Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Freitag, 29. Mai 2015

La colomba non deve volare 1970 Sergio Garrone

Inhalt: Aden, Jemen 1943 – Ein Mann, der sich gerade die Schuhe putzen lässt, wird niedergestochen, zwei weitere auf einer engen Straße brutal mit dem Auto überfahren. Major Harris (William Berger) vom englischen Geheimdienst macht keine Gefangenen und lässt auch alle Anwesenden in einem Gebäude der Stadt erschießen, dass als Geheimversteck feindlicher Agenten diente. Von hier aus sollte unter der Leitung des Spaniers Pablo Vallajo (Horst Buchholz) ein Attentat auf die in Aden stationierte englische Luftwaffe vorbereitet werden. Nur Vallajo, der zufällig abwesend war, gelingt es zu entkommen, aber Major Harris bleibt ihm auf der Spur.

Diese führt zu Anna (Sylva Koscina), eine diplomatische Mitarbeiterin, die im neutralen Bahrein ohne ihr Wissen dem italienischen Geheimdienst als Kontaktperson dient. Über sie soll Pablo an ein Päckchen mit den neuesten Instruktionen gelangen. Pablo kann Anna von seinen Absichten überzeugen und erfährt so, dass er für eine Fliegerstaffel Benzin organisieren und an einen geheimen Ort in die Wüste transportieren soll. Dort soll eine italienische Bomberstaffel unter Leitung von Major Ridolfi (Riccardo Garrone) zwischenlanden und nachtanken, um ihren Angriff fortsetzen zu können. Eine sehr schwierige Aufgabe für Pablo, da ihm Major Harris und seine Leute unmittelbar im Nacken sitzen…


Der Kriegsfilm "La colomba non deve volare" (Die Taube darf nicht fliegen) kam weder in die deutschen Kinos, noch erhielt er eine deutschsprachige Synchronisation oder einen eigenen Verleihtitel - selbst die spätere Vermarktung auf Video blieb aus. An sich nicht ungewöhnlich, trotz der Schwemme an italienischen Action-Filmen, die in den 80er Jahren auf VHS herauskamen, wäre "La colomba non deve volare" keine deutsche Co-Produktion mit Horst Buchholz in der männlichen Hauptrolle. Im Jahr zuvor hatte er noch unter der Regie von Antonio Pietrangeli in "Come, quando, perché" (Wo, wann, mit wem?) gespielt, der im September 1969 auch in Deutschland angelaufen war. Zudem wirkt die Produktions-Beteiligung der Inter-West Film GmbH, die schon Buchholz' Karrierebeginn mit "Die Halbstarken" (1956) und "Endstation Liebe" (1958) begleitet hatte, wie der Versuch eines Neustarts in Deutschland. Nur warum erschien "La colomba non deve volare" dann nicht auch hierzulande?

Buchholz‘ Renommee hatte in den 60er Jahren gelitten, seitdem er es nach seinem letzten rein deutschen Film „Das Totenschiff“ (1959) bis nach Hollywood geschafft hatte, sein Aufstieg danach aber schnell ins Stocken geraten war und er fast ausschließlich in Italien arbeitete. Sergio Garrones fünfter Film nach zuvor vier Italo-Western, von denen drei zeitnah auch in Deutschland einen Verleih fanden, verfügte aber noch über genügend weitere populäre Zutaten. Mit Sylva Koscina, dem Österreicher William Berger und Garrones Bruder Riccardo in weiteren tragenden Rollen, Drehbuchautor Tito Carpi und Kameramann Franco Dello Colli hatte Sergio Garrone eine illustre Western-erfahrene Truppe mit an Bord. Begleitet von Riz Ortolanis gewohnt stimmungsvoller Filmmusik, stand einer erfolgreichen Umsetzung nur wenig entgegen, zumal die Produktionsmittel offensichtlich nicht knapp bemessen waren. Sieht man von den 60er Jahre Frisuren ab, gelang Sergio Garrone eine atmosphärisch stimmige Umsetzung der während des 2.Weltkriegs 1943 in Nordafrika und West-Asien spielenden Handlung. Ein Eindruck, der sich durch die Verzahnung mit dokumentarischen Militär-Aufnahmen noch verstärkt, gerade weil sie der Regisseur schwarz-weiß beließ und erst gar nicht versuchte sie optisch anzupassen.

