Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Samstag, 23. Februar 2013

In nome della legge (Im Namen des Gesetzes) 1949 Pietro Germi


Inhalt: Sizilien, kurz nach dem Ende des zweiten Weltkriegs - zwei Männer überfallen eine von zwei Eseln gezogene Kutsche. Sie wollen nur die zwei Tiere, aber als der Kutscher einen von ihnen erkennt, sehen sie sich gezwungen, ihn zu erschießen. Der Baron (Camillo Mastrocinque) ist erbost über den Verlust seiner Esel, schaltet aber nicht die Polizei ein, sondern wendet sich an Turi Passalacqua (Charles Vanel), über den alle wichtigen Entscheidungen laufen. Als der junge Richter Guido Schiavi (Massimo Girotti) seinen Dienst in dem kleinen Ort antritt, der inmitten einer wüstenähnlichen, kargen Landschaft liegt, versucht er sogleich, die Fälle zu ordnen und staatliches Recht auszuüben. 

Doch als die Leiche eines der beiden Räuber gefunden wird, gerät er schnell an die Grenzen seiner Bestrebungen. Jeder hält dessen Tod für gerechtfertigt, denn er hatte gegen den Kodex der Menschen hier verstoßen, dessen Wahrung wichtiger ist als die vom Staat verordneten Gesetze. Die Mafia sorgt für die Einhaltung der Regeln, gegen die sich Niemand aufzulehnen wagt...


Die engen Verflechtungen in der Zusammenarbeit der Filmschaffenden nach 1945 in Italien und der generelle Einfluss des neorealistischen Stils auf das Kino, lassen sich an Pietro Germis frühen Filmen - besonders an "In nome della legge" (Im Namen des Gesetzes) - sehr gut veranschaulichen. Seine Filme genießen in Italien zurecht ein hohes Ansehen, während sie im Gegensatz zu seinen späteren Komödien "Divorzio all'italiana" (Scheidung auf Italienisch, 1961) oder "Alfredo, Alfredo" (1972) in Deutschland nahezu unbekannt sind und in keiner Auflistung relevanter Filme des Neorealismus genannt werden. Dabei sind die Parallelen in der erzählerischen Anlage zwischen "In nome della legge" und "Divorzio all'italiana" offensichtlich, die beide auf der Grundlage der archaischen Sozialisation in Sizilien basieren, nur das Germi sich in seinen späteren, beißend satirischen Komödien mehr den moralischen Instanzen widmete, während er in "In nome della legge" die Basis für den Mafia-Film und nicht zuletzt den Italo-Western legte - in Italien gilt der Film entsprechend als der erste "Western" nach dem Krieg.

Allein die beteiligten Autoren lassen den späteren Einfluss des Films erkennen. Mario Monicelli, der zuvor schon an Germis erstem neorealistischen Film "Gioventù perduta" (Verlorene Jugend, 1948) als Autor mitwirkte, prägte neben Steno, Germi und Dino Risi die "Commedia all'italiana", deren sezierender Humor den Blick auf die Realität, wie er im Neorealismus stilbildend wurde, noch schärfte. Ihre bleibende Freundschaft über eine konkrete Zusammenarbeit hinaus lässt sich an Monicellis Umsetzung von Germis letztem Drehbuch zu "Amici miei" (Ein irres Klassentreffen, 1975) erkennen, dass dieser auf Grund seines Todes nicht mehr selbst in Angriff nehmen konnte. 

Auch Federico Fellini und Tullio Pinelli schrieben nicht nur gemeinsam die Drehbücher zu Fellinis eigenen Dramen wie "La strada" (Das Lied der Straße, 1954) oder "La dolce vita" (Das süße Leben, 1960), sondern waren auch an Germis folgendem, dem Neorealismus nahe stehenden Film "Il cammino della speranza" (Der Weg der Hoffnung, 1950) beteiligt. Giuseppe Mangione wiederum, der Fünfte im Bunde, widmete sich dem Action-Kino und schrieb Drehbücher zu Sandalenfilmen wie "Ursus" (Ursus, Rächer der Sklaven, 1961) und Italo-Western wie "Sugar Colt" (Rocco, der Mann mit den zwei Gesichtern, 1966).

Der Beginn des Films könnte unmittelbar aus einem Western stammen. Zwei bewaffnete Männer lauern innerhalb einer kargen steppenartigen Landschaft einem von zwei Eseln gezogenen Wagen auf. Sie überwältigen den Kutscher und erschießen ihn kaltblütig, da er einen der Räuber erkannt hatte. Der Ort des Überfalls befindet sich auf Sizilien, wenige Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, aber die Ähnlichkeit zu den Szenarien im Westen der USA ist unverkennbar. Renovierungsbedürftige Gebäude und unbefestigte Straßen geben einen staubigen Hintergrund ab für eine Handlung, die vom Gesetz des Stärkeren erzählt. Selbst der Baron (Camillo Mastrocinque), Großgrundbesitzer und einflussreiche Persönlichkeit, wendet sich nicht an die Polizei, sondern an Turi Passalacqua (Charles Vanel), um die Diebe seiner Esel fassen zu lassen. Passalacqua verkörpert den ortsansässigen Mafiaboss noch in seiner ursprünglichen Form als Oberhaupt einer Sozialisation, die den staatlichen Behörden misstraut und seit Jahrhunderten nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten lebt. Entsprechend tritt er nicht diktatorisch auf, sondern bespricht sich mit einer Gruppe vertrauter Männer, bevor er sein Urteil fällt. Als wenig später einer der zwei Räuber erschossen aufgefunden wird, kann er sich der Zustimmung des Großteils der Bevölkerung sicher sein.

Die Konfrontation mit dem Staat entsteht durch das Auftauchen von Guido Schiavi (Massimo Girotti), der seine Stelle als Richter in dem kleinen Ort antritt. Die wenigen offiziellen Gesetzesvertreter – darunter als Chef der Carabinieri Maresciallo Grifò (Saro Urzi) – haben sich in die Verhältnisse gefügt, aber der junge Richter, der aus Palermo stammt, beginnt sofort den Laden umzukrempeln und pocht auf die Einhaltung der staatlichen Gesetze, weshalb er sich auf die Suche nach dem Mörder des getöteten Räubers macht. Geschickt entwirft Germi eine nicht eindeutige Situation. Das ehrgeizige Streben des Richters wirkt im Vergleich zum gelassen und freundlich bleibenden Mafiaboss übertrieben, wenig an den tatsächlichen Bedürfnissen und moralischen Vorstellungen der Ortsansässigen orientiert. Doch „In nome della legge“ versteht sich nicht als Beschreibung einer Situation, wie sie vor dem Krieg noch Bestand hatte und zur Entstehung der Mafia beitrug (von Pasquale Squitieri in „Il prefetto di ferro“ (Die Rache bin ich, 1977) thematisiert), sondern verzahnt sie mit den gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Krieg.

