Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Sonntag, 20. März 2011

Umberto D. 1952 Vittorio De Sica

Inhalt: Der Versuch einer Gruppe von Pensionären, für eine höhere Rente zu demonstrieren, scheitert schnell am Eingreifen der Polizei und so muss sich Umberto Domenico Ferrari (Carlo Battisti) wieder allein mit seinen Problemen herumschlagen. Seine Vermieterin (Lina Gennari) droht dem allein stehenden, kinderlosen, alten Mann mit dem Rausschmiss aus seinem Zimmer, wenn er bis zum Monatsende nicht die fehlenden 15000 Lire bezahlt hat - ein hoffnungsloses Unterfangen, angesichts einer Monatsrente von 10000 Lire.

Trotzdem versucht Umberto, dessen einziges Glück sein kleiner Hund ist, alles, um Geld aufzutreiben, indem er seinen geringen Besitz veräußert. Doch seine Vermieterin lässt sich nicht auf Teilzahlungen ein, da sie ihn loswerden will, und als er nach ein paar Tagen aus dem Krankenhaus zurückkommt, wohin er sich wegen einer Kleinigkeit hatte einweisen lassen, muss er feststellen, dass in seinem Zimmer schon Renovierungsarbeiten begonnen haben. Doch viel schlimmer ist, das sein kleiner Hund, auf den das Dienstmädchen Maria (Maria-Pia Casilio) aufpassen sollte, verschwunden ist...


Die Phase des italienischen „Neorealismus“ auf die Zeit von 1942 bis etwa 1953 festzulegen, gehört heute genauso zum guten Ton der Filmwissenschaft, wie die dazu gehörige Einordnung von „Umberto D.“ als einer der letzten Filme dieser Epoche. Diese vereinfachende Darstellung einer mehr als zehn Jahre andauernden Schaffensperiode unterstellt eine Homogenität in der Wahl der Mittel, die - wenn überhaupt - nur in der unmittelbaren Zeit vor und nach dem Ende des 2.Weltkriegs bestanden hatte. Von einem späteren Zeitpunkt aus gesehen, schrumpft zudem die Phase nach 1945 meist auf den Begriff „Nachkriegszeit“ zusammen, dabei verkennend, dass sich Italien in den sieben Jahren bis zur Entstehung von „Umberto D.“ erheblich verändert hatte - und De Sica seinen Film auf der Basis einer Gegenwart, die den Krieg schon hinter sich gelassen hatte, aufbaute.

Gerade „Umberto D.“ beweist, dass eine Begrenzung der Realität im italienischen Film, egal wie man sie nennen mag, falsch ist, denn De Sicas Film beendete keine Phase, sondern bildet einen zeitlich, wie inhaltlich zentralen Punkt zwischen Filmen wie Rossellinis „Roma, città aperta“ (Rom, offene Stadt) von 1945 und Pasolinis „Accattone“ von 1961, die beide ebenso mit Laiendarstellern in Rom entstanden waren. Während Pasolini seinen Film vor den Slums von Rom am Rand der Stadt spielen ließ - für ihn das Symbol eines gesellschaftspolitischen Scheiterns nach dem Krieg - fand Rossellini in den Ruinen des Krieges noch den Mut zum Aufbruch. Von diesen Ruinen ist in „Umberto D.“ nichts mehr zu sehen, aber schon viel von den Auswirkungen, auf die De Sica in "Il tetto" (Das Dach, 1956) selbst zurückkam und die auch die Basis für Pasolinis "Accattone" bildeten.