Allerdings erreichte das Kriegsfilm-Genre nie die Popularität des Italo-Western oder Giallo in Deutschland, obwohl in Italien Ende der 60er Jahre versucht wurde, die im Western populär gewordenen Mechanismen auf den Kriegsfilm zu übertragen – in der Hoffnung, das Geschäft wiederzubeleben. Denn während der Western seinen Zenit überschritten hatte, erlebten Kriegsfilme in Folge des Vietnamkriegs auch in Hollywood einen kurzen Boom. Mit einer kritischen Reflexion hatten diese fast ausschließlich während des 2.Weltkriegs spielenden Werke nichts zu tun – viel mehr galt es eine spannende, bis zum Showdown zugespitzte Story zu präsentieren, die mit möglichst vielen Action-Elementen angereichert wurde. Sergio Garrone hatte zuvor schon das Drehbuch zu "5 per l'inferno" (Todeskommando Panthersprung, 1969) geschrieben, der die Kriegs-Thematik ähnlich des US-Erfolgs „The dirty dozen“ (Das  dreckige Dutzend, USA 1967) von der ironisch, überspitzten Seite angegangen war – allerdings ohne Aldrichs subversiven Subtext.

„La colomba non deve volare“ orientierte sich dagegen an einer realen, aus italienischer Sicht geschilderten Militäraktion. Nach der Landung der Alliierten im Süden Italiens sind die auf Sizilien stationierten deutschen und italienischen Soldaten eingeschlossen. Ein italienisches Bomber-Kommando erhält den Auftrag, den Besatzer-Ring anzugreifen, um ihre Soldaten bei einem Durchbruchsversuch zu unterstützen. Die Schwere dieses Vorhabens begründet sich durch die große Entfernung des Stützpunkts der italienischen Fliegerstaffel. Um wieder von Sizilien aus zurückkehren zu können ist es notwendig in der Wüste von Bahrein auf dem Hinflug den Tank aufzufüllen – ein äußerst riskantes Vorgehen für die Piloten, denn jeder Schritt muss genau ineinander greifen, um ein Gelingen zu ermöglichen. Doch der englische Geheimdienst kennt die Pläne und will verhindern, dass „die Taube“ abhebt, weshalb er alles daran setzt, einen spanischen Geheimagenten zu beseitigen, der für den notwendigen Benzin-Nachschub in der Wüste sorgen soll.

Schon die ersten Minuten lassen wenig Zweifel daran, wem in Garrones Film die Sympathien gelten. Zwar stellt sich heraus, dass es die getöteten Männer auf den in Aden stationierten englischen Luftwaffenstützpunkt abgesehen hatten, aber die brutale und hinterhältige Vorgehensweise, mit der der englische Geheimdienstoffizier Major Harris (William Berger) diese ermorden ließ, klassifiziert ihn als Bösewicht. Dagegen erweist sich der spanische Agent Pablo Vallajo (Horst Buchholz), der als Einziger lebend aus Aden entkommen konnte, als so charmanter, wie tatkräftiger Mann. Zuerst muss er Anna (Sylva Koscina), die ihm in Bahrein als Kontaktperson dient, noch in ihrer Wohnung überwältigen, aber schnell gewinnt er ihr Vertrauen und wird in seinem weiteren Vorgehen von ihr unterstützt. Neben Pablo wird der Offizier der italienischen Luftwaffe Major Ridolfi (Riccardo Garrone), der den Luftangriff leitet, zum eigentlichen Helden. Und sein Flugzeug, ein Bomber vom Typ „Savoia-Marchetti S.M.79“, den Sergio Garrone sowohl im Original wie in dokumentarischen Aufnahmen ausführlich im Bild festhält. Ihnen gilt die den Film abschließende Tafel mit der Aufschrift „Das legendäre Unternehmen der Helden von Bahrein erhielt so seinen Eintrag ins goldene Geschichtsbuch“.

