Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Freitag, 15. Mai 2015

L'uomo, la bestia e la virtù (Der Mann, das Biest und die Tugend) 1953 Steno

Inhalt: Aufgeregt kann sich Professore Paolino (Totò) kaum auf seinen Unterricht konzentrieren, denn er erhielt eine Nachricht von Assunta Perella (Viviane Romance), dass sie ihn dringend treffen müsste. Sie ist nicht nur die Mutter eines seiner Schüler, sondern auch seine heimliche Geliebte, was der sehr korrekte Lehrer vor der Öffentlichkeit in dem kleinen Küstenort zu verbergen weiß. Entsprechend ist es ein Schock für ihn, dass sie im dritten Monat schwanger ist. Zudem steht unmittelbar die Ankunft ihres Ehemanns bevor, Kapitän Perella (Orson Welles), der sich für einen seiner seltenen Besuche angesagt hat.

Nur kurz weiß Paolini nicht weiter, bald schon beginnt er, sich einen Plan zurechtzulegen. Sein erster Besuch gilt dem Doktor (Mario Castellani), dem er unter einem Vorwand die Information abringt, dass es noch nicht zu spät ist, dem Kapitän die Schwangerschaft unterzuschieben, vorausgesetzt er verbringt eine Nacht mit seiner Ehefrau. Das klingt leichter, als gedacht, denn das Ehepaar hat sich entfremdet und der Kapitän zeigt wenig Interesse an seiner Ehefrau. Doch Paolini hat auch dafür vorgesorgt… 


Der Mann...
Die Idee, den Namen des Hauptdarstellers "Totò" im Titel zu verwenden, obwohl er im Film fiktive, meist mit eigenständigen Namen versehene Rollen spielte, bedeutete Fluch und Segen zugleich. Dank Totòs enormer Popularität ab den 40er Jahren bis zu seinem Tod 1967 in Italien, garantierten seine Filme verlässliche Qualität für seine Anhänger - einen noch im Geist der "Commedia dell'arte" geschulten neapolitanischen Komiker, der unverwechselbar grimassierend und gestikulierend gegen alle Widrigkeiten des Lebens antrat. Für seine Kritiker verkörperte er dagegen immer den gleichen Typus, begleitet von einer wenig variierten komödiantischen Handlung. Dass Totò in seinem Spiel die Nuancen zwischen Tragik und Komik genau auslotete, wurde erst nach seinem Tod erkannt, ebenso wie die Bedeutung von Filmen wie "Totò cerca casa" (1950) oder "Guardie e ladri" (Räuber und Gendarm, 1951) für die Entwicklung vom Neorealismus zur "Commedia all'italiana".

...das Biest...
Auch Steno nutzte in seinen frühen gemeinsam mit Mario Monicelli gedrehten Filmen mehrfach Totòs werbewirksamen Namen - nach "Totò cerca casa" folgte noch "Totò e i re di Roma" (Totò und der König von Rom, 1951) und "Totò e le donne" (Totò und die Frauen, 1952). Seinen ersten allein verantworteten, zudem erstmals in Ferraniacolor gedrehten Film nannte Steno einfachhalber gleich "Totò a colori" (Totò in Farbe, 1952) und schlug damit zwei Fliegen mit einer Klappe. Nur über die Handlungsinhalte sagte der Titel nichts aus. Sein zweiter Film ohne Mario Monicelli, der diesmal auch nicht als Drehbuchautor beteiligt war, verwendete hingegen den originalen Namen der literarischen Vorlage „L'uomo, la bestia e la virtù“ (Der Mann, das Biest und die Tugend). Gemeinsam mit seinem Regie-Assistenten Lucio Fulci, der erstmals auch am Drehbuch mitwirkte, und dem früh 1954 verstorbenen Schriftsteller Vitaliano Brancati schuf Steno eine Adaption des Theaterstücks von Luigi Pirandello, einem der bedeutendsten italienischen Literaten, für die Leinwand.

...und die Tugend
Brancati als Co-Autoren hinzuziehen war eine intelligente Wahl, denn nach dem 2.Weltkrieg hatte dieser sich spezifisch mit dem männlichen Sexualverhalten auseinander gesetzt – sein 1949 erschienener Roman „Il bell’Antonio“ (Bel Antonio) über einen von Rom heimkehrenden Sizilianer wurde nach einer Drehbuchfassung von Pier Paolo Pasolini 1960 von Mauro Bolognini mit Marcello Mastroianni in der Titelrolle verfilmt. Doch es half nicht. Die Erben des 1934 mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichneten Luigi Pirandello bemängelten nicht nur diverse Änderungen gegenüber der Vorlage, sondern besonders die Besetzung von Totò in der Hauptrolle des „L’uomo“. Seine Mitwirkung galt für sie als „Majestätsbeleidigung“, was enorme Folgen für Stenos Film nach sich zog. Er blieb 40 Jahre verschollen, bevor er 1993 erstmals wieder im italienischen TV gezeigt wurde – in Schwarz/Weiß, denn die in Gevacolor gedrehte Farbfassung steht nach wie vor nicht zur Verfügung.