Dass „Umberto D.“ diese Position einnimmt, obwohl Vittorio De Sica eine gänzlich andere Herangehensweise an die italienische Realität hatte, als die beiden genannten Regisseure oder ein Luchino Visconti, verdeutlicht die Besonderheit des Films in De Sicas Werk. Nicht ohne Grund gehören Filme wie „Ladri di biciclette“ (Fahrraddiebe, 1948) oder „Miracolo a Milano“ (Das Wunder von Mailand, 1951) bis heute zu den populärsten des „Neorealismus“, denn De Sicas Schilderungen der Realität in Italien verzichteten auf einen ideologischen Hintergrund, während sie den tröstlichen Zusammenhalt der Menschen, gerade mitten im Elend, beschworen. Obwohl nur ein Jahr nach „Miracolo a Milano“ entstanden, entwarf Cesare Zavattini dagegen in „Umberto D.“ ein Szenario, in dem von dieser Solidarität nichts mehr zu spüren ist - noch konsequenter und fatalistischer war De Sica später nur in "Il tetto".

Zu Beginn erweckt der Film noch einen anderen Eindruck, als eine große Zahl älterer, sehr gepflegt angezogener Herren, darunter Umberto Domenico Ferrari (Carlo Battisti), gemeinsam für eine höhere Rente protestieren, aber der Schein trügt. Nur wenig im Protest geübt, dazu noch schlecht organisiert, bricht die unangemeldete Demonstration beim ersten Widerstand durch die Polizei zusammen. Froh einer Verhaftung entgangen zu sein, steht Umberto kurz danach noch mit zwei anderen Herren zusammen, sich einig darüber, dass man von ihrer schmalen Rente kaum leben kann. Doch als Umberto in diesem Zusammenhang von seinen Schulden spricht, die er von der Rente nicht abzuzahlen in der Lage wäre, liegt die einzige Reaktion der beiden anderen Männer darin, zu erwähnen, dass sie keine Schulden haben. Damit ist Umberto endgültig isoliert, denn Verständnis kann er dafür nicht mehr erwarten.

Nicht nur durch ein gepflegtes Straßenbild und intakte Häuser, sondern besonders damit, dass die Menschen sich wieder andere Ziele setzen, als den nackten Überlebenskampf, macht De Sica deutlich, dass die Nachkriegszeit vorbei ist. Sehr schön zeigt sich das in der Figur der Hausbesitzerin Antonia Belloni (Lena Gennari), bei der Umberto seit 20 Jahren ein Zimmer gemietet hat. Nur vordergründig sind seine Schulden der Grund für den angedrohten Rausschmiss zum Monatsende, was auch darin erkennbar wird, dass sie Umbertos Bemühungen der Abzahlung – er verkauft sein weniges Hab und Gut für einen viel zu geringen Preis – nicht honoriert, sondern auf den gesamten Betrag beharrt. Der alte Mann stört sie schlicht bei ihrem Wunsch, ein aus ihrer Sicht angemessenes gesellschaftliches Leben zu führen. Sie steht kurz vor ihrer Hochzeit, veranstaltet gemeinsame Abende bei Musik und Gesang, und möchte mit Umbertos Raum ihr Wohnzimmer vergrößern. Ihre Rücksichtslosigkeit – sie beginnt mit der Renovierung schon, während Umberto D. noch in dem Zimmer schläft – ist nur besonders signifikant, denn in De Sicas Film gibt es eine Vielzahl von Beispielen für Menschen, deren Handeln zunehmend von egoistischer Effektivität geprägt wird.

Als Rentner, der nicht einmal eine Familie hat, die ihn unterstützen könnte, gehört Umberto D. zu den Verlierern der Nachkriegszeit. Der Staat ist noch zu sehr geschwächt, um seinen Pensionären eine ausreichende Rente zu bezahlen, aber sie sind zu alt, um von der Aufbaustimmung der Gegenwart noch zu profitieren. Sie sind auf einen Zusammenhalt in der Gesellschaft angewiesen, der mit der materiellen Besserstellung zunehmend verloren geht. Für Pasolini lag darin der Verrat an den marxistischen Idealen, die er und viele andere Regisseure nach dem Ende des Krieges noch hegten, und Ettore Scola, der in "C'eravamo tanti amati" (Wir waren so verliebt,1974) diese Veränderungen in seinem Zeitgemälde beschrieb, widmete seinen Film nicht ohne Grund De Sica, auch wenn er dessen spätere Entwicklung darin ebenso kritisierte.