Es ist weniger die offensichtliche Armut und die sehr einfachen Lebensverhältnisse, die die Nähe zum Neorealismus symbolisieren, als die Auseinandersetzungen mit einer neuen sozialeren Gesellschaftsform, die nicht mehr von einer Person bestimmt wird, unabhängig davon, aus welchen Beweggründen sie handelt. Erstaunlich konkret für seine Entstehungszeit kritisiert der Film den rücksichtslosen Umgang der Männer mit den Frauen. Der Baron behandelt seine kultivierte Ehefrau (Jone Salinas) nicht nur wie eine Angestellte, die auf Befehl folgen muss, sondern äußert sich verächtlich über ihre Vorliebe für Musik und ihr Klavierspiel. Zwar bleibt die Beziehung zwischen ihr und dem jungen Richter oberflächlich, aber allein der Gedanke, dass eine verheiratete Frau ihren Mann verlässt, war damals noch unvorstellbar. Entscheidender im Gesamtkontext ist die Liebesgeschichte zwischen dem jungen Paolino (Bernardo Indelicato) und der 16jährigen Bastianedda (Nadia Niver). Francesco Messana (Ignazio Balsamo), zuständig für die Ausführung der Mafia-Urteile, hat zwar ein Verhältnis mit deren ledigen Mutter, will diese aber dazu zwingen, ihm ihre Tochter zur Frau zu geben. Germi zeichnet ein von starren moralischen Regeln bestimmtes Bild totaler Abhängigkeit der Frauen, wie er es in „Divorzio all’italiana“ ein Jahrzehnt später ironisch und schwarzhumorig verarbeiten sollte.

Als Paolino und Bastianedda deshalb beschließen, keineswegs heimlich eine gemeinsame Nacht zu verbringen, gleicht das einer Revolution und bringt ihn in Lebensgefahr. Der geprellte Messana hatte schon vorher gegenüber Passalacqua behauptet, der Junge hätte sie bei dem Richter verraten, um seinen Tod zu fordern, aber der Mafiaboss hatte diese Aussage kritisch hinterfragt und erst eine Überprüfung angeordnet. Jetzt war der wütende Messana nicht mehr bereit, darauf zu warten. Zudem hatte es sich herausgestellt, dass sich die bittere Armut der Menschen darauf begründete, dass der Baron die Mine schließen ließ, in der die meisten Männer gearbeitet hatten – ein aus rein wirtschaftlichen Überlegungen umgesetzter Beschluss, der von der Mafia unterstützt wurde. In diesem Zusammenhang erscheint auch der anfängliche Überfall in einem anderen Licht, denn erst die Not hatte die beiden Männer dazu gezwungen, die Esel des Barons zu stehlen. Zunehmend zeigen sich Risse in der scheinbar funktionierenden Gemeinschaft und wird es deutlich, dass die Entscheidungen der bestimmenden Männer von Egoismen und eigenen Moralvorstellungen geprägt sind. Zwar gewinnt der Richter langsam Vertrauen, weil er den Baron gerichtlich dazu zwingen will, seine Mine wieder zu öffnen, doch er unterschätzt die Macht seiner Gegner und deren Einfluss auf eine konservativ denkende Bevölkerung.

„In nome della legge“ war der erste Film nach der Mussolini-Diktatur, der die mafiösen Strukturen differenziert beschrieb und einen souverän agierenden „Paten“ präsentierte, der die Vorgänge geschickt aus dem Hintergrund kontrolliert. Aus heutiger Sicht sind diese Mechanismen vertraut, aber Germis Film hat seine Bedeutung deshalb nicht verloren, weil er seine Story aus der Grundlage heraus entwickelt, der die Mafia ihre Entstehung und Anerkennung in der Bevölkerung verdankte - als Reaktion auf einen Staat, von dem sie sich im Stich gelassen fühlte. Gleichzeitig verzahnt er die Demaskierung dieser Strukturen mit einer sich wandelnden Sozialisation im Nachkriegsitalien, ohne die Rolle des Staates zu idealisieren. Wenn der Richter in seiner verzweifelten Rede am Ende fordert, im Namen des Gesetzes zu handeln, dann lächelt der Mafiaboss nur bestätigend dazu, bevor er mit seinen Männern davon reitet.

"In nome della legge" Italien 1949, Regie: Pietro Germi, Drehbuch: Pietro Germi, Federico Fellini, Giuseppe Mangione, Mario Monicelli, Tullio Pinelli, Darsteller : Massimo Girotti, Charles Vanel, Saro Urzi, Ignazio Balsamo, Camillo Mastrocinque, Jone Salinas, Laufzeit : 96 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Pietro Germi:

Montag, 18. Februar 2013

Morte sospetta di una minorenne 1975 Sergio Martino

Inhalt: Nachdem sie zuerst wenig Lust zeigte, mit ihm zu tanzen, ist die junge Frau (Patrizia Castaldi) plötzlich sehr zugänglich und lässt sich von Paolo Germi (Claudio Cassinelli) auf der Tanzfläche sogar küssen. Er ahnt nicht, dass sie nur versucht, einem Mann mit Sonnenbrille zu entkommen, der sie verfolgt. Als sie sich einen Moment unbemerkt glaubt, stößt sie Paolo zurück und flieht, um in einer nahen Telefonzelle den einflussreichen Geschäftsmann Gaudenzio Pesce (Massimo Girotti) zu erreichen. Doch dieser lässt sich von seinem Diener verleugnen und hilft ihr nicht, weshalb sie wenig später von ihrem Verfolger brutal ermordet wird.

