Inhalt: Miguel (Miguel Romero) entscheidet sich, den elterlichen Bauernhof zu verlassen und in den Norden nach Barcelona zu gehen, um dort Arbeit zu finden. Der staubige Boden in Andalusien genügt kaum, um seine Eltern mit dem Nötigsten zu versorgen, weshalb er hier für sich keine Zukunft mehr sieht. Doch in Barcelona bessert sich seine Situation nicht, denn junge Männer aus ganz Spanien, die wie er keinen Beruf gelernt haben, versuchen irgendeine Hilfsarbeit zu bekommen. Einzig über Arbeitsvermittler gelangen sie an einen Job, werden aber so schlecht bezahlt, dass es nur für eine Massenunterkunft und die tägliche Nahrung reicht.
Gleißendes Sonnenlicht liegt über dem Stadion - bis zum
letzten Platz gefüllt mit applaudierenden und johlenden Menschen. Der Torero
sieht dem schon stark blutenden und von der langen Hetzjagd erschöpften Stier
in die Augen, fasst ihn zwischen dessen Hörner und rückt ihn für den
abschließenden Todesstoß zurecht. Sekundenschnell führt er ihn aus, trifft das
kräftige Tier genau zwischen zwei Rückenwirbel bis die Klinge tief in dessen
Herz eindringt. Fast regungslos nimmt der Stier diese Aktion hin, schüttelt
sich und versucht noch einmal anzugreifen, doch dann gerät er ins Schwanken,
seine Beine geben nach und sein massiger Körper fällt wie in Zeitlupe in den
Staub.
Diesen Moment, in dem der Torero dem Stier in die Augen
sieht, nennt der alte Stierkampf-Lehrer "Pedrucho" den
"Augenblick der Wahrheit" - ein Ausdruck, der nicht nur als Titel für
Francesco Rosis sechsten Film diente, sondern das gesamte Werk des am 10.01.2015
im Alter von 92 Jahren verstorbenen Regisseurs aufs trefflichste zusammenfasst,
dessen Filme von der Suche nach dem "Augenblick der Wahrheit"
bestimmt waren. Eine Intention, die auf seine künstlerische Prägung während der
Hochphase des Neorealismus zurückzuführen ist, dessen Einfluss er spätestens
mit "Salvatore Giuliano" (Wer erschoss Salvatore G.?, 1961) zu einem eigenständigen Stil
wandelte, mit dem er versuchte, komplexe, von staatlichen wie kriminellen
Interessensgruppen bewusst verfälschte Ereignisse mit größtmöglicher
Objektivität zu analysieren. An seiner kritischen, linksgerichteten politischen
Haltung gab es keinen Zweifel, aber diese trieb ihn dazu, einen Sachverhalt
möglichst aus allen Perspektiven zu betrachten, um typischen Unterstellungen
wie "linke Paranoia" die Grundlage zu nehmen.
Trotz oder vielleicht gerade wegen seiner bis ins Detail forschenden Herangehensweise setzte er sich bei seinen Recherchen über den sizilianischen
Banditen Salvatore Giuliano, der von seinen Landsleuten als
Freiheitskämpfer betrachtet wird, und über den Industriekapitän Enrico Mattei ("Il caso Mattei" (Der Fall
Mattei, 1972)) einer unmittelbaren Gefahr aus, obwohl deren Tod jeweils schon ein Jahrzehnt zurücklag. Ein Journalist, der als Letzter mit Mattei vor dessen Flugzeugabsturz gesprochen hatte, und am Drehbuch mitarbeiten sollte, wurde ermordet. Denn Francesco Rosi besaß ein untrügliches Gespür für die Aktualität seiner Stoffe, die
er sowohl gegenwartsbezogen anfasste, wie in „Le mani sulla cittá“ (Hände über
der Stadt, 1963), der sich mit Bauspekulanten und gefährlichen Baumängeln
auseinandersetzte, als auch in der Historie verankerte, wie bei „Uomini contro“ (Bataillon
der Verlorenen, 1970), der zwar im ersten Weltkrieg spielte, sich aber als
Reaktion auf den Vietnam-Krieg verstand.
