Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Samstag, 24. Januar 2015

La donna di notte (Käufliche Nächte) 1962 Mino Loy

CanCan in Paris
Inhalt: Die Passagiere werden aufgefordert sich anzuschnallen, denn das Flugzeug startet zu einer Weltreise zu den Metropolen des Nachtlebens mit ihren Night-Clubs und Varietè-Künstlern. Überall auf der Welt suchen die Menschen abends und nachts nach Ablenkung und die Kamera ist immer mit dabei.

Ob auf der Zuschauertribüne am Place Pigalle, im schummrigen Kellerraum auf der Reeperbahn oder vor der monumentalen Tanzfläche in Tokio – die Kamera sitzt immer in der ersten Reihe und fängt nicht zuletzt die Erotik der Darbietungen ein…


Spanischer Gesang...
Der im März 1962 in die italienischen Kinos gekommene "Mondo Cane" zog dank seines großen Erfolgs eine Vielzahl an Filmen nach sich, die für sich beanspruchten, menschliche Verhaltensmuster weltweit zu dokumentieren. Zwar handelte es sich bei "Mondo Cane" nicht um den ersten "Mondo"-Film - schon 1959 erschien "Il mondo di notte" (Die Welt bei Nacht) - aber dessen Gegenüberstellung westlicher Kultur mit den als exotisch empfundenen asiatischen und afrikanischen Lebensweisen traf den Nerv einer Zeit, in der die Menschen nach der Wiederaufbauzeit der 50er Jahre langsam begannen, über den Tellerrand der eigenen Grenzen hinauszusehen. Begleitet wurde diese Neugier von Vorurteilen und Ressentiments - ganz bewusst setzten die Macher auf schockierende oder ekelerregende Details - auch wenn in "Mondo cane" noch versucht wurde, ein Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Kulturen herzustellen.

...und japanische Massenszenen
Setzte der berühmte Initiator der "Mondo"-Welle noch auf ein breit gefächertes Spektrum, konzentrierten sich viele der Nachfolger nur noch auf ein tabuisiertes Thema - Sex. Unter dem Deckmantel einer weltumfassenden Dokumentation ließen sich nackte Haut und eindeutige sexuelle Handlungen leichter an den Tugendwächtern vorbei auf die Leinwand bringen und konnten sich des Interesses eines vorwiegend männlich geprägten Publikums sicher sein. Das galt auch für "La donna di notte" (Käufliche Nächte) und dessen unmittelbaren Vorläufer "Mondo sexy di notte" (1962), die Regisseur Mino Loy beide aus Aufnahmen zusammenstellte, die das Nachtleben an unterschiedlichen Orten der Welt dokumentieren sollten.

Leicht geschürzte Zauberin auf der Reeperbahn
Es ist nicht zu spekulativ, zu behaupten, dass „La donna di notte“ ohne den großen Erfolg von „Mondo cane“ nie auf die Kinoleinwand gekommen wäre, denn die häufig willkürliche Zusammenstellung der Kurzfilme lässt den Eindruck eines Schnellschusses zu. Das Loy zur Verfügung stehende Material war vor „Mondo cane“ gedreht worden und gehörte offensichtlich zu einem Fundus, aus dem sich zuvor schon ähnlich konzipierte Filme wie "Mondo caldo di notte" (Sex im Neonlicht, 1961) bedient hatten. Größtenteils handelt es sich um Mitschnitte von Varieté-, Musik-, Nachtclub- und Tanzaufführungen, bei denen knapp geschürzte Damen auftraten. Das schon etwas zurückliegende Herstellungsdatum der meisten Filme wird an den wenigen Striptease-Nummern deutlich, die zurückhaltender blieben als in vergleichbaren Filmen dieser Zeit.