Die Polizei zeigt nur wenig Initiative bei der Ermittlung wegen Mordes an einer minderjährigen Prostituierten, aber Paolo Germi will den Fall nicht auf sich beruhen lassen, sondern versucht mit unkonventionellen Methoden an weitere Informationen zu gelangen. Dabei kommt ihm der Taschendieb Giannino (Adolfo Caruso) gelegen, der die Tasche des ermittelnden Kommissars gestohlen hatte, in der dieser seine Toto-Scheine aufbewahrte. Mit seiner Hilfe beginnt er die Prostituierten am Straßenstrich zu bestehlen, was ihn auf eine entscheidende Spur bringt…


Mitte der 70er Jahre befand sich das italienische Kino auf seinem letzten Höhepunkt, bevor der Niedergang Ende des Jahrzehnts langsam eintrat. Noch zehrte die Filmbranche von ihrer großen Genre-Vielfalt, die zunehmend zu interdisziplinären Werken führte. Ob ein Regisseur gesellschaftskritischer Filme wie Elio Petri in "Todo modo" (1976) Anleihen beim "Giallo" nahm, Francesco Rosi seinen Polit-Film "Cadaveri eccellenti" (Die Macht und ihr Preis, 1976) im Stil eines Poliziesco gestaltete oder Ettore Scola seinen zutiefst pessimistischen Film "Brutti,sporchi e cattivi" (Die Schmutzigen, die Hässlichen und Gemeinen) als Komödie erscheinen ließ - zunehmend wurde ein freier, kreativer Umgang mit den unterschiedlichen Stilmitteln deutlich. Selbst ein bisher so konsequenter Polizeifilm-Regisseur wie Umberto Lenzi verband seinen letzten Poliziesco "La banda del gobbo" (Die Kröte, 1978) mit einem sensiblen Drama, während er die Action-Elemente deutlich herunter fuhr.

Diese Vorgehensweise war auch der Tatsache geschuldet, dass die stilistischen Gesetzmäßigkeiten formuliert und die entsprechenden Referenzwerke mehrfach zitiert worden waren. Zudem waren die Grenzen besonders zwischen dem "Giallo" und dem jüngsten Genre-Spross "Poliziesco" fließend, genauso wie die moralischen Standards des Italo-Western generell Einfluss genommen hatten. Auch Regisseur Sergio Martino blickte Mitte der 70er Jahre schon auf eine Werksliste zurück, die vom Italo-Western ("Arizona si scatenò... e li fece fuori tutti" (An den Galgen, Hombre, 1970)) über mehrere prägende Gialli (,Tutti i colori del buio" (Die Farben der Nacht, 1972)), erotische Komödien ("Giovannona Coscialunga disonorata con onore" (1973)) bis zum Poliziesco ("Milano trema - la polizia vuole giustizia" (1973)) in wenigen Jahren kaum etwas ausgelassen hatte. Ähnliches gilt für seinen Drehbuch-Co-Autor Ernesto Gastaldi, der dank seiner längeren Schaffenszeit noch am Sandalen-Film der frühen 60er Jahre und intensiv am Italo-Western-Genre mitgewirkt hatte.

In "Morte sospetta di una minorenne" (wörtlich "Mordverdacht bei einer Minderjährigen") werden diese Einflüsse auf Basis eines klassischen Poliziesco sichtbar. Dem Hauptstrang der Handlung - die Untersuchung eines Mordes an einer minderjährigen Prostituierten - werden Elemente des Giallo, der Komödie und des Buddy-Movie zugefügt, ohne den grundsätzlich ernsthaften Charakter des Films in Frage zu stellen. Seltsamerweise ist es diese originelle Gestaltung, der aus heutiger Sicht die Kritik gilt, als ob die Genres im Nachhinein nach starren Grenzen katalogisiert werden müssten. Zum Zeitpunkt der Entstehung des Films hatten sich inzwischen gültig scheinende Filmklischees noch nicht verfestigt, weshalb Martino geschickt mit der Rolle Claudio Cassinellis spielte, der im ersten Drittel des Films einen zwiespältigen Charakter abgibt. Er hatte mit der jungen Prostituierten (Patrizia Castaldi) getanzt, die ihr enges Zusammensein allerdings nur dafür nutzte, ihrem Verfolger zu entkommen, was ihr trotzdem nicht gelingt. Nach dem brutalen Mord an ihr, der im Stil eines Giallo inszeniert wird, beginnt Paolo Germi (Claudio Cassinelli) auf eigene Faust und mit unorthodoxen Methoden zu ermitteln, sich dabei von der Polizei weit fern haltend.

Sergio Martino nahm diese Ausgangssituation zum Anlass, mit Giannino (Adolfo Caruso) dem Protagonisten einen jungen Mann zur Seite zu stellen, der unmittelbar aus seinen Erotik-Komödien stammen könnte. Der Kleinkriminelle verkörpert den Typus des sympathischen, aber wenig attraktiven Verlierers, der in der aufkommenden Erotik-Film-Welle immer den witzigen Side-Kick gab, der selber kein oder nur das unattraktivste Mädchen abbekam. Auch auf die Figur des „Bombolo“, der in der „Superbullen“ – Reihe mit Tomas Milian („Delitto a porta romana“ (Elfmeter für den Superbullen, 1980)) zu dessen „Buddy“ wurde, weist Martino hier schon hin. Dass sich die in dem Fall offiziell ermittelnden Polizisten nur wenig mit Ruhm bekleckern, gehörte dagegen zum Standard eines Polizeifilms, der meist eine kritische Distanz zu den Behörden einnahm. Dass Martino aus ihnen noch zusätzlich Witzfiguren machte, die nur an ihre Fußball-Toto-Wette denken, persifliert diese Sichtweise ebenso, wie er aus einer Auto-Verfolgungsjagd – ein klassisches Element des Poliziesco – eine irre Slapstick-Nummer entwickelt. Das verstößt zwar gegen die Regeln eines ernsthaften Polizeifilms, wirkt aber keineswegs unpassend, da Martino damit die generell übertrieben inszenierten Elemente des Genres ins Aberwitzige steigert.

Trotzdem – und das lässt "Morte sospetta di una minorenne" gleichzeitig so unterhaltend, wie spannend bleiben – nimmt der Film seine Figuren ernst und entwickelt eine überraschende Story, deren Verlauf gegen die übliche Erwartungshaltung entworfen wurde - auch in ihrer pessimistischen Sichtweise. Neben Cassinelli, dessen intellektuelle Interpretation eines eigenwillig vorgehenden Verbrechensbekämpfers („La polizia ha le mani legate“ (Killer Cop, 1974)) heute leider gegenüber den von Maurizio Merli verkörperten harten Typen in Vergessenheit geraten ist, können Mel Ferrer als zwar kritischer, aber fähiger Polizeichef und Massimo Girotti als seriös scheinender Geschäftsmann überzeugen. In dieser gestalterischen Mischung erinnert der Film an den Italo-Western „Sugar Colt“ (Rocco mit den zwei Gesichtern, 1966), dem es auch gelang, witzige Momente in den ernsthaften Zusammenhang zu integrieren und der damit einen Ausblick auf die spätere Entwicklung des Western-Genres warf, das zunehmend komödiantisch verarbeitet wurde.

