Inhalt: Susan Stevenson (Ursula Andress) und ihr Bruder
Arthur (Antonio Marsina) versuchen die Genehmigung zu erhalten, im
ostasiatischen Dschungel nach Susans seit Monaten verschollenem Ehemann zu
suchen, der dort anthropologische Forschungen betrieb. Die Behörden glauben
nicht daran, dass er noch lebt, aber Susan will nicht aufgeben und überredet
Professor Foster (Stacy Keach), der die Region als Einziger kennt, sie zu
begleiten. Er glaubt, dass Susans Mann zu einer Insel gelangt ist, auf der sich
der Berg des „Kannibalen-Gotts“ befindet, der von einem geheimnisvollen Stamm
bewohnt wird.
Ohne Genehmigung begeben sie sich in den Dschungel und
dringen unter lebensgefährlichen Bedingungen bis zum Ozean vor, von wo aus sie
zu der Insel übersetzen. Dort angekommen, sehen sie sich nicht nur einer
feindlichen Tierwelt ausgesetzt, sondern auch ein maskierter Attentäter hat es
offensichtlich auf sie abgesehen…
Allein die Tatsache, dass die wenigen Kannibalismus-Filme
der späten 70er Jahre noch heute als eigenständige Genre-Phase im italienischen
Film Erwähnung finden, lässt auf den tiefen Eindruck schließen, den sie trotz
ihrer preiswerten und spekulativen Machart hinterließen. Die Liste der Vorwürfe
ist lang: Rassismus, Misogynie, ekelhafte Gewaltdarstellungen und Tiertötungen
erzeugten heftige Ablehnung. Vom "Mondo"- Film seit „Mondo cane“ (1962)
beeinflusst, täuschten sie einen realen Hintergrund vor, der irgendein
Forscher-Team in die noch unentdeckten Gebiete Ostasiens oder am Amazonas führte,
wo sie einen bisher unbekannten Volksstamm vermuteten, der zuvor noch nie
Berührung mit der Zivilisation hatte. Doch die Kritik an der ungehemmten
Darstellung archaischer Verhaltensmuster konnte nicht die Faszination auf eine
Nachkriegsgeneration verhindern, die erstmals in Friedenszeiten aufwachsen
konnte und im Zuge der generellen Liberalisierung im Kino seit den frühen 60er
Jahren nach Tabubrüchen dürstete.
Genügten Ende der 60er Jahre noch Nuditäten, verbunden mit
dem Versprechen einer frei ausgelebten Sexualität, um die bürgerliche Moral
herauszufordern, erreichten Mitte der 70er Jahre schon Sado-Maso-Spielarten ein
großes Publikum ("Histoire d'O" (Die Geschichte der O, 1975)). In
Italien entwickelte sich parallel aus der ureigenen „Commedia all’Italiana“ der
Ableger „Commedia sexy all’italiana“, der seine erotischen Bilder in eine
Komödienhandlung einbettete, die zwischen Albernheiten und
gesellschaftskritischen Aspekten oszillierte. Regisseur Sergio Martino gehörte zu
den führenden Vertretern dieses Genres, zu dem er in der Hochphase zwischen
1973 („Giovannona Coscialunga disonorata con onore“) und 1983 („Occhio, malocchio, prezzemolo e
finocchio“) elf Filme besteuerte, die heute nahezu unbekannt sind – im
Gegensatz zu "La montagna del dio cannibale" (Die weiße Göttin der
Kannibalen), seinem einzigen Kannibalen-Film.
Dabei ließ der Regisseur keinen Zweifel daran, dass die
Themenwahl vor allem der Vorgabe der Produktionsgesellschaft seines älteren
Bruders Luciano Martino geschuldet war, wirtschaftlich erfolgreiche Filme zu
drehen. Um Produktionskosten zu sparen, wickelte er am exotischen Drehort in
Ostasien neben "La montagna del dio cannibale" noch "L'isola
degli uomini pesce" (Insel der neuen Monster, 1978) und "Il fiume del
grande caimano" (Der Fluß der Mörderkrokodile) - jeweils nach selbst
verfassten Drehbüchern - ab, die zwar häufig in einem Zug mit seinem
Kannibalismus-Film genannt werden, aber dem Science-Fiction-Horror bzw. Tier-Horror-Genre
zuzurechnen sind. Sie entstanden in Folge des Kassenknüllers „Jaws“ (Der weiße
Hai, 1975), der das Horror-Genre im Mainstream-Kino salonfähig werden ließ, und
wurden meist mit internationalen Stars besetzt, die ihren Karrierehöhepunkt schon
hinter sich hatten – ein Versuch der darbenden italienischen Filmindustrie, der
wachsenden Übermacht Hollywoods trotz ungleicher finanzieller Mittel Einhalt zu
gebieten (siehe „Das italienische Kino frisst sich selbst“).
