Inhalt: Georgis (Ugo Tognazzi) wird im Sportcafé seiner kleinen Heimatstadt verhaftet und in das Hauptquartier der Geheimpolizei gebracht. Der in einem Reisebüro arbeitende, unauffällige Mann muss seine gesamte Kleidung wechseln und wird dem Polizeichef zum Verhör gebracht. Dieser fragt ihn nur nach seiner Version, aber Georgis weiß gar nicht, wovon er spricht, bis dieser ihn konkret mit dem Vorwurf konfrontiert, Mitglied einer verbotenen Untergrundorganisation zu sein. Als Georgis weiterhin seine Unschuld beteuert, befiehlt der Polizeichef, ihn am nächsten Tag in die Hauptstadt transportieren zu lassen, um ihn dort weiter zu verhören.
Nachdem man ihm seine Kleidung zurückgegeben hatte, wird er am frühen Morgen vom Inspektor (Michel Piccoli) in Empfang genommen, um mit ihm in den Wagen des "Managers" (Mario Adorf) einzusteigen, der sogleich Richtung Hauptstadt abfährt. Doch die wüste Fahrt dauert nicht lange, denn das Auto bleibt mit einer Panne in einem kleinen Ort am Meer liegen. Während sich der Manager um eine Reparatur bemüht, nimmt die Beziehung zwischen dem Inspektor und Georgis freundliche Züge an. Der Inspektor scheint seinen Unschuldsbeteuerungen zu glauben...
Noch in Gedanken an seine Freundin (Adriana Asti), mit der er gerade Sex hatte, malt Georgis (Ugo Tognazzi) zwei Kreise mit einem Punkt in der Mitte auf seine Serviette im Sport - Caf'é, wo er noch eine kleine Pause einlegte, bevor er zu seinem Job ins Reisebüro zurückkehren will. Jäh wird er herausgerissen, als ihn ein anderer Gast, der von der Toilette kam, auf den Fuß tritt. Nach einem kurzen Disput, beruhigt sich Georgis wieder und beschließt, zu seinem Arbeitsplatz zu gehen. Doch dort wird er nicht ankommen, denn noch im Café wird er von der Geheimpolizei verhaftet und zum Hauptquartier der griechischen Kleinstadt gebracht.
Griechische Kleinstadt ? - "Griechenland" wird nie erwähnt in dieser französisch - italienisch - deutschen Koproduktion aus dem Jahr 1975, aber an dem realen Hintergrund, vor dem die Handlung stattfand, gibt es keinen Zweifel. Regisseur Peter Fleischmann hatte, ein Jahr nach dem Ende der Diktatur in Griechenland, den Roman des Athener Schriftstellers Antonis Samarakis vor Ort und mit größtenteils einheimischen Schauspielern verfilmt. Einzig die drei Protagonisten - Georgis und die ihn in die Hauptstadt (Athen) begleitenden Geheimdienstler - wurden von drei italienisch stämmigen Darstellern verkörpert, darunter, neben Ugo Tognazzi, Michel Piccoli und Mario Adorf, jeweils die Produktionsländer vertretend.
Fleischmanns kritische Intention scheint sich schon in der ersten Szene zu manifestieren, während noch die Credits laufen. Zwei Polizeiautos halten vor einem mehrgeschossigen Wohngebäude. Während die Polizisten unten ins Treppenhaus gehen, klettert oben ein Mann auf den Balkon und stürzt sich vor den Augen der schreienden Ehefrau in den Tod. Die Kamera bleibt dabei auf dem Standort eines unbeteiligten Außenstehenden, der nur die Auswirkungen sieht. Innere Abläufe werden nicht deutlich, doch es wird offensichtlich, dass der Mann lieber in den Tod stürzte, als sich von der Truppe des Inspektors (Michel Piccoli) festnehmen zu lassen. Und das Niemand davon Notiz nahm, geschweige denn eingriff.