Gerade Liebhaber des Poliziesco sollten sich an der abwechslungsreichen Story erfreuen und weniger den Vergleich zu Martinos früheren Filmen oder „ernsthaften“ Polizieschi der Marke Umberto Lenzi suchen, denn der Niedergang des italienischen Films ging einher mit der nachlassenden Lust an der Vielfalt. Allein an der „Superbullen“ – Reihe, die ein Jahr nach "Morte sospetta di una minorenne" mit „Squadra antiscippo“ (Der Superbulle mit der Strickmütze) startete, wird diese Entwicklung sichtbar. Zuerst noch als Mischung aus ernstem Polizeifilm und Komödie angelegt, wurde die Filmreihe zum reinen Klamaukspektakel. „Eindeutigkeit“ galt Anfang der 80er Jahre als scheinbar verkaufsfördernd an den Kinokassen, egal ob als Komödie oder Horrorfilm – Genre übergreifende Filme wie "Morte sospetta di una minorenne" hätten zu diesem Zeitpunkt keine Chance mehr gehabt. Aus heutiger Sicht sollte sich das wieder geändert haben.

"Morte sospetta di una minorenne" Italien 1975, Regie: Sergio Martino, Drehbuch: Sergio Martino, Ernesto Gastaldi, Darsteller : Claudio Cassinelli, Mel Ferrer, Massimo Girotti, Adolfo Caruso, Lia Tanzi, Laufzeit : 96 Minuten

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Mittwoch, 13. Februar 2013

I dolci inganni (Süße Begierde) 1960 Alberto Lattuada

Inhalt: Die 17jährige Francesca (Catherine Spaak) erwacht mit einem seltsamen Gefühl am Morgen. Sie hatte intensiv von Enrico (Christian Marquand) geträumt, einem 20 Jahre älteren Architekten, in den sie sich verliebt hat. Ihr Bruder Eddy (Oliviero Prunas) denkt dagegen an den Nachmittag, an dem er mit Freunden eine Ausfahrt nach Frascati mit ihren Autos machen will. Francesca ist noch nicht klar, ob sie mit ihm fahren will, aber sie weiß, dass sie auf die Schule definitiv keine Lust hat.

Stattdessen geht sie zu Enrico, der im Zentrum von Rom lebt und besucht ihn, immer noch verwirrt von ihren nächtlichen sexuellen Emotionen. Doch Enrico, der parallel mit einer eifersüchtigen Freundin telefoniert, gelingt es nicht, sich auf Francesca einzulassen, weshalb sie kurzerhand entscheidet, doch in die Schule zu gehen...



Im Gegensatz zu berühmten und ausgezeichneten Werken des Neorealismus wie "Roma, città aperta" (Rom, offene Stadt, 1945) von Roberto Rossellini oder "Sciuscia" (Schuhputzer, 1946) von Vittorio De Sica, ist Alberto Lattuadas ebenfalls unmittelbar nach dem Ende des zweiten Weltkriegs entstandener Film "Il bandito" (Der Bandit, 1946) in Vergessenheit geraten. Schon in diesem, einem seiner ersten Filme, wurde der Stilwillen des studierten Architekten deutlich, der ein Heimkehrer-Drama mit einer Film-Noir-Story verband. Als der aus dem Gefangenenlager entlassene Soldat vor seinem von Bomben zerstörten Elternhaus steht, erfasst die Kamera diesen Moment mit einer 360 Grad Fahrt, unterlegt von Jazz-Musik. Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen, die in der frühen Phase des Neorealismus versuchten, die Realität möglichst ungeschönt einzufangen, war für Lattuada die Ästhetik in der Bildsprache immer ein wesentliches Kriterium.

In "I dolci inganni" (Süße Begierde) war sein Stil schon zur Perfektion gereift. Ähnlich wie Michelangelo Antonioni in "La notte" (Die Nacht, 1961) Mailand darstellte, ist Rom hier eine Stadt ohne Verfall und Armut. Doch während Antonioni mit seinen bis ins Detail komponierten Bildern die Kälte der modernen Sozialisation versinnbildlichen wollte, nutzte Lattuada den Hintergrund aus historischen Gebäuden und zeitgenössischer Architektur für die Schilderung eines Tages einer 17jährigen aus reichem Elternhaus. Nicht nur der Außenraum in Rom vermittelt ein Leben allererster Güte, auch Kleidung, Accessoires und die Zugehörigkeit zu Personen aus gesellschaftlich hochstehenden Kreisen sind selbstverständlich. Allein die Autos erfüllen den Anspruch an einen Concours, abgesehen davon, dass jeder junge Erwachsene über ein eigenes schickes Cabriolet zu verfügen scheint. Entsprechend ist die zentrale Szene des Films eine minutenlang gefilmte Sequenz, in der eine Gruppe junger Menschen in ihren offenen Fahrzeugen von Rom aufs Land fahren – während die langen Haare der Mädchen im Wind flattern, überholen sich übermütige junge Männer gegenseitig.

Mit der Realität des italienischen Alltags haben diese Szenen wenig gemeinsam, aber das täuscht, denn Lattuada benötigte diese ästhetische Optik, um sich einem Lieblingsthema nähern zu können – der Sexualität. Schon in seiner Episode „Gli Italiani si voltano“ in „L’amore in città“ (Liebe in der Stadt, 1953) beobachtete er den schönen weiblichen Körper, genauso wie die sich daraus ergebenden Reaktionen der Männer, in „La spiaggia“ (Der Skandal, 1954) konfrontierte Lattuada sein Publikum mit der Geschichte über eine ehemalige Prostituierte, deren Vorleben an ihrem Urlaubsort bekannt wird, und in „Guendalina“ (1957) inszenierte er mit der damals 17jährigen Jacqueline Sassard erstmals eine sehr junge Darstellerin, was ihn zum „Entdecker junger Mädchenblüte“ (Corriere della sera) werden ließ, einem wenig vorteilhaften Ruf, den er sich bis zu einem seiner letzten Filme „Cosi come sei“ (Bleib wie du bist, 1978), mit dem er die damals 17jährige Nastassja Kinski international bekannt werden ließ, bewahrte. In „I dolci inganni“ wurde seine Vorliebe für sehr junge Darstellerinnen zum Anlass für einen veritablen Skandal, nicht nur weil die Hauptdarstellerin Catherine Spaak damals erst 15 Jahre alt war, sondern weil Lattuada seinen Film offensiv sexuell gestaltete.