Vielleicht lag es an dieser kritiklosen Heldenverehrung, die keinen Moment den politischen Hintergrund beleuchtete, dass "La colomba non deve volare" nicht nach Deutschland kam?  - Offiziere der deutschen Wehrmacht tauchen als Verbündete nur in einer kurzen Szene auf und die Nähe des spanischen Agenten zur Franco-Diktatur findet ebenso wenig Erwähnung wie die faschistische Mussolini-Administration. Im Gegenteil zeigen sich die an unterschiedlichen Orten agierenden Vallajo und Ridolfi einzig an der Sache interessiert und wenden Gewalt nur im Notfall an – als wäre die Bombardierung der US-Armee eine neutrale Hilfsaktion für eingesperrte Soldaten. Immerhin schürte ihr wenig emotionaler Pragmatismus keine Ressentiments.

„La colomba non deve volare“ wurde wegen seines ruhigen, nur von wenig Action unterbrochenen Stils kritisiert, obwohl darin seine Stärke liegt. Die abschließenden Szenen mit dem Gefecht in der Wüste und den dokumentarischen Aufnahmen des Luftangriffs erfüllten zwar die Erwartungshaltung an einen Kriegsfilm, sind aber ebenso verzichtbar wie die Heldenbilder des Major Ridolfi. Garrones Film ist immer dann am besten,  wenn er sich als Western im Kriegsfilmgewand allein auf seine Protagonisten konzentriert. Besonders Horst Buchholz gelingen in der Wüste einige prägnante und spannende Szenen, aber auch sein Zusammenspiel mit Sylva Koscina verfügt über einen erotischen Subtext, der keine Konkretisierung benötigt. Seine Rolle des spanischen Agenten erinnert ein wenig an den von Clint Eastwood gespielten „Mann ohne Namen“ aus Sergio Leones „Per un pugno di dollari“ (Für eine Handvoll Dollar, 1964). Er hat weder Vergangenheit, noch Zukunft. Und verschwindet, nachdem er seinen Job erledigt hatte, wieder in der Wüste – hätte Garrone auch seinen Film so enden lassen, hinterließe „La colomba non deve volare“ einen weniger zwiespältigen Eindruck.

"La colomba non deve volare" Italien, Deutschland 1970, Regie: Sergio Garrone, Drehbuch: Tito Carpi, Sergio Garrone, Giuseppe Masini, Mario di Nardo, Darsteller : Horst Buchholz, Sylva Koscina, William Berger, Riccardo Garrone, Howard Ross, Laufzeit : 97 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Sergio Garrone:

Freitag, 15. Mai 2015

L'uomo, la bestia e la virtù (Der Mann, das Biest und die Tugend) 1953 Steno

Inhalt: Aufgeregt kann sich Professore Paolino (Totò) kaum auf seinen Unterricht konzentrieren, denn er erhielt eine Nachricht von Assunta Perella (Viviane Romance), dass sie ihn dringend treffen müsste. Sie ist nicht nur die Mutter eines seiner Schüler, sondern auch seine heimliche Geliebte, was der sehr korrekte Lehrer vor der Öffentlichkeit in dem kleinen Küstenort zu verbergen weiß. Entsprechend ist es ein Schock für ihn, dass sie im dritten Monat schwanger ist. Zudem steht unmittelbar die Ankunft ihres Ehemanns bevor, Kapitän Perella (Orson Welles), der sich für einen seiner seltenen Besuche angesagt hat.