Auch die Gründe für Georgis Festnahme passen in dieses Bild diktatorischer Willkür und der Missachtung von Menschenrechten. Ihm wird vorgeworfen, Mitglied einer verbotenen Untergrundorganisation zu sein, was der Polizeichef (Dimos Starenios) mit dessen Kreiszeichnungen begründet. Der Tritt auf den Fuß soll zudem ein verabredetes Zeichen gewesen sein. Trotz Georgis demütiger Haltung und der Beteuerung seiner Unschuld, beschließt der Polizeichef, ihn am nächsten Tag in die Hauptstadt bringen zu lassen. Georgis weiß, was das bedeutet, denn die Methoden, die dort angewendet werden, haben bisher Jeden zum Sprechen gebracht – egal, ob er etwas wusste oder nicht.
1975 befand sich Peter Fleischmann in guter Gesellschaft des ambitionierten Polit – Films. Regisseur Costa - Gavras hatte schon Ende der 60er Jahre mit „Z“ einen exemplarischen Film über die Diktatur seines Heimatlandes Griechenland gedreht, und 1973 mit „Der unsichtbare Aufstand“ die Verhältnisse in Südamerika belichtet. Damiano Damiani, Elio Petri und Francesco Rosi hatten ebenfalls grundlegene Werke über den schleichenden Verfall von Bürgerrechten zugunsten politischer und wirtschaftlicher Machtinteressen in Italien abgeliefert, doch Fleischmann wählte einen eigenständigen Weg, der weniger die klassischen Konsequenzen einer Diktatur beleuchtet, sondern ab dem Zeitpunkt, als die zwei Polizisten des Geheimdienstes mit Georgis die Kleinstadt verlassen, teilweise skurrile Züge annimmt.
Das beginnt schon damit, dass Mario Adorf als „Marciallo“ (deutsch „Manager“) mit seinem getunten Auto losfährt, als wäre er bei einer Rallye. Auch die Art, wie die drei Männer gemeinsam auf der Vorderbank sitzen, hat wenig vom Anschein eines Gefangenentransports. Das gilt auch für den weiteren Verlauf, in dem der ruhige, sehr freundlich mit Georgis umgehende Michel Piccoli, zunehmend Streit mit den rauen, leicht proletenhaften Mario Adorf bekommt, dessen rücksichtslos gefahrenes Auto prompt in einem kleinen Dorf liegen bleibt. Während der „Manager“ sich mit einem LKW weiter transportieren lässt, um eine Reparatur zu organisieren, bleiben der Inspektor und Georgis allein zurück und beginnen sich, anzufreunden.
So scheint es zumindest, aber Fleischmann macht kein Geheimnis daraus, dass es sich bei den vielen seltsamen Vorfällen, um keine Zufälle handelt. Nur wird nie ganz deutlich, wer hier mit wem und auf welche Weise spielt, denn auch Georgis ist nicht der harmlose Mitläufer, als der er lange Zeit erscheint. Zwar stehen vor allem Michel Piccoli und Ugo Tognazzi im Mittelpunkt der sich zuspitzenden Handlung, während Mario Adorf die Rolle der unmittelbaren Bedrohung einnimmt, aber wirkliche Hauptperson ist der Polizeichef, vor dem nicht nur seine Untergebenen höllische Angst zu haben scheinen, sondern dem Peter Fleischmann zweimal ausführlich die Gelegenheit gibt, über die Macht im Staat und die Rolle der Polizei zu philosophieren.
Die Diktatur in Griechenland war 1975 beendet, aber Fleischmann wählte das bewusst nicht genannte Land nur als Hintergrund für eine generelle Abhandlung über die inneren Strukturen von Machtmissbrauch. Deshalb ist der deutsche Titel „Der dritte Grad“ - trotz seiner Anspielung auf eine spezielle Verhörmethode – unglücklich gewählt, während der italienische Originaltitel „La smagliatura“ (oder das französische Pendant „La faille“) viel genauer bezeichnet, um was es Fleischmann ging. Es sind die „Laufmaschen“ oder kleinen Fehler, die dank des menschlichen Faktors, auch in funktionierenden Systemen vorhanden bleiben, wie der Polizeichef ausführt. Die große Leistung der Polizeiarbeit liegt darin - wie er im Stil eines ambitionierten Künstlers verkündet - auch diese zu beseitigen.
