Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Dienstag, 20. Juli 2010

L'oro di Napoli (Das Gold von Neapel) 1954 Vittorio De Sica

Inhalt: In sechs Episoden entwirft der Film ein Kaleidoskop des Lebens in Neapel Mitte der 50er Jahre :

Episode 1 "Il guappo" ( Der Bandit)
Saverio (Totò) muss nicht nur das Grab von Espositos (Agostino Salvietti) verstorbener Frau pflegen, sondern jeden Abend ertragen, dass dieser sich zum Essen in seiner Wohnung einfindet und sich von seiner Frau verköstigen lässt. Doch was kann er, der als Clown in den Straßen Neapels arbeitet, schon gegen den hiesigen Gangsterboss ausrichten?

Episode 2 "Pizza a credito" (Pizza auf Kredit)
Sofia (Sophia Loren) verkauft gemeinsam mit ihrem Mann Peppino (Paolo Stoppa) Pizza an einem Straßenstand. Peppino schreibt jedes Geschäft genau auf, denn bezahlen müssen seine Kunden erst später. Als er plötzlich feststellt, dass der Ehering am Finger seiner Frau fehlt, schliesst er sofort sein Geschäft, weil sie behauptet, diesen beim Teigkneten verloren zu haben. Er will jeden Kunden des Tages besuchen, um den Ring wieder zu finden...

Episode 3 "Funeralino"
Der Beerdigungszug schreitet langsam aus den engen Gassen Neapels über die Hauptstrasse zum Friedhof. Die Mutter (Teresa De Vita) trauert um ihren kleinen Sohn...

Episode 4 "I giocatori" (Die Spieler)
Weil der Graf (Vittorio De Sica) nicht um Geld spielen darf, trifft er sich heimlich mit dem kleinen Sohn des Pförtners, um mit diesem "Scopa" um einen kleinen Einsatz zu spielen...

Episode 5 "Teresa"
Als Teresa (Silvana Mangano) an dem Bordell abgeholt wird, wo sie arbeitet, gratulieren ihr ihre Kolleginnen zu der Hochzeit mit einem neapolitanischen Edelmann. Es ist für sie eine Chance, dem Milieu zu entkommen, aber sie weiß noch nicht, was sie erwartet...

Episode 6 "Il professore"
Während sich Ersilio Miccio (Eduardo De Filippo) für seine Arbeit umzieht, stehen die Menschen vor seiner einfachen Wohnung Schlange. Jeder hat eine Frage an ihn...


Das es sich bei "L'oro di Napoli" (Das Gold von Neapel) um keinen Kriminalfilm handelt, macht Vittorio De Sica schon mit der ersten Texteinblendung deutlich. Es sind die Menschen, die der Stadt ein Gesicht geben und ihren eigentlichen Wert ausmachen. Für De Sica, der in Neapel aufwuchs, war die Auseinandersetzung mit den hiesigen Verhältnissen ein wiederkehrendes Element seines Schaffens, sowohl als Darsteller wie als Regisseur. Nicht, dass er in "L'oro di Napoli" beide Positionen einnahm (in "Teresa Venerdi" übernahm er 1941 sogar die Hauptrolle), macht den Film zu einer Besonderheit, sondern dessen zentrale Position in De Sicas Oevre zwischen Neorealismus und der stärkeren Betonung komödiantischer Elemente.

Neben diesem Aspekt, stand der Film noch im Zeichen von Cesare Zavattinis aktueller Begeisterung für den Episodenfilm. Hatte er im Jahr zuvor mit unterschiedlichen Regisseuren "L'amore in cittá" und "Siamo donne" herausgebracht, nutzte er die Romanvorlage des Neapolitaners Guiseppe Marotta dazu, um darauf ein Kaleidoskop, bestehend aus sechs Episoden, über das Leben in Neapel Mitte der 50er Jahre aufzubauen. So entstand auch mit De Sica ein erster gemeinsamer Episodenfilm, wenn auch nicht in Zusammenarbeit mit anderen Regisseuren.

Interessanter ist deshalb der interpretatorische Umgang mit der italienischen Lebensweise, die De Sica in den 60er Jahren mit "La Riffa" (Vierte Episode aus "Boccaccio '70"), "Ieri, oggi e domani" (Gestern, heute und morgen) und "Matrimonio all'italiana" (Heiraten auf italienisch) zu einer Blüte brachte, die bis heute das Bild des lebensbejahenden Südländers prägt, der trotz schwerer Rückschläge nie seine Lebensfreude verliert. Ein Bild, dessen optische Grundlage die Schönheit Neapels und das Gesicht Sophia Lorens bildete, die in allen Filmen die weibliche Hauptrolle spielte. Sämtliche dieser Voraussetzungen gelten auch für "L'oro di Napoli", der im Gegensatz zu den späteren, bis heute populären Werken zu Unrecht in Vergessenheit geriet. Vielleicht liegt der Grund darin, dass hier noch die Nähe zum Neorealismus zu spüren ist, die sich nicht nur in den dokumentarischen Aufnahmen manifestiert, sondern auch in den Charakterisierungen der Bewohner Neapels, deren Verhalten authentischer und weniger idealisiert wirkt.