Allein die ersten Minuten, in denen die Kamera die erwachende Francesca (Catherine Spaak) genau beobachtet, ihren verklärten und gleichzeitig verwirrten Gesichtsausdruck dokumentiert, ihren Körper umschmeichelt, ihre Selbstberührungen zeigt - dabei ihre Brüste durchschimmern lassend - bis sie sich räkelnd in ihrem knappen Pyjama erhebt, erfüllten jede schwülstige Männerfantasie, hätte Lattuada diese Szene nicht gleichzeitig in seiner klaren, ästhetischen Bildsprache inszeniert. Äußerlich beginnt damit der Tag, an dem sie ihre Sexualität entdeckt - von dem deutschen Filmtitel „Süße Begierde“ zusätzlich noch betont - inhaltlich aber geht es um Selbstständigkeit und Befreiung, im weiteren Sinn um weibliche Emanzipation. „I dolci inganni“ bezeichnet wörtlich „die süßen Betrüger“ und vermittelt damit ein Verhalten, dass sich den Erwartungshaltungen an die weibliche Rolle entzieht. 

Diese Intention des Films wird erst durch den zeitlichen Kontext offensichtlich, denn Alberto Lattuada verband mit der Sexualität eine anti-bürgerliche Haltung, mit der er die italienische Nachkriegsgesellschaft provozierte und Ärger mit der Zensur bekam. Dabei wirken seine Filme, trotz der genauen Beobachtung des weiblichen Körpers, nicht voyeuristisch, sondern vermitteln seine generelle Suche nach Schönheit. Mit dieser Haltung stand er nicht allein, wie an einer Vielzahl an Parallelen erkennbar wird. Jacqueline Sassard drehte 1957 parallel zu „Guendalina“ auch einen Film („Nata di marzo“) mit Antonio Pietrangeli, der für seine Inszenierungen großartiger Frauenrollen später bekannt wurde. Dort spielte sie ebenfalls ein Mädchen namens Francesca, ein Name der kaum zufällig wiederholt für diesen Rollentypus verwendet wurde. Nicht nur Catherine Spaak spielte unter diesem Namen in „La voglia matta“ (Lockende Unschuld, 1962) erneut eine lolitahafte Verführerin, auch Nastassja Kinski hieß so in „Cosi come sei“. Zudem hatte Valerio Zurlini das Drehbuch zu „Guendalina“ geschrieben und besetzte Jacqueline Sassard als weibliche Nebenrolle in seinem folgenden Film „Estate violenta“ (Wilder Sommer, 1959), während Catherine Spaak in „La parmigiana“ (1963) unter Antonio Pietrangeli drehte. Doch keiner von ihnen spielte so offensichtlich mit der Erotik der jungen Frauen wie Alberto Lattuada.

Nachdem Francesca am Morgen aufgestanden war, verspürt sie wenig Lust in die Schule zu gehen, sondern begibt sich zu dem Stadthaus im Zentrum Roms, in dem Enrico (Christian Marquand) wohnt, der Mann von dem sie in der Nacht geträumt hatte. Der 20 Jahre ältere Architekt ist allerdings wenig aufmerksam, da er mit seiner offensichtlich eifersüchtigen Freundin telefoniert, weshalb Francesca sich doch entscheidet, noch zur Schule zu gehen. Die Story selbst ist wenig aufregend, sondern schildert einen Tagesablauf, der sie nach der Schule zu einer Freundin führt, bevor sie mit deren exaltierter Mutter (gespielt von der Sängerin Milly) einkaufen geht und in einem Palazzo landet, wo sie Zeuge der Beziehung zwischen der Principessa und ihrem Liebhaber aus einfachen Verhältnissen (Jean Sorel) wird. Später begleitet sie ihren Bruder bei dessen Teilnahme an der Ausfahrt aufs Land, bevor sie ihn überredet zu einem Restaurierungsobjekt zu fahren, wo sie erneut auf den Architekten Enrico trifft.

Es ist nicht die Story selbst, sondern die Nuancen im Verhalten untereinander, die den Film nicht altmodisch wirken lassen, obwohl die Konzentration auf die Sexualität heute nicht mehr als Provokation verstanden werden kann. Die Oberfläche eines luxuriösen Lebens wird dabei mehrfach gebrochen, ohne das Lattuada damit dramatisieren oder Kritik daran üben will. Viel mehr geht es um generelle Muster, die sich auf allen Ebenen abspielen und denen sich niemand entziehen kann.


Der am Morgen noch ignorante Enrico nimmt, nachdem diese ihm am Abend ihre Liebe offeriert hatte, die Position eines verantwortungsvollen Mannes ein, der ihre Beziehung gesellschaftlich legitimieren will. Dass es zum Sex zwischen ihnen kommt, liegt einzig an ihr. Er sprach im Gegenteil davon, noch ein Jahr bis zu ihrem 18. Geburtstag warten zu wollen – die Selbstverständlichkeit ihrer Jungfräulichkeit voraussetzend. Diese Wendung lässt ihn seine Verantwortung für sie noch aufgeregter betonen, während sie ganz entspannt, fast erwachsener als der ältere Mann wirkt. Sie ist keine „Femme fatale“ und sie verstößt ihn auch nicht, aber sie lässt ihr weiteres Handeln offen. Die Erfahrung der Sexualität hat sie befreit und Lattuada entlässt sie mit einem sanften Lächeln in ihrem Gesicht. Mit diesem selbstbewussten, unabhängigen Ende verstieß der Film gegen die damaligen moralischen und gesellschaftlichen Regeln, aber auch im Vergleich zu populären Filmen der Gegenwart wirkt er nicht nur wegen seiner Ästhetik immer noch modern. 

"I dolci inganni" Italien, Frankreich 1960, Regie: Alberto Lattuada, Drehbuch: Alberto Lattuada, Franco Brusati, Claude Brulé,  Darsteller : Catherine Spaak, Jean Sorel, Christian Marquand, Juanita Faust, Milly, Laufzeit : 95 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Alberto Lattuada:

Mittwoch, 6. Februar 2013

Paura nella città dei morti viventi (Ein Zombie hing am Glockenseil) 1980 Lucio Fulci


Inhalt: In dem kleinen Ort Dunwich begibt sich ein Priester auf den örtlichen Friedhof, um sich aufzuhängen. Der Sage nach entfesselt er damit die Kräfte der Toten, die als gefräßige Zombies aus ihren Särgen auferstehen und die Menschheit bedrohen. Weit entfernt in New York sieht das Medium Mary (Catriona MacColl) die apokalyptische Bedrohung während einer Seance, was sie scheinbar das Leben kostet. Schon begraben, verdankt sie ihr Leben dem neugierigen Journalisten Peter Bell (Christopher George), der ihren Schrei aus dem Sarg hört. Gemeinsam fahren sie nach Dunwich, um das kommende Unheil noch zu verhindern.

