Inhalt: Einmal im Jahr begeben sich führende Politiker,
Industrielle, Bankiers und weitere Mitglieder der christlichen Partei an einem
abgeschiedenen Ort in Klausur - San Ignazio di Loyola, einem seit Jahrhunderten
bestehenden Orden, der schon lange als Quelle der spirituellen Erneuerung für
die herrschenden Kasten gilt. Diesmal haben sich besonders viele Mitglieder
angesagt, da Italien gleichzeitig von einer Epidemie heimgesucht wird, der
schon eine Vielzahl von Menschen zum Opfer fielen.Als Erster erscheint schon am
Vorabend der Klausur "M" (Gian Maria Volonté), der italienische
Präsident, der von dem Leiter des Ordens, Pater Don Gaetano (Marcello
Mastroianni) begrüsst wird.
Erste Unstimmigkeiten treten auf, als Voltrano (Ciccio
Ingrassia), die rechte Hand Don Gaetanos, mit einigen Politikern nicht am
selben Tisch sitzen will, weil er sie für Diebe und Betrüger hält. Nur von
"M" hat er eine hohe Meinung, weshalb er ihm am Abend noch
Fotografien als Beweise übergibt, ohne genau zu sagen wofür. "M"
nimmt diese Beweise entsprechend nicht ernst. Als am nächsten Tag alle
Würdenträger eingetroffen sind und die Klausur beginnt, erinnert Don Gaetano
daran, dass an diesem Ort Niemand mehr über Privilegien verfügt. Doch nicht
nur, dass bei der Morgenmesse die Kommunion ausfällt, weil Wein und Hostien
gestohlen wurden, sondern auch der Verzicht auf Nahrung und damit der Zwang zum
Fasten, fordert erste Proteste heraus..
Der 1976 entstandene Film "Todo modo" ist in
vielerlei Hinsicht Zentrum und Bindeglied einer langjährigen künstlerischen und
politischen Epoche, der einige der wichtigsten Protagonisten dieser Phase -
sowohl konkret in der künstlerischen Zusammenarbeit, als auch fiktiv im Film
selbst - miteinander verband. Er entstand in der Hochphase der so genannten
"Anni di piombo" ("bleierne Jahre"), Mitte der 70er Jahre
in Italien, als die terroristischen Akte zunahmen und Ministerpräsident Aldo
Moro den "historischen Kompromiss" anstrebte, eine Zusammenarbeit
zwischen der christdemokratischen Regierungspartei und der kommunistischen
Partei, um eine Übernahme des Landes durch radikale Kräfte zu verhindern.
Gemeinsam mit "Cadaveri eccellenti" (Die Macht und
ihr Preis, 1976) von Francesco Rosi und "Io ho paura" (Ich habe
Angst, 1977) von Damiano Damiani, bildet "Todo modo" eine Art
Dreigestirn der politischen Analyse dieser Phase. Obwohl die Regisseure nie zusammen
arbeiteten, sind die Parallelen in der Entstehung offensichtlich - Rosis Film
entstand ebenfalls nach einer Buchvorlage Leonardo Sciascias und Gian Maria
Volonté übernahm auch bei Damiani die Hauptrolle. Während "Io ho
paura" die Ereignisse aus der Sicht des Bürgers, am Beispiel eines
einfachen Polizisten, schildert, "Cadaveri eccellenti" die
Verstrickungen von Justiz und Politik erfahrbar werden lässt, konzentriert sich
Petri ausschließlich auf die Machthaber - führende Politiker, Industrielle,
Bankiers und Journalisten.