"La smagliatura" Frankreich, Italien, Deutschland 1975, Regie: Peter Fleischmann, Drehbuch: Peter Fleischmann, Antonis Samarakis (Novelle), Darsteller : Ugo Tognazzi, Michel Piccoli, Mario Adorf, Adriana Asti, Dimos Starenios, Laufzeit : 102 Minuten
Inhalt: Giuliana (Monica Vitti) hatte vor einigen Wochen einen Unfall, der zwar nur geringe Folgen nach sich zog, ihr aber einen solchen Schock versetzte, dass sie vier Wochen im Krankenhaus bleiben musste und immer noch darunter leidet. Während ihr Mann Ugo, als verantwortlicher Leiter einer Fabrikanlage zusätzlich durch einen Streik der Belegschaft in Anspruch genommen, ihre Anfälle pragmatisch angeht, verhält sich Corrado Zeller (Richard Harris), ein Kollege ihres Mannes, deutlich sensibler.
Sofort begeistert von der schönen Frau, will er sie näher kennenlernen und begreift zunehmend ihren Zustand der inneren Zerrissenheit. Doch auch Corrado selbst leidet unter dem Zwang zur Anpassung und gerät in seinen Reaktionen ihr Gegenüber in Schwierigkeiten…
Drei Frauen und drei Männer räkeln sich in einem engen Raum auf einer Matratze. Blicke begegnen sich, ein Kleid wird geöffnet, Berührungen werden angedeutet. Das anzügliche Gespräch dreht sich um ein Aphrodisiakum und dessen Wirkung. Nachdem eine der Frauen es spontan zu sich genommen hat, verkündet sie laut, jetzt mit einem Mann schlafen zu wollen.
Diese zentrale Szene steht beispielhaft für das eigentliche Thema des Films - die menschlichen Emotionen. Das klingt widersprüchlich, da Michelangelo Antonioni im Ruf steht, der Form den Vorzug vor dem Inhalt zu geben. Seine grafischen, immer bis ins Detail gestalteten Bilder, strahlen eine Perfektion aus, die einen gegensätzlichen Eindruck vermitteln - innere Leere und Gefühlskälte. In "La notte", dem Mittelteil seiner zuvor entstandenen Trilogie, brachte er diese Optik zur Perfektion, aber schon in "L'eclisse", dem Schlußteil, spürte man das Brodeln unter der Oberfläche, dass sich in "Il deserto rosso" zum inneren Orkan verstärkte.
Antonioni verwendete erstmals Farbe in einem Film, um diesen Zustand auch optisch zu unterstreichen. Verbunden mit den Bildern von technischen Anlagen - womit er auf die Gestaltung seines Dokumentarfilms von 1949 "Sette canne, un vestito" zurückgreift - entsteht ein explosives Gemisch aus Lärm, Feuer und Rauch, dass noch durch eine Filmmusik betont wird, die fast ausschließlich aus Geräuschen besteht. Das Ergebnis des ungehinderten Absonderns industriellen Mülls ist eine zerstörte Umwelt, die sich in eine ölverseuchte, rötlich schimmernde Wüste verwandelt hat.
Das einzige Grün zeigt sich auf dem Mantel Giulianas (Monica Vitti), als sie mit ihrem Sohn an den Streikenden vorübergeht, die vor den Toren der Fabrikanlage stehen. Ihr Mann Ugo (Carlo Chionetti) ist leitender Ingenieur der Anlage, was sie nicht daran hindert, einen der Streikposten um dessen schon angebissenes Brot zu bitten. Ihr kleiner Sohn weigert sich, davon zu essen, aber sie beißt begierig hinein. Ihr grüner Mantel kann nicht verbergen, dass es in ihrem Inneren rot glüht.
Monica Vitti lässt diese Frau langsam vor dem Auge des Betrachters entstehen. Es beginnt mit einer Geschichte über einen Unfall, den sie vor einigen Wochen hatte. Dabei war es nur zu geringen Verletzungen gekommen, aber Giuliana hatte einen Schock erlitten, von dem sie sich nur langsam erholt. Immer wieder wird sie von Anfällen ergriffen, leidet unter Schlaflosigkeit und versucht krampfhaft, das Gefühl innerer Zerrissenheit in den Griff zu bekommen. Für einen Außenstehenden wirken diese Reaktionen, da der Unfall selbst kaum Folgen hatte, wenig nachvollziehbar - und Antonioni hatte dafür ausgerechnet Giulianas Ehemann Ugo auserkoren. Er wählte für diese Rolle einen Laien, um damit dessen fehlendes Einfühlungsvermögen noch zu betonen. Ugo bleibt entsprechend blass, argumentativ immer sachlich und verschwindet bald.
