Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Sonntag, 23. Oktober 2016

La matriarca (Huckepack) 1968 Pasquale Festa Campanile

Inhalt: Gemeinsam mit ihrer Mutter und anderen Gästen sitzt Mimi (Catherine Spaak) vor dem Sarg ihres jung verstorbenen Ehemanns. Zum Trauern bleibt ihr nur wenig Gelegenheit, denn die Geschäfte der Firma ihres Mannes müssen weitergehen, ihre Mutter stellt schon Fragen in Richtung neuer Beziehungen und sie wird mit einem überraschenden Erbe konfrontiert. Sie erhält die Schlüssel für eine ihr bisher unbekannte Wohnung, eingerichtet als Liebeshöhle für Sado-Maso-Spielchen mit dazu gehörigem Privat-Kino. 

Da ihr Mann seine Aktivitäten gefilmt hatte, kann sie sich nicht nur von dessen Vorlieben überzeugen, sondern auch von den Gespielinnen, zu denen auch ihre beste Freundin gehörte. Nur sie selbst war für ihren Mann tabu, denn sie war für ihn die brave, geradezu heilige Ehefrau. Eine Rolle, die Mimi nicht mehr einzunehmen bereit ist, weshalb sie beginnt, die Wohnung für ihre eigenen Zwecke zu nutzen…


So sexy und werbewirksam das Plakat zu "La matriarca" ist, es weckte einen falschen Eindruck. Keinen Moment im Film tritt Catherine Spaak als Domina auf. Im Gegenteil gibt es eine Szene, in der sie sich unterwirft, geschlagen und erniedrigt wird - und feststellt, dass sie daran keine Freude hat. Die Dominanz der weiblichen Hauptrolle drückte sich nicht im konkreten sexuellen Akt aus, sondern in ihrem selbstbewussten Auftreten. Sie selbst wählte die Männer zum Sex aus, die mit dieser Rollenverteilung nur schwer zurecht kamen.

Regisseur Pasquale Festa Campanile siedelte seinen Film im Milieu des italienischen Groß-Bürgertums an, das sich Ende der 60er Jahre aufgeklärt und modern gab, gleichzeitig aber an den klassischen Geschlechterrollen festhielt, und blieb trotz der explizit sexuellen Thematik angenehm zurückhaltend und in seiner komödiantischen Leichtigkeit wenig provokant. Ein Grund, warum "La matriarca" heute nahezu unbekannt ist. Zu unrecht, denn Campanile verlieh dem Thema Sex eine gegenwartsbezogene Normalität, wie sie erst in den 70er Jahren zur Regel wurde. Und steht am Beginn der "Commedia sexy all'italiana" und damit am Ende meines Essay "Von der Moral-Kritik bis zum Dekamaron – die Entstehung der „Commedia sexy all’italiana“ in den 60er Jahren" (Demnächst hier im Blog). 


Mimi (Catherine Spaak) entdeckt das Geheimversteck ihres Mannes...
"La matriarca" hat es in keine Skandal-Film Auflistung gebracht, wurde nicht im Nachtprogramm diverser TV-Kabel-Kanäle verwurstet und erhielt nicht einmal ein Release auf einem einschlägigen Video-Label. Im Gegensatz zu Regisseur Campaniles wenig später folgenden Erotik-Komödien „Quando le donne avevano la coda“ (Als die Frauen noch Schwänze hatten, 1970) oder „Il merlo maschio“ (Das nackte Cello, 1971). Eine Reihe, die sich beliebig fortsetzen ließe. Das Drehbuch zu „La matriarca“ stammte zwar ausnahmsweise nicht vom Regisseur selbst, aber mit Ottavio Jemma war ein Autor daran beteiligt, der den erotischen Film Ende der 60er Jahre entscheidend prägte und auch eng mit Salvatore Samperi („Malizia“ (1973)) und Alberto Lattuada („La farò la padre“ (1974)) zusammenarbeitete. Die eigentliche Idee des Films ging aber zurück auf Nicolò Ferrari, der nur wenige Drehbücher und Regie-Arbeiten übernahm. Darunter mit „Laura nuda“ (1961) ein frühes kontroverses Werk über eine sexuell aktive Frau und ihre sich verändernde Rolle in der italienischen Gesellschaft.

