Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Dienstag, 17. November 2009

L'amore in città (Liebe in der Stadt) 1953 Carlo Lizzani, Michelangelo Antonioni, Dino Risi, Federico Fellini, Francesco Maselli, Alberto Lattuada

Inhalt : Im Format einer gefilmten Zeitung, namens "Lo spettatore", wird das Thema "Liebe in der Stadt" komplex beschrieben :

1. "Bezahlte Liebe" (L'amore che si paga)
Befragung von römischen Prostituierten und Beschreibung ihres Alltags.


2. "Selbstmord
versuch" (Tentato Suicido)
Interview mit fünf Frauen, die einen Selbstmordversuch begangen haben.

3. "Paradies für 3 St
unden" (Paradiso per 3 ore)
Schilderung einer nachmittäglichen Tanzve
ranstaltung, bei der sich junge Frauen und Männer kennenlernen können.

4. "Die Heiratsvermittlung" (Agenzia matrimoniale)
Bei dem Versuch, hinter die Machenschaften einer Agentur für Heiratsvermittlung zu kommen, lernt ein Journalist ein naives Mädchen vom Land kennen, dass ihm von der Agentur angeboten wird. Er beginnt, sie über die Realitäten aufzuklären...


5. "Die Geschichte von Catarina" (Storia di Catarina)
Eine junge Frau aus Sizilie
n sucht Arbeit in Rom, um sich und ihr uneheliches Kind durchzubringen. Da sie über keine Papiere verfügt, kann ihr Niemand helfen, und sie gerät in einen Strudel, der sie schließlich zum Äußersten zwingt...

6."Die Italiener drehen sich um" (Gli Italiani si voltano)
Auf den Straßen in Rom verke
hren viele Menschen, die beobachten und beobachtet werden. Vor allem attraktive, junge Frauen erzeugen vielfache Reaktionen beim männlichen Geschlecht.


Die erste Ausgabe des Kino - Journals "Lo Spettatore" von 1953 erlebte leider keine Fortsetzung und obwohl einige der renommiertesten Regisseure und Drehbuchautoren daran beteiligt waren, wird bei der Analyse deutlich, an welchen Gründen das gelegen haben kann. Analog zu in größeren Abständen erscheinenden Magazinen, gab sich auch "Lo Spettatore" einen
Oberbegriff, den die einzelnen Artikel (hier Kurzfilme) aus unterschiedlichen Positionen heraus behandelten - "L'amore in città" (Die Liebe in der Stadt) - mit Rom als Hintergrund.

Initiator des Projektes war Cesare Zavattini, der hier nicht nur als Produzent auftrat, sondern an fünf der sechs Kurzfilme als Drehbuchautor beteiligt war. Zavattini hatte in den Jahren zuvor einige der wichtigsten Werke des italienischen Neorealismus als Autor verantwortet (mit De Sica unter anderen "Ladri di biciclette" (Fahrraddiebe, 1948), mit Visconti "Bellissima" (1951) und mit De Santis "Roma ore 11" (1952) und es überrascht wenig, dass sich "L'amore in città" ganz diesem Realitätsgedanken unterwarf. Auch die Idee, eine Anzahl von Kurzfilmen unter einem Motto zusammenzufassen, kannte damals nur wenige Vorbilder und war in der hier gezeigten Konseq
uenz neu. Zavattini selbst griff diesen Gedanken erst 1962 wieder auf, als er in "Boccaccio '70" ein ähnliches Konstrukt wählte, dabei aber die einzelnen Filme anders gewichtete.