Nur kurz weiß Paolini nicht weiter, bald schon beginnt er, sich einen Plan zurechtzulegen. Sein erster Besuch gilt dem Doktor (Mario Castellani), dem er unter einem Vorwand die Information abringt, dass es noch nicht zu spät ist, dem Kapitän die Schwangerschaft unterzuschieben, vorausgesetzt er verbringt eine Nacht mit seiner Ehefrau. Das klingt leichter, als gedacht, denn das Ehepaar hat sich entfremdet und der Kapitän zeigt wenig Interesse an seiner Ehefrau. Doch Paolini hat auch dafür vorgesorgt… 


Der Mann...
Die Idee, den Namen des Hauptdarstellers "Totò" im Titel zu verwenden, obwohl er im Film fiktive, meist mit eigenständigen Namen versehene Rollen spielte, bedeutete Fluch und Segen zugleich. Dank Totòs enormer Popularität ab den 40er Jahren bis zu seinem Tod 1967 in Italien, garantierten seine Filme verlässliche Qualität für seine Anhänger - einen noch im Geist der "Commedia dell'arte" geschulten neapolitanischen Komiker, der unverwechselbar grimassierend und gestikulierend gegen alle Widrigkeiten des Lebens antrat. Für seine Kritiker verkörperte er dagegen immer den gleichen Typus, begleitet von einer wenig variierten komödiantischen Handlung. Dass Totò in seinem Spiel die Nuancen zwischen Tragik und Komik genau auslotete, wurde erst nach seinem Tod erkannt, ebenso wie die Bedeutung von Filmen wie "Totò cerca casa" (1950) oder "Guardie e ladri" (Räuber und Gendarm, 1951) für die Entwicklung vom Neorealismus zur "Commedia all'italiana".

...das Biest...
Auch Steno nutzte in seinen frühen gemeinsam mit Mario Monicelli gedrehten Filmen mehrfach Totòs werbewirksamen Namen - nach "Totò cerca casa" folgte noch "Totò e i re di Roma" (Totò und der König von Rom, 1951) und "Totò e le donne" (Totò und die Frauen, 1952). Seinen ersten allein verantworteten, zudem erstmals in Ferraniacolor gedrehten Film nannte Steno einfachhalber gleich "Totò a colori" (Totò in Farbe, 1952) und schlug damit zwei Fliegen mit einer Klappe. Nur über die Handlungsinhalte sagte der Titel nichts aus. Sein zweiter Film ohne Mario Monicelli, der diesmal auch nicht als Drehbuchautor beteiligt war, verwendete hingegen den originalen Namen der literarischen Vorlage „L'uomo, la bestia e la virtù“ (Der Mann, das Biest und die Tugend). Gemeinsam mit seinem Regie-Assistenten Lucio Fulci, der erstmals auch am Drehbuch mitwirkte, und dem früh 1954 verstorbenen Schriftsteller Vitaliano Brancati schuf Steno eine Adaption des Theaterstücks von Luigi Pirandello, einem der bedeutendsten italienischen Literaten, für die Leinwand.

...und die Tugend
Brancati als Co-Autoren hinzuziehen war eine intelligente Wahl, denn nach dem 2.Weltkrieg hatte dieser sich spezifisch mit dem männlichen Sexualverhalten auseinander gesetzt – sein 1949 erschienener Roman „Il bell’Antonio“ (Bel Antonio) über einen von Rom heimkehrenden Sizilianer wurde nach einer Drehbuchfassung von Pier Paolo Pasolini 1960 von Mauro Bolognini mit Marcello Mastroianni in der Titelrolle verfilmt. Doch es half nicht. Die Erben des 1934 mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichneten Luigi Pirandello bemängelten nicht nur diverse Änderungen gegenüber der Vorlage, sondern besonders die Besetzung von Totò in der Hauptrolle des „L’uomo“. Seine Mitwirkung galt für sie als „Majestätsbeleidigung“, was enorme Folgen für Stenos Film nach sich zog. Er blieb 40 Jahre verschollen, bevor er 1993 erstmals wieder im italienischen TV gezeigt wurde – in Schwarz/Weiß, denn die in Gevacolor gedrehte Farbfassung steht nach wie vor nicht zur Verfügung.

