Bei einem Gesundheitstest wird Matteo als zu alt ausgesondert, weshalb ab sofort Nino (Giancarlo Giannini) mit Sandro fahren soll. Der jüngere Mann erweist sich zwar als geschickt am Steuer, aber auch als ziemlich geschwätzig, weshalb Sandro ihn erstmal ignoriert und sein eigenes Ding macht. Doch bei ihrer ersten gemeinsamen langen Fahrt nach Warschau kommen sie sich näher...
"Il Bestione" beginnt mit einem langen Furz, als Sandro Colautti (Michel Constantin) an der italienischen Grenze aus seinem Lastwagen steigt. Doch der Eindruck täuscht, denn bei Sergio Corbuccis Trucker - Film handelt es sich um keine Komödie, wie es auch der deutsche Titel zu vermitteln versucht, sondern um ein Drama, wie es so fast nur in den 70er Jahren entstehen konnte. "Bestie" (Il Bestione) nennt Sandro liebevoll den Lastwagen, mit dem er und sein Partner Matteo (Enzo Fiermonte) als Angestellte einer Spedition unterwegs sind.
Doch für Matteo war es die letzte Fahrt, die er unternommen hatte, denn bei dem regelmäßigen Gesundheitstest, dem sich die Fahrer unterziehen müssen, wird er als zu alt aussortiert. Stattdessen springt der junge Nino (Giancarlo Giannini) auf den Bock, als Sandro die nächste Tour unternehmen will. Zwar beweist er schnell, wie gut er mit dem Wagen umgehen kann, aber dem älteren Sandro ist sein Fahrstil zu forsch und sein Mundwerk zu flott. Die Art wie "Il Bestione" das Kennenlernen der beiden unterschiedlichen Männer aufbaut, erinnert in seinem Schwung, der respektlosen Sprache und der etwas grobschlächtigen Ereignisse zuerst an typischen rustikalen "Buddy" - Komödienstoff.
Nachdem Sandro Nino ein paar Mal sprachlich auflaufen ließ, landen sie in einem Trucker - Restaurant, wo Corbucci genüsslich den Männern aufs Maul schaut und sie beim Vertilgen großer Mengen beobachtet. Später verschwindet Sandro mit der Kellnerin in einem Hinterzimmer, während Nino versucht, zwei Holländer beim Billard reinzulegen. Zuerst den Anfänger markierend, versenkt er die Kugeln mit einem Stoß, als es um Geld geht. Nicht erstaunlich, dass die Holländer das nicht lustig finden, ihn zusammenschlagen und sein Geld abnehmen.
Diese Ereignisse dienen Corbucci nur als Beschreibung einer sehr männlich geprägten Welt der Lastwagenfahrer, die er im weiteren Verlauf der Fahrt nach Warschau differenziert. Auch die Auseinandersetzung mit den Holländern hat in diesem Zusammenhang nur die Bedeutung eines kleinen Details, auf das er viel später noch einmal kurz zurückkommt. Neben zufälligen Liebschaften am Straßenrand und kurzen Vergnügungen in der Trucker - Kneipe, besteht die Arbeit vor allem aus Monotonie und der Einhaltung von Fahrtzeiten, weshalb Nino, als er sich nicht an die verabredete Pausenlänge hält, plötzlich ohne Lastwagen auf der Straße steht. Sein Verfolgungstripp als Anhalter entbehrt nicht einer gewissen Komik, aber sein Sprachwitz hilft ihm in Warschau auch nicht mehr weiter.
Die Szenerie im damaligen Ostblock ist gespenstisch. Während der erfahrene Sandro mit einem Blumenstrauß bewaffnet, sofort zu einer jungen Frau geht, die er hier regelmäßig besucht, versucht sich Nino die Zeit bis zur Abfahrt am nächsten Tag zu vertreiben. Mitten in der Nacht landet er schließlich verzweifelt vor Einsamkeit wieder bei dem betrunken schlafenden Sandro, den er bei dessen Weg zur Wohnung der jungen Frau verfolgt hatte, und schläft selbst mit ihr. Der Streit am nächsten Morgen zwischen den Männern ist kurz, denn Sandro kennt Ninos Empfindungen. Die sexuellen Interaktionen, die Corbucci hier beschreibt, sind nur Auswirkungen zerrütteter Beziehungen auf Grund eines nicht familientauglichen Jobs und Ablenkung von der Einsamkeit. Entsprechend unromantisch und fordernd inszeniert er hier den Sex.
Zunehmend verzahnt Corbucci seine Männergeschichte mit realen Ereignissen der frühen 70er Jahre in Italien. Sandro erfährt, dass sein alter Partner Matteo kaum Rente erhält und gezwungen ist, bei seiner Schwägerin zu leben. Als er die Gewerkschaft daraufhin anspricht, kann diese nur mit den Schultern zucken und ihre Hilflosigkeit bestätigen. Ähnlich wie im verklausulierten Western „Il grande silenzio“ (Leichen pflastern seinen Weg) gelingt es Corbucci auch in „Il bestione“ seinen unterhaltenden Stil beizubehalten, ohne die realistischen Verhältnisse auszusparen. Es ist Giancarlo Giannini zu verdanken, dass die Tristesse nie überhand nimmt, aber auch ihm vergeht fast sein Optimismus, als er, nachdem er gerade von seiner deutlich älteren Freundin den Laufpass bekam, zu Sandro auf dessen Silvesterparty geht. Doch die Stimmung stammt nur aus dem Fernseher, während Sandro allein in seiner heruntergekommenen Wohnung sitzt.
Gleichzeitig ist dieser Moment auch der Wendepunkt, an dem sie sich entschließen, sich als Transportunternehmen selbstständig zu machen. Corbucci nutzt diese neue Konstellation für thrillerartige Momente, die zu einer Art „Show – Down“ mit der Mafia führt, verlässt dabei aber keinen Moment den Boden der Realität. Viel mehr wird deutlich, dass ein Kleinunternehmen, wie das von Nino und Sandro, den Machtverhältnissen im Land ungeschützt ausgesetzt ist. „Il bestione“ ist in seiner Art, Realität und Unterhaltung radikal zu vermischen, ein seltenes, in seiner fehlenden Einseitigkeit verkanntes Juwel, dass einerseits von der Respektlosigkeit, der Sprache und Direktheit des Italo – Western beeinflusst ist, sich andererseits nicht scheut, Missstände der Gegenwart zu beschreiben. Auch das Ende liegt in dieser Tradition, denn es lässt den Männern wenigstens ihre Würde.
"Il bestione" Italien / Frankreich 1974, Regie: Sergio Corbucci, Drehbuch: Sergio Corbucci, Sergio Donati, Darsteller : Giancarlo Giannini, Michel Constantin, Giuliana Calandra, Enzo Fiermonte, Dalila Di Lazarro, Laufzeit : 98 Minuten
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