Diese vielfältige Art der Suche nach der Wahrheit lässt sich
auf seine intensive Zusammenarbeit mit Luchino Visconti zurückführen, dem er
bei dessen Filmen "La terra trema" (Die Erde bebt, 1948),
"Bellissima" (1952) und "Senso" (Sehnsucht, 1954)
assistierte. War „La terra trema“ - am authentischen Ort spielend und ausschließlich
mit Laiendarstellern besetzt - noch ganz dem frühen Neorealismus verpflichtet,
erzählte „Bellissima“ eine Geschichte aus der italienischen Gegenwart der Nachkriegszeit
und befasste sich „Senso“ mit den ein Jahrhundert zurückliegenden Ereignissen um
die Gründung Italiens. Rosis frühe Filme „La Sfida“ (Die Herausforderung) und
„I magliari“ (Auf St. Pauli ist der Teufel los, 1959) lassen diesen neorealistischen Einfluss noch spüren – mit professionellen Darstellern besetzt, bettete Rosi eine dramatische Handlung in ein realistisches Umfeld - sein erster Film als Regisseur „Kean: Genio e sregolatezza“ (Genie und Wahnsinn, 1956) war dagegen mehr das Werk seines Regie-Partners Vittorio Gassman.
Den deutschen Titel „Auf St. Pauli ist der Teufel los“ verdankte „I magliari“ (wörtlich „Die Teppichhändler) - die Story spielt inmitten der ersten italienischen Gastarbeiter in Deutschland - seinen Original-Aufnahmen von der Reeperbahn. Dieser dokumentarische Ansatz wurde ab „Salvatore Giuliano“ zu einem beherrschenden Prinzip in Rosis Filmen, denen heute das Etikett „Doku-Drama“ verliehen würde. Auch wenn Rosi nie wieder so puristisch wie in „Salvatore Giuliano“ inszenierte - in „Le mani sulla cittá“, „Il caso Mattei“ und „Lucky Luciano“ (1973) besetzte er die tragenden Rollen mit renommierten Darstellern (Rod Steiger, Gian Maria Volonté) - ist allen vier Filmen eine enge Verzahnung von Spielszenen, einer Vielzahl an Fakten und dokumentarischen Aufnahmen gemein, die vom Betrachter hohe Aufmerksamkeit und historische Vorkenntnisse verlangen, die zum Zeitpunkt des Kino-Releases eher vorausgesetzt werden konnten als heute. Vielleicht ein Grund, warum diese vielfach ausgezeichneten Filme inzwischen nur noch wenig bekannt sind. „Le mani sulla cittá“ sticht aus dieser Gruppe hervor, da er sich keiner realen Persönlichkeit widmete, sondern von den kommunalpolitischen Mechanismen um ein großes Bauprojekt handelt. Über diese spezifischen italienischen Themen hinaus betonte Francesco Rosi die generellen Aspekte der gesellschaftspolitischen Prozesse, weshalb sich seine Filme bis heute eine anhaltende Zeitlosigkeit bewahrt haben.
Den deutschen Titel „Auf St. Pauli ist der Teufel los“ verdankte „I magliari“ (wörtlich „Die Teppichhändler) - die Story spielt inmitten der ersten italienischen Gastarbeiter in Deutschland - seinen Original-Aufnahmen von der Reeperbahn. Dieser dokumentarische Ansatz wurde ab „Salvatore Giuliano“ zu einem beherrschenden Prinzip in Rosis Filmen, denen heute das Etikett „Doku-Drama“ verliehen würde. Auch wenn Rosi nie wieder so puristisch wie in „Salvatore Giuliano“ inszenierte - in „Le mani sulla cittá“, „Il caso Mattei“ und „Lucky Luciano“ (1973) besetzte er die tragenden Rollen mit renommierten Darstellern (Rod Steiger, Gian Maria Volonté) - ist allen vier Filmen eine enge Verzahnung von Spielszenen, einer Vielzahl an Fakten und dokumentarischen Aufnahmen gemein, die vom Betrachter hohe Aufmerksamkeit und historische Vorkenntnisse verlangen, die zum Zeitpunkt des Kino-Releases eher vorausgesetzt werden konnten als heute. Vielleicht ein Grund, warum diese vielfach ausgezeichneten Filme inzwischen nur noch wenig bekannt sind. „Le mani sulla cittá“ sticht aus dieser Gruppe hervor, da er sich keiner realen Persönlichkeit widmete, sondern von den kommunalpolitischen Mechanismen um ein großes Bauprojekt handelt. Über diese spezifischen italienischen Themen hinaus betonte Francesco Rosi die generellen Aspekte der gesellschaftspolitischen Prozesse, weshalb sich seine Filme bis heute eine anhaltende Zeitlosigkeit bewahrt haben.
Ab „Cadaveri eccellenti“ (Die Macht und ihr Preis, 1976),
der auf einem Roman Leonardo Sciascias basiert, wandelte sich sein Stil zwar
erneut, Rosi blieb seiner kritischen politischen Sichtweise aber treu. Filme
wie "Cristo si è fermato a Eboli" (Christus kam nur bis Eboli, 1979)
oder „Tre fratelli“ (Drei Brüder, 1981), die sich mit dem Mussolini-Faschismus
oder dem Terrorismus der 70er Jahre auseinandersetzten, bettete Rosi wieder in
eine dramatische Handlung. Dagegen erscheint „Carmen“ (1984), eine Film-Adaption
der Bizet-Oper, wie etwas vollkommen Neues in Rosis Oevre. Doch das täuscht.
