Während man ihn dort warten lässt, wird er zwar zunehmend nervös, scheint aber nicht zu wissen, was die Polizei von ihm will. Bis Commissario Palumbo (Salvo Randone) ihn zu sich ruft, ohne aber sofort konkret zu werden. Stattdessen bittet er Martelli dessen frühere Freundin Adalgisa De Matteis (Micheline Presle) anzurufen, von deren Tod er auf diese Weise erfährt. Er reagiert schockiert, doch Palumbo glaubt ihm nicht, sondern hält ihn für den Mörder...
Möglicherweise veranlasste der damals sehr populäre Hauptdarsteller Marcello Mastroianni den deutschen Verleih zu dieser Vorgehensweise, um von Beginn an die Option aufrecht zu erhalten, dass es sich bei ihm nicht um den Mörder seiner ehemaligen Geliebten Adalgisa De Matteis (Micheline Presle) handeln könnte. Die Polizei ist dagegen ganz anderer Meinung, als sie ihn am frühen Morgen aus seiner römischen Stadtwohnung abholt, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt nur den Anschein erweckt, ihn als Zeugen hören zu wollen. Alfredo Martelli (Marcello Mastroianni) war gerade erst nach Hause gekommen, hatte seinen Wagen abgegeben und sich ein Bad eingelassen. Das Ambiente seiner Wohnung, von der aus er einen wunderbaren Blick über Rom hat, und das Auftreten des wohlhabenden Kunsthändlers, zeichnen das Bild eines erfolgreichen, selbstbewussten Lebemannes.
Elio Petri war wie viele andere italienische Regisseure seiner Zeit ein Kind des "Neorealismus". Er hatte in den 50er Jahren mit Guiseppe De Santis zusammen gearbeitet, der 1949 mit "Riso amaro" (Bitterer Reis) eines der Hauptwerke dieser Phase schuf, und verfügte dadurch über einen ähnlichen Lebenslauf wie etwa Francesco Rosi oder Damiano Damiani, die wie er später für ihre gesellschaftskritischen Werke bekannt wurden - letztlich nichts anderes als die Fortführung des "Neorealismus" mit anderen stilistischen Mitteln. Gerade der Vergleich mit Damiano Damiani drängt sich auf, denn "L'Assassino" ähnelt in einigen Details verblüffend Damianis ein Jahr zuvor entstandenem Erstling "Il Rossetto" (Unschuld im Kreuzverhör) und ist doch grundverschieden.
In beiden Filmen steht ein Mord im Mittelpunkt, den man nicht zu sehen bekommt. An einer Aufklärung dieses Falls sind beide Regisseure letztlich nicht interessiert, weshalb es sich trotz des reißerischen Aufhängers nicht um Kriminalfilme handelt, auch wenn die Polizeiarbeit einen großen Teil des Geschehens einnimmt. Die sehr detailliert geschilderte Vorgehensweise der Polizei lässt an der jeweils kritischen Haltung gegenüber dem Missbrauch von Macht keinen Zweifel. In "L'assassino" ist das zu Beginn freundliche Auftreten der Polizisten nur ein Trick, um Alfredo Martelli - von dessen Schuld sie überzeugt sind - zu überführen. Diese Vorgehensweise scheint zu funktionieren, denn Martelli wird zunehmend nervös, verstrickt sich in Widersprüche und gesteht letztlich nach stundenlangem Verhör den Mord. Auch in "Il Rossetto" wird auf diese Weise ein Verdächtiger behandelt bis er einen Selbstmordversuch begeht.
Selbst wenn die Rahmenhandlung durch die Polizeiarbeit bestimmt wird, gilt das eigentliche Interesse der Regisseure ihren jewiligen Protagonisten. Anders als unmittelbar nach dem Krieg, als sich der italienische Film mit der Armut und Desorientierung der Gesellschaft befasste, war inzwischen zumindest in den Großstädten eine neue bürgerliche Klasse entstanden, die auf der Basis eines gewissen Wohlstands nicht mehr ums Überleben kämpfen musste. Die Schilderung des archaischen Kampfes der 40er und frühen 50er Jahre hatte allerdings den psychologischen Vorteil, inmitten des schlimmsten Unglücks noch an eine zukünftige positive Entwicklung zu glauben, die nicht zuletzt auch politisch gefärbt war, aber die Gegenwart der frühen 60er Jahre hatte Viele demoralisiert, besonders überzeugte Linke wie Elio Petri, weshalb die Bestandsaufnahmen der italienischen Gegenwart deutlich pessimistischer ausfielen.
An diesem Punkt entfernen sich Damiani und Petri voneinander. Während Damianis Kritik in "Il Rossetto" mehr den Methoden der Polizei gilt, legt Petri sein inhaltliches Gewicht stärker auf die Entlarvung des Alfredo Martelli als Prototyp eines modernen Menschen, dessen Leben und besonders die Beziehung zu Agnes der Film in Rückblenden erzählt. Immer deutlicher zeichnet sich dessen Verantwortungslosigkeit, Egoismus und eine sich hinter der selbstbewussten Fassade verbergende Kleinmütigkeit ab, die es für den Betrachter unwichtig werden lässt, ob er tatsächlich der Mörder ist oder nicht.
Anders als Damiani bleibt Petri in seiner Kritik unterschwelliger, womit er schon in seinem ersten Film auf sein zukünftiges Werk hinweist. "L'Assassino" ist ein abwechslungsreich gestalteter Film, der die Liebesgeschichte zwischen einer Frau mittleren Alters und einem jüngeren Lebemann zu einer genauen Schilderung der italienischen Gegenwart nutzt. Petri verzichtet dabei auf plakative Elemente und bleibt auch in dramatischen Momenten angemessen, weshalb der Film über eine gewisse Leichtigkeit verfügt, die aber nicht übersehen lässt, dass Petris Haltung sehr pessimistisch ist - er gesteht seinen Protagonisten nicht mehr zu, dazu zu lernen und sich zu verändern. In dieser Hinsicht sind auch Parallelen zu Antonionis gleichzeitig entstandener Trilogie "L'avventura", "La notte" und "L'eclisse" was festzustellen, was nicht überrascht, denn mit Tonino Guerra war der selbe Drehbuchautor an der Storyentwicklung beteiligt.
"L'assassino" Italien 1961, Regie: Elio Petri, Drehbuch: Elio Petri, Tonino Guerra, Darsteller : Marcello Mastroianni, Micheline Preslet, Christiani Gaioni, Salvo Randone, Marco Mariani, Laufzeit : 105 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Elio Petri:
"I giorni contati" (1962)
"La decima vittima" (1965)
1 Kommentar:
Gratulation zu diesem Blog, sehr sehr schöne Angelegenheit.
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