Damenbegleitung in Hongkong
Interessanter sind die dokumentarischen Aufnahmen landesspezifischer Feier-Gewohnheiten, auch wenn sie mit dem Thema „Die Frau der Nacht“ wenig zu tun haben. Ob der Rohrpost-Kontaktpalast in Berlin/West oder die Silvesterfeier in Hongkong – sie geben heute noch aussagekräftige Einblicke in damalige Verhaltensweisen. Warum aber auch folkloristische Aufnahmen afrikanischer Stammesrituale oder zwei kämpfende Thai-Boxer integriert wurden – jeweils bei strahlendem Sonnenschein aufgenommen – bleibt das Geheimnis des Regisseurs. Vielleicht sollten damit auch die Exotik-Bedürfnisse des Publikums befriedigt werden, die die sonst fast ausschließlich aus den USA, England, Frankreich, Deutschland und Japan stammenden Aufnahmen bürgerlicher Nachtleben-Gewohnheiten nicht erfüllen konnten. Denn trotz der erzählerischen Klammer mit einer Flugreise um die Welt, erweist sich der „Mondo“-Anspruch bei genauerer Betrachtung als Etikettenschwindel.

Us-amerikanische Folklore
Für Regisseur Mino Loy, der sich Anfang 1962 noch Mussolini ("Benito Mussolini: anatomia di un dittatore") gewidmet hatte, wurden seine zwei schnellen "Mondo cane" – Epigonen zum Startschuss für zahlreiche Nachfolger. Allein 1963 kamen mit „Supersexy ‘64“ (Lockende Nächte), „Sexy magico“, ,Notti e donne proibite“ und „90 notti in giro per il mondo“ vier weitere Dokumentarfilme zur einschlägigen Sex-Thematik unter seiner Ägide in die Kinos, die heute alle nahezu unbekannt sind, den damaligen Hype aber widerspiegeln, den die „Mondo“-Filme im Kino auslösten. Dank ihrer Tabubrüche bereiteten sie den Weg weiter in Richtung Erotik- und Horror-Film, dessen genetische Linie sich auch in der Person Mino Loy manifestiert. Nachdem er 1971 seinen letzten Film - nicht zufällig ein „Mondo“ - als Regisseur verantwortet hatte („Questo sporco mondo meraviglioso“ (Mondo Perverso - Diese wundervolle und kaputte Welt, 1971)), konzentrierte er sich ausschließlich auf die Produktion von Filmen, darunter neben weiteren Umberto Lenzi-Werken auch dessen Kannibalismus-Beiträge „Mangiati vivi“ (Lebendig gefressen, 1981) und „Cannibal Ferox“ (Die Rache der Kannibalen, 1981).


Die deutschsprachige Version

Mehr als das italienische Original, dessen altmodische Attitüde Anfang der 60er Jahre kaum noch provozieren konnte, erlaubt die deutschsprachige Version einen Einblick in die damalige Geisteshaltung, mit der die „Mondo“-Filme vom Publikum aufgenommen wurden. Leider lag mir die italienische Tonspur zum Vergleich nicht vor, aber im frühen „Mondo“-Film waren wenige zurückhaltende Kommentare aus dem Off üblich. Der deutsche Verleih wählte den gegenteiligen Weg, um die Angelegenheit mehr in Richtung „Sündenpfuhl“ aufzupeppen. Der gänzlich unpassende Titel „Käufliche Nächte“ sollte eine Nähe zur Bordell-Szene assoziieren, die im Film nicht vorkommt. An Bord der fiktiven Weltreise befanden sich fünf Kabarettisten, darunter Klaus Havenstein von der „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“, die im prägnanten landestypischen Berliner, Wiener, bayerischen und sächsischen Idiom einen Kalauer nach dem anderen raushauten, mit dem sie das Geschehen begleiteten.

Der Straßenstrich fand nur auf der Bühne statt
Dass sie damit den Szene an Szene aneinanderreihenden, betulich geschnittenen Film unterhaltsamer servieren wollten, ist verständlich, aber die ständigen sexuellen Anspielungen angesichts der größtenteils weiblichen Show-Künstler, mit denen die Herren – nur wenig gestört durch die einzige weibliche wienerische Stimme – ihre jeweiligen Vorlieben oder Fantasien zum Besten gaben, lassen die tatsächliche Intention hinter dem dokumentarischen Gestus erkennen. Doch damit nicht genug – deutschtümelnde Weisheiten durften natürlich auch nicht fehlen. Nach der kurzen Begeisterung für eine hübsche Asiatin, sehnte sich der Berliner sofort nach der hausgemachten Curry-Wurst zurück, um sich wieder ganz heimisch fühlen zu können.