Angesichts des experimentellen Charakters des Films, fällt es schwer von Fehlern zu sprechen, aber es stellte sich heraus, dass diese Art der filmischen Adaption einer Zeitung nicht wirklich gelang. Das begründet sich
daraus, dass die Bemühung, möglichst authentisch und ohne professionelle Darsteller zu berichten, im Widerspruch zu der auf die Protagonisten gerichteten Kamera stand. Nur in den wenigen Momenten, in denen diese aus einer versteckten Position heraus beobachtet wurden, verfügten die Aufnahmen tatsächlich über den gewünschten dokumentarischen Charakter, während etwa die Befragungen der Prostituierten (Episode "L'amore che si paga") und Derjenigen, die einen Selbstmordversuch hinter sich hatten (Episode "Tentato siucido"), stark durch die dadurch erzielte Aufmerksamkeit beeinflusst wurden.

Besonders die Episode "Storia di Catarina", die vom letzten Akt einer Mutter erzählt, die ohne Arbeit, Papiere und Unterkunft ein erbärmliches Dasein mit ihrem kleinen Sohn fristet, leidet unter diesem Widerspruch. Da Caterina Rigoglioso selbst ihre eigene Situation nachspielte, wurde zwar einerseits eine große Nähe zur Realität erzielt, andererseits nahm das dem Geschehen die eigentliche Tragik. Obwohl es in vielen neorealistischen Filmen üblich war, dass Laiendarsteller in ihrer vertrauten Umgebung agierten, erzählten die Filme letztlich von den Autoren erdachte Geschichten, die diese an die Realität anlehnten.


Noch entscheidender für das Misslingen des Projekts, war Zavattinis Versuch, aus den einzelnen Episoden ein großes Ganzes herzustellen, ohne den Kurzfilmen genügend eigenes Gewicht zu geben. Der Versuch, aus verschiedenen Aspekten heraus, den universellen Begriff der "Liebe in der Stadt" zu erklären, ehrt Zavattinis Bemühungen, aber die einzelnen Filme leiden darunter, dass sie sich nur auf ein Detail beschränken. Aus dem Zusammenhang gerissen wirken sie wenig komplex. Nicht von ungefähr sticht in dieser Hinsicht Fellinis "Un agenzia matrimoniale" (Eine Agentur für Heiratsvermittlung) positiv heraus. Es ist der einzige Kurzfilm, der nicht von Zavattini beeinflusst worden war, und der hier die facettenreichste Geschichte erzählt.

Unabhängig davon, ist eine Gemeinsamkeit aller Episoden auffällig. „L’amore in città“, das in einer Art Vorwort mit kurzen Dialogen zwischen Mann und Frau eingeleitet wird und auch über ein Nachwort verfügt, konzentrierte sich fast ausschließlich auf das weibliche Geschlecht. Während das bei dem Interview mit Prostituierten noch nahe liegend war, handelte es sich auch bei den fünf Personen, die einen Suizidversuch verübten, nur um Frauen. Ähnliches gilt für die Heiratsvermittlung und das Schicksal der Armut, welche ebenfalls mit weiblichen Protagonistinnen im M
ittelpunkt beschrieben wurden. Nur die beiden dokumentarischen Aufnahmen eines Tanznachmittags und von Straßenszenen, vereinten beide Geschlechter. Ob das an der männlichen Crew lag, die sich mehr für das weibliche Geschlecht interessierte, oder die Rolle der Frau Anfang der 50er Jahre stärker betont werden sollte, ist heute nur noch zu vermuten.


1. Episode "L'amore che si paga" (Carlo Lizzani)


Lizzanis Bericht über die römischen Prostituierten, die nachts auf der Straße ihrer Arbeit nachgehen, verzichtet auf jede moralische Bewertung, sondern erzählt lakonisch von deren Alltag in der Großstadt. Er beschreibt die Orte, an denen sie anzutreffen sind, aber auch den Versuch der bürgerlichen Gesellschaft, ihre Anwesenheit zu verbergen. Nur die Mutigsten halten sich im Zentrum auf und auch die Lokalitäten, an denen sie sich ausruhen oder aufwärmen dürfen, sind beschränkt.

