Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Montag, 18. April 2011

Senso (Sehnsucht) 1954 Luchino Visconti

Inhalt: Venedig 1866 - Während einer Aufführung im Opernhaus von Venedig "La Fenice" kommt es nach dem 3.Akt von Verdis "Il trovatore" zu einem Eklat, als die italienischen Patrioten, die von der Niederlage Österreichs gegen das mit Italien verbündete Preußen gehört hatten, gegen die österreichische Besatzungsmacht protestiert. Dabei wird Roberto Ussoni (Massimo Girotti) von dem österreichischen Offizier Franz Mahler (Farley Granger) beleidigt, worauf er diesen zu einem Duell fordert. Um das zu verhindern, bittet Ussonis Cousine, Gräfin Livia Serpieri (Alida Valli), Mahlers Vorgesetzten um ein Gespräch mit dem als Frauenheld bekannten Mann. 

Da Duelle verboten sind, hat sich das Problem schnell gelöst und Ussoni wird ausgewiesen, aber Livia verfällt zunehmend dem Charme des jüngeren Mannes und trifft sich heimlich mit ihm. Als sie wieder am verabredeten Ort auf ihn wartet, erscheint Mahler nicht. Auch ihr Versuch, ihn bei den anderen Offizieren anzutreffen scheitert. Zudem muss die Gedemütigte feststellen, dass ihre Haarlocke, die sie ihm in einem Anhänger geschenkt hatte, lieblos auf dem Tisch liegt.

Als sich die Ereignisse zwischen Italien und Österreich in Venedig zuspitzen, wird sie von ihrem Ehemann zu ihrem Landhaus in Sicherheit gebracht. Sie versucht Franz Mahler zu vergessen, aber plötzlich, während die Hunde noch anschlagen, steht er in ihrem Schlafzimmer...



"Senso" (Sehnsucht) wird filmhistorisch eine entscheidende Funktion zugeschrieben, denn nach verbreiteter Auffassung beendete Luchino Visconti damit die Phase des italienischen "Neorealismus", wie er sie mit "Ossessione" 1941 begonnen haben soll. Diese Meinung kann nur dem Versuch, zeitgenössische Entwicklungen greifbarer und damit katalogisierbar werden zu lassen, entsprungen sein, denn - unabhängig davon, dass der Realismus im italienischen Film weiter stilbildend blieb - handelt es sich bei "Senso" eher um einen Beginn als einen Abschluss in Viscontis Werk, denn hier setzte er sich das erste Mal intensiv mit der italienischen Geschichte und der Rolle des Adels auseinander - und damit mit seiner eigenen adeligen Herkunft.

"Senso" weist schon signifikante Parallelen zu "Il gattopardo" von 1963 auf. Da ist zum Einen der historische Hintergrund der Gründung eines vereinigten Italiens 1861, hier aus dem Blickwinkel Venedigs, dort von Sizilien aus gesehen, zum Anderen die Rolle des Adels innerhalb einer Entwicklung, die das Bürgertum stärkte, ihre eigene Machtposition aber schwächte. "Senso" ist zeitlich ein wenig später angesiedelt als "Il gattopardo", der die Anfänge der Vereinigung schildert, während Venedig und Triest noch von den Österreichern besetzt waren.

Die Handlung setzt ein, als sich 1866 - also 5 Jahre nach der offiziellen Gründung des italienischen Staates - herum sprach, dass Österreich von dem mit Italien verbündeten Preußen besiegt worden war. Gleich zu Beginn des Films kommt es nach dem dritten Akt von Verdis "Il trovatore" zu einem Tumult im venezianischen Opernhaus "La Fenice", in dessen Folge der adlige Freiheitskämpfer Roberto Ussoni (Massimo Girotti) den österreichischen Offizier Franz Mahler (Farley Granger) zu einem Duell fordert. Dadurch kommt Ussonis Cousine, Gräfin Livia Serpieri (Alida Valli), ins Spiel, die Mahler überreden will, auf das Duell zu verzichten. Dabei wäre ihr Bemühen gar nicht notwendig gewesen, denn noch besitzen die Österreicher die Kontrolle und weisen den aufmüpfigen Ussoni einfach aus.