Doch dort haben die unterirdischen Kräfte längst begonnen, die Bewohner des Ortes anzugreifen, ohne dass diesen schwant, was auf sie zukommt. Als die ersten Morde geschehen, steht die Polizei vor einem Rätsel, besonders als die Leichen wenig später verschwinden. Von Einigen wird der etwas einfältige Bob (Giovanni Lombardo Radice) verdächtigt, was diesen dazu zwingt sich zu verstecken…


Als Lucio Fulci 1980 "Paura nella città dei morti viventi" (wörtlich "Angst in der Stadt der lebenden Toten", wesentlich malerischer der deutsche Titel "Ein Zombie hing am Glockenseil") drehte, hatte er schon eine 20jährige Karriere als Regisseur und fast 30 Jahre als Drehbuchautor hinter sich, was angesichts seiner späten Horrorfilme, von denen er Unmengen in den 80er Jahren heraus brachte, häufig in Vergessenheit gerät. In den 50er und 60er Jahren schrieb und drehte er eine Vielzahl an Komödien, arbeitete mit Steno und Ettore Scola zusammen ("Un americano a Roma" (Ein Amerikaner in Rom, 1954)), oder unter Sergio Corbucci ("Totò, Peppino e... la dolce vita" (Totò, Peppino und das süße Leben, 1961)). Noch 1978 hatte er mit "Sella d'argento" (Silbersattel) den letzten seiner drei Western fertig gestellt, an denen mit Franco Nero, Tomas Milian und Giuliano Gemma jeweils drei der bekanntesten Darsteller des Genres beteiligt waren, bevor er ein Jahr später mit "Zombi 2" (Woodoo - die Schreckensinsel der Zombies) erstmals ins Splatterfach wechselte, unterstützt von größtenteils unbekannten Akteuren.

Ähnliche Parallelen sind in der Vita seines Co-Autors Dardano Sacchetti festzustellen. Dieser war an prägenden Filmen der 70er Jahre wie Dario Argentos erstem Film "Il gatto a nove code" (Die neunschwänzige Katze, 1971) beteiligt, schrieb gemeinsam mit Umberto Lenzi einige der bekanntesten Polizieschi wie "Roma a mano armata" (Die Viper, 1976) oder "Il trucido e lo sbirro" (Das Schlitzohr und der Bulle, 1976) und entwarf die Trilogie um "Mark il poliziotto" (1975) unter der Regie von Stelvio Massi, bevor er mit mehreren Drehbüchern pro Jahr im Horror-Sumpf der 80er Jahre versank. Selbst Umberto Lenzi erging es ähnlich, als er sich 1980 mit "Incubo sulla città contaminata" (Großangriff der Zombies) vermehrt in Richtung Horror orientierte - eine Entwicklung, die für das gesamte italienische Kino galt, dass größtenteils durch brachiale Komödien der Marke Bud Spencer / Terence Hill oder zunehmend hingeschluderte Horrorfilme auf sich aufmerksam machte, während Altmeister wie Michelangelo Antonioni, Federico Fellini oder Mario Monicelli nur noch wenige Spätwerke ablieferten.

Seit den späten 60er Jahren waren parallel zu den großen Filmproduktionen provokative, avantgardistische Filme entstanden, etwa von Tinto Brass ("L’urlo" (Die Eule, 1970)), Renato Polselli ("Rivelazioni di uno psichiatra sul mondo perverso del sesso", 1973) oder Alberto Cavallone ("Blue Movie", 1978), die auch die Grenzen zur Pornographie teilweise überschritten. Diese verstanden sich von vornherein als Nischenprodukte, während "Paura nella città dei morti viventi" auf die aufkommende Horror- und Slasherwelle im US-amerikanischen Kino reagierte, dass dem italienischen Film, der unter finanzieller Unterversorgung litt, längst den Rang abgelaufen hatte. Trotzdem muss Lucio Fulci bewusst gewesen sein, dass sein Film mit den für die damalige Zeit extrem expliziten Gewaltdarstellungen kaum auf ein Massenpublikum zugeschnitten war. Das dieser trotz der billigen Machart zu einem der bekanntesten italienischen Filme seiner Zeit wurde - unter dem deutschen Titel "Ein Zombie hing am Glockenseil" geradezu berühmt-berüchtigt - förderte weiter das Schmuddel-Image, das dem italienische Kino seit den 80er Jahren anhaftet (siehe auch "Das italienische Kino frisst sich selbst")

Das lässt verkennen, dass Lucio Fulcis zweiter Horror-Streifen noch stark vom klassischen Giallo beeinflusst ist und in ruhigem Tempo ein atmosphärisch dichtes Szenario entwickelt. Über die Logik einer Story nachzusinnen, die mit dem Selbstmord eines Priesters beginnt, der damit in dem kleinen Städtchen Dunwich eine Katastrophe herauf beschwört, ist müßig. Viel mehr ist es interessant, dass Fulci zwei parallele Erzählstränge entwickelt, die er erst spät zusammenführt. Im entfernten New York fällt das Medium Mary (Catriona MacColl) scheinbar tot um, als sie bei einer Seance von den Vorkommnissen in Dunwich erfährt. Erst von dem Journalisten Peter Bell (Christopher George) wird sie in einer beeindruckenden Szene aus ihrem Sarg befreit, um sich dann mit dem neugierigen Skeptiker auf den Weg nach Dunwich zu begeben.

Dort werden die lebenden Toten langsam aktiv, ohne dass der Bevölkerung klar ist, was passiert und ohne das es Fulci nötig hat, irgendwelche Zombies zu zeigen. Es ist die stärkste Phase des Films, in der weniger die Gewaltdarstellungen als ein behutsamer Aufbau der Spannung im Mittelpunkt steht. Zwar bleiben die Protagonisten um den Psychiater Gerry (Carlo De Mejo) und die Künstlerin Sandra (Janet Agren) charakterlich oberflächlich gestaltet, verhalten sich aber sympathisch und ohne dümmliche Dialoge (die Kritik bezieht sich auf die italienische Originalfassung). Besonders die Szenen in Sandras Haus oder um den kleinen Bruder (Luca Venantini) der ermordet aufgefundenen Emily (Antonella Interlenghi) verbreiten angenehmes Horror-Feeling, während die Nebenstory um den angeblich schwachsinnigen Bob (Giovanni Lombardo Radice), dem von Einigen in der Stadt die Schuld an den Morden gegeben wird, an eine plakative Tötungsszene verschenkt wurde.