...und nimmt dessen Rolle ein - der Geschäftsführer (Gigi Proietti)
Fast folgerichtig in Form eines Dramas, denn die gegenwartsbezogene sexuelle Thematik benötigte in den 60er Jahren in der Regel einen ernsthaften Hintergrund, der auch die soziale Fallhöhe im Handeln der Frau erkennen ließ. Der frivole, leichtfertige Umgang mit der Sexualität bedurfte dagegen entweder einer literarischen Vorlage („Der Reigen“) oder eines Ambientes im nicht bürgerlichen Milieu. Die zahlreichen Episodenfilme der 60er Jahre verstießen in ihrer komödiantischen Respektlosigkeit gegen diese Regel, aber Langfilme, die eine sexuell aktive Frau in den Mittelpunkt einer Story stellten, ohne ihr Verhalten zu relativieren oder zu dramatisieren, blieben die Ausnahme. Regisseur Festa Campanile schuf 1966 mit „Adulterio all’italiana“ (Seitensprung auf Italienisch) seine erste Erotik-Komödie über ein Ehepaar auf Abwegen, das lustvoll mit dem Fremdgehen kokettiert. Doch während der Ehemann schon in der ersten Szene im Bett einer anderen Schönen landete, blieb es bei seiner Ehefrau bei Anspielungen. Die letzte Konsequenz zog sie nicht.

Der Zahnarzt (Frank Wolff)
Gespielt wurde die weibliche Hauptrolle in „Adulterio all’italiana“ von Catherine Spaak, ihr erster von vier Filmen unter der Regie Campaniles. Die seit den frühen 60er Jahren für ihre emanzipiert, erotischen Auftritte bekannte junge Darstellerin und der langjährige Drehbuchautor, als Regisseur ins Sex-Fach wechselnde Campanile waren eine ideale Kombination für die aufkommende „Commedia sexy“. Ihr Werdegang lässt aber auch erkennen, wie sensibel der Umgang mit dem Thema Sex Mitte der 60er Jahre noch sein musste. Trotz ihrer unmissverständlichen Freizügigkeit gegenüber Männern, verfiel Catherine Spaak in ihren Rollen nie in Promiskuität. Selbst in „La parmigiana“ (1963), in dem sie sich zeitweise prostituieren muss, ist sie nicht leicht zu haben. Einher ging diese noch den Anstand wahrende Inszenierung mit einer Zurückhaltung in den Bildern. Konkret nackt war Catherine Spaak nicht zu sehen.

Der Tennislehrer (Philippe Leroy)
„La matriarca“ bedeutete in mehrfacher Hinsicht eine Wende. Regisseur Campanile hatte zwar in „La cintura di castità“ (Der Keuschheitsgürtel, 1967) schon offenherzigere Blicke zugelassen, aber das betraf ausschließlich weibliche Nebenrollen. Zudem siedelte er die Handlung in eine weit zurückliegende, wenig authentische Vergangenheit an – eine Ende der 60er Jahre besonders im italienischen Erotik-Film aufkommende Mode, um der Zensur zu entgehen. „La matriarca“ ist dagegen ganz Gegenwart. Die Geschichte einer jungen Ehefrau aus dem gehobenen Bürgertum, die nach dem überraschenden Tod ihres Mannes feststellen muss, dass dieser sie nicht nur ständig betrogen hatte – darunter mit ihrer besten Freundin – sondern eine aufwändig eingerichtete Wohnung für Sex-Treffen vorhielt mit Studio für SM-Praktiken und einem Porno-Kino für selbst gedrehte Filme. 