Deutsche Folklore
Wie ernst diese im Stil einer Alt-Herren-Clique (mit einzelner Dame) vorgetragenen Kommentare gemeint waren, lässt sich leider nicht mehr feststellen. Havenstein und seine Kollegen pflegten zu dieser Zeit ein kritisches politisches Kabarett, das dem Bürger ironisch aufs Maul schaute. Gut vorstellbar, dass sie ihre Sprüche als satirische Anspielungen auf eine allgemeine Haltung verstanden, der die „Mondo“-Filme ihre Popularität verdankten. Erkennbar wird dieser Wille nicht mehr, da die Texte keineswegs übertrieben oder zugespitzt wirken, sondern eine Realität widerspiegelten, an der sich bis heute wenig geändert hat.

"La donna di notte" Italien 1962, Regie: Mino Loy (zusammengestellt), Drehbuch: Mino LoyDarsteller : Klaus Havenstein und andere (deutsche Sprecher aus dem Off), Laufzeit : 93 Minuten

Lief als "Trüber Überraschungsfilm" am dritten Tag des 14. Hofbauer-Kongress' vom 02. bis 06.01.2015 in Nürnberg.

Donnerstag, 15. Januar 2015

Il momento della verità (Augenblick der Wahrheit) 1965 Francesco Rosi

Auf der Suche nach der Wahrheit

ein Nachruf auf Francesco Rosi, gestorben am 10.01.2015




Inhalt: Miguel (Miguel Romero) entscheidet sich, den elterlichen Bauernhof zu verlassen und in den Norden nach Barcelona zu gehen, um dort Arbeit zu finden. Der staubige Boden in Andalusien genügt kaum, um seine Eltern mit dem Nötigsten zu versorgen, weshalb er hier für sich keine Zukunft mehr sieht. Doch in Barcelona bessert sich seine Situation nicht, denn junge Männer aus ganz Spanien, die wie er keinen Beruf gelernt haben, versuchen irgendeine Hilfsarbeit zu bekommen. Einzig über Arbeitsvermittler gelangen sie an einen Job, werden aber so schlecht bezahlt, dass es nur für eine Massenunterkunft und die tägliche Nahrung reicht.

Deshalb überlegt Miguel nicht lange, als er die Chance erhält, als Torero in der Stierkampf-Arena anzutreten. Nach ein paar Lehrstunden bei einem alten Stierkampflehrer (Pedro Basauri), wagt sich Miguel von den Zuschauerrängen in die Arena und kann sein Talent beweisen, bevor er überwältigt wird. Von einem Impresario (José Gómez Sevillano) unter Vertrag genommen, steigt er zu einem großen Star auf…


Gleißendes Sonnenlicht liegt über dem Stadion - bis zum letzten Platz gefüllt mit applaudierenden und johlenden Menschen. Der Torero sieht dem schon stark blutenden und von der langen Hetzjagd erschöpften Stier in die Augen, fasst ihn zwischen dessen Hörner und rückt ihn für den abschließenden Todesstoß zurecht. Sekundenschnell führt er ihn aus, trifft das kräftige Tier genau zwischen zwei Rückenwirbel bis die Klinge tief in dessen Herz eindringt. Fast regungslos nimmt der Stier diese Aktion hin, schüttelt sich und versucht noch einmal anzugreifen, doch dann gerät er ins Schwanken, seine Beine geben nach und sein massiger Körper fällt wie in Zeitlupe in den Staub.

Diesen Moment, in dem der Torero dem Stier in die Augen sieht, nennt der alte Stierkampf-Lehrer "Pedrucho" den "Augenblick der Wahrheit" - ein Ausdruck, der nicht nur als Titel für Francesco Rosis sechsten Film diente, sondern das gesamte Werk des am 10.01.2015 im Alter von 92 Jahren verstorbenen Regisseurs aufs trefflichste zusammenfasst, dessen Filme von der Suche nach dem "Augenblick der Wahrheit" bestimmt waren. Eine Intention, die auf seine künstlerische Prägung während der Hochphase des Neorealismus zurückzuführen ist, dessen Einfluss er spätestens mit "Salvatore Giuliano" (Wer erschoss Salvatore G.?, 1961) zu einem eigenständigen Stil wandelte, mit dem er versuchte, komplexe, von staatlichen wie kriminellen Interessensgruppen bewusst verfälschte Ereignisse mit größtmöglicher Objektivität zu analysieren. An seiner kritischen, linksgerichteten politischen Haltung gab es keinen Zweifel, aber diese trieb ihn dazu, einen Sachverhalt möglichst aus allen Perspektiven zu betrachten, um typischen Unterstellungen wie "linke Paranoia" die Grundlage zu nehmen.