1967 hatte er mit „C‘era una volta…“ (Die schöne Isabella) ein farbenprächtiges
Märchen mit Sophia Loren und Omar Sharif in den Hauptrollen auf die Leinwand
gebracht, das in Fantasie und Leichtigkeit schwelgte, auch wenn Rosi gegenüber
Produzent und Loren-Ehemann Carlo Ponti nicht ganz die von ihm beabsichtigte volkstümliche,
obrigkeitskritische Ursprünglichkeit bewahren konnte. Angesiedelt war die
Handlung im „Carmen“-Land Spanien – wie zuvor schon in „Il momento della
veritá“, der inszenatorisch aus dem Rahmen fällt, seiner Suche nach der Wahrheit
aber sehr nah kam.
Einzig dieser Handlungsrahmen ist erdacht, unterstützt von
wenigen Spiel-Szenen. Der größte Teil des Films ist Dokumentation pur – die staubige
Landschaft Andalusiens, die armselige Situation der Arbeitssuchenden in Barcelona,
die religiösen Prozessionen vor den Stierkämpfen und der intensiv-betörende
Blick in die gefüllten Arenen. Dass es sich bei dem Hauptdarsteller Miguel
Romero, genannt „Miguelino“, um einen echten, in Spanien sehr berühmten Torero
handelte, war nur konsequent, denn der Film räumt den Stierkämpfen die meiste
Zeit ein, beobachtet die traditionellen Abläufe genau und spart weder die
Tötung der Tiere, noch die Angriffe auf die Menschen aus. Anders als in „Salvatore Giuliano“, in dem Rosi versuchte, die Vergangenheit möglichst real auf Basis
von Zeitzeugen an Original-Schauplätzen nachzustellen, bildete er in „Il
momento della veritá“ die Realität als Hintergrund einer erfundenen Story ab.
"Il momento della verità" Italien, Spanien 1965, Regie: Francesco Rosi, Drehbuch: Francesco Rosi, Pedro Beltrán, Ricardo Munoz Suay, Pere Portabella, Darsteller : Miguel Romero, José Gómez Sevillano, Pedro Basauri, Linda Christian, Laufzeit : 108 Minuten
Die Filme von Francesco Rosi :
"Kean: Genio e sregolatezza“ (Zwischen Genie und Wahnsinn, 1956) Regie mit Vittorio Gassman
"La sfida" (Die Herausforderung, 1958)
"I magliari" (Auf St.Pauli ist der Teufel los, 1959)
"Salvatore Giuliano" (Wer erschoss Salvatore G.?.1961)
"Salvatore Giuliano" (Wer erschoss Salvatore G.?.1961)
"Le mani sulla città" (Hände über der Stadt, 1963)
"Il momento della verità" (Augenblick der Wahrheit, 1965)
"C'era una volta..." (Die schöne Isabella, 1967)
"Il momento della verità" (Augenblick der Wahrheit, 1965)
"C'era una volta..." (Die schöne Isabella, 1967)
"Uomini contro" (Bataillon der Verlorenen, 1970)
"Il caso Mattei" (Der Fall Mattei, 1972)
"Lucky Luciano" (1973)
"Il caso Mattei" (Der Fall Mattei, 1972)
"Lucky Luciano" (1973)
"Cadaveri eccellenti" (Die Macht und ihr Preis, 1976)
"Christo si è fermato a Eboli" (Christus kam nur bis Eboli, 1979)
"Tre fratelli" (Drei Brüder, 1981)
"Carmen" (1984)
"Cronaca di una morte annunciata" (Chronik eines angekündigten Todes, 1986)
"12 registi per 12 cittá" - Segment "Napoli" (1989)
"Dimenticare Palermo" (Palermo vergessen, 1990)
"Diario napoletano" (Dokumentation, 1992)
"La tregua" (Die Atempause, 1997)
"Christo si è fermato a Eboli" (Christus kam nur bis Eboli, 1979)
"Tre fratelli" (Drei Brüder, 1981)
"Carmen" (1984)
"Cronaca di una morte annunciata" (Chronik eines angekündigten Todes, 1986)
"12 registi per 12 cittá" - Segment "Napoli" (1989)
"Dimenticare Palermo" (Palermo vergessen, 1990)
"Diario napoletano" (Dokumentation, 1992)
"La tregua" (Die Atempause, 1997)
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