Ganz anders dagegen sein Kollege Corrado Zeller (Richard Harris), der sofort von Giuliana begeistert ist, und versucht, sie näher kennenzulernen. Dabei kommt es zu einer ersten Begegnung in ihrem neuen Ladengeschäft, dass sie schon angemietet hat, ohne zu wissen, was sie dort verkaufen will. Antonioni gestaltet diese Sequenz fast farblos - in einem Einheitsgrau, aus dem jedes Leben gewichen zu sein scheint. Als Giuliana Corrado erzählt, dass sie ihr Geschäft blau und grün anstreichen will, wird daraus ihr Wunsch nach Anpassung deutlich. Diese gedeckten Farben passen zu der farblosen Umgebung.
Corrado verfügt einerseits über genügend Sensibilität, um den inneren Zustand Giulianas zu begreifen, wirkt andererseits seltsam gehemmt. Auch wenn er gut ausdrücken kann, was ihn bewegt, ist seine Körpersprache gegenteilig. Dabei ist Richard Harris optisch der Prototyp eines starken, selbstbewussten Mannes, betont noch durch seine klaren Gesichtszüge und die akkurat gescheitelte Frisur. Trotzdem ist seine Haltung immer leicht gekrümmt und auch seinem Vorgehen gegenüber Giuliana fehlt die letzte Konsequenz. In seiner Figur zeigen sich ähnliche Unterdrückungsmechanismen beim Versuch, sich der gesellschaftlichen Norm anzupassen. Corrado gelingt dieses zwar besser als Giuliana, aber die Liebesszene, die irgendwann doch zwischen ihnen entsteht, ist in ihrer gequälten Verkrampftheit kaum zu ertragen, und letztlich ein deutliches Anzeichen für sein Versagen. Hätte er tatsächlich Giulianas inneren Zustand begriffen – und damit auch seinen eigenen – hätte es nicht dazu kommen dürfen.
"Il deserto rosso" deshalb als Studie einer depressiven Frau aufzufassen, ist viel zu kurz gedacht, denn Antonioni und sein Mitautor Tonino Guerra begreifen die gesamte Gesellschaft als depressiv. Tatsächlich ist Giulianas Reaktion noch am nächsten an ihrem inneren Empfinden, denn angesichts der Bilder, die Antonioni beispielhaft für den Zustand der menschlichen Sozialisation vor dem Auge des Betrachters ausbreitet, bekommt ihr Verhalten geradezu normale Züge. Doch Antonioni wäre nicht Antonioni, wenn er die Möglichkeit einer menschlichen Eruption in Erwägung gezogen hätte. Diese bleibt den Maschinen und Fabrikanlagen vorbehalten, während seine Protagonisten weiter den Weg der Anpassung gehen. Antonioni gelingen dabei grandiose Bilder, aber die Qualität des Films auf seine Form zu reduzieren, wäre ungenügend. Im Gegenteil sind diese Bilder, obwohl sie Fabrikanlagen und deren Auswirkungen zeigen, gleichzeitig von überwältigender Schönheit - eine Versinnbildlichung der Unterdrückung menschlicher Emotionen und Bedürfnisse.
