung weckte. Zu unrecht, auch wenn sich Spinolas
individuelle Intention und damit die innere Konsequenz des Films erst mit dem letzten Satz offenbart.
"La donna invisibile" Italien 1969, Regie: Paolo Spinola, Drehbuch: Paolo Spinola, Ottavio Jemma, Dacia Maraini, Alberto Moravia (Kurzgeschichte), Darsteller : Giovanna Ralli, Carla Gravina, Anita Snaders, Silvano Tranquilli, Gigi Rizzi, Laufzeit : 85 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Paolo Spinola:
"La fuga" (1964)
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