Aus heutiger Sicht wirkt diese Reaktion in mehrfacher Hinsicht unangemessen. Nicht nur, dass Totò als Darsteller inzwischen auch vom seriösen Feuilleton rehabilitiert wurde, er wurde von Steno ideal besetzt in der Rolle eines Kleinstadt-Lehrers, der mit einer verheirateten Frau, Mutter eines seiner Schüler, ein Verhältnis hat, gleichzeitig aber größtmöglichen Wert auf eine tugendhafte Außendarstellung legt. Häufig spiegelte Totò in seinen Rollen die verlogene bürgerliche Moral, entstand sein Humor aus dem teilweise aberwitzigen Widerspruch zwischen Schein und Sein. Mit burlesken Übertreibungen und augenrollenden cholerischen Anfällen karikierte er gleichzeitig seine Figuren und nahm ihnen damit die negative Attitüde – ein Grund dafür, warum er trotz der wenig verklausulierten Kritik an der bürgerlichen Doppelmoral ein großes Publikum erreichte. Das galt auch für seine Rolle in „L'uomo, la bestia e la virtù“. Als „Professore“ setzt er einerseits alle Hebel in Bewegung, um möglichen Schaden von sich fernzuhalten, nachdem er erfahren hatte, dass seine Geliebte Assunta (Viviane Romance) im dritten Monat schwanger ist, andererseits nutzte Totò die Konfrontation mit seinen Schülern, dem Doktor (Mario Castellani) oder dem Apotheker zu witzigen, sketchartigen Szenen.

Wahrscheinlich empfanden die Erben des Autoren Pirandello diese in schönster Komödien-Tradition entworfene Konstellation als Abschwächung der ursprünglichen Intention. Auch die Ausgangssituation des Films wurde von Steno gegenüber dem Theaterstück inhaltlich zwar nur leicht, von der Aussagekraft her aber maßgeblich geändert. In der vom Autor so genannten „Lehrfabel in drei Akten“, die an „irgendeinem Ort am Meer, egal wo, heute“ spielt, wissen die Beteiligten voneinander. Kapitän Perella verbringt seine Zeit lieber bei der Geliebten in Neapel, während sich der allein stehende Professor um dessen zurückgelassene Ehefrau kümmert. Ein funktionierendes Arrangement, wäre Assunta nicht plötzlich schwanger geworden. Dass der Professor alles versucht, dem nach einem halben Jahr für einen kurzen Besuch heimkehrenden Kapitän das Kind unterzujubeln, betont dessen Verlogenheit noch. Er geht so weit, dass er seine Geliebte gegen deren Willen verführerisch einkleidet und ihrem desinteressierten Mann heimlich ein Aphrodisiakum verabreicht, das er sich zuvor in der Apotheke besorgte. In der Hoffnung, dass sie die Nacht zusammen verbringen – nur um weiterhin nach Außen den Schein zu wahren.

In der Filmversion wählt der Lehrer eine ähnliche Vorgehensweise, aber dass der Kapitän (Orson Welles) eine Geliebte hat, weiß weder er, noch dessen Frau – auch der Betrachter erfährt es erst spät. Das nimmt seinem Verhalten die Schärfe, denn seine Angst vor dem gehörnten Ehemann ist durchaus verständlich. Nicht zufällig spielte Orson Welles die Rolle des Kapitäns im polternden „Othello“-Modus – erst kurz zuvor hatte er seine Interpretation des Shakespeare-Stücks („The Tragedy of Othello: The Moor of Venice“, 1952) fertig gestellt. In  „L'uomo, la bestia e la virtù“ wird aber nicht er zur tragischen Figur, sondern der eifrig auf den Erhalt der Moral erpichte Lehrer. Dessen „Verkuppelung“ des entfremdeten Ehepaars erweist sich erfolgreicher als geplant und lässt den stets korrekt gekleideten „Mann“ als Verlierer zurück. Das „Biest“ erweist sich dagegen trotz des furchterregenden Äußeren als friedlicher Zeitgenosse. Das entsprach Pirandellos Intention, denn die drei im Titel genannten Figuren standen stellvertretend für die Masken, hinter denen sich die wahre Natur des Menschen verbirgt.

Der Vorwurf der Erben, der Film hätte die kritische Aussage des Theaterstücks abgeschwächt, ist nicht von der Hand zu weisen, greift aber zu kurz. Zwar kommt der „Professore“ in Stenos Film besser weg, aber die große Identifikation des Publikums mit Totò ermöglichte eine wirksame Unterwanderung gängiger Vorurteile – ein Markenzeichen der „Commedia all’italiana“, deren beißende Kritik an bestehenden Verhältnissen sich unter der Oberfläche einer komödiantischen Handlung verbarg. Wenn der enttäuschte Lehrer sich am Ende von der Orts-Prostituierten Trost zusprechen lässt, wird diese doppelte Dimension sichtbar.

"L'uomo, la bestia e la virtù" Italien 1953, Regie: Steno, Drehbuch: Steno, Lucio Fulci, Jean Josipovici, Vitaliano Brancati, Luigi Pirandello (Drama), Darsteller : Totò, Orson Welles, Viviane Romance, Mario Castellani, Carlo Delle Piane, Laufzeit : 87 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Steno:

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.