Trotz oder vielleicht gerade wegen seiner bis ins Detail forschenden Herangehensweise setzte er sich bei seinen Recherchen über den sizilianischen Banditen Salvatore Giuliano, der von seinen Landsleuten als Freiheitskämpfer betrachtet wird, und über den Industriekapitän Enrico Mattei ("Il caso Mattei" (Der Fall Mattei, 1972)) einer unmittelbaren Gefahr aus, obwohl deren Tod jeweils schon ein Jahrzehnt zurücklag. Ein Journalist, der als Letzter mit Mattei vor dessen Flugzeugabsturz gesprochen hatte, und am Drehbuch mitarbeiten sollte, wurde ermordet. Denn Francesco Rosi besaß ein untrügliches Gespür für die Aktualität seiner Stoffe, die er sowohl gegenwartsbezogen anfasste, wie in „Le mani sulla cittá“ (Hände über der Stadt, 1963), der sich mit Bauspekulanten und gefährlichen Baumängeln auseinandersetzte, als auch in der Historie verankerte, wie bei „Uomini contro“ (Bataillon der Verlorenen, 1970), der zwar im ersten Weltkrieg spielte, sich aber als Reaktion auf den Vietnam-Krieg verstand.

Diese vielfältige Art der Suche nach der Wahrheit lässt sich auf seine intensive Zusammenarbeit mit Luchino Visconti zurückführen, dem er bei dessen Filmen "La terra trema" (Die Erde bebt, 1948), "Bellissima" (1952) und "Senso" (Sehnsucht, 1954) assistierte. War „La terra trema“ - am authentischen Ort spielend und ausschließlich mit Laiendarstellern besetzt - noch ganz dem frühen Neorealismus verpflichtet, erzählte „Bellissima“ eine Geschichte aus der italienischen Gegenwart der Nachkriegszeit und befasste sich „Senso“ mit den ein Jahrhundert zurückliegenden Ereignissen um die Gründung Italiens. Rosis frühe Filme „La Sfida“ (Die Herausforderung) und „I magliari“ (Auf St. Pauli ist der Teufel los, 1959) lassen diesen neorealistischen Einfluss noch spüren – mit professionellen Darstellern besetzt, bettete Rosi eine dramatische Handlung in ein realistisches Umfeld - sein erster Film als Regisseur „Kean: Genio e sregolatezza“ (Genie und Wahnsinn, 1956) war dagegen mehr das Werk seines Regie-Partners Vittorio Gassman.

Den deutschen Titel „Auf St. Pauli ist der Teufel los“ verdankte „I magliari“ (wörtlich „Die Teppichhändler) - die Story spielt inmitten der ersten italienischen Gastarbeiter in Deutschland - seinen Original-Aufnahmen von der Reeperbahn. Dieser dokumentarische Ansatz wurde ab „Salvatore Giuliano“ zu einem beherrschenden Prinzip in Rosis Filmen, denen heute das Etikett „Doku-Drama“ verliehen würde. Auch wenn Rosi nie wieder so puristisch wie in „Salvatore Giuliano“ inszenierte - in „Le mani sulla cittá“, „Il caso Mattei“ und „Lucky Luciano“ (1973) besetzte er die tragenden Rollen mit renommierten Darstellern (Rod Steiger, Gian Maria Volonté) - ist allen vier Filmen eine enge Verzahnung von Spielszenen, einer Vielzahl an Fakten und dokumentarischen Aufnahmen gemein, die vom Betrachter hohe Aufmerksamkeit und historische Vorkenntnisse verlangen, die zum Zeitpunkt des Kino-Releases eher vorausgesetzt werden konnten als heute. Vielleicht ein Grund, warum diese vielfach ausgezeichneten Filme inzwischen nur noch wenig bekannt sind. „Le mani sulla cittá“ sticht aus dieser Gruppe hervor, da er sich keiner realen Persönlichkeit widmete, sondern von den kommunalpolitischen Mechanismen um ein großes Bauprojekt handelt. Über diese spezifischen italienischen Themen hinaus betonte Francesco Rosi die generellen Aspekte der gesellschaftspolitischen Prozesse, weshalb sich seine Filme bis heute eine anhaltende Zeitlosigkeit bewahrt haben.  