Nicht nur in dieser Sequenz zeigen sich die Schwächen eines Drehbuchs, das mehrfach den Faden verliert. Trotzdem gelingt es Fulci und Sacchetti den Film zielgerichtet auf einen Showdown hinzuführen, der die Protagonisten in das Grab des Priesters zwingt. Nur dort kann es eine Erlösung von den Zombies geben, die die Bevölkerung systematisch zu dezimieren beginnen. Gerade das ruhige Tempo des Films und die langsamen Bewegungen der Beteiligten machen heute noch den Reiz eines Films aus, der nicht auf schnelle Schnitte und ständige Action setzt, sondern bis zum Schluss seinen gruseligen Gestus wahrt. Unterstützt wird dieser Eindruck noch von einer stimmig eingesetzten Musik, deren Ähnlichkeit zu John Carpenters Kreationen keinen Nachteil bedeutet.

Die Splatterszenen dagegen, auch wenn sie zum Bekanntheitsgrad des Films wesentlich beitrugen, wirken manchmal unnötig brutal, weniger um die Spannung zu fördern, als unbedingt schockieren zu wollen. Daran zeigte sich schon die spätere Entwicklung, in der sich das italienische Kino nicht mehr auf seine eigenen Stärken berief, mit denen es viele Jahre das Medium Film beeinflusste, sondern zunehmend auf Extreme setzte, sei es im Horror-Film oder in immer überdrehteren Komödien. "Paura nella città dei morti viventi" (Ein Zombie hing am Glockenseil) befand sich erst am Anfang dieser Phase und kann seine Schwächen noch mit einer überzeugend gestalteten Atmosphäre überspielen.

"Paura nella città dei morti viventi" Italien 1980, Regie: Lucio Fulci, Drehbuch: Lucio Fulci, Dardano Sacchetti,  Darsteller : Christopher George, Catriona MacColl, Carlo De Mejo, Antonella Interlenghi, Janet Agren, Laufzeit : 89 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Lucio Fulci:

Samstag, 2. Februar 2013

L'armata Brancaleone (Die unglaublichen Abenteuer des hochwohllöblichen Ritters Branca Leone) 1966 Mario Monicelli

Inhalt: Der Ritter Arnolfo (Alfio Caltabiano) eilt den Menschen eines Dorfes zu Hilfe, als diese von Strauchdieben überfallen werden, wird aber selbst Opfer von Pecoro (Folco Lulli) und Taccone (Gianluigi Crescenzi), die ihn von hinten mit einem Stein niederschlagen. Nachdem sie dem vermeintlich Getöteten seinen Besitz geraubt hatten, schmeißen sie ihn in einen Fluss. Bei dem Händler Abacus (Carlo Pisacane) versuchen sie ihr Diebesgut zu verscherbeln, ohne zu begreifen, welche Kostbarkeit sich darunter befindet. Bis Abacus ihnen den Text einer Urkunde vorliest, der den Inhaber des Papiers als Besitzer des Lehensguts Aurocastro ausweist.

Doch den Räubern würde Niemand diese Rolle abnehmen, weshalb sie einen Ritter brauchen, der Aurocastro übernimmt und sie zur Hälfte daran beteiligt. Ihre Wahl fällt auf Brancaleone (Vittorio Gassman), da dieser selbst völlig verarmt ist. Umso stärker ist sein Stolz und Ehrgefühl, weshalb er das Angebot des Gesindels hochmütig ablehnt und sein Heil in einem Ritterturnier sucht, um die Hand einer Tochter aus gutem Hause zu erobern. Das misslingt schmählich, weshalb er sich gezwungen sieht, wieder auf die armselige, kleine Gruppe zurück zu kommen, nicht ohne diese zu seiner Armee zu ernennen, bevor er sich in das Abenteuer stürzt…


Für seine Idee, einen Film im Stil eines Schelmenromans über die tragikomischen Abenteuer des Ritters Brancaleone da Norcia (Vittorio Gassman) zu drehen, hatte Mario Monicelli wieder sein bewehrtes Team an der Seite. Agenore Incrocci, genannt "Age", und Furio Scarpelli hatten schon eine Vielzahl an Drehbüchern gemeinsam mit ihm erarbeitet, darunter mit "I soliti ignoti" (Diebe haben's schwer, 1958) den Film, der heute als Beginn der "Commedia all'italiana" angesehen wird, die in der Tradition des Neorealismus ihren kritischen Gestus geschickt unter einer komödiantischen Handlung verbarg. "L'armata Brancaleone" (Die unglaublichen Abenteuer des hochwohllöblichen Ritters Branca Leone) war in seiner Anlage nicht weniger originell und neuartig, nicht nur wegen der ins 11.Jahrhundert versetzten Handlung, sondern besonders hinsichtlich der Tatsache, dass eine eigene Sprache dafür kreiert wurde - italienische Dialekte, vermischt mit spätlateinischen Elementen und dem studentischen Jargon der Gegenwart, zudem noch nach den Eigenarten der Charaktere unterschiedlich gestaltet. Gassman als adliger Ritter hält seine häufig theatralischen Reden in einem mit Latein vermischten Hochitalienisch, der Händler Abacus (Carlo Pisacane) spricht eine jüdisch gefärbte Version, während die einfachen Räuber eine vulgäre Ausdrucksweise pflegen.

Auch die Darstellerriege bestand aus alten Bekannten. Vittorio Gassman und Carlo Pisacane hatten ebenfalls in "I soliti ignoti" mitgewirkt, Gian Maria Volontè, der den byzantinischen Jung-Ritter Teofilatto spielt, der sich nach einem unentschiedenen Duell mit Brancaleone der kleinen Gruppe anschließt, hatte in "A cavallo della tigre" (Vergewaltigt in Ketten, 1961), zu dem Monicelli, Age und Scarpelli unter der Regie von Luigi Comencini das Drehbuch schrieben, eine frühe Rolle inne gehabt, und Enrico Maria Salerno als religiöser Eiferer hatte ein Jahr zuvor in Monicellis "Casanova '70" (1965) gespielt. Catherine Spaak arbeitete zwar noch nicht direkt mit Monicelli zusammen, wurde aber seit ihrer Rolle an der Seite von Vittorio Gassman in "Il sorpasso" (Verliebt in scharfe Kurven, 1962) mehrfach in italienischen Komödien besetzt.