Aus heutiger Sicht wirkt diese Reaktion in mehrfacher Hinsicht unangemessen. Nicht nur, dass Totò als Darsteller inzwischen auch vom seriösen Feuilleton rehabilitiert wurde, er wurde von Steno ideal besetzt in der Rolle eines Kleinstadt-Lehrers, der mit einer verheirateten Frau, Mutter eines seiner Schüler, ein Verhältnis hat, gleichzeitig aber größtmöglichen Wert auf eine tugendhafte Außendarstellung legt. Häufig spiegelte Totò in seinen Rollen die verlogene bürgerliche Moral, entstand sein Humor aus dem teilweise aberwitzigen Widerspruch zwischen Schein und Sein. Mit burlesken Übertreibungen und augenrollenden cholerischen Anfällen karikierte er gleichzeitig seine Figuren und nahm ihnen damit die negative Attitüde – ein Grund dafür, warum er trotz der wenig verklausulierten Kritik an der bürgerlichen Doppelmoral ein großes Publikum erreichte. Das galt auch für seine Rolle in „L'uomo, la bestia e la virtù“. Als „Professore“ setzt er einerseits alle Hebel in Bewegung, um möglichen Schaden von sich fernzuhalten, nachdem er erfahren hatte, dass seine Geliebte Assunta (Viviane Romance) im dritten Monat schwanger ist, andererseits nutzte Totò die Konfrontation mit seinen Schülern, dem Doktor (Mario Castellani) oder dem Apotheker zu witzigen, sketchartigen Szenen.

Wahrscheinlich empfanden die Erben des Autoren Pirandello diese in schönster Komödien-Tradition entworfene Konstellation als Abschwächung der ursprünglichen Intention. Auch die Ausgangssituation des Films wurde von Steno gegenüber dem Theaterstück inhaltlich zwar nur leicht, von der Aussagekraft her aber maßgeblich geändert. In der vom Autor so genannten „Lehrfabel in drei Akten“, die an „irgendeinem Ort am Meer, egal wo, heute“ spielt, wissen die Beteiligten voneinander. Kapitän Perella verbringt seine Zeit lieber bei der Geliebten in Neapel, während sich der allein stehende Professor um dessen zurückgelassene Ehefrau kümmert. Ein funktionierendes Arrangement, wäre Assunta nicht plötzlich schwanger geworden. Dass der Professor alles versucht, dem nach einem halben Jahr für einen kurzen Besuch heimkehrenden Kapitän das Kind unterzujubeln, betont dessen Verlogenheit noch. Er geht so weit, dass er seine Geliebte gegen deren Willen verführerisch einkleidet und ihrem desinteressierten Mann heimlich ein Aphrodisiakum verabreicht, das er sich zuvor in der Apotheke besorgte. In der Hoffnung, dass sie die Nacht zusammen verbringen – nur um weiterhin nach Außen den Schein zu wahren.

In der Filmversion wählt der Lehrer eine ähnliche Vorgehensweise, aber dass der Kapitän (Orson Welles) eine Geliebte hat, weiß weder er, noch dessen Frau – auch der Betrachter erfährt es erst spät. Das nimmt seinem Verhalten die Schärfe, denn seine Angst vor dem gehörnten Ehemann ist durchaus verständlich. Nicht zufällig spielte Orson Welles die Rolle des Kapitäns im polternden „Othello“-Modus – erst kurz zuvor hatte er seine Interpretation des Shakespeare-Stücks („The Tragedy of Othello: The Moor of Venice“, 1952) fertig gestellt. In  „L'uomo, la bestia e la virtù“ wird aber nicht er zur tragischen Figur, sondern der eifrig auf den Erhalt der Moral erpichte Lehrer. Dessen „Verkuppelung“ des entfremdeten Ehepaars erweist sich erfolgreicher als geplant und lässt den stets korrekt gekleideten „Mann“ als Verlierer zurück. Das „Biest“ erweist sich dagegen trotz des furchterregenden Äußeren als friedlicher Zeitgenosse. Das entsprach Pirandellos Intention, denn die drei im Titel genannten Figuren standen stellvertretend für die Masken, hinter denen sich die wahre Natur des Menschen verbirgt.