Ab „Cadaveri eccellenti“ (Die Macht und ihr Preis, 1976), der auf einem Roman Leonardo Sciascias basiert, wandelte sich sein Stil zwar erneut, Rosi blieb seiner kritischen politischen Sichtweise aber treu. Filme wie "Cristo si è fermato a Eboli" (Christus kam nur bis Eboli, 1979) oder „Tre fratelli“ (Drei Brüder, 1981), die sich mit dem Mussolini-Faschismus oder dem Terrorismus der 70er Jahre auseinandersetzten, bettete Rosi wieder in eine dramatische Handlung. Dagegen erscheint „Carmen“ (1984), eine Film-Adaption der Bizet-Oper, wie etwas vollkommen Neues in Rosis Oevre. Doch das täuscht. 1967 hatte er mit „C‘era una volta…“ (Die schöne Isabella) ein farbenprächtiges Märchen mit Sophia Loren und Omar Sharif in den Hauptrollen auf die Leinwand gebracht, das in Fantasie und Leichtigkeit schwelgte, auch wenn Rosi gegenüber Produzent und Loren-Ehemann Carlo Ponti nicht ganz die von ihm beabsichtigte volkstümliche, obrigkeitskritische Ursprünglichkeit bewahren konnte. Angesiedelt war die Handlung im „Carmen“-Land Spanien – wie zuvor schon in „Il momento della veritá“, der inszenatorisch aus dem Rahmen fällt, seiner Suche nach der Wahrheit aber sehr nah kam.

„Il momento della veritá“ wurde nicht nur Rosis erster allein verantworteter Farbfilm, sondern kehrte sein semi-dokumentarisches Prinzip um. Erzählt wird die fiktive Geschichte eines jungen Mannes (Miguel Romero), der den Bauernhof seiner Eltern zurücklässt, um in der Stadt Arbeit zu finden. Doch die Konkurrenz ist groß. Jobs gibt es nur über Vermittler, die so viel vom Lohn einstreichen, dass gerade genug zum Leben bleibt. Zufällig lernt er einen ehemaligen Torero (Pedro Basauri) kennen, der jungen Männern den Stierkampf lehrt – eine der wenigen Chancen, der Armut zu entrinnen. Allerdings eine lebensgefährliche, die Miguel aber nicht davon abhält nach wenigen Lektionen von den Zuschauerrängen in die Arena zu springen und sich einem Stier zu stellen. Bevor er überwältigt werden kann, kann er die Zuschauer von seinem Talent überzeugen und erhält eine reguläre Chance, sich als Torero zu beweisen.

Einzig dieser Handlungsrahmen ist erdacht, unterstützt von wenigen Spiel-Szenen. Der größte Teil des Films ist Dokumentation pur – die staubige Landschaft Andalusiens, die armselige Situation der Arbeitssuchenden in Barcelona, die religiösen Prozessionen vor den Stierkämpfen und der intensiv-betörende Blick in die gefüllten Arenen. Dass es sich bei dem Hauptdarsteller Miguel Romero, genannt „Miguelino“, um einen echten, in Spanien sehr berühmten Torero handelte, war nur konsequent, denn der Film räumt den Stierkämpfen die meiste Zeit ein, beobachtet die traditionellen Abläufe genau und spart weder die Tötung der Tiere, noch die Angriffe auf die Menschen aus. Anders als in „Salvatore Giuliano“, in dem Rosi versuchte, die Vergangenheit möglichst real auf Basis von Zeitzeugen an Original-Schauplätzen nachzustellen, bildete er in „Il momento della veritá“ die Realität als Hintergrund einer erfundenen Story ab.

