1. Dokumentation der historischen Ereignisse der Jahre 1968 bis 1969, beginnend mit dem Vietnamkrieg, den Morden an Martin Luther King und Robert Kennedy bis zu dem Attentat in Mailand.
2. Eine Szene mit Gian Maria Volontè, in der mit vier Darstellern die Abläufe in dem Polizeigebäude an Hand der drei Versionen, die von den anwesenden Polizisten geäussert wurden, nachgespielt werden (Regie Elio Petri)
3. Dokumentation von Nelo Risi über die Person Guiseppe Pinelli und seine Aktivitäten, an Hand von Befragungen von Zeitzeugen, Kameraden und Freunden.
Der Film wurde von 60 Regisseuren, Autoren und Darstellern im Anhang unterzeichnet, darunter Bertolucci, Corbucci, Damiani, De Santis, Monicelli, Pasolini, Petri, Rosi,Scola, Visconti und Zurlini.
Einen Film wie "Documenti su Giuseppe Pinelli" nach rein filmtechnischen oder ästhetischen Kriterien zu beurteilen ist unmöglich, da sich der knapp einstündige Film solchen Kriterien fast vollständig entzieht. Er wurde 1970 von Elio Petri und Nelo Risi als Manifest entwickelt, dass ähnlich einem Schriftstück von 60 Regisseuren und Drehbuchautoren unterzeichnet wurde. Einzig Gian Maria Volontè, Freund von Elio Petri und Mitwirkender in der einzigen gespielten Szene, unterzeichnete als Darsteller.
Die Bedeutung dieses Manifestes ergibt sich aus den Folgen für die Filmgestaltung des kommenden Jahrzehnts in Italien. Selbst Regisseure wie Elio Petri, Francesco Rosi und Damiano Damiani, die zuvor schon sozialkritische Filme drehten, reagierten ab diesem Zeitpunkt noch deutlich kritischer, hinsichtlich der Rolle des Staates, den sie damals auf direktem Weg in die Diktatur sahen.
"In Spagna Torturati, in Greca Fucilati, in Italia Suicidati" (In Spanien gefoltert, in Griechenland erschossen, in Italien geselbstmordet)
steht auf einem Plakat, dass Nelo Risi in seinem dokumentarischen Teil längere Zeit einblendet. Die Nähe zu den rechten Diktaturen in Spanien und Griechenland, dass erst wenige Jahre zuvor einen Militärputsch erlebte, liess die Regisseure gegen Repressalien des Staates protestieren. Sie machten dabei keine Geheimnis daraus, dass sie der Polizeiversion eines "Unfalls" oder "Selbstmordes" nicht glaubten. Zuviel sprach aus ihrer Sicht gegen diese Version.
Giuseppe Pinelli, genannt "Gino" war ein Anarchist, der schon viele Jahre in der außerparlamentarischen Opposition arbeitete. Als in Mailand am 12.12.69 eine Bombe explodierte, bei der 16 Menschen starben, verhaftete die Polizei sofort diverse Verdächtige aus linksgerichteten Kreisen. Zu einem Zeitpunkt als die Proteste gegen den Vietnamkrieg ständig zunahmen, eine riesige Streikwelle ("autumno caldo" (Heisser Herbst)) über das Land eingebrochen war und die kommunistische Partei Italiens (PCI) unter Enrico Berlinguer immer stärker wurde, lag diese Massnahme nah. Das Bombenattentat bedeutete in dieser Hinsicht eine Zäsur, da es erstmals einen direkten Angriff auf die Zivilbevölkerung darstellte und für den Staat Anlass genug war, rigoros gegen die Gefahr des Chaos einzuschreiten.
Die gleiche Bedeutung, nur aus umgekehrter Sicht, hatten die Ereignisse für die linksgerichteten Intellektuellen, weshalb der Tod "Gino" Pinellis zu einen Symbol wurde. Die Attentäter kamen aus ihrer Sicht keineswegs aus linksgerichteten Kreisen, weshalb die Verhaftungen an sich schon ein Unrecht darstellten. Zudem verstießen die daran anschließenden dreitägigen Verhöre gegen die Vorschriften.
Petri macht diese Situation aus seiner Sicht deutlich, indem er die Aussagen der drei beteiligten Polizisten nachspielen lässt, die immer mit dem Sturz Pinellis aus dem Fenster enden. Schon wenn Volontè ordentlich das Fenster öffnet, verdeutlicht sich darin die Lächerlichkeit dieser Thesen, genauso wie es fast unmöglich scheint, dass es einem selbstmordwilligen Häftling gegen drei Männer gelingen könnte, dort hinauszustürzen, von einem Unfall ganz abgesehen. Zum Schluss erzählt Petri seine Version, die damit endet, dass die drei Männer Pinelli mit dem Ruf "Er beging Selbstmord" aus dem Fenster werfen.
Die tatsächlichen Vorkommnisse sind bis heute nicht endgültig aufgeklärt, aber sie zogen bis in die Gegenwart reichende Konsequenzen nach sich. 1972 wurde einer der drei beteiligten Polizisten, Kommissar Luigi Calabresi, vor seinem Haus erschossen. Erst 1988 wurde dafür Adriano Sofri verurteilt, ein linksradikaler Politiker und Journalist, der bis heute seine Unschuld beteuert. Für das Bombenattentat saß Pietro Valpreda, der schon wenige Tage nach der Tat als Schuldiger präsentiert wurde, mehrere Jahre im Gefängnis. Erst 1985 wurde er freigesprochen. Inzwischen gilt es als erwiesen, dass die rechtsradikale Gruppe "Ordine nuovo" für das Bombenattentat verantwortlich war, die damit die rebellierende Linke demoralisieren wollte, eine in den folgenden Jahren weiter betriebene, letztlich erfolgreiche Methode, die unter dem Begriff "Strategie der Spannung" bekannt wurde. Am 22.Dezember 1990 wurde diese Vorgehensweise vom Europaparlament, auch bezogen auf diverse beteiligte Geheimdienste, scharf verurteilt.
Diese späteren Ereignisse beweisen natürlich nicht Petris und Risis hier erhobenen Verdächtigungen, dass die Polizisten selbst Hand an Pinelli legten, aber es erstaunt, wie klar sie die Rolle des Staates schon damals durchschauten. Ähnlich wie in vielen Politfilmen der 70er Jahre, die ihren Ursprung in diesem Ereignis hatten, standen ihre Thesen im Ruch der Paranoia und so spannend diese Vorgänge auch inszeniert wurden, blieb der Vorwurf der üblichen linken Verdächtigungen gegenüber dem konservativen Staat erhalten.
Selbst wenn im Detail sicherlich Ungenauigkeiten oder Subjektivität nachzuweisen sind, stellt sich diese Beurteilung aus heutiger Sicht als falsch dar. Das macht auch die Beschäftigung mit den Dokumenten über Guiseppe Pinelli so wertvoll. Die sich daraus ergebenden Haltungen und Konsequenzen werfen nicht nur ein Licht auf die 70er Jahre in Italien und das übrige Europa, sondern auch auf die Gegenwart.
"Documenti su Giuseppe Pinelli" Italien 1970, Regie: Elio Petri, Nelo Risi, Drehbuch: Elio Petri, Nelo Risi, Darsteller : Gian Maria Volonté, Luigi Diberti, Renzo Montagnani, Laufzeit : 53 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Elio Petri:
"La decima vittima" (1965)
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