In einer der schönsten Szenen des Films, vermittelt Antonioni für einen Augenblick eine Alternative. Giuliana erzählt ihrem krank im Bett liegenden Sohn das Märchen von einem Mädchen, dass ihre Tage immer allein in einer wunderschönen Bucht verbringt. Sie mag ihre Altersgenossen nicht, da diese sich schon wie Erwachsene benähmen. Eines Tages nähert sich ein geheimnisvolles, scheinbar leeres Boot der Bucht, dass in dem Moment wieder abdreht, als das Mädchen es fast schwimmend erreicht hätte. Äußerlich ist nichts geschehen, aber plötzlich erklingt eine Stimme, die eine seltsame Melodie in einer atonal klingenden Tonfolge singt (die einzige begleitende Melodie des gesamten Films). Das Mädchen versucht herauszubekommen, woher die Stimme kommt und entdeckt, dass die Felsen, die sie bisher nicht beachtete, menschliche Züge haben. Von dort kommt die immer angenehmer klingende Melodie. Als ihr Sohn Giuliana fragt, welcher Felsen denn gesungen hätte, antwortet sie "Alle!".
"Il deserto rosso" Italien 1964, Regie: Michelangelo Antonioni, Drehbuch: Michelangelo Antonioni, Tonino Guerra, Darsteller : Monica Vitti, Richard Harris, Carlo Chionetti, Xenia Valderi, Aldo Grotti, Laufzeit : 105 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Michelangelo Antonioni:
"Gente del Po" (1943)
"Superstizione" (1949)
"Sette canne, un vestito" (1949)
"Cronaca di un amore" (1950)
"I vinti" (1952)
"L'amore in città" (1953)
"Il grido" (1957)
"L'avventura" (1960)
"La notte" (1961)
"L'eclisse" (1962)
Inhalt: Als man sie für den Tod eines Häftlings verantwortlich machen will, nutzen Roberto (Enzo Pulcrano) und Italo (Gianni Diana) die Gunst der Stunde, überwältigen zwei Wärter und fliehen aus dem Gefängnis. Zwar können sie sich erfolgreich absetzen, aber als sie sich Waffen bei einem Kontaktmann Robertos besorgen, geraten sie erneut in Schwierigkeiten. Allerdings nicht ganz unverschuldet, denn ihre Idee gleich noch die Hochzeitsgesellschaft auszurauben, stößt schnell auf den überlegenen Widerstand der Leibwächter des Gangsterbosses, dessen Tochter gerade vermählt wurde.
Als diese sie fertig machen wollen, kommt ihnen überraschend eine andere Bande zu Hilfe, die sie aus der Gewalt der Gangster befreit. Auch das geschah nicht ganz uneigennützig, denn ihr Interesse gilt den beiden Ausbrechern, die für sie ein paar Jobs erledigen sollen. Als die Beiden, frisch ausstaffiert mit Anzügen und neuen Papieren, auf dem Weg zu ihrem Zielort sind, geraten sie in eine Polizeikontrolle...
Mario Bianchis Intentionen, mehr als 30 Jahre nach Entstehung des Films "La banda Vallanzasca", exakt zu beschreiben, bleibt Spekulation, aber es gibt genügend Anzeichen dafür, dass den sonst eher der leichten erotischen Kost zugewandten Regisseur, der später auch einige Hardcore-Pornos drehte, die realen Ereignisse in Italien, Mitte der 70er Jahre, ebenfalls nicht kalt ließen.
Ganz konkret spricht er in dem abschließenden Kommentar eines Polizisten die chaotischen, letztlich sogar die Demokratie gefährdenden, Verhältnisse in Italien an, provoziert durch eine ausufernde, unkontrollierbar werdende Kriminalität. Mit dieser Aussage adelte er eine Handlung, die zuvor in wüster Form einen kriminellen Akt an den anderen reihte, ohne das die Polizei jemals Herr der Lage wurde. Das es sich dabei nicht um einen bloßen Etikettenschwindel handelt, wird an weiteren Details deutlich, vor allem am Titel des Films.
Bei Renato Vallanzasca handelte es sich um einen Verbrecher, der in den 70er Jahren in Italien Berühmtheit erlangte. Schon sehr jung kriminell aufgefallen, erhielt er den Spitznamen "Der schöne René", wegen seines angenehmen Äußeren und seines Erfolgs bei Frauen. Tatsächlich nutzte er das gestohlene Geld vor allem für einen luxuriösen Lebensstil, was ihm Sympathien in der Bevölkerung einbrachte. Als knallharter Gangsterboss fiel er weniger auf, auch wenn er wegen mehrerer Morde, an denen er beteiligt gewesen sein soll, bis heute im Gefängnis sitzt. Deshalb klingt es vordergründig merkwürdig, dass Bianchi seinen Namen für einen Film nutzt, in dem Vallanzasca gar nicht vorkommt.