Doch nicht nur diese politische Phase spiegelt sich in
"Todo modo" wider, sondern auch eine Entwicklung im Schaffen Leonardo
Sciascias, gemeinsam mit Gian Maria Volontè. Beide hatten schon 1967 mit Elio
Petri "A ciascuno il suo" (Zwei Särge auf Bestellung) gedreht, der
sich mit den gesellschaftlichen Verflechtungen in Sciascias sizilianischer
Heimat beschäftigte. Trotz der lokalen Verwurzelung, betrachtete der Film das
Eindringen von Macht in private gesellschaftliche Strukturen als generelles
Problem. "Todo modo" ist entsprechend die konsequente
Weiterentwicklung dieser Thematik bis zur Spitze der italienischen Regierung,
aber durch die Ereignisse um Aldo Moro, der 1978 von den "Roten
Brigaden" ermordet wurde, erhielten viele der Anspielungen in Petris Film
eine zusätzliche Bedeutung. Unter diesem Gesichtspunkt ist ihre weitere
Zusammenarbeit 1986 beim Film "Il caso Moro" (Der Fall Moro) zu
verstehen, der unter Regisseur Guiseppe Ferrara entstand (Elio Petri war leider
schon 1982 verstorben). Sciascia schrieb das Buch und Volontè spielte wieder
Aldo Moro, den er in Gestik und Mimik unzweifelhaft schon in "Todo
modo" als "M" gegeben hatte.
Angesichts dieser Begleitumstände, stellt sich die Frage,
warum gerade „Todo modo“ heute so gut wie unbekannt ist, obwohl er direkt ins
Zentrum der Macht zielte. Vordergründig lag das sicherlich daran, dass der Film
nach der Ermordung Aldo Moros für Jahrzehnte von den Bildschirmen und
Kinoleinwänden verschwand. Zu sehr zielte der Film darauf, die Figur des
Ministerpräsidenten ins Lächerliche zu ziehen, zu konkret war das tödliche
Attentat, dem er am Ende erliegt (allerdings als Letzter von mehr als hundert
Opfern), zu nah kam der Film der These, dass die Hauptfeinde Moros im eigenen
Lager zu finden sind, als das der Film noch eine wertfreie Betrachtung erfahren
durfte. Doch der Versuch, entlarvende Filme einfach im Archiv verstauben zu
lassen, ist schon oft daran gescheitert, dass sich die Verbreitung eigene Wege
suchte. Da „Todo modo“ zwei Jahre vor Aldo Moros Entführung erschien, eine
denkbare Variante.
Dass es nicht dazu kam, liegt am eigentlichen Grund für
seine Unpopularität – „Todo modo“ vereinbart die unterschiedlichen Stile einer
Satire und eines typischen Giallo im Gewand eines Kammerspiels. Nur unmittelbar
zu Beginn und am Ende des Films findet die Handlung außerhalb der
unterirdischen, bunkerähnlichen Anlage statt, die zum Komplex des San Ignazio
di Loyola Ordens gehört. Der größte Teil des Films spielt in langen, schmalen
Gängen, kleinen, spartanisch eingerichteten Zimmern und den zwar großflächigen
Versammlungsräumen, die aber dank ihrer verhältnismäßig geringen Höhe einen
niederdrückenden Eindruck hinterlassen. Hier versammeln sich einmal jährlich
führende Vertreter der christdemokratischen Partei, einflussreiche
Industrielle, Bankiers und Journalisten, um unter der Hoheit der katholischen
Kirche in einer Art Selbstreinigung, Kraft für das kommende Jahr zu sammeln und
innere Strukturen zu pflegen - eine schon seit Jahrhunderten bestehende
Tradition der mächtigsten Personen des Landes. Und eine konkrete Anspielung auf
Geheimbünde und Logen.