2. Episode „Pizza a credito“ (Pizza auf Kredit)

Am Beispiel der Rolle Sophia Lorens wird das besonders deutlich, die in der zweiten Episode Sofia, die mitarbeitende Ehefrau eines Pizzabäckers, spielt, der seine Pizzen auf Kredit an die Bevölkerung verkauft. Ähnlich wie später in „La Riffa“ oder in der ersten Episode von „Ieri, oggi e domani“ wurden hier ihre Schönheit und damit die Begehrlichkeit bei den Männern betont. In „La Riffa“ verdingte sie sich aus der Not heraus als Prostituierte, während sie in „Ieri, oggi e domani“ ein Kind nach dem anderen bekam, um nicht im Gefängnis zu landen. Dabei spielte sie sogar mit dem Gedanken, einen anderen Mann zur Zeugung heranzuziehen, als ihr Ehemann nicht mehr funktionierte. Doch trotz dieser frivolen Ansätze, blieb sie letztlich immer anständig und treu, während es in „L’oro di Napoli“ von Beginn an klar ist, dass sie ihren fülligen Ehemann (Giacomo Furia) mit einem Schönling betrügt.

Von diesem kommend, täuscht sie ihrem Mann vor, in der Kirche gewesen zu sein. Als dieser danach bemerkt, dass ihr Ehering an ihrer Hand fehlt, für den er vor ein paar Jahren sein gesamtes Geld aufgebracht hatte, behauptet sie, diesen beim Kneten des Teiges verloren zu haben, obwohl ihr klar sein muss, dass dieser bei ihrem Geliebten liegt. In Panik geraten, versucht ihr Mann den Ring wieder zu finden, indem er sämtliche vorigen Käufer einer Pizza aufsucht, und stört dabei sogar einen Witwer, der gerade den Tod seiner Frau betrauert. Sofia begleitet ihn nicht ohne schlechtes Gewissen bei der vergeblichen Suche, bis ihr ein Trick einfällt, der beinahe schief geht.


Diese Episode ist in ihrem vielfältigen Blick auf unterschiedliche Lebensgewohnheiten nicht nur die abwechslungsreichste des Films, sondern verbindet geschickt Drama und Komödie zu einem facettenreichen Bild des neapolitanischen Charakters, der nicht nur temperamentvoll und positiv ist, sondern auch egoistisch und selbstverliebt. Eine Frauenfigur wie Sofia durfte auch ihre unanständigen Seiten haben. Diesen Mut zur Differenzierung brachte De Sica später nicht mehr auf, was sich auch in der Beschreibung des Zusammenhalts der Bevölkerung untereinander zeigte. Während diese immer als jederzeit solidarisch geschildert wurde (man denke nur an das Sammeln des Strafgeldes in der ersten Episode von „Ieri, oggi e domani“), blieb in „L’oro di Napoli“ auch der Aspekt des Eigennutzes nicht verborgen.

Die Reihenfolge der Kurzfilme untereinander, die quasi zeitgleich am selben Ort stattfinden, spielte dabei weniger eine Rolle, denn jede Episode funktioniert sowohl eigenständig, als auch als Teil des Ganzen. Dass in manchen Fassungen die Sophia-Loren-Episode erst an dritter Stelle kommt, ist deshalb nicht entscheidend, dagegen aber die Kürzung des Films in einigen - vor allem der in Deutschland erschienenen – Fassungen, um Episoden, die sehr spezifische Themen behandeln :



3. Episode „Funeralino“

Sicherlich handelt es sich hier um die dokumentarischste Episode des Films, die mit nur wenigen Worten auskommt. De Sica begleitet eine Mutter (Teresa De Vita) bei der Beerdigung ihres Sohnes. Erst trägt sie den Kindersarg zu der Kutsche, bevor eine kleine Gruppe mit ihr und ihrer Tochter an der Spitze, den Weg zum Friedhof beginnt. Die Kamera verfolgt den Weg des Beerdigungszuges erst durch die engen Gassen Neapels, bevor er zu der prächtigen Hauptstrasse am Golf gelangt. Die Bilder aus der Totalen lassen deutlich werden, dass der Zug selbst zwar inszeniert war, aber keineswegs die Umgebung, in der er stattfand.