Entsprechend gehörten mit Ex-Bond Girl Ursula Andress und
Stacy Keach in "La montagna del dio cannibale" zwei bekannte Namen
zur Darstellerriege, aber Sergio Martino griff auch auf seinen Landsmann Claudio
Cassinelli zurück, mit dem er zuvor den Poliziesco "Morte sospetta di una minorenne" (1975) gedreht hatte, um ihn in allen drei Ostasien-Streifen in
einer der Hauptrollen zu besetzen. In "La montagna del dio cannibale"
stößt er in der Rolle des Dschungel-Arztes Manolo zwar erst nach einem Drittel
der Laufzeit auf Susan Stevenson (Ursula Andress) und deren Bruder Arthur (Antonio
Marsina), die unter der Führung von Professor Edward Foster (Stacy Keach) den
verschollenen Ehemann Susans suchen, kann aber als Sympathieträger punkten, als
es für die Protagonisten weiter in Richtung des sagenumwobenen Bergs des Kannibalen-Gotts
geht. Von dort sind nur Wenige lebend zurückgekommen - darunter Professor
Foster, der nach wie vor unter den traumatischen Umständen seiner
Gefangenschaft leidet.
Auch für Sergio Martino - wie zuvor schon für Joe D’Amato
bei der Entwicklung seines vierten „Emanuelle nera“ - Streifens „Emanuelle e gli ultimi cannibali“ (Nackt unter Kannibalen, 1977) - wurde der Erfolg von
Ruggero Deodatos „Ultimo mondo cannibale“ (Mondo cannibale 2 – Der Vogelmensch,
1977) zum Auslöser, die Kannibalen-Thematik in Angriff zu nehmen. Und ähnlich
D‘Amato orientierte sich Martino in der Story-Anlage mehr an Umberto Lenzis „Il
paese del sessio selvaggio“ (Mondo cannibale, 1972) als an Deodatos kompakter,
tief in die archaische Lebenswelt der Urwaldbewohner eindringenden Sichtweise. Der
Blick auf den Kannibalen-Stamm bleibt immer aus der Distanz des westlichen
Kulturkreises, stellt das Verhalten der weißen Abenteurer nicht in Frage – von
üblichen Geldgier-Mechanismen einmal abgesehen - und verkommt spätestens mit
den Sodomie- und Selbstbefriedigungsszenen beim Fest um die weiße Göttin, für
die Susan von den Kannibalen gehalten wird, zum sensationsheischenden,
rassistische Vorurteile bestätigenden Panoptikum. Auch die realen Tiertötungen,
wie sie früh in den „Mondo“-Filmen gezeigt wurden, die schon für Lenzis Film Pate
standen, haben in Martinos Film nur den fragwürdigen Zweck, zusätzlichen Grusel
zu entfachen. Inhaltlich stehen sie in keiner Verbindung zur Story.
D’Amato hatte in „Emanuelle e gli ultimi cannibali“ auf
Tiertötungen jeder Art verzichtet, Sergio Martino bot dagegen die reifere Inszenierung
an. Von den wenigen Szenen nach dem Motto „Fressen und gefressen werden“ zu
Beginn und der abschließenden Eskalation am Berg des Kannibalen-Gotts schuf
Martino gemeinsam mit Autor Cesare Frugoni, der ebenfalls bei allen drei vor
Ort entstandenen Filmen zum Team zählte, eine klassische Abenteuerstory, die über
eine stimmige Figurenkonstellation verfügt und sich über eine Vielzahl an Zwischenstationen
abwechslungsreich entwickelt – allein das actionreiche Geschehen am Wasserfall
nimmt kaum weniger Zeit ein als die abschließenden Ereignisse am Kannibalen-Hort.
Die seltenen Nacktaufnahmen wirken – anders als bei D’Amato - nicht künstlich
integriert (von der erwähnten Selbstbefriedigungsszene abgesehen) und es kommt
zu keinen zeremoniellen Vergewaltigungen wie sie schon in Lenzis Film an der
Tagesordnung waren und von D’Amato zitiert wurden. Zudem ist es dem Spiel der
damals 42jährigen Ursula Andress zu verdanken, dass trotz diverser
Geschlechter-Klischees der Eindruck der Misogynie zurückhaltend blieb. Sergio
Martino erwähnte, wie selbstbewusst und ohne Angst sich die Darstellerin im
Dschungel bewegte und etwa die Szene mit der Schlange bewältigte – eine
Haltung, die sich auf ihre Rolle übertrug.
Trotz dieser Qualitäten wird an "La montagna del dio
cannibale" und mehr noch im Vergleich zu den zwei weiteren Abenteuerfilmen
der Ostasien-Trilogie deutlich, wie sehr die Kannibalismus-Thematik als reißerischer
Aufhänger diente. Auf Basis einer identischen Anlage - weiße Abenteurer
schlagen sich durch das unbekannte Terrain einer exotischen Welt – variierte
Martino darin unterschiedliche populäre Horror-Sujets. Während ein Riesenkaiman
in "Il fiume del grande caimano" als „Weißer Hai“-Epigone herhalten
musste, wurden unter dem Oberbegriff „Kannibalismus“ fremdartige Stammesrituale,
exotische Speisen, eine gnadenlose Tierwelt und eine ungehemmt ausgelebte
Sexualität zusammengefasst - die eigentliche Menschenverspeisung sollte den
makabren Höhepunkt abgeben. Mit einer kritischen Gegenüberstellung
unterschiedlicher Kulturkreise, wie sie Deodato in „Ultimo mondo cannibale“
anklingen ließ, hatte das nichts zu – Sergio Martinos Abenteuerfilm hätte auch
unter anderen Vorzeichen funktioniert.
weitere im Blog besprochene Filme von Sergio Martino:
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