Sicherlich setzte er damit auch auf die damals vorhandene Popularität, aber dessen Name steht hier symbolisch für eine anonyme Eminenz, die im Hintergrund die Fäden zieht, während alle anderen Personen wie Schachfiguren handeln, auf die bei Bedarf verzichtet werden kann. Obwohl "La banda Vallanzasca" sonst geradlinig und wenig geheimnisvoll daher kommt, bleibt er in diesem Punkt verschwiegen, womit Bianchi die paranoide Atmosphäre noch betont. Wie ernst es ihm damit ist, wird auch an den für seine Verhältnisse sehr sparsam eingesetzten, zwei Soft - Erotik - Szenen deutlich, die in manchen Fassungen zurecht herausgeschnitten wurden. Vor allem das kopulierende Paar, dass sich ausgerechnet den Fluchtort der beiden entflohenen Häftlinge für sein Liebesspiel aussuchte, ist überflüssig. Robertos (Enzo Pulcrano) Wutanfall, als er sie bemerkt, ist nicht nur kontraproduktiv, sondern passt auch gar nicht zu seinem sonst souveränen Charakter.
Er war zuvor mit seinem Zellenkumpel Italo (Gianni Diana) aus dem Stadtgefängnis ausgebrochen, als die Wärter versuchten, ihnen einen Mord an einem Mithäftling zu unterschieben, der im Auftrag eines Gangsterbosses von gedungenen Tätern ermordet worden war. Bianchi legt in seinem Film ein eigenwilliges Tempo vor, indem er Szenen, in denen es vor Action nur so kracht, weshalb es an deren innerer Logik teilweise hapert, mit langen Passagen verbindet, in denen die Protagonisten ausführlich dabei gezeigt werden, wie sie Auto oder Bus fahren oder schlicht zu Fuß unterwegs sind. Diese sind von rhythmischer, aktueller Musik unterlegt, die dem Film eine dynamische Mischung aus Realität und Fiktion verleihen, in deren Mittelpunkt Roberto steht, der versucht seinen eigenen Weg zu gehen.
Letztlich erhält er von dem ominösen Bandenchef den Auftrag, eine Tochter aus gutem Hause zu entführen, um ein Lösegeld zu erpressen - eine Szenerie, die deutliche Parallelen zu dem ein Jahr zuvor erschienenen "La Orca" von Eriprando Visconti aufweist, ohne über dessen psychologisches Feingefühl zu verfügen. Bei Bianchi ist - wie der gesamte Film schon zuvor - alles grober - die zur Schau gestellte Nacktheit des Opfers, der geile, hässliche Kumpan, der sie immer belästigt (obwohl völlig unnachvollziehbar eine weibliche Kontaktperson sogar mit ihm ins Bett geht) und auch die oberflächlich bleibenden Sympathien zwischen der jungen Frau und Roberto, der sich zunehmend für sie einsetzt. Doch in der Grundaussage ähneln sie sich wieder. Wie in "La orca", werden die Entführer von den Hintermännern wochenlang hingehalten und erhalten keine Informationen über die Lösegeldübergabe.
"La banda Vallanzasca" verfügt in den einzelnen Actionszenen sicherlich über ein gewisses Trash - Potential, aber insgesamt vermittelt er eine überzeugende paranoide Atmosphäre. Hauptdarsteller Enzo Pulcrano kann Sympathien als Einzelkämpfer erwerben, der innerhalb einer kriminellen Gesellschaft noch über einen Rest von Moral verfügt. Und auch wenn der Film nicht völlig Bianchis sonstige Gepflogenheiten verleugnet, überrascht "La banda Vallanzasca" mit seiner konsequenten Sichtweise.
"La banda Vallanzasca" Italien 1977, Regie: Mario Bianchi, Drehbuch: Mario Bianchi, Darsteller : Enzo Pulcrano, Gianni Diana, Stefania D'Amario, Antonella Dogan, Franco Garofalo, Laufzeit : 95 Minuten