Die Trauer der Mutter, die sie am Ende übermannt, kann nicht verbergen, dass auch der Tod eines Kindes zum Alltag in Neapel gehörte. Auf der weitläufigen Allee wirft sie Bonbons für die Kinder aus – eine Geste, die die Zugehörigkeit des Todes zum Leben betonen soll, was sich auch sogleich beweist. Eine große Zahl an Kindern kommt herbeigelaufen und balgt sich um die Bonbons. Die Szene endet entsprechend mit ihren Diskussionen darüber, wer die meisten davon einsammeln konnte. Nichts an diesem kurzen Film wirkt übertrieben oder dramatisiert, aber Vittorio De Sica vermittelt damit das Leben in einer Unmittelbarkeit, die an seine neorealistischen Filme wie „Umberto D“ (1952) erinnert.



4. Episode „I giocatori“ (Die Spieler)


Eine gegensätzliche Wirkung hat die kurze Episode über das Kartenspiel eines Grafen (Vittorio de Sica) mit einem etwa 10jährigen Jungen. Und doch hat auch die komische Szene über einen alten, vornehmen Mann, dem seine Frau das Spielen um Geld verboten hat, weshalb sein Pförtner ihm seinen Sohn als heimlichen Mitspieler organisiert hat, nichts aufgesetzt komisches an sich, sondern verdeutlicht nur die Energie, mit der ein Mensch seiner Leidenschaft nachgeht.

Um die Szene im Detail nachvollziehen zu können, ist es notwendig, dass italienische Kartenspiel „Scopa“ zu verstehen, denn De Sica lässt an der Art, wie der Junge die Karten spielt und an der Punktewertung, erkennen, wie vernichtend der Graf hier geschlagen wird. Die Komik entsteht aus dem Gegensatz des Engagements der beiden Spieler. Während der Junge von seinem Vater nur unter Bitten zu dem Spiel gebracht wurde, regt sich der Graf über das angebliche Glück des Gewinners so lautstark auf, als wäre es um viel Geld gegangen und nicht um den Einsatz einer Schleuder.


Gerade diese zwei Episoden beschreiben in ihrer Reduziertheit auf eine Thematik signifikanter den Charakter des Neapolitaners, als die oft ausschweifenden, von pittoresken Bildern untermalten Geschichten der späteren Filme De Sicas. Zwar wurden dort viele Elemente vereint, die hier durch die einzelnen Episoden Ausdruck finden sollten, aber das gelingt hier wesentlich konzentrierter. Das beweist auch die erste Episode, die das Thema der Kriminalität analytisch genau in seinem Eindringen in den Privatbereich – wie er für die Mafia typisch ist – beschreibt.



1. Episode „Il guappo“ (Der Bandit)

Als Saverio (Totò) am Grab einer Frau steht, ahnt man noch nicht, dass er keinerlei Verwandtschaftsgrad zu ihr aufweist. Die Kondolenzwünsche eines anderen Besuchers nimmt er eher missmutig entgegen, obwohl sie besonders freundlich ausfallen, als er dem anderen Herrn gegenüber seine Bekanntschaft zu Gennaro Esposito (Agostini Salvietti) erwähnt, um dessen verstorbene Frau es sich in dem Grab handelt. Als er wieder in die verwinkelten Gassen Neapels zurückkehrt, wird er kurz von einem gut angezogenen Mann gefragt, ob er alles erledigt hätte. Er hätte sogar vier Kerzen angezündet, antwortet darauf Saverio.


Schon die Bezeichnung der Episode mit „Il guappo“ ist ein geschickter Kommentar, denn tatsächliche kriminelle Handlungen werden hier gar nicht gezeigt. Gennaro Esposito selbst hätte sich auch gar nicht als „Bandit“ angesehen, da er sich aus seiner Machtposition heraus, niemals selber die Finger schmutzig gemacht hätte. Es genügt schon, dass ihm das gesamte Viertel Respekt erweist, vor allem Saverio, der nicht nur das Grab seiner verstorbenen Frau pflegt, sondern bei dessen Familie mit vier Kindern er täglich ein und aus geht.

Dieser Zustand dauert nun schon zehn Jahre an, wie aus Saverios verzweifelten Worten gegenüber seiner Frau zu hören ist, die Esposito damals aus Ehrerbietung zu sich eingeladen hätte. Dieser nimmt seit dem wie selbstverständlich die Rolle des Familienvorstands ein, der am Tisch die zentrale Position besetzt und auf den die Kinder sofort hören, während sie den Respekt vor ihrem Vater verloren haben. Diesen traurigen Zustand betont De Sica noch durch Saverios Arbeit als Clown, als der er in Neapel zum Amüsement der Bevölkerung auftritt.

Doch wie schmal der Grad auch in Espositos Position ist, verdeutlicht der Film, als der stämmige Mann scheinbar einen Herzinfarkt erleidet. Als er geschwächt und ängstlich wieder zum Abendessen in Saverios Wohnung erscheint, kommt es zu einem Aufstand. Aufstand ist natürlