Inhalt: Mit
scheinbarer Perfektion wechselt ein Geldpaket unauffällig von Hand zu Hand,
doch als es bei seinem Adressaten anlangt, befindet sich nur Zeitungspapier
darin. Jemand aus der Kette der Beteiligten muss das Geld gestohlen haben,
wodurch Rocco (Mario Adorf) auf den Plan gerufen wird, der als Mann fürs Grobe
dem „Americano“ (Lionel Stander) dient, einem einflussreichen Mailänder Boss,
der aus den USA stammt. Doch auch sein hartes Durchgreifen lässt die
verschwundenen Dollars nicht wieder auftauchen, weshalb aus Sicht des
Gangsterbosses nur noch Ugo Piazza (Gastone Moschin) als möglicher Täter übrig
bleibt, der unmittelbar nach dem Diebstahl verhaftet wurde und drei Jahre im
Gefängnis saß.
Es hilft
ihm nicht, zu beteuern, dass er das Geld nicht genommen hat, denn Rocco wartet
schon auf ihn und lässt ihn keinen Moment in Ruhe. Mehrfach wird er verprügelt
und bleibt nur am Leben, weil seine Peiniger erst das Versteck erfahren wollen.
Fast verzweifelt wäre Piazzas Lage, wäre da nicht die schöne Nachtclub-Tänzerin
Nelly (Barbara Bouchet), mit der er früher zusammen war. Sie hatte ihn zwar nie
im Gefängnis besucht, aber jetzt empfängt sie ihn mit offenen Armen…
Fernando Di
Leos von 1972 bis 1973 in die Kinos gekommenen Filme "Milano calibro
9" (Milano Kaliber 9, 1971), "La mala ordina" (Der Mafiaboss - sie
töten wie Schakale, 1972) und "Il boss" (Der Teufel führt Regie,
1973) gelten heute als "Mafia"-Trilogie, da sie sich - obwohl
inhaltlich voneinander unabhängig - jeweils aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit
der "Mafia"- Thematik auseinandersetzten. So griffig und werbewirksam
eine solche Bezeichnung der frühen Phase Di Leos, Anfang der 70er Jahre, heute
erscheinen mag, so sehr vermittelt diese eine thematische Abgeschlossenheit, die
seinen insgesamt zehn zwischen 1969 und 1977 dem Genre des
"Polizieschi" zuzurechnenden Filmen nicht gerecht wird, die fast
prototypisch dessen Entwicklung ausgehend vom Italo-Western parallel zu den
gesellschaftspolitischen Veränderungen nachzeichneten.
"I
ragazzi del massacro" (Note 7 - die Jungen der Gewalt,1969) war noch mehr
Gesellschaftsstudie als Kriminalfilm und reagierte auf typische bürgerliche
Ängste angesichts einer revoltierenden Jugend, bevor Fernando Di Leo mit
"Milano calibro 9" seinen einzigen Italo-Western als Regisseur schuf,
genauer die neben Sergio Sollimas "Città violenta" (Brutale Stadt,
1970) und "Revolver" (Die perfekte Erpressung, 1973) ideale
Kombination aus Polizeifilm und Western - ein Genre, an dem er als
Drehbuchautor entscheidend mitgewirkt hatte. Nachdem er bei den zwei ersten
Sergio Leone-Western "Per un pugno di dollari" (Für eine Handvoll
Dollar, 1964) und "Per qualche dollaro in più" (Für ein paar Dollar
mehr, 1965) dem Autoren-Team angehörte, bewies er mit "Il ritorno di Ringo" (Ringo kommt zurück, 1965) und "Le colt cantarono la morte e fu... tempo di massacro" (Django - sein Gesangsbuch war der Colt, 1966)
früh Eigenständigkeit. Mit "Ognuno per se" (Das Gold von Sam Cooper,
1968) hatte er noch wenige Jahre zuvor einen prägenden Western geschrieben,
bevor er das Thema eines Einzelgängers, der nach Jahren in seine Heimat
zurückkehrt und sich seiner Vergangenheit stellen muss, in die italienische
Gegenwart transferierte.
Dass er die
Story von "Milano calibro 9" innerhalb des organisierten Verbrechens
ansiedelte, war folgerichtig und wurde prägend für den Polizieschi, in dem es
fast immer ums große Ganze und selten um einzelne Kriminalfälle ging. Auch im
Italo-Western bekam es der "Held" in der Regel mit einer Übermacht zu
tun, die von einem in der bürgerlichen Gesellschaft angesehenen
Großgrundbesitzer streng hierarchisch geleitet wurde. Zu einer solchen Truppe
gehörte immer ein Mann für die Drecksarbeit, eine Figur, die Mario Adorf als
Rocco geradezu beängstigend überzeugend in ihrer Mischung aus Brutalität,
Sadismus und absoluter Hörigkeit gegenüber seinem Boss interpretierte. Auch
Gastone Moschin als Piazza, der nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis mit
den ehemaligen Kumpanen konfrontiert wird, die ihm unterstellen, Drogengelder
gestohlen zu haben, agierte faszinierend als stoischer Einzelgänger, der erst
leiden muss, bevor der von seiner Umgebung unterschätzte Mann zurückschlägt -
eine klassische Western Konstellation.