Zwar nahm Rosi durch Schnitt und Kameraführung Einfluss auf die Bilder, aber er bewahrte Distanz und forcierte keine Haltung. Die Kritik an der Franco-Diktatur blieb subtil und erschließt sich nur als Subtext einer Situation, die junge Männer dazu zwingt, den gefährlichen Job in der Stierkampf-Arena anzunehmen, um der großen Armut zu entkommen. Die vom Staat geförderten Massenspektakel benötigten ständig neue Kräfte, die sich vor allem aus den armen, ländlichen Gebieten rekrutierten. Auch der Stierkampf selbst wurde von Rosi nicht offensiv kritisiert. Zwar ließ er keinen Zweifel an der Qual der Tiere, aber die prächtigen Panorama-Bilder können auch die Faszination der Kämpfe vermitteln – vielleicht ein Grund dafür, warum der Film zu Unrecht in jeder Auflistung seiner besten Werke fehlt, von denen es fünf in die „Top 100“ der zu bewahrenden italienischen Filme nach Meinung einer Experten-Kommission schafften. Mehr als in jedem seiner anderen Filme, überließ es Francesco Rosi in „Il momento della veritá“ dem Betrachter selbst, sich eine eigene Meinung zu bilden, um darin einen „Augenblick der Wahrheit“ zu finden.

"Il momento della verità" Italien, Spanien 1965, Regie: Francesco Rosi, Drehbuch: Francesco Rosi, Pedro Beltrán, Ricardo Munoz Suay, Pere Portabella, Darsteller : Miguel Romero, José Gómez Sevillano, Pedro Basauri, Linda ChristianLaufzeit : 108 Minuten 

Die Filme von Francesco Rosi :

"Kean: Genio e sregolatezza“ (Zwischen Genie und Wahnsinn, 1956) Regie mit Vittorio Gassman
"La sfida" (Die Herausforderung, 1958)
"I magliari" (Auf St.Pauli ist der Teufel los, 1959) 
"Salvatore Giuliano" (Wer erschoss Salvatore G.?.1961) 
"Le mani sulla città" (Hände über der Stadt, 1963)
"Il momento della verità" (Augenblick der Wahrheit, 1965)
"C'era una volta..." (Die schöne Isabella, 1967)
"Uomini contro" (Bataillon der Verlorenen, 1970)
"Il caso Mattei" (Der Fall Mattei, 1972) 
"Lucky Luciano" (1973)
"Cadaveri eccellenti" (Die Macht und ihr Preis, 1976)
"Christo si è fermato a Eboli" (Christus kam nur bis Eboli, 1979)
"Tre fratelli" (Drei Brüder, 1981)
"Carmen" (1984)
"Cronaca di una morte annunciata" (Chronik eines angekündigten Todes, 1986)
"12 registi per 12 cittá" - Segment "Napoli" (1989)
"Dimenticare Palermo" (Palermo vergessen, 1990)
"Diario napoletano" (Dokumentation, 1992)
"La tregua" (Die Atempause, 1997)

Montag, 5. Januar 2015

Basta con la guerra... facciamo l'amore (Der Oberst mit dem Dachschaden schlägt wieder zu) 1974 Andrea Bianchi

Inhalt: Colonello Gustavo (Jacques Dufilho) leitet mit Vehemenz und militärischer Überzeugung eine Versorgungseinheit, die er als wichtige Grundlage für die kämpfenden Truppen ansieht. Seine Soldaten teilen seine Einstellung weniger, schmuggeln Waren aus der Kaserne nach draußen und laufen hinter jedem Weiber-Rock her. Besonders das Auftauchen von Ada (Dagmar Lassander), der jungen Ehefrau des Colonello, erzeugt gierige Blicke, aber auch dessen Hausmädchen weckt Begehrlichkeiten - besonders bei zwei Unteroffizieren, die sich um ihre Gunst streiten.