Trotzdem hört man au
s dem Mund der Frauen keinen kritischen Ton, wenn sie über ihre Situation erzählen. Erstaunlich selbstbewusst, aber auch realitätsnah, schildern sie ihren Schuhverschleiß und ihre Widerstandskraft gegenüber der Kälte, berichten über die arbeitslosen Familienmitglieder oder Kinder, die sie mit ihrer Arbeit ernähren, und ärgern sich nicht einmal ernsthaft über den weggelaufenen Freund, der ihre Ersparnisse mitgenommen hat. Für die gesellschaftskritische Einordnung ist einzig Lizzanis Kommentar zuständig, der seine Geißelung von Armut, Einsamkeit und Abhängigkeit mit den etwas naiven Worten beendet, dass es nur ein wenig wahrer Liebe bedarf, um die Frauen zu retten.
Zur Einordnung dieses Kurzfilms ist es notwendig, den Entstehungszeitpunkt zu beachten, denn die Prostitution wurde Anfang der 50er Jahre totgeschwiegen, so sehr sie auch Bestandteil des alltäglichen Lebens war. Zavattinis und Lizzanis Verdienst liegt in der Selbstverständlichkeit, mit der dieser Aspekt zur „L’amore in città“ hinzugefügt wurde. Dass damit eine gewisse Idealisierung der Frauen einherging, auch wenn der Film keineswegs deren Einfachheit leugnet, sollte man als Gegengewicht zur gängigen Meinung begreifen.


2. Episode „Tentato suicido“(Michelangelo Antonioni)

War es noch verständlich, dass sich die Prostituierten um eine möglichst positive Selbstdarstellung bemühten, wirkt sich dieser Aspekt bei Antonionis Befragung von Menschen, die einen Selbstmordversuch begangen hatten, problematischer aus. Der Versuch, unglückliche Liebesbeziehungen für den Selbstmord in den Mittelpunkt zu stellen, wirkt angesichts der Komplexität dieses Themas etwas eingeschränkt. Zudem lässt Antonioni zu Beginn seines Films zwar Frauen und Männer in einen großen, mit weißen Laken behängten Raum treten, interviewt dann aber ausschließlich weibliche Personen, was die Frage aufwirft, ob die Männer nicht bereit waren, darüber zu sprechen ?

Solche in die Tiefe gehenden Fragen stellt Antonioni leider nicht, sondern lässt die fünf Damen darüber plaudern, was sie zu ihrem Selb
stmordversuch getrieben hatte. Obwohl an diversen Verletzungen die Ernsthaftigkeit ihrer damaligen Situation nachvollziehbar wird und es sich um authentische Fälle handelte, können sie keine echte Tragik mehr vermitteln, getreu dem psychoanalytischen Motto, dass vor allem Diejenigen gefährdet sind, die nicht darüber sprechen können. Der Regisseur selbst kritisierte später dieses Format, dass den Frauen eher die Möglichkeit zur Selbstdarstellung gab (eine von ihnen beklagt, dass sie mit 21 schon zu alt wäre, noch Schauspielerin zu werden), als das deren Erfahrungen allgemeine Rückschlüsse zuließen.

Allerdings ist auch hier, ähnlich wie bei der ersten Episode, der Zeitkontext für die Bewertung des Films entscheidend, denn in einem stark katholisch geprägten Land wie Italien galt Selbstmord noch lange als Todsünde, weshalb die Selbstverständlichkeit beeindruckt, mit der dieses Thema ohne zu moralisieren integri
ert wurde. Auch den Mut der Frauen, sich zu offenbaren, sollte man - trotz der selbst vermittelten Abschwächung ihrer Emotionen - nicht unterschätzen, denn anders als bei einer gedruckten Zeitung, fehlte hier die schützende Anonymität.


3. Episode „Paradiso per 3 ore
“(Dino Risi)

Dino Risi beschreibt in seinem Film einen Club, in dem am Nachmittag zum Tanz aufgespielt wird. Diese Art der Begegnung zwischen jungen Frauen und Männern, stellte eine bürgerlich legitimierte Form dar, die spätestens um 7 Uhr abends endete. Der Kurzfilm vermittelt damit das Gegenteil zu den ersten beiden Episoden, denn in den vier Stunden, in denen die jungen Menschen tanzen, reden und lachen, leben sie in einer spielerischen Weise ihre erotischen Gefühle aus. Auch hier gibt es Gewinner und Verlierer, aber Niemandem wird die Hoffnung geraubt, dass es an einem der nächsten Nachmittage nicht ganz anders laufen könnte.

Risi beobachtet nur, stellt keine Fragen und kommt damit dem Thema „L’amore in cittá“ bisher am nächsten, auch wenn es sich nur um einen spezifischen Aspekt handelt, der aus heutiger Sicht zudem noch altmodisch wirkt. Bedingt auch durch die Live-Musik, die sehr nah am damaligen Zeitgeschmack agiert, wirken die Eingriffe, die das Drehbuch vornimmt, indem es bestimmte Konstellationen nachspielt – wie etwa den coolen Typen, der sich natürlich an das attraktivste Mädchen ranmacht – nicht aufgesetzt, sondern im Gegenteil mit ihrem Wechselspiel aus Aufforderung und Tanz gut choreographiert.



4. Episode „Agenzia matrimoniale“(Federico Fellini)

Bei Fellinis Film handelt es sich um die einzige Episode, an der Zavattini nicht als Autor mitwirkte, und anders als die bisherigen Kurzfilme, erzählt er eine in sich abgeschlossene Geschichte, die sich nur scheinbar dem oben genannten Thema widmet. Im Mittelpunkt steht dabei ein Journalist, aus dessen subjektiver Sicht der Film den Charakter einer Reportage erhält. Er
begibt sich auf den Weg zu einer Agentur für Heiratsvermittlung und schon die ersten Bilder bestätigen seine skeptische Haltung, als er auf der Suche nach dem Büro durch ellenlange Flure eines heruntergekommenen Wohnblocks laufen muss.

Um die Agentur aus der Reserve zu locken, hat er sich eine Geschichte zurechtgelegt. Er behauptet, einen vermögenden Mann zu vertreten, der auf diesem Weg eine Frau sucht, weil er eine entstellende Krankheit hat. Immer wieder erwähnt er diesen Fa
kt, nicht für möglich haltend, dass die Vermittler in ihrem unaufgeräumten Büro damit kein Problem haben. Und tatsächlich teilen sie ihm bald schon mit, eine geeignete Frau gefunden zu haben. Diese stellt sich dann als sehr naives Mädchen vom Land heraus, dass gezwungen ist, auf diese Weise für ihre Familie zu sorgen.

Interessant an Fellinis Film ist dabei weniger die sozialkritische Betrachtung der Ausnutzung verarmter Menschen durch eine unseriöse Firma, sondern dass sich der Film nur am Rande mit der eigentlichen Liebes - Thematik befasst. Stattdessen widmet er sich der Dummheit, die darin verborgen liegt, dass Niemand die offensichtliche Lüge durchschaut, die der Journalist zudem noch weiter ausreizt. Selbst als er das Mädchen mit der Beschreibung seines angeblichen Auftraggebers abzuschrecken versucht, muss er feststellen, dass gegen deren Willen, damit der Armut zu entkommen, kein Kraut gewachsen ist. Letztlich muss er ihr seine Täuschung gestehen.Die Hoffnung auf ein gutes Geschäft ließen die Agentur jede Konstellation annehmen und der Wunsch nach materieller Sicherheit lieferte ihnen dafür genügende Opfer. Fellinis Film kann sehr gut vermitteln, dass es keiner allzu hohen Hürden bedarf, um erfolgreich in dieser Branche zu arbeiten.