Als „M“ (Gian Maria Volonté) als Erster am Vorabend der
dreitägigen Klausur eintritt, wird durch einen Lautsprecher vor einer Epidemie
gewarnt, der schon einige Menschen in Italien zum Opfer fielen. Dieses Szenario
deutet kurz auf ein übergeordnetes Drama hin, aber die Folgen der Epidemie
werden nur ein, zweimal von „M“ angesprochen, später gibt es auch den Verdacht,
dass von den Politikern ebenfalls welche der Krankheit zum Opfer gefallen
wären, aber wirklich von Bedeutung ist sie nicht. Viel mehr steht diese
Katastrophe beispielhaft für den Zustand eines Landes, um das man sich
verstärkt kümmern müsste. Stattdessen erschließt sich daraus erst die
Unfähigkeit der dafür Verantwortlichen, die sich hauptsächlich in
Machtspielchen, persönlichen Interessen und verletzten Eitelkeiten ergehen.
Diese werden vor allem dadurch hervorgerufen, weil sämtliche Teilnehmer der
Klausur ihre sonstigen Machtbefugnisse verlieren. Sie alle stehen unter der
Knute von Pater Don Gaetano (Marcello Mastroianni), der ihnen ihre Sünden
lautstark vorhält, sie zum Fasten zwingt, in dem er ihnen kein Essen mehr
serviert, und damit zunehmend Widerstand hervorruft.
Mastroianni verleiht dieser Rolle eine Ambivalenz in der
Kritik an den Mächtigen, die ihre Ironie daraus gewinnt, dass sie zwar die
Wahrheit klar ausspricht, aber letztlich nur eine Funktion erfüllt, der sich
die Teilnehmer an der Klausur freiwillig stellen. Zum Nachdenken zwingt seine
Kritik dann auch beinahe Niemand, denn die „Tage der Selbstfindung“ sind für
die meisten nur eine lästige Pflicht, der sie sich aussetzen, um ihre Kontakte
zu knüpfen und Machtinteressen durchzusetzen. Im Vergleich zu dem Großteil der
hier anwesenden Politikern und Industriellen, erscheint „M“ sympathisch, aber
er wird von Volonté als ängstlicher, zur Bigotterie neigender Schwächling
entworfen. Besonders im Zusammenspiel mit seiner Frau, die er heimlich in das
unterirdische Verlies schmuggeln ließ, gelingt Volonté die Studie eines Mannes,
der sich einerseits an seiner großen Aufgabe berauscht, andererseits von
inneren Zwängen beherrscht wird. Doch Petri und Sciascia belassen es nicht bei
einer satirischen Überhöhung von Politcharakteren, sondern beginnen langsam,
diese zu meucheln. Mit zunehmender Geschwindigkeit werden Leichen gefunden und
immer, wenn sich ein Verdacht zu erhärten scheint, wird der Verdächtige selbst
zum Opfer…
In dieser Konstellation wird die Situation des „historischen
Kompromiss“ erkennbar, der die konservativen Kräfte des Landes spaltete. Seit
den 90er Jahren steht fest, dass rechtsgerichtete Kreise die chaotischen
Zustände in Italien bewusst förderten, um die Kommunisten, die damals sehr
starke Unterstützung in der Bevölkerung erfuhren, zu diskreditieren. Dass Aldo
Moro ausgerechnet in dieser Situation auf die kommunistische Partei zuging, um
gemeinsam mit dieser an der Befriedung des Landes zu arbeiten, konnte bei
interessierten Kreisen seiner Partei nur für Missstimmung sorgen. „Todo modo“
schildert konkret diese Gegenbewegung in dessen eigener Partei, aber auch von
Seiten der Kommunisten blies dem Präsidenten der Wind ins Gesicht. Petri - wie
Volonté selbst Mitglied der Kommunistischen Partei - wird zitiert, dass die
Kommunisten den „historischen Kompromiss“ nach außen kritisierten, intern aber
Sympathien dafür hatten. Diese widersprechenden Gefühle zeigen sich in der
Gestaltung der Figur des „M“, dem zwar Sympathien entgegen gebracht werden, der
aber gleichzeitig lächerlich gemacht wird. Der bis heute nicht endgütig
aufgeklärte Mord an Aldo Moro, an dem auch der Geheimdienst mitgewirkt hatte
und der diversen Parteigenossen nicht ungelegen kam, erzeugte ein Umdenken bei
Sciascia und Volonté. Ihr 1986 entstandener, gemeinsamer Film „Il caso moro“
(Der Fall Moro), sollte sich Aldo Moro ernsthafter nähern und mehr dessen
private Seite betonen.