Der Vorwurf der Erben, der Film hätte die kritische Aussage des Theaterstücks abgeschwächt, ist nicht von der Hand zu weisen, greift aber zu kurz. Zwar kommt der „Professore“ in Stenos Film besser weg, aber die große Identifikation des Publikums mit Totò ermöglichte eine wirksame Unterwanderung gängiger Vorurteile – ein Markenzeichen der „Commedia all’italiana“, deren beißende Kritik an bestehenden Verhältnissen sich unter der Oberfläche einer komödiantischen Handlung verbarg. Wenn der enttäuschte Lehrer sich am Ende von der Orts-Prostituierten Trost zusprechen lässt, wird diese doppelte Dimension sichtbar.

"L'uomo, la bestia e la virtù" Italien 1953, Regie: Steno, Drehbuch: Steno, Lucio Fulci, Jean Josipovici, Vitaliano Brancati, Luigi Pirandello (Drama), Darsteller : Totò, Orson Welles, Viviane Romance, Mario Castellani, Carlo Delle Piane, Laufzeit : 87 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Steno:

Donnerstag, 7. Mai 2015

Se vuoi vivere... spara! (Andere beten - Django schießt) 1968 Sergio Garrone

Inhalt: Gerade erst in dem kleinen Nest angekommen, wird der Goldsucher Johnny Dall (Ivan Rassimov) im Saloon unmissverständlich dazu aufgefordert, an einer Poker-Partie teilzunehmen, bei der auch der Kopfgeldjäger Stark (Giovanni Cianfriglia) mit am Tisch sitzt, während der Sheriff im Hintergrund bleibt. Dall weiß nicht, dass sie ein abgekartetes Spiel spielen, bei dem es am Ende nur einen Sieger gibt. Zwei der ahnungslosen Mitspieler werden mit gefälschten Karten so gegenseitig aufgebracht, dass Einer von ihnen im Duell stirbt, so dass sich Stark danach um den Überlebenden kümmern kann – gegen eine satte Prämie, die der Sheriff spontan wegen Mordes festlegt.

Dall gelingt es zwar, sich dank seiner Schießkünste den Gangstern zu entziehen, aber Stark und seine Kumpanen bleiben ihm bei seiner Flucht aus der Stadt auf den Fersen. Um seine Verfolger loszuwerden, trickst Dall sie aus und kann sie überwältigen, wird aber selbst von einer Kugel getroffen. Stark entkommt und er erreicht mit letzter Kraft eine Ranch, wo er auf den Rancher McGowan (Adriano Micantoni) und dessen Kinder Sally (Isabella Savona) und Tommy (Franco Cecconi) trifft, die ihn gesund pflegen. Bald schon hat sich Dall auf der Ranch gut eingelebt, aber nicht nur von Stark, der ihm Rache gedroht hatte, droht Unheil…


Nachdem Sergio Garrone in den Jahren zuvor drei Italo-Western produziert hatte, an denen er zweimal auch als Drehbuchautor beteiligt war, schien es nur folgerichtig, dass er selbst auch die Regie übernahm. Allerdings nicht in eigener Produktion, sondern unter der Hoheit von Elsio Mancuso, der wiederum die Filmmusik zu "Se vuoi vivere... spara!" (Andere beten - Django schießt) schrieb. Beide wiederholten dieses Team-Work beim folgenden "Tre croci per non morire" (1968) noch einmal, bevor sich Mancuso ausschließlich auf die Filmkomposition konzentrierte, darunter auch in weiteren Garrone-Filmen. Keine seltene Konstellation während des damaligen Italo-Western-Hypes, dessen wirtschaftlich kalkulierbarer Erfolg offensichtlich den selbst finanzierten Einstieg ins Filmgeschäft ermöglichte.