5. Episode„Storia di Catarina“(Francesco Maselli, Cesare Zavattini)


Nachdem die Episoden 3 und 4 eine gewisse Leichtigkeit vermittelten, war offensichtlich wieder eine dramatische Geschichte an der Reihe, ganz im traditionellen Geist des Neorealismus. Catarina stammt aus Palermo und war nach Rom gekommen, um dort Arbeit zu finden. Stattdessen wurde sie schwanger, hatte keinen festen Wohnsitz und wurde von der Polizei wieder nach Sizilien verwiesen. Doch dort wurde sie von ihrer Familie verstoßen, weshalb sie mit ihrem unehelichen Kind wieder zurück in die Großstadt ging.

Während Catarina als Obdachlose auf ihrem Mantel schläft, erzählt eine Stimme aus dem Off deren Vorgeschichte, erwähnt aber auch ihre Verantwortung für den kleinen Sohn, den sie bei einer Pflegemutter unterbrachte, eine damals in Rom übliche Arbeit von Frauen, die selbst kaum genügend Geld hatten, um ihre
eigenen Familien durchzubringen. Dieser Aspekt ist deshalb von Bedeutung, weil Zavattini den Niedergang einer Frau zeigt, die so tief fällt, dass sie letztlich ihren Sohn aussetzt. Um die Anteilnahme des Publikums für diese Frau zu erhalten, erzählt der Film detailliert ihre Geschichte eines verhängnisvollen Kreislaufs aus fehlenden Papieren, Angst vor der Abschiebung, keiner Arbeit und damit auch keinem Geld.

Als sie ihr Kind von der Pflegemutter zurück erhält, weil sie diese nicht mehr bezahlen kann, gibt sie ihre letzten Lire für ein Essen ihres Sohnes aus, bevor sie ihn weinend in einem Park zurücklässt. Bemerkenswert ist die allgemeine Freundlichkeit der Menschen, die ihr helfen wollen, selbst aber an den äußeren Umständen scheitern. Ganz deutlich liegt die Kritik hier an den staatlichen Stellen, die für eine Mutter mit unehelichem Kind, die in eine nachvollziehbare Notsituation gerät, keine Hilfe bereithält.


„Storia di Catarina“, mit einer Länge von ca. 25 Minuten auch die längste Episode, erinnert in seiner Anlage an Zavattinis mit De Sica zusammen gedrehten Dramen wie etwa „Umberto D“ (1952), weshalb der Film in „L’amore in città“ wie ein Fremdkörper wirkt. Auch der Zusammenhang zu dem übergeordneten Thema lässt sich nur schwer herstellen, aber entscheidender ist, dass dem Film der journalistische Charakter fehlt, den die übrigen Episoden zumindest versuchten, umzusetzen. Dass Catarina selbst, gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn, ihre eigene Rolle nachspielt, schwächt die Wirkung der Geschichte zudem noch ab, weil darin schon frühzeitig erkennbar wird, dass es letztlich doch eine Lösung für sie gab.


6. Episode „Gli Italiani si voltano“(Alberto Lattuada)


Zum Schluss interessiert sich der Film wieder für die Interaktion zwischen Mann und Frau, in dem er den Menschen in die Gesichter sieht und ihre Reaktionen auf das andere Geschlecht beobachtet. Allerdings tritt hier der männliche Blick der Macher besonders deutlich hervor, denn zuerst sieht die Kamera auf die Beine, den Po, den Busen und das Gesicht der Frauen, als wollte der Kameramann erst seine eigenen Erfahrungen machen.

Ganz offensichtlich wurden d
ie Reaktionen der Männer auf der Straße durch Lattuada und Zavattini provoziert, indem sie sehr attraktive Frauen durch die Menschenmenge schickten und damit unverhohlene Blicke ernteten. Der Film gewinnt dazu, als er die detaillierten Beobachtungen verlässt und abschließende kleine Geschichten erzählt, die sich daraus entwickelten. War ein dicklicher Mann schon schwitzend einer Frau mit einem schönen Hintern eine lange Treppe hinauf gefolgt, um oben resigniert feststellen zu müssen, dass sie dort schon erwartet wird, ist ein anderer Mann noch hartnäckiger, indem er einer jungen Frau im Bus folgt und auch mit ihr zusammen aussteigt. Doch bevor er sie ansprechen kann, läuft sie angsterfüllt zu ihrer Arbeitsstelle und er muss ergebnislos zurückkehren.

