Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Dienstag, 7. Mai 2013

La voglia matta (Lockende Unschuld) 1962 Luciano Salce


Inhalt: Mitten während einer Aufführung von „Julius Cäsar“ beschließt Antonio Berlinghieri (Ugo Tognazzi) aufzubrechen, weil es für ihn an der Zeit dazu wäre. Das Ende sei bekannt, teilt er unmissverständlich seiner weiblichen Begleitung und einem befreundeten Paar mit, von denen er selbstverständlich erwartet, dass sie seine Entscheidung akzeptieren. Für den kommenden Tag hat der erfolgreiche Geschäftsmann schon feste Vorstellungen. Früh wird er aufbrechen, um seinen 9jährigen Sohn zwischen 15 und 16 Uhr in dessen Internat zu besuchen – der indianische Federschmuck, den er ihm mitbringen soll, liegt schon bereit – denn abends will er wieder zurück sein.

Wie geplant bricht er mit seinem sportlichen Cabriolet auf, damit aber nur ein gemäßigtes Tempo einschlagend. Als er den Reifendruck prüfen will, fahren zwei ältere Autos voller junger Leute nah an ihn heran, um ihn zu ärgern. Als er sich noch über die heutige Jugend aufregt, sieht er einen der Wagen auf der Straße stehen, kurz bevor ihn ein Mädchen (Catherine Spaak) zum Bremsen zwingt. Francesca bittet ihn, ihnen zu helfen, was er großzügig erledigt. Er lässt ein wenig seines Benzins in einen Kanister ab, damit sie zur nächsten Tankstelle gelangen können. Dort trifft er sie wieder und erkennt schnell, dass sie den Tankwart um seine Rechnung prellen wollen. Als er diesem zu Hilfe kommen will und den letzten Flüchtigen stoppt, markiert dieser eine Ohnmacht. Berlinghieri übernimmt schuldbewusst die Rechnung und transportiert den jungen Mann zu dem Strandhaus, in dem die Gruppe gemeinsam wohnt und feiert. Dort hüpft dieser fröhlich aus dem Auto und springt ins Meer. Jetzt ist Berlinghieri ernsthaft sauer und will nur noch weg, doch er hat sein Auto in der Wut zu tief in den Sand gefahren und kommt allein nicht mehr heraus…


Regisseur Luciano Salce blieb sein Leben lang auch Schauspieler, nachdem er erstmals 1946 in "Un americano in vacanza" von Luigi Zampa aufgetreten war. Aus dieser Phase kurz nach dem 2.Weltkrieg stammen seine Kontakte, die ihn später auch zu einem engagierten Vertreter des Episodenfilms (unter anderen "Oggi, domani, dopodomani" (1965)) werden ließen. Nach einer kurzen Regie -Tätigkeit Anfang der 50er Jahre, arbeitete er zunächst am Theater in Venedig und spielte hauptsächlich in Filmen unter der Regie von Steno, darunter in "Totò nella luna" (1958) gemeinsam mit Ugo Tognazzi. Tognazzi und Drehbuchautor Franco Castellano, mit denen er  auch zusammen in Mario Mattolis "Tipi da spiaggia" (1959) agierte, wurden die wichtigsten Begleiter seines endgültigen Einstiegs als Filmregisseur. "Il federale" (Zwei in einem Stiefel, 1961) wurde ihr erstes Gemeinschaftsprojekt unter seiner Regie, dem "La voglia matta" (Lockende Unschuld) und "Le ore dell'amore" (Stunden der Liebe, 1963) folgen sollten.

Neben der "Commedia all'italiana" war es besonders der gesellschaftliche Wandel in der Sexualität der 50er Jahre, der seine frühen Filme beeinflusste, der auch zum gemeinsamen Episodenfilm mit Mario Monicelli, Elio Petri und Franco Rossi,"Alta infedeltà" (Ehen zu Dritt, 1964), führte. Ausgehend von Alberto Lattuadas seit den frühen 50er Jahren vertretenen Haltung ("La spiaggia" (Der Skandal, 1954)), galt die moralische Liberalisierung unter linksgerichteten Filmschaffenden als anti-bürgerlich und damit als Kritik an den bestehenden Verhältnissen. So war es folgerichtig, dass Luciano Salce für die Hauptrolle einer blutjungen Verführerin Catherine Spaak engagierte, die diese Rolle - auch unter dem Namen "Francesca" - schon in Lattuadas "I dolci inganni" (Süße Begierde, 1960), damals noch als 15jährige, verkörperte.