Der geheimnisvolle Mister X (Luigi Pistilli)
Doch während die erst im folgenden Jahr erschienenen einschlägigen Literatur-Verfilmungen „Marquis de Sade: Justine“ und „Le malizie di Venere“ (Venus im Pelz) noch heute einen skandalträchtigen Ruf genießen, ist „La matriarca“ nahezu unbekannt. Zu beiläufig im komödiantischen Kontext hantierte hier Campanile mit ungehemmtem Sex und sadistischen Spielchen. Zu verdanken ist das besonders Catherine Spaak, die sich von der braven Ehefrau zur scheinbaren Nymphomanin wandelt, ohne ihre selbstbewusst-spielerische Art zu verlieren und deren – verglichen mit ihren früheren Filmen – konkretere Nacktheit nur wenig voyeuristisch wirkte. Unverkrampft fordert sie Sex ein, in dem sie sich etwa nackt zu ihrem Tennislehrer (Philippe Leroy) unter die Dusche gesellt. Dieser, sonst ganz Macho, reagiert irritiert, kaum in der Lage, das offensichtliche Angebot annehmen zu können. Das gilt auch für die restliche Männerwelt, die sonst säuberlich nach Ehefrau und Geliebter zu trennen pflegt, und nicht damit umgehen kann, dass Mimi (Catherine Spaak) den Spieß einfach umdreht.

Bis sie Dr. Carlo De Marchi (Jean-Louis Trintignant) kennenlernt...
Diesem Umstand ist auch der Originaltitel „La matriarca“ (Die Matriarchin) zu verdanken, der Mimis Rollentausch zwar treffend beschreibt, aber nur wenig Erotik verheißt. Getoppt wird dieser Eindruck noch durch den deutschen Titel „Huckepack“, der auf Mimis Fetisch anspielt, die ihre größte Lust empfindet, wenn sie auf dem Rücken eines Mannes reiten kann. Losgelöst betrachtet klingt „Huckepack“ mehr nach einem Abenteuerfilm für Jugendliche, weshalb sich die Frage aufdrängt, warum der deutsche Verleih bei Campaniles Film auf die gewohnte Werbewirksamkeit sexbezogener Titel verzichtete. Eine Frage, die nah an die Berührungsängste führt, die ein Erotikkomödie im bürgerlichen Umfeld Ende der 60er Jahre noch auslöste – kein Beziehungsdrama, kein Crime-Hintergrund, kein exotischer oder historischer Schauplatz, keine exaltierten Persönlichkeiten, nicht einmal ein dokumentarischer Charakter.

...und ihre wahren sexuellen Bedürfnisse
Eine Normalität, die letztlich zum Scheitern des Films auch aus heutiger Sicht führte, denn das Mimi am Ende mit dem versponnenen Arzt Dr. Carlo De Marchi (Jean-Louis Trintignant) wieder einen Mann fürs Leben serviert bekam, schien ihren Ausbruch aus dem Rollen-Klischee schnell wieder zu beenden. „La matriarca“ verstand sich nicht als emanzipatorisches Experimentierfeld, sondern kommentierte ironisch die Ende der 60er Jahre grassierende Sex-Welle, die vor keinem Fetisch Halt machte, gleichzeitig die gewohnte Geschlechterordnung aber nicht in Frage stellte. Im Gegenteil bedeuteten die neuen Freiheiten für die Männer größere Entfaltungsmöglichkeiten, änderte aber nichts am „heiligen“ Status ihrer Ehefrauen. Diesem aktuellen Gesellschaftsbild fehlte zwar der konkrete kritische Gestus der frühen 60er Jahre, war aber ungewöhnlich leicht im Umgang mit der gegenwartsbezogenen sexuellen Thematik. Damit steht „La matriarca“ beispielhaft für den Übergang von der „Commedia all’italiana“ zur „Sexy“-Variante – der gesellschaftskritische Habitus nahm ab, die Selbstverständlichkeit von Sex im bürgerlichen Milieu nahm zu. 

"La matriarcaItalien 1969, Regie: Pasquale Festa Campanile, Drehbuch: Ottavio Jemma, Nicolò FerrariDarsteller : Catherine Spaak, Jean-Louis Trintignant, Gigi Proietti, Frank Wolff, Philippe Leroy, Vittorio Caprioli, Gabriele Tinti, Renzo MotagnaniLaufzeit : 93 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Pasquale Festa Campanile: 

"Adulterio all'italiana" (1966) 
"La cintura di castità" (1967) 
"Il merlo maschio" (1971) 
"Autostop rosso sangue" (1977)

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.