In diesem Moment ist Lattuada der Thematik „Liebe in der Stadt“ ganz nah, denn er vermittelt die Diskrepanz aus Außendarstellung, wie sie in der Großstadt üblich ist, und einer letztlich doch sehr persönlichen Entscheidung. Damit erfasst er in dem kurzen Moment, als der Mann alleine zurückbleibt, die gesamte Komplexität, zu der sich der Film fast zwei Stunden lang bemühte. Der entscheidende Unterschied zwischen der Liebe in der Stadt oder der im Allgemeinen, wird nicht in Prostitution, Selbstmord oder unehelichen Kindern erkennbar - auch die spezifischen Tanzveranstaltungen oder Heiratsagenturen basieren eher auf organisatorischen Unterschieden – sondern in der Möglichkeit, die eigene Sexualität offensiver ausleben zu können, ohne daraus gleich Konsequenzen ziehen zu müssen. Auch wenn sich das – wie hier gezeigt - oft als Illusion herausstellt.

Letztlich ist es zu bedauern, dass die Idee, eine gefilmte Zeitung herzustellen, keine Fortsetzung fand. Auch wenn im Detail Widersprüche zu erkennen sind, so überrascht doch der Mut, mit dem hier ein für die damalige Zeit kontroverses Thema angepackt wurde. Während man in einer Zeitung allerdings zwischen unterschiedlichen Artikeln auswählen kann, wird hier der Betrachter dazu gezwungen, sich mit den verschiedenen Stilen und Themen in einer vorgegebenen Reihenfolge auseinanderzusetzen, wodurch sich auch der mangelnde Erfolg dieses Projektes erklären lässt. Erst viele Jahre später sollte Zavattini wieder auf dieses Format zurückgreifen, und damit eine Blütezeit des Episodenfilms in Italien einleiten.



"L'amore in città" Italien 1953, Regie: Carlo Lizzani, Michelangelo Antonioni, Dino Risi, Federico Fellini, Francesco Maselli, Alberto Lattuada, Drehbuch: Cesare Zavattini, Tullio Pinelli, Luigi Malerba, Darsteller : Catarina Rigoglioso, Livia Venturini, Ugo Tognazzi, Marisa Valenti, Marco Ferreri, Giovanna Ralli, Laufzeit : 109 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Carlo Lizzani:

"Requiescant" (1967)
"Banditi a Milano" (1968)
"Amore e rabbia" (1969) 
"Roma bene" (1971) 
"Mussolini: ultimo atto" (1974)

weitere im Blog besprochene Filme von Dino Risi:

"Il sorpasso" (1962)
"I mostri" (1963) 
"Le bambole" (1965)
"I nuovi mostri" (1977)

weitere im Blog besprochene Filme von Michelangelo Antonioni:

"Gente del Po" (1943)
"Superstizione" (1949)
"Sette canne, un vestito" (1949)
"Cronaca di un amore" (1950)
"I vinti" (1952)
"Il grido" (1957)
"L'avventura" (1960)
"La notte" (1961)
"L'eclisse" (1962)
"Il deserto rosso" (1964)

weitere im Blog besprochene Filme von Federico Fellini:

"Boccaccio '70" (1962)

weitere im Blog besprochene Filme von Alberto Lattuada:

"La spiaggia" (1954)
"I dolci inganni" (1960)
"Le farò da padre" (1974)

2 Kommentare:

Sam Spade hat gesagt…

FEDERICO Fellini, nicht Frederico!

Bretzelburger hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.