Die
"Mafia"-Thematik spielte in "Milano calibro 9" dagegen noch
eine untergeordnete Rolle, mehr als Hintergrund für die inneren psychologischen
Abhängigkeiten unter den ehemaligen und aktuellen Bandenmitgliedern. Eine in
ihrer Ganovenehre fast romantisch anmutende Figur wie Chino (Phillipe Leroy),
der seinen erblindeten Boss in einer einfachen Wohnung betreut, und den Piazza
(Gastone Moschin) als Einzigen um Hilfe bittet, wäre in Di Leos folgenden, die
Mechanismen der Mafia in ihrem ganzen Zynismus entlarvenden Filmen
unvorstellbar. Auch die Beziehung zu der Nachtclub-Tänzerin Nelly (Barbara
Bouchet), die Piazza wieder mit offenen Armen aufnimmt, entsprach in ihrer
Zwiespältigkeit mehr einem klassischen Drama und erzeugte eine emotionale Nähe
zu dem Protagonisten, unterstützt von der eindringlichen Musik Luis Bacalovs,
die Fernando Di Leo in seinen folgenden Filmen zunehmend verlor. Dank seines
Temperaments konnte Mario Adorf in "La mala ordina" noch eine
Identifikation mit seiner Rolle als Zuhälter aufbauen, in "Il boss"
existieren solche Emotionen nicht mehr.
Eine von Di
Leo beabsichtigte Richtung, die den Weg zum klassischen Poliziesco, in dem ein
Einzelgänger gegen eine Übermacht aus Korruption und Verbrechen antrat,
vorbereitete. Der in Deutschland nahezu unbekannte "Il poliziotto è
marcio" (1974) mit Luc Merenda in der Hauptrolle als Rache nehmender
Polizist setzte diese Linie konsequent fort. Anders als „Milano calibro 9“ der
über die grobe Mafia-Thematik hinaus kaum Ähnlichkeiten zu „Il boss“ aufweist,
werden die Parallelen in „Il poliziotto è marcio“ schon in der Anfangsszene
offensichtlich, in der ein Gangsterboss und seine mit Maschinengewehren
bewaffneten Männer eine Gruppe gnadenlos massakrieren, weil sie es gewagt
hatten, mit Anderen Geschäfte zu machen. Dagegen erinnern die Szenen in „Milano
calibro 9“, in denen zwei Polizei-Offiziere (Frank Wolff und Luigi Pistilli)
politisch kontrovers die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen
diskutieren, noch an den Vorgängerfilm "I ragazzi del massacro" - ein
solches gedankliches Engagement, unabhängig von der jeweiligen Haltung, traute
Di Leo den Polizisten in "Il boss" nicht mehr zu.
Die Einordnung in eine Trilogie und besonders die damit verbundene Vergleichbarkeit können einem solitären Werk wie "Milano calibro 9" nicht gerecht werden, in dem Di Leo noch das menschliche Element suchte. Möglicherweise führte die daraus entstehende Tragik zur Konsequenz der folgenden Filme, in denen die Befindlichkeiten des Einzelnen innerhalb der Mechanismen einer gnadenlosen Verbrecherordnung keine Rolle mehr spielten.
Die Einordnung in eine Trilogie und besonders die damit verbundene Vergleichbarkeit können einem solitären Werk wie "Milano calibro 9" nicht gerecht werden, in dem Di Leo noch das menschliche Element suchte. Möglicherweise führte die daraus entstehende Tragik zur Konsequenz der folgenden Filme, in denen die Befindlichkeiten des Einzelnen innerhalb der Mechanismen einer gnadenlosen Verbrecherordnung keine Rolle mehr spielten.
"Milano calibro 9" Italien, Frankreich 1972, Regie: Fernando Di Leo, Drehbuch: Fernando Di Leo, Giorgio Scerbanenco (Roman), Darsteller : Gastone Moschin, Mario Adorf, Barbara Bouchet, Philipp Leroy, Frank Wolff, Luigi Pistilli, Lionel Stander, Laufzeit : 102 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Fernando Di Leo:
"La mala ordina" (1972)
weitere im Blog besprochene Filme von Fernando Di Leo:
"La mala ordina" (1972)
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