Beide Filme erzählen zwar prinzipiell verschiedene Storys - Salces Film basiert auf Enrico la Stellas Roman "Una ragazza di nome Francesca" (Ein Mädchen namens Francesca) - aber hinsichtlich des sexuellen Subtextes wirkt "La voglia matta" wie eine Steigerung zu Lattuadas Film. Spielte Catherine Spaak dort eine 17jährige aus gutem Hause, die ihre Sexualität erst entdeckt, ist die Francesca in Salces Film noch keine 16, aber in der Kunst der Verführung schon sehr bewandert und sexuell offensiv. Zudem agiert sie aus einer Gruppe von gleich gesinnten Jugendlichen heraus, die zusammen ein paar Tage am Meer verbringen, während sich Lattuadas Francesca der lärmend fröhlichen Gruppendynamik entzog. In ihrer - die damalige Gesellschaft provozierenden - Handlungsweise ähneln sich die beiden jungen Frauen, denn sie sind nicht bereit, sich den gesellschaftlichen Regeln zu beugen, die verlangten, sich unterzuordnen und zu binden. Daran, dass die deutsche Kinofassung um mehr als 10 Minuten gekürzt wurde, wird erkennbar, wie sehr dieses Verhaltensweise den damaligen Normen widersprach.

Doch im Gegensatz zu Lattuada in "I dolci inganni", der ernsthaft eine Liebesgeschichte mit einem kultivierten Architekten beschreibt, dessen nach einer gemeinsamen Nacht geäußerter Wunsch, sie zu heiraten, Francesca zurückweist - dabei offen lassend wie sich ihre Beziehung weiter entwickelt - geht Salces komödiantisch angelegter Film deutlich weiter und versteht sich als Konfrontation zwischen der ersten Nachkriegsgeneration Italiens, die ohne Sorgen in Friedenszeiten aufwachsen konnte, und der letzten vom Faschismus geprägten Generation, die das Land nach dem Krieg mit aufbaute. In der Gestaltung des Vertreters dieser Generation, einem Mann um die 40, werden die Parallelen zu Dino Risis im selben Jahr entstandenen Film "Il sorpasso" (Verliebt in scharfe Kurven) offensichtlich.

Es ist kein Zufall, das zwei der führenden Darsteller dieser Generation - Vittorio Gassman und Ugo Tognazzi - jeweils den Prototyp eines Mannes mittleren Alters spielten, wie er heute noch Gültigkeit besitzt. Getrennt von der Ehefrau (eine Scheidung war in Italien 1962 noch nicht möglich), kaum Kontakt zum eigenen Kind, fest davon überzeugt, es zu etwas gebracht zu haben, aber nicht bereit, das eigene Altern anzuerkennen. Gassman und Tognazzi, die ein Jahr später gemeinsam unter Risi in "I mostri" (Die Monster, 1963) die gesamte Palette an zeitgenössischen Männertypen spielen sollten, legten ihre Rollen im Detail unterschiedlich an. Gassmans Erfolgsattitüde in "Il sorpasso" war aufgesetzt und wurde von ihm mit einem verwegenen Fahrstil und ständigen Angebereien überspielt, Tognazzi verkörpert in "La voglia matta" einen tatsächlich erfolgreichen Geschäftsmann, der daraus einen selbstverständlichen Anspruch auf die eigene Überlegenheit ableitet.

Antonio Berlinghieri (Ugo Tognazzi) ist keine außergewöhnliche Persönlichkeit, sondern ein Durchschnittstyp, der wie viele Männer seiner Generation glaubt, sein Leben im Griff zu haben. Wenn er zu Beginn seiner römischen Geliebten deutlich zu verstehen gibt, ihren Arm wieder von seinen Schultern zu nehmen, da sie gesehen werden könnten, daraufhin sie und ein befreundeten Paar dazu veranlasst, das Theaterstück "Julius Cäsar" früher zu verlassen, da ihm das Ende schon bekannt wäre, und er dem anderen Mann Lob zollt hinsichtlich seiner attraktiven Freundin, ihn gleichzeitig aber davor warnt, sie zu heiraten, handelt er ganz aus einer tiefen inneren Überzeugung. So wie er den folgenden Tag schon organisiert hat – nach wie immer vier Stunden Schlaf wird er früh zum Internat seines 9jährigen Sohnes fahren, für den er eine Stunde Zeit eingeplant hat, um am selben Tag trotz seiner gemäßigten Fahrweise wieder in sein Haus zurück zu kommen.

Normalerweise ließe sich ein solcher Typ kaum von einer Gruppe junger Leute aus der Ruhe bringen, aber Francesca (Catherine Spaak) ist er nicht gewachsen. Das sie sehr hübsch ist, erkennt der von sich überzeugte Frauenheld sofort, aber das beeindruckt ihn nicht besonders, weshalb er zuerst nur genervt reagiert, als sie erst seinen Weg blockiert, um dann eine Tankfüllung und Getränke zu schnorren. Einer der jungen Männer täuscht eine leichte Ohnmacht vor, weshalb er ihn mit seinem Cabriolet zum Strand transportiert, wo er dann fröhlich aus dem Auto springt, um in die Fluten zu tauchen. Zu diesem Zeitpunkt will Berlinghieri noch weg, weshalb er sich auf den Handel einlässt, der Gruppe Whiskey zu kaufen, damit sie ihm helfen, seinen Wagen aus dem Sand zu schieben. Doch er hat nicht damit gerechnet, dass Francesca und Piero (Gianni Garko in einer seiner ersten Rollen, bevor er später zu einem wichtigen Protagonisten im Italo-Western-Genre wurde) sich auf der Rückbank seines Fahrzeugs versteckt hielten, um zu garantieren, dass er sich auch an ihre Abmachung hält.

Spätestens ab diesem Moment hat Berlinghieri die Kontrolle über das Geschehen verloren, ohne das es ihm bewusst ist. Normalerweise wäre es ein Leichtes für ihn, Francesca und Piero einfach aus dem Wagen zu schmeißen, aber er ist es nicht gewohnt, dass Menschen sich so frei ausleben und er will ihre Sympathie nicht verlieren, für die er sich sonst wenig interessiert - nicht einmal bei seinem Sohn wie der Film in einer erschütternd unemotionalen Szene zuvor zeigt. Die Gruppe junger Leute beeinflusst ihn mit einem genauen Gespür für seine Bedürfnisse und Schwächen, ohne ihn mehr zu verärgern, als es seine Grenzen zulassen. Zunehmend wird deutlich, dass Berlinghieris selbstbewusste Attitüde nicht echt ist und er sich nach Liebe und Zuneigung sehnt, die er in der jugendlichen, ihre Sexualität frei auslebenden Francesca zu erkennen glaubt.

Die Intelligenz der Inszenierung zeigt sich darin, dass "La voglia matta" (wörtlich "Die verrückte Begierde") keine Seite einseitig bevorzugt. Es handelt sich nicht einfach um die Demaskierung eines bürgerlichen Prototyps zu einer lächerlichen Figur, sondern Tognazzis differenziertes Spiel lässt auch die Tragik dahinter sichtbar werden. Das Trauma des Krieges ist Berlinghieri nach wie vor gegenwärtig - mehrfach sieht er im Schlaf einen englischen Soldaten vor sich - und die Gefühle, die er für Francesca entwickelt, sind, so verrückt sie sein mögen, echt empfunden, während er den Besuch seines Sohns vergessen hat. Die jungen Leute dagegen spielen nur mit ihren Emotionen und Meinungen, nehmen ständig wechselnde Rollen ein und wollen sich nicht festlegen. Mussolini scheinen sie nicht mehr zu kennen und eine Schallplatte mit einer Rede Adolf Hitlers läuft als Unterhaltungsmusik.

Einzig ihr Spaß steht im Vordergrund, der zuerst auch Francesca antreibt. Doch ihre Figur ist differenzierter, denn während ihre Freunde den älteren Mann eher skeptisch betrachten und nach der anfänglichen Schnorrerei gerne wieder losgeworden wären, sorgt sie dafür, dass er bei ihnen bleibt. Umso ernsthafter er seine Gefühle formuliert, desto wilder treibt sie ihr Spiel mit ihm, verführt ihn offensiv, um ihn im nächsten Moment bloß zu stellen. In ihrer Konfrontation findet der eigentliche Generationskonflikt statt, zeigt Salce die gegenseitige Anziehungskraft und gleichzeitige Ablehnung.

Weder will "La voglia matta" bewerten, noch zwischen den Generationen vermitteln, aber er lässt deutlich werden, dass beide Seiten nur Rollen spielen, die ihre echten Bedürfnisse nicht widerspiegeln. In der Schlüsselszene des Films tanzen die Paare eng umschlungen zu dem melancholischen Lied "Non esiste l'amor" ("Liebe existiert nicht" - erstmals mit einer von Ennio Morricone zusammengestellten und teilweise komponierten Filmmusik). Einen Moment lang kehrt Ruhe ein, lassen sich echte Emotionen in den Gesichtern lesen, werden Gemeinsamkeiten auch zu Berlinghieri spürbar. Bis Jemand die Situation empfindlich stört und wieder zum allgemeinen Gelächter überleitet - der Generationskonflikt geht weiter.

"La voglia matta" Italien 1962, Regie: Luciano Salce, Drehbuch: Franco Castellano, Luciano Salce, Enrico La Stella (Roman), Darsteller : Ugo Tognazzi, Catherine Spaak, Gianni Garko, Fabrizio Capucci, Franco Giacobini, Laufzeit : 105 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Luciano Salce:

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.