Roberto Rosselini wollte ursprünglich einen Dokumentarfilm über einen katholischen Priester drehen, der im Widerstand gegen die italienischen Faschisten und die Nationalsozialisten gekämpft hatte. Für die italienische „Resistenza“ hatte dieser Kampf an Brisanz zugenommen, als nach dem Sturz Mussolinis Nazi-Deutschland dem befreundeten Staat „zu Hilfe“ gekommen war, während sich von Süditalien her die Alliierten näherten. Sie sahen sich darauf hin zwei Gegnern gegenüber – der Gestapo und den mit diesen kollaborierenden italienischen Anhängern des Faschismus.
Als Rosselini "Roma, città aperta" Anfang 1945 doch als Spielfilm inszenierte, waren diese Auseinandersetzungen keineswegs beendet, sondern hatten sich nur nach Norditalien verlagert, wo unter Mussolini die Marionettenrepublik Salò entstanden war. Entsprechend unmittelbar waren während der Entstehungsphase die Erinnerungen an diese Geschehnisse, so dass hier ein Film entstand, dessen Authentizität, stärker noch als "Ossessione" von Visconti, ihn zu einem Hauptwerk des noch jungen realistischen Films in Italien machte. Diese Realität sollte trotzdem nicht mit Objektivität verwechselt werden, denn Rosselini nimmt ganz deutlich Partei ein für die Resistenza, aber - obwohl der unmittelbare Eindruck der deutschen Besatzung noch Bestand hatte - ohne den Fehler zu machen, zu polarisieren oder mit gefühligen Übertreibungen, Stimmung zu erzeugen.
Der Film beginnt mit einer Hausdurchsuchung der Gestapo. Ingenieure Manfredi, Kommunist und eine führende Persönlichkeit des italienischen Widerstands, gelingt es gerade noch, über die Dächer zu entkommen.Trotz dieser Dramatik verfügt der Film zu Beginn über eine überraschende Leichtigkeit. Rosselini zeichnet ein realistisches Bild des damaligen römischen Lebens, mit Schwarzmarktgeschäften und den Tricks zur Besorgung der täglichen Lebensmittelration. Die Wohnungen sind überfüllt und es kommt zu Spannungen zwischen den eng aufeinanderlebenden Menschen. Im Mittelpunkt steht dabei Pina (Anna Magnani), die sich zum Einen auf ihre kurz bevorstehende Hochzeit mit Francesco – ebenfalls ein Widerstandskämpfer – freut, andererseits auch um ihren herumstreunenden Sohn kümmern muß. Dazu streitet sich sich ständig mit ihrer jüngeren Schwester, deren Ruf innerhalb der Familie sehr schlecht ist, da sie sich im Umfeld von Schauspielern und Künstlern herumtreibt. In diesen Kreisen pflegen auch die Offiziere der SS anwesend zu sein, die sich auf diese Weise Menschen mit Drogen gefügig machen und ein dichtes Netz von Spitzeln aufbauen.
Ähnlich differenziert gestaltet er auch den gefährlichsten Feind des Widerstands, die SS, die von Gestapochef Bergmann repräsentiert wird, der durch eine sehr kühl recherchierende Art auffällt. Ihm sind gute Umgangsformen sehr wichtig und er ist geprägt von der Überzeugung an die Überlegenheit der deutschen Rasse gegenüber der italienischen, immerhin sehr lange die Verbündeten Nazi-Deutschlands.Er ist keineswegs ein überzogener Sadist. Folter ist für ihn nur ein Mittel zum Zweck und erst der letzte Schritt, der getan werden muss, wenn die vorherige Überzeugungsarbeit nicht ausgereicht hatte.
In der zweiten Hälfte nimmt der Film an Härte zu und konfrontiert den Zuseher mit der Allmacht und Brutalität der deutschen Besatzungsmacht. Und obwohl Rosselini dabei schonungslos bleibt, bewahrt er die menschliche Dimension. Durch den Verzicht sowohl auf Monster als auch auf Märtyrer, verdeutlicht er, dass diese Handlungen nicht allein einem Befehl zu verdanken sind, sondern letztlich immer dem Ausführenden die Wahl lassen, sein eigenes Handeln oder Reagieren zu bestimmen. Er konkretisiert das an den deutschen Soldaten, die sich am Schluß weigern, einen Schießbefehl auszuführen.
Rossellinis dem Realismus verpflichtete Gestaltungsform kam diesem Thema in erheblichem Masse entgegen, wie man sogar zu der Feststellung gelangen kann, dass nur sein dokumentarischer, jede zusätzliche Emotion weglassender Stil überhaupt in der Lage war, diese Thematik angemessen zu bewältigen. Die Unmittelbarkeit solcher schrecklichen Ereignisse verhindert in der Regel eine differenzierte Darstellung der Betroffenen, während ein zeitlicher Abstand zwar mehr Objektivität erzeugt, gleichzeitig eigene Erfahrungen verblassen lässt. Bei "Roma, città aperta" gelang der seltene Fall einer Symbiose aus der Schilderung gerade erlebter Eindrücke bei einer gleichzeitigen universalen Einordnung, was den Film in den Rang eines zeitlosen Kunstwerks erhebt.
"Roma, citta apertà " Italien 1945, Regie: Roberto Rossellini, Drehbuch: Roberto Rossellini, Federico Fellini, Darsteller : Anna Magnani, Aldo Fabrizi, Marcello Pagliero, Harry Feist, Carla Rovere, Laufzeit : 100 Minuten
- weitere im Blog besprochene Filme von Roberto Rossellini :
"Stromboli" (1950)
"Viaggio in Italia" (1954)
"Amori di mezzo secolo" (1954)
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