Verglichen mit seiner letzten Eigen-Produktion "Killer Kid" (Chamaco, 1967) standen Garrone als Regisseur aber geringere Geldmittel zur Verfügung, denn die Locations beschränkten sich auf den Saloon und die Schmiede eines wenig bevölkerten Orts, den trostlosen Schlupfwinkel einer mexikanischen Gangster-Bande und eine einsam gelegene Ranch inmitten einer karg wirkenden Umgebung, die ohne großartige Panorama-Bilder eingefangen wurde. Auch Iwan Rassimov gehörte trotz zweier Einsätze als Revolverheld unter der Regie von Edoardo Mulargia ("Cjamango" (Django - Kreuze im blutigen Sand, 1967)) damals nicht zur ersten Garde der Western-Darsteller, aber mit seinem Bruder Riccardo, der schon in Sergio Garrones erster Produktion "Dequeyo" (Für Dollars ins Jenseits, 1966) eine tragende Rolle übernommen hatte, „Bösewicht“ Giovanni Cianfriglia und besonders „Killer Kid“- Kameramann Sandro Mancori hatte er erfahrene Mitstreiter an Bord.

Der folgerichtige Einfluss von „Killer Kid“ auf "Se vuoi vivere... spara!" (wörtlich: Wenn du leben willst…schieß!) wird weniger an der von der Grundanlage her konventionellen Story deutlich, sondern mehr an dem Willen zur Originalität, mit dem sich der „Späteinsteiger“ Garrone offensichtlich vom Italo-Western-Einerlei abgrenzen wollte. Ähnlich wie in „Killer Kid“ entsprach die Charakterisierung des „Helden“ nicht der Erwartungshaltung an einen klassischen Pistolero, die dank der deutschen Synchronisation noch zusätzlich bestärkt wurde. Nicht nur, dass hier kein Django mitspielte, wie es der deutsche Titel gewohnt werbewirksam suggerieren wollte, Johnny Dall (Ivan Rassimov) überzeugt zudem mehr durch Emotionalität, denn durch zynische Sprüche und gnadenlose Duelle. Abgesehen von einer der ersten Szenen, in der er sich gegen die Machenschaften um den Kopfgeldjäger Stark (Giovanni Cianfriglia) wehrt, spielen seine Schießkünste keine entscheidende Rolle. Verletzt kann er sich auf eine Farm retten, wo er nicht nur vom Rancher (Adriano Micantoni) und dessen jugendlicher Tochter Sally (Isabella Savona) wieder aufgepäppelt wird, sondern schnell zum allseits geschätzten Mitarbeiter mutiert – eine wenig coole Rolle, die Garrone noch mit ausführlichen Familienszenen unterstrich.

Als Co-Hauptdarsteller taucht früh Donovan (Riccardo Garrone) auf, ein sehr auf sein Äußeres achtender Herrenreiter, dessen Rolle lange im Ungewissen bleibt. Als er bei seiner Ankunft eine Decke über den Rücken seines Pferdes legt, amüsiert das die umstehenden Cowboys noch, aber er verschafft sich sofort Respekt, woran deutlich wird, dass von dem Mann noch mehr zu erwarten ist. Aus der Kombination Donovan/Johnny Dall entsteht später ein schlagkräftiges Duo mit vertauschten Rollen. Während der optisch dem Westernhelden entsprechende Stark zwar voller Elan Rache üben will, nachdem die Farmerfamilie, die ihn so freundlich aufgenommen hatte, niedergemetzelt wurde, ist es der Frauenheld Donovan, der cool und überlegt vorgeht – und damit die Position des Anführers übernimmt. Diese gegen das Western-Klischee geschürte Interpretation eines Buddy-Movies wäre dem Betrachter leichter zu vermitteln gewesen, hätte sich Garrone bei seinem ersten selbst verantworteten Western zwischen Komödie und Drama entschieden.