Als sich der Neffe des Colonello ankündigt, den dieser in seiner Einheit zum Soldaten ausbilden lassen will, protestiert Ada kurz. Doch sobald der hübsche junge Mann am Bahnhof auftaucht, ändert sie schnell ihre Meinung. Der Colonello ist dagegen schockiert, denn sein Neffe will keineswegs die militärische Laufbahn antreten, sondern Priester werden. Dagegen hilft aus seiner Sicht nur ein Mittel – Sex. Ada erhält keineswegs gegen ihren Willen den Auftrag, den jungen Mann von den Nachteilen des Zölibats zu überzeugen, aber dieser erweist sich trotz ihrer Verführungskünste als sehr widerstandsfähig…


"Basta con la guerra...facciamo l'amore" (Schluss mit dem Krieg...lasst uns Liebe machen)


Gibt es einen sympathischeren und aussagekräftigeren Titel für eine Militärklamotte? - In Deutschland, wo der Film erst drei Jahre nach seinem Erscheinen in den italienischen Kinos einen Verleiher fand, hängte man sich mit "Der Oberst mit dem Dachschaden schlägt wieder zu" dagegen an die in Italien erfolgreiche Kino-Filmreihe um den irren Colonello Rambaldo Buttiglione an, die es insgesamt auf fünf Filme brachte. Für den französischen Mimen Jacques Dufilho, ein seit den frühen 40er Jahren häufig besetzter Nebendarsteller, der es später noch zu „César“-Ehren bringen sollte, wurde die Parodie eines hohen Offiziers zu seiner Paraderolle, die er zuerst in der Persiflage "Les bidasses en folie" (Die fünf tollen Charlys - Frechheit siegt, 1971) unter der Regie Claude Zidis verkörperte – und die zum Auslöser für die Figur des Colonello Rambaldo Buttiglione wurde, die ab "Un ufficiale non si arrende mai nemmeno di fronte all'evidenza, firmato Colonnello Buttiglione" (1973) ihr Unwesen treiben sollte.

Der Colonello bindet dem General das Lätzchen
Aus dem vielsagenden Original - Titel „Ein Offizier, der niemals je die direkte Front erreichte, gezeichnet Oberst Buttiglione“ wurde in Deutschland das schnöde „Zu Befehl, Herr Feldwebel“, kam aber erst mit deutlicher Verspätung 1975 in die Kinos, gleichzeitig mit dem zweiten Film der Reihe "Il colonnello Buttiglione diventa generale" (Herr Oberst haben eine Macke, 1974). Dabei blieb es – bis 1977 noch "Der Oberst mit dem Dachschaden schlägt wieder zu" nachgeschoben wurde, bei dem es sich um kein Sequel handelt, sondern der unabhängig davon schon vor dem zweiten Teil der Oberst Buttiglione-Saga herausgekommen war. An dieser rudimentären sowie verspäteten Veröffentlichungspraxis wird deutlich, dass die in Italien Ende der 60er Jahre als Reaktion auf den Vietnamkrieg zunehmend populärer werdende Militär-Klamotte in Deutschland nur auf wenig Gegenliebe stieß. Zwar gibt es auch frühe Beispiele deutscher im Militärumfeld spielender Komödien („Mikosch, der Stolz der Kompanie“ (1957)), aber die Albernheiten betrafen nur die unteren Dienstränge – die Konsequenz, mit der in italienischen Klamotten auch höchste Offiziere der Lächerlichkeit preisgegeben wurden, hat im deutschen Film dagegen keine Tradition.

Einzig die Nähe zur „Commedia sexy all’italiana“ sorgte für einen gewissen Werbe-Effekt, denn die vorherrschende Konzentration des Soldaten galt weniger dem Feind, der im Gegenteil nie personalisiert wurde, sondern fast ausschließlich den Frauen. Das hatte zur Folge, dass attraktive Darstellerinnen wie Edwige Fenech ("La dottoressa del distretto militare" (Die Knallköpfe der 6. Kompanie (1976)) unter teilweise abenteuerlichen Umständen irgendwann beim Militär landeten, um die versammelte Idioten-Truppe von Möchtegern-Soldaten mit einer oft spärlich bekleideten Traumfrau zu kontrastieren. Diese Aufgabe übernahm in "Basta con la guerra...facciamo l'amore" Dagmar Lassander als Ehefrau des Colonello Gustavo (Jacques Dufilho) - ein Paar, dessen Zustandekommen nur schwer nachzuvollziehen ist - die gleich zu Beginn für eine vertraute Sequenz sorgte, die später fast identisch in "La dottoressa del distretto militare" wiederholt wurde.