Diese Vertrautheit unter den Beteiligten war eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen eines Films, dessen absurde, teils urkomische Handlung nie in Albernheit abdriftet, sondern immer mit der notwendigen Ernsthaftigkeit und Authentizität in den Charakteren vorgetragen wird. Schon der Beginn verdeutlicht, dass es im Mittelalter nicht harmlos zuging, denn als eine Räuberbande ein Dorf überfällt, wird ohne Rücksicht vergewaltigt und gemordet. Dem zu Hilfe eilenden Ritter Arnolfo (Alfio Caltabiano) gelingt es zwar, die Räuber zu töten oder zu verjagen, aber er wird Opfer von Pecoro (Folco Lulli) und Taccone (Gianluigi Crescenzi), die ihn aus dem Hinterhalt niederschlagen bis sie seinen vermeintlich toten Körper in den Fluss schmeißen. Nicht ohne ihn zuvor zu berauben, weshalb ihnen eine Schriftrolle in die Hände fällt, die sie nicht entziffern können.

Gemeinsam mit dem Räuber Mangold (Ugo Fangareggi), der als Einziger außer ihnen den Überfall überlebte, begeben sie sich zu dem jüdischen Händler Abacus, der sofort begreift, welchen Wert die Schriftrolle hat. Der Inhaber dieses Papiers darf Aurocastro, eine Festung und die sie umgebende Stadt, sein Eigen nennen. Allerdings benötigen sie dafür einen Ritter, der diesen Besitz mit ihnen teilt, womit Brancaleone da Norcia ins Spiel kommt. Dieser, obwohl mittellos und herunter gekommen, denkt gar nicht daran, mit dem Gesindel zusammen zu arbeiten. Viel mehr will er bei einem Turnier die Hand einer Tochter aus wohlhabendem Hause gewinnen, scheitert aber schon am ersten Wettkampf, als sein gelb gestrichenes Pferd Aquilante davon läuft. Schnell ändert er deshalb seine Meinung und macht sich mit den vier Männern, die er zu seiner Armee ernennt, auf den Weg nach Aurocastro.

Nach dieser Einleitung erleben sie gemeinsam eine Vielzahl von Abenteuern, deren Reihenfolge beliebig änderbar ist, nachdem sich mit dem Ritter Teofilatto ein weiterer Mann angeschlossen hatte. Monicelli gibt das die Gelegenheit, unterschiedliche Szenarien durchzuspielen, die trotz ihrer Einbettung in das Mittelalter eine unverkennbare Nähe zu bis heute aktuellen Themen aufweisen. Das Bild, dass er vom Mittelalter zeichnet, ist zwar komödiantisch gebrochen - besonders die schönen Frauen sind optisch bewusst der Gegenwart angelehnt - aber der gesamte Eindruck einer gewalttätigen, dummen und ärmlichen Sozialisation wirkt wesentlich realistischer als die üblichen Ritter-Geschichten. Die Konfrontation der einfachen Männer unter der Leitung eines Ritters, dessen beste Absichten regelmäßig in der Katastrophe enden, mit der herrschenden Klasse, nutzt Monicelli entsprechend, um unverhohlene Seitenhiebe auf Moral und Sozialisation der sich verändernden italienischen Gesellschaft Mitte der 60er Jahre auszuteilen.

Ob sie sich dem religiösen Fanatiker Zenone anschließen, der seine Gottesurteile nach Gelegenheit anpasst, Abacus als Ungläubigen bezeichnet und ihn zur Taufe zwingt, ob sich eine schöne Witwe sexuell Brancaleone hingeben will, bis er merkt, dass die Stadt, in der sie sie als einzige Überlebende angetroffen hatten, von der Pest heimgesucht wurde, ob er sein Versprechen zu halten versucht, eine Jungfrau (Catherine Spaak) heil ihrem zukünftigen Gemahl zu übergeben oder ob sie versuchen für Teofiletto bei dessen Vater ein Lösegeld zu erpressen - natürlich unter Mithilfe ihres Kameraden - immer geraten sie in Schwierigkeiten. Nichts bleibt ihnen erspart - Eisenkäfig, vergiftete Pfeile, Pfählung oder Verbrennung auf dem Scheiterhaufen. So einfältig, abgerissen und egoistisch Brancaleone und seine kleine Truppe daher kommen - im Vergleich zu ihrer verlogenen und missgünstigen Umgebung werden sie zunehmend zu Sympathieträgern.

Das ist besonders Vittorio Gassman zu verdanken, der mit Ernsthaftigkeit und Verve einen Mann spielt, der trotz seiner Selbstüberschätzung und Eitelkeit, immer auch Anstand und Würde ausstrahlt. Sein ständiges Scheitern hält ihn nicht davon ab, auch in niederschmetternden Momenten pathetische Reden zu halten. Dank Gassmans Spiel gleitet diese Figur nie ins Lächerliche ab, sondern verkörpert ganz ohne heroisches Benehmen Standfestigkeit und Haltung. "L'armata Brancaleone" ist eine derbe, nicht vor drastischen Bildern haltmachende Komödie, zudem in ihrem hohen, die Schauplätze häufig wechselndem Tempo von großem Unterhaltungswert, aber sie bleibt in sich schlüssig, da sie ihre satirischen Mittel immer nur so weit ausreizt, dass der realistische Hintergrund spürbar bleibt. Es erstaunt nicht, dass Brancaleone in „Brancaleone alle grociate“ (Brancaleone auf Kreuzzug ins heilige Land, 1970) in seiner unkonventionellen Art erneut gegen die Mächtigen und Meinungsmacher antreten durfte, denn man möchte ihm mit der großartigen Musik Carlo Rustichellis hinterher rufen: Branca! Branca! Branca! Leone! Leone! Leone!

"L'armata Brancaleone" Italien 1966, Regie: Mario Monicelli, Drehbuch: Mario Monicelli, Furio Scarpelli, Agenore Incrocci (Age),  Darsteller : Vittorio Gassman, Gian Maria Volonté, Catherine Spaak, Enrico Maria Salerno, Carlo Pisacane, Folco Lulli, Laufzeit : 115 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Mario Monicelli:

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.