Inhalt: Algier,
1957 – nachdem sie einen Häftling durch Folter dazu gebracht hatten, das
Versteck von Ali (Brahim Hadjadj), dem letzten noch übrig gebliebenen Kopf der Widerstandskämpfer
der FLN, zu verraten, umstellt die französische Armee unter der Leitung von Colonel
Mathieu (Jean Martin) das Gebäude in der Kasbah, dem algerischen Teil der
Stadt. An der gefliesten Wand, hinter der sich Ali und seine letzten Kameraden
befinden, wird Sprengstoff montiert, bevor Colonel Mathieu den in die Falle
Geratenen eine letzte Frist gibt, freiwillig herauszukommen.
Alis
Gedanken schweifen zurück in das Jahr 1954, als er, wieder einmal ins Gefängnis
geworfen, dort Kontakt zur FLN bekam, die gerade dabei war, ihre Strukturen für
den Kampf gegen die französische Besatzungsmacht in Algier zu organisieren. Nachdem
er eine Vertrauensprüfung bestanden hatte, beginnt er innerhalb der Kasbah für
Respekt bei den Bewohnern zu sorgen. Kollaborateure und gegen den muslimischen
Glauben Handelnde werden gezielt bedroht und bei Widerstand exekutiert. Am
01.11.1954 beginnt mit Anschlägen auf französische Polizisten der bewaffnete
Widerstand…
Als Gillo
Pontecorvo 1965 "La battaglia di Algeri" (Schlacht um Algier) drehte,
lag der 03.07.1962, der Tag der algerischen Unabhängigkeit, gerade einmal drei
Jahre zurück. Angesichts von mehr als 130 Jahren französischer Besatzungszeit
(seit 1875 offiziell dem Staatsgebiet Frankreichs angehörend), dem ab dem
01.11.1954 bis zur Anerkennung der Selbstständigkeit Algeriens durch Charles de
Gaulle am 18.03.1962 (und dem am folgenden Tag eintretenden Waffenstillstand)
andauernden Algerienkrieg, sowie einem gescheiterten Putschversuch
französischer Generäle im April 1962, dem noch ein Anschlag auf den
französischen Staatspräsidenten folgen sollte (von Fred Zinneman in "The day of the Jackal" (Der Schakal, 1973) verfilmt), ein verschwindend
geringer Zeitraum.
Erst 1999
wurde der Begriff "Algerienkrieg" im offiziellen Sprachgebrauch
Frankreichs zugelassen, woran deutlich wird, dass Pontecorvo seinen Film zu
einem Zeitpunkt an Originalschauplätzen in Algier drehte, als nur äußerlich die
neuen Grenzen gezogen worden waren - ein innerer Abstand oder gar friedliche
Koexistenz, angesichts hunderttausender Opfer auf algerischer Seite (algerische
Quellen sprechen von mehr als einer Million Getöteten), waren noch unmöglich.In
Frankreich galt Algerien damals als legaler Bestandteil des Landes, das schon
seit Generationen von Bürgern des Mutterlandes besiedelt worden war. Während
dieser Phase veränderte sich auch Algier, das inzwischen aus zwei
gegensätzlichen Teilen bestand - der Kasbah, in dem die muslimische Bevölkerung
in ihren traditionellen nordafrikanischen Gebäuden lebte, und einem neu
entstandenen europäischen Stadtgebiet, das mit seinen Cafés und Restaurants an
Paris erinnerte.
So
gewachsen diese Situation einerseits schien, so anachronistisch für die Zeit
nach dem zweiten Weltkrieg war eine Konstellation, deren Charakter noch vom
Herrschaftsanspruch des 19.Jahrhunderts bestimmt war, als der Kolonialismus zum
guten Ton europäischer Großmächte gehörte. Die algerische Bevölkerung hatte nie
dieselben Bürgerrechte wie die französisch stämmigen Siedler erlangt, auch war
es zu keiner adäquaten industriellen Entwicklung gekommen (1937 hatte es
zuletzt eine große Hungersnot gegeben), was dem politischen Anspruch an eine
Demokratie, wie Frankreich sie propagierte, widersprach. Diese Diskrepanz wird
auch in Pontecorvos Film deutlich, etwa wenn sich Colonel Mathieu (Jean
Martin), der die Maßnahmen gegen die Untergrundkämpfer der FLN in Algier
leitet, gegen die Anschuldigungen, sie wären "Faschisten" oder
"Nazis", mit den Worten wehrt, sie hätten im Widerstand während des
2.Weltkriegs gekämpft und einige von ihnen hätten die Inhaftierung in einem KZ
überlebt. Auf die Frage eines Journalisten, was er von Jean-Paul Sartre hält,
der sich gemeinsam mit vielen Intellektuellen in Frankreich vehement für die Sache
der Algerier einsetzte, meint er nur, das er ihn mehr hasst als seine Feinde.