„Umberto D.“ alleine auf die Probleme des Umgangs mit alten Menschen zu reduzieren, greift deshalb zu kurz, was Autor Zavattini noch mit der gegensätzlichsten Figur betont, die er Umberto zuordnen konnte – Maria (Maria-Pia Casillo), das 17jährige schwangere Mädchen, die als Dienstmagd für Umbertos Vermieterin arbeitet, ist der einzige Mensch, der freundlich zu ihm ist. Doch ihre Situation ist nicht wesentlich besser als seine – sobald ihre Schwangerschaft bekannt wird, wird sie ihre Anstellung verlieren, zu ihrem Vater kann sie in ihrem Zustand nicht zurückkehren und der junge Soldat, von dem sie glaubt, dass er der Vater ihres Kindes ist, reagiert nur mit Herablassung.

De Sica verfolgt ihr Schicksal nicht weiter, aber das gilt letztlich auch für Umberto Domenico Ferrari, dessen Namens-Reduzierung auf das anonyme „Umberto D.“ im Filmtitel, allein schon den generellen Charakter des Films beweist. Das dieser trotz seiner kritischen Intention zu keinem deprimierenden Dokument wurde, liegt an den Stärken De Sicas und Zavattinis, die es immer verstanden, ihren Filmen Leichtigkeit und menschliche Authentizität zu verleihen. Diese Dimension, die auf einer sehr genauen Beobachtungsgabe menschlicher Verhaltensweisen basierte, hatte Filmen wie „Scuscià“ (Schuhputzer) von 1946 oder „Ladri di biciclette“ (Fahrraddiebe, 1948) eine tröstliche Komponente hinzugefügt, gab einem Film wie „Stazione termini“ (Rom, Station Termini, 1953) trotz Hollywood-Einschlags die notwendige Tiefe und verband die einzelnen Episoden von „L’oro di Napoli“ (Das Gold Neapels, 1954) zu einem komplexen Charakterbild. Aber die Popularität dieser komödiantisch, menschlichen Seite führte auch dazu, dass De Sicas Filme immer mehr zu Lustspielen wurden, deren kritischen Aspekte sich auf das Zwischenmenschliche beschränkten, wie in „Ieri, oggi e domani“ (Gestern, heute und morgen, 1963) oder „Matrimonio all’italiana“ (Heiraten auf Italienisch, 1964).
In „Umberto D.“ verbinden sich beide Seiten – Emotionalität und Gesellschaftskritik – zu einer idealen Symbiose, die dem Film noch die notwendige Leichtigkeit verleiht, das Geschehene zu verarbeiten, ohne das kritische Potential damit zu verwässern.


"Umberto D." Italien 1952, Regie: Vittorio De Sica, Drehbuch: Cesare Zavattini, Darsteller : Carlo Battisti, Maria-Pia Casilio, Lina Gennari, Ileana Simova, Memmo Carotenuto, Elena Rea, Laufzeit : 89 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Vittorio De Sica:
"L'oro di Napoli" (1954)
"Il tetto" (1956)
"La ciociara" (1960)

3 Kommentare:

Intergalactic Ape-Man hat gesagt…

Ich muß mich bei dir ganz lieb beschweren, Bretzel, denn einerseits ist es gerade toll, nach dem Genuß der Fahrraddiebe weiterführende Informationen zu De Sica vorzufinden, andererseits hätte ich mir reichhaltige gedankliche Stimuli von jemandem, der sich dieser Art Film so sehr verschrieben hat, auch zu dem betreffenden Werk gewünscht. Hoffentlich wird dies noch nachgeholt?

Bretzelburger hat gesagt…

"Fahrraddiebe" werde ich sicherlich auch noch besprechen, aber im Gegensatz zu den von mir schon besprochenen Filmen, gibt es zu den "Fahrraddieben" die meiste Literatur, weshalb ich bewusst andere Prioritäten setze.

Gruß Udo

Intergalactic Ape-Man hat gesagt…

Umso mehr freue ich mich, wenn das Ergebnis noch besonders hervorsticht.

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.