Schon die Eingangssequenz vermittelt diesen uneinheitlichen, für den gesamten Film signifikanten Eindruck. Während der dicke Sheriff nach einem Glas Bier im Saloon vor sich hinschlummert, spitzt sich die Situation bei einem Pokerspiel zu. Zwei Männer werfen sich gegenseitig Falschspiel vor. Es kommt zu einem tödlichen Schusswechsel, worauf der Kopfgeldjäger Stark seelenruhig zu dem Sheriff geht und ihn bittet, die Prämie für den Überlebenden festzulegen – tot oder lebendig. Da sie in beiden Fällen gleich hoch ist, braucht er nicht lange, um sich zu entscheiden. Geldverdienen leicht gemacht, denn daran das Stark und seine Compagnons für die mehr als vier Asse selbst zuständig waren, besteht kein Zweifel. Die Absurdität dieser Szene nimmt ihr trotz des tödlichen Ausgangs für einen Unschuldigen - auch als sie sich kurz darauf mit Johnny Dall als nächstes Opfer wiederholt - die Spannung, steht aber beispielhaft für die Überraschungen, mit denen "Se vuoi vivere... spara!" aufwarten kann.

Zwar gehörte die Story vom reichen Großgrundbesitzer, der mit seinen skrupellosen Helfern die kleinen Rancher terrorisiert, um ihnen für wenig Geld ihr Land abzukaufen, zum Standard-Repertoire des Italo-Western, aber Garrone nutzte diesen oberflächlich bleibenden Handlungsrahmen nur dazu, eine Vielzahl unterschiedlicher Szenen darunter zu vereinen. Wird der Beginn noch von der Auseinandersetzung zwischen Stark und Dall geprägt, spielt dieser Konflikt erst am Ende des Films wieder eine Rolle. Nach den Familienszenen und einer angedeuteten Liebesgeschichte zwischen Dall und Farmerstochter Sally, steht Donovan zunehmend im Mittelpunkt des Geschehens und Franco Cobianchi, auch als Co-Autor und Regieassistent an der Entwicklung des Films beteiligt, darf zwischendurch eine Kostprobe als mexikanischer Bandenchef im Fernando Sancho-Modus geben. Der Charakter dieser Szenen wechselt zwischen ernsthaften und komischen Momenten. Einmal findet Dall den erschossenen kleinen Sohn der Farmersfamilie auf, dann befreit eine ehemalige Geliebte Donovans das Duo aus den gar nicht so harten Fängen der mexikanischen Banditen, die er danach nicht mehr los wird. Wann endete ein Italo-Western damit, dass der Held am Ende fluchtartig vor einer Frau davon reitet? 

In einer Phase, Anfang 1968, in der die Italo-Western zunehmend begannen, nur noch die eigenen Insignien zu wiederholen und das Gewalt-Level weiter anzuziehen, gehörte "Se vuoi vivere... spara!" zu den frühen Beispielen, die dem Genre auch komische Seiten abrangen – ein Trend, der sich verstärken sollte. Doch verglichen mit ähnlich konzipierten Western wie „Sugar Colt“ (1966) oder „Arizona Colt“ (1966), die trotz ironischer Brüche keinen Zweifel an dem grundsätzlich dramatischen Geschehen aufkommen ließen, wirkt der Humor hier deftiger und zwischen ernsten Szenen punktueller gesetzt. Garrone persiflierte das Genre sogar direkt. Im Stall des deutsch-stämmigen Schmieds, der in der Originalfassung ein wunderbares Italienisch mit eingestreutem deutschen Vokabular spricht, tragen die einzelnen Pferde-Koppeln die Namen bekannter Western-Helden wie "Django", "Ringo" oder Garrones eigene Kreation "Killer Kid". Man spürt regelrecht das Augenzwinkern des Regisseurs – eine Sichtweise, die der Betrachtung des Films insgesamt sehr entgegen kommt.

"Se vuoi vivere...spara!" Italien 1968, Regie: Sergio Garrone, Drehbuch: Sergio Garrone, Franco Cobianchi, Darsteller : Ivan Rassimov, Giovanni Cianfriglia, Riccardo Garrone, Isabella Savona, Franco Cobianchi, Laufzeit : 97 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Sergio Garrone:

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.