Eine
Meinung, mit der er im damaligen Frankreich nicht allein stand, weshalb es nur
folgerichtig war, das sich mit dem italienischen Dokumentarfilmer Gillo
Pontecorvo - er hatte mit "Le grande strada azzura" (1957) und "Kapò"
(1960) neben vielen Dokumentationen erst zwei Spielfilme gedreht - ein
äußerlich Unbeteiligter einer Thematik annahm, die einem emotionalen Ritt auf
einer Rasierklinge glich. Obwohl Pontecorvo keinen Hehl daraus machte, das er
die Besetzung Algeriens grundsätzlich für falsch hielt, ganz abgesehen von den
diktatorischen Methoden, diese aufrecht zu erhalten, erstaunt die Objektivität
seines Films, der zudem auf dem Buch Saadi Yacefs basiert, selbst führendes
Mitglied der Freiheitskämpfer der FLN, der gefangen genommen und später von De
Gaulle begnadigt wurde. Abgesehen von Jean Martin, der wegen seiner klaren
Haltung gegen die Besetzung Algeriens in Frankreich keine Rollen mehr erhielt, engagierte
Pontecorvo ausschließlich Laiendarsteller und erzielte so einen sehr hohen Grad
an Authentizität.
Entscheidend,
vielleicht auch zwingend notwendig für die bis heute zeitlose Wirkung des Films,
war aber, das Pontecorvo sich auf die Ereignisse in Algier zwischen 1954 und
1957 konzentrierte - von einer kurzen Sequenz am Ende des Films abgesehen - und
die Thematik damit von der langen Vorgeschichte und den weiteren Ereignissen
bis zum Waffenstillstand 1962 befreite, womit er viel ideologischen Ballast
vermied. Unter der Titel gebenden „Schlacht um Algier“ wird die Phase zwischen
Januar und Oktober 1957 angesehen, während der es zu einer offenen
Auseinandersetzung zwischen der FLN und der französischen Armee kam. Pontecorvo
schilderte exemplarisch und detailliert den Aufbau und die Kampfmethodik einer
Widerstandsbewegung im Untergrund, sowie die Gegenmaßnahmen der sich als
legitim verstehenden französischen Staatsmacht.
Dass diese
dabei auch Folter einsetzte, macht der Film schon in seiner ersten Einstellung
deutlich, als ein entsprechend zugerichteter Mann bereit ist, das letzte
Versteck seiner Kameraden zu verraten. So direkt und unmissverständlich diese
Szene ist, so deutlich wird daran Pontecorvos Stil, der keinen Moment über das
Geschehene hinaus Emotionen schürt. Colonel Mathieu bleibt ruhig und sachlich,
angesichts des aus seiner Sicht inzwischen vernünftig reagierenden
Festgenommenen. Als einer der Soldaten eine leicht erniedrigende Bemerkung
macht, wird dieser sofort von ihm zurechtgewiesen. Folter ist für Mathieu nur
ein notwendiges Mittel zum Zweck, kein Ausdruck von Hass oder Sadismus, wie die
Figur des Armee-Kommandanten insgesamt einen sehr beherrschten, professionellen
Eindruck hinterlässt. Nicht erstaunlich, das Pontecorvos Darstellung seiner militärischen
Vorgehensweise gegen einen zwar zahlenmäßig und von der Ausrüstung her weit
unterlegenen, aber nur schwer zu stellenden Feind, bis heute für die
militärische Ausbildung im Partisanenkrieg hinzugezogen wird.
Darin eine
Verharmlosung oder gar positive Tendenzen zu erkennen, hieße die damalige
Situation zu missdeuten. Im Gegenteil liegt die Stärke des Films darin, sich
nicht auf den allgegenwärtigen Hass einzulassen, der nur die jeweilige Seite in
ihrer Haltung bestätigt hätte, sondern die Strukturen eines erbarmungslosen,
menschenverachtenden Kampfes offen zu legen. Diese klare Haltung beweist der
Film auch in Momenten von Massenaufmärschen und versuchter Lynchjustiz, die
Pontecorvo nicht leugnet, die er aber nie dazu nutzt, Emotionen beim Betrachter
zu forcieren. Selbst die offensichtliche Zweiklassengesellschaft wird nur zu
Beginn mit wenigen Pinselstrichen angedeutet, als dem Algerier Ali (Brahim Hadjadj) bei der Flucht vor der
Polizei von einem französisch stämmigen jungen Mann ein Bein gestellt wird - und dieser
dabei noch hochmütig lächelt. Auch mehr als ein Jahrhundert des Zusammenlebens
konnte dank der Ungleichbehandlung keine Solidarität zwischen den algerischen
Einwohnern und den französischen Zuwanderern entstehen lassen, so wie die Polizei
jeden Verstoß der Einheimischen gegen französische Gesetze besonders hart ahndete.