Während "Il gattopardo" seinen Blick deutlich weiter in die Zukunft legte, und negative Entwicklungen aufzeigte, deren Auswirkungen schon auf den Faschismus unter Mussolini hinwiesen, verblieb Visconti in "Senso" noch ganz in der damaligen historischen Situation. Ähnlichkeit besteht wiederum darin, die unterschiedliche Reaktion des Adels durch die handelnden Personen wider zu spiegeln. Während Ussoni ganz auf der Seite der Befürworter eines vereinigten Italiens gegen die österreichische Besatzungsmacht kämpft, hat sich der Graf Serpieri (Heinz Moog), Livias Mann, mit dieser arrangiert und hält sich heraus. Er ist zwar Patriot, aber er misstraut dem neuen italienischen Staat.

Der entscheidende Unterschied zu "Il gattopardo" liegt aber darin, dass die Rolle Ussonis oder des Grafen, die ganzen detailliert dargestellten Befreiungskämpfe und Schlachten, denen man das Prädikat "historischer Realismus" verlieh - als ob nicht alle Filme Viscontis diese Qualität aufweisen - letztlich nur die Funktion einer Nebenhandlung einnehmen, denn wirklich im Mittelpunkt steht die Liebesgeschichte zwischen der Gräfin Livia und dem österreichischen Offizier Franz Mahler. Darin liegt keine Abwertung der Historie, sondern Viscontis legitimer Versuch, sich einer wichtigen Entwicklungsphase weniger durch die Beschreibung historischer Fakten zu nähern, als sie auf diese Weise emotional erfahrbar werden zu lassen.

Beide Protagonisten bestechen durch eine Ambivalenz, die weniger mit den Gefühlen für einander zu tun hat, als mit ihrer Position innerhalb der Gesellschaft. Livia führt eine kinderlose, standesgemäße Ehe mit einem deutlich älteren Mann, mit dem sie sonst wenig verbindet. Ihr Herz schlägt für ihren Cousin, dessen Ideale sie teilt, weshalb ihr auch das Geld der Freiheitskämpfer anvertraut wird. Ihre Liebe zu dem jüngeren Franz Mahler ist in mehrerer Hinsicht ein Verstoß gegen die Traditionen - nicht nur der Ehebruch an sich, sondern das Einlassen mit dem Feind und letztlich sogar der Verrat an den Verbündeten. Alida Valli gelingt es, ihren inneren Kampf spürbar werden zu lassen, weshalb sie nie die Sympathien verliert, aber zunehmend zu einer tragischen Figur wird. In ihr symbolisiert Visconti eine Phase wachsender Unsicherheit, die dazu führt, dass sie sich nicht mehr auf die Regeln verlassen kann, die ihre Position bisher bestimmten.

Ähnliches lässt sich auch zu Franz Mahler feststellen. Dass er mit Livia anbändelt, ist noch kein Bruch mit seiner Rolle, denn Mahler hatte schon vor der ersten Begegnung mit ihr den weit reichenden Ruf eines Verführers, aber als Offizier hat ihn der soldatische Ehrgeiz und die Lust auf den Kampf gegen den Feind längst verlassen. Farley Granger wirkt, trotz seiner scheinbar berechnenden Art, nie geradeheraus oder brachial. Auch wenn seine Liebesversprechungen gegenüber Livia zunehmend unglaubwürdig werden, bleibt sein Gesichtsausdruck merkwürdig somnambul - der Blick eines Menschen, der keine echte Lebensfreude mehr hat. Das nimmt seinem Umgang mit Livia und ihrer vermeintlich naiven Reaktion die Schärfe, denn Franz wirkt wie ein Mensch, der selbst nicht weiß, was er will.

Zwar ist der deutsche Titel "Sehnsucht" nicht exakt übersetzt (wörtlich "Gefühl"), aber er trifft den Inhalt genau. Nur sollte man das nicht allein auf die Liebesgeschichte beziehen, die Visconti aus dem Blickwinkel der Frau schildert, denn diese bedeutet vor allem Flucht - aus einer Tradition, die sich überholt hat, aber auch vor einer Moderne, deren Auswirkungen man nicht kennt. Daraus erwächst eine Sehnsucht nach vermeintlicher Sicherheit, die Livia noch in eine Beziehung zu Franz treibt, als deren Scheitern schon lange offensichtlich ist, während dieser wie ein Selbstmörder auf sein Ende hin zuwandelt - in beiden manifestiert Visconti eine Zeit des Umbruchs, deren Folgen noch nicht absehbar sind.

"Senso" Italien 1954, Regie: Luchino Visconti, Drehbuch: Luchino Visconti, Suso Cecchi d'Amico, Camillo Boito (Roman), Darsteller : Alida Valli, Farley Granger, Heinz Moog, Rina Morelli, Massimo Girotti, Laufzeit : 114 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Luchino Visconti:

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.