Diese realen Vorkommnisse verleihen dem Film eine gewisse
Tragik, weil er zwar bestehende Strukturen erkannte, diese aber für eine böse
Satire nutzte, ohne die ernsthafte Gefahr dahinter voraussehen zu können. Das
erschwert den Zugang zu einem Film, dessen Nähe zur damaligen Realität zudem
Vorkenntnisse vorauszusetzen scheint, und der in seiner konkreten Aussage
überholt wirkt. Dagegen können Damianis „Io ho paura“ und Rosis „Cadaveri
eccellenti“ mit ihren an Polizei – Thrillern angelegten Szenarien bis heute ein
größeres Publikum ansprechen, obwohl auch diese Filme direkt auf die damalige
Situation in Italien reagierten.
Doch diese Betrachtung wäre oberflächlich, denn prinzipiell
handelt es sich bei „Todo modo“ um das eigentliche Schlüsselwerk, das einen
generellen Blick auf eine Führungselite wirft, deren grundsätzliches Verhalten
sich bis in die Gegenwart nicht verändert hat. Angesichts der Bemühungen der
Berlusconi-Regierung um Gesetze, die vor allem eigene Verfehlungen vertuschen
sollen, während das Land unter der Finanzkrise leidet, wirkt der Vergleich mit
der tödlichen Epidemie keineswegs übertrieben, aber „Todo modo“ nur auf Italien
zu beschränken, wäre selbstgefällig und ignorant. Großartig gespielt, bis ins
Detail genau sezierend, ohne Anspruch auf politische Neutralität, aber dafür
eine makabre Lösung anbietend, die von der Wirklichkeit eingeholt wurde.
"Todo modo" Italien 1976, Regie: Elio Petri, Drehbuch: Elio Petri, Leonardo Sciascia (Roman), Darsteller : Gian Maria Volonté, Marcello Mastroianni, Michel Piccoli, Ciccio Ingrassia, Mariangela Melato, Laufzeit : 123 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Elio Petri:
"La decima vittima" (1965)
2 Kommentare:
Sehr interessantes Review! Ich kenne ja deine Reviews auch aus oder ofdb, und bin erstaunt von den profunden Hintergrundkenntnissen.
Der historische Hintergrund, den du hier betonst, verschafft dem Film eine zusätzliche Ebene.
Wollte ja selbst "Todo Modo" rezensieren, hätte mich aber wahrscheinlich hauptsächlich auf die Unterschiede zwischen Vorlage und Film bezogen.
Wie recherchierst du eigentlich, was z.B. Italiens Politik der 70er angeht? (Ich nehme an, da reicht wikipedia bei weitem nicht aus;))
Kennst du empfehlenswerte Quellen?
Viele Grüße
Sven Safarow
(ofdb-Name: Der Halunke)
Hallo Sven,
dass ich einen Blog über italienische Filme mache (und nicht etwa über französische, die ich auch sehr schätze), hat zwei eher pragmatische Gründe. Zum Einen habe ich Italien schon in den 70er Jahren als junger Erwachsener kennengelernt, viele der Filme damals aktuell gesehen und mich schon zu dieser Zeit mit den politischen Hintergründen beschäftigt, die ja durchaus Ähnlichkeiten zu den Ereignissen in Deutschland aufwiesen. Dieser, wenn man so will authentische Hintergrund, macht es mir wesentlich leichter, Informationen anzureichern. Der andere noch wichtiger Grund liegt darin, dass ich Italienisch gelernt habe und meine Informationen vor allem aus dem italienischen Internet habe, dass über eine Vielzahl informativer Seiten verfügt.
Gruß Udo
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