Dank der
ungeheuren Leistung Pontecorvos und seiner Mitstreiter, der Versuchung einer
ideologischen Abrechnung mit der französischen Besatzungsmacht zu widerstehen –
auch wenn der Film dort bis 1971 verboten war – entsteht nie der Eindruck von
Übertreibung oder Verfälschung, wodurch sich „La battaglia di Algeri“ seine
Wirkung bis heute bewahrt hat. Dazu beigetragen hat auch die genaue Schilderung
der Vorgehensweise der Widerstandskämpfer, deren Maßnahmen erschütternde
Situationen erzeugten. Bevor die FLN begann, gegen den französischen
Staatsapparat vorzugehen, verschaffte sie sich Rückendeckung innerhalb des
algerischen Stadtteils Algiers, der Kasbah, indem sie gegen Kollaborateure
vorging, sowie gegen Alkohol, Drogen und Prostitution, die dem muslimischen
Glauben widersprachen. Einheimische, die sich ihren Forderungen widersetzten,
wurden rigoros getötet.
Am
01.11.1954 erfolgten die ersten Attentate auf Polizisten, wobei es ihnen zugute
kam, das diese – daran gewöhnt, die Lage ohne großen Aufwand im Griff zu haben –
leichte Opfer wurden. Die tödlichen Schüsse wurden von den Attentätern in den
Rücken abgegeben, ohne dass die Polizisten ihre Angreifer zuvor sehen konnten.
Pontecorvo entwickelt daraus eine Gewaltspirale, die so nur vorstellbar ist,
wenn sich lang unterdrückter Hass abrupt entlädt. Nachdem die örtliche Polizei,
den ständigen Angriffen aus dem Hinterhalt hilflos gegenüber stehend, nächtlich
eine Bombe in der Kasbah gezündet hatte, die eine Vielzahl von Todesopfern
forderte, schlägt die FLN strategisch zurück. Die Vorurteile der französischen
Polizei ausnutzend, legen drei Frauen ihren Schleier ab, kleiden sich
europäisch und können so unbemerkt Bomben an stark frequentierten Plätzen
deponieren. Pontecorvo benötigt keine dramatischen Zuspitzungen. Allein der
Anblick der jungen Algerierin, die inmitten der tanzenden jungen Europäer in
dem Café gar nicht auffällt, aber konsequent den tödlichen Bombenanschlag ausführt,
genügt, um ihre innere Haltung zu erahnen.
Begleitet
von der sparsam, aber wirksam eingesetzten Musik Ennio Morricones, erzählt der
Film die Geschichte einer Niederlage, denn die FLN war auf Dauer chancenlos
gegen die Strategie der französischen Armee, die alle Einwohner der Kasbah aus
ihren Häusern trieb, Einzelne festnahm und dank brutaler Verhörmethoden immer
näher an die Köpfe der Organisation herankam. Letztlich war es der Zeitgeist,
der das Ende der Besatzungszeit in Algerien erzwang, denn das unwürdige
Schauspiel der brutalen Unterdrückung einer einheimischen Bevölkerung, von
denen Millionen Anfang der 60er Jahre in Lager eingesperrt wurden, zog
zunehmend weltweite Kritik auf sich. Auch 75% Prozent der Franzosen sprachen
sich dafür aus, Algerien die Selbstständigkeit wieder zu geben, im Gegensatz zu
nur 40% der Einwohner Algeriens, worin die Zerrissenheit des Landes deutlich
wird. Auch wenn der Tag der Unabhängigkeit inzwischen mehr als 50 Jahre
zurückliegt, blieb das Militär dank des Befreiungskrieges in Algerien
einflussreich, was ab 1990 in einen langen Bürgerkrieg mündete – die Folgen der
Besatzungszeit sind bis heute nicht überwunden.
Auch „La
battaglia di Algeri“ behielt, dank seines generellen Blicks auf die Spirale von
Unterdrückung, Gewalt und Gegengewalt, seine Bedeutung und Aussagekraft, denn
an den hier gezeigten Mechanismen hat sich nichts geändert.
"La Battaglia di Algeri" Algerien / Italien 1966, Regie: Gillo Pontecorvo, Drehbuch: Gillo Pontecorvo, Franco Solinas, Darsteller : Brahim Hadjadj, Jean Martin, Yacef Saadi, Ugo Paletti, Samia Kerbash, Laufzeit : 117 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Gillo Pontecorvo:
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