Nachdem der chaotische Sauhaufen zum Morgenappell angetreten war, wie immer begleitet von einem unfähigen Trompeter, dessen Signale weitest möglichen Spielraum belassen, betritt Ada (Dagmar Lassander) die Szenerie und hinterlässt weiche Knie und sabbernde Mundwinkel. Wie gewohnt lag der Schwerpunkt der überschaubaren Story darauf, möglichst schnell und häufig sexuelle Handlungen vollziehen zu können – meist ein hoffnungsloses Unterfangen. Sieht man von gelegentlich eingefügten Slapstick-Szenen ab, die vor allem einem Unteroffizier gelten, dessen Missgeschicke jedes Mal für das Eingipsen eines weiteren Körperteils sorgen, spielten die eigentlichen Militär-Abläufe eine untergeordnete Rolle. Aber anders als im Genre sonst üblich, verlegte Autor Sergio Simonetti, der für Regisseur Andrea Bianchi auch das Drehbuch zu dessen Vorgängerfilm "Quelli che contano" (Die Rache des Paten, 1974) geschrieben hatte, den Handlungsstrang größtenteils in den zivilen Außenraum.

Oberst Gustavo, der sich nicht mehr in der Lage sieht, seine junge Frau zu befriedigen, bittet diese, sich um seinen Neffen zu kümmern, der statt zum Militär zu gehen, wie er es von einem „richtigen Mann“ verlangt, Priester werden will. Um den herben Verlust an Wehrfähigkeit für Italien zu verhindern, soll seine Ada quasi im staatlichen Auftrag mit vollem Körpereinsatz seinen Neffen verführen, bei dem es sich praktischerweise um einen attraktiven jungen Mann handelt. Neben Szenen, in denen einem General, der die Versorgungseinheit inspizieren will, dass Gesicht mit Schokolade verschmiert wird, gehört zum Höhepunkt der Handlung der ständige Zwiespalt eines Offiziers, der Mannhaftigkeit predigt, selbst aber alles dafür tut, dass ihm von seiner Frau Hörner aufgesetzt werden – eine von Jacques Dufilho wunderbar gespielte Dekonstruktion typischer Testosteron gesteuerter Männlichkeitsgebärden.

Dass "Basta con la guerra...facciamo l'amore" zu den früheren Vertretern der Militär-Klamotte gehört, lässt sich an einer gewissen Zurückhaltung erkennen. Obwohl 1974 offenherzige Erotik-Filme auch in Italien schon zum Standard gehörten, umschiffte die Kamera geschickt jedes direkte Erhaschen der Brüste Dagmar Lassanders und beließ es bei einer dezenteren Form, ihren Körper aus allen möglichen Blickwinkeln einzufangen, die an ihren verführerischen Qualitäten aber keinen Zweifel ließ. Die Anspielungen auf eine mögliche Homosexualität des Neffen blieben spärlich und der später zum Standardrepertoire gehörige Fäkalhumor oder Witze über Fettleibige kamen noch nicht vor, weshalb Bianchis erster Ausflug ins Komödienfach einen unbeschwerten Blick auf den Abgesang jeden militärischen Heldentums bietet. Nur die moralischen Standards durften nicht außer Kraft gesetzt werden. Das glückliche Ende für Ada erweist sich als Trugschluss, denn die Strafe in Form einer jungen, knackigen Tante droht schon – vom Geist des Colonello nicht ohne Schadenfreude beobachtet.

"Basta con la guerra...facciamo amore" Italien 1974, Regie: Andrea Bianchi, Drehbuch: Sergio Simonetti, Piero Regnoli, Gian Carlo Fusco, Darsteller : Jacques Dufilho, Dagmar Lassander, Vincenzo Cudia, Dada Gallotti, Mario Brega, Laufzeit : 88 Minuten

Lief als "Stählerner Überraschungsfilm" am ersten Tag des 14. Hofbauer-Kongress' vom 02. bis 06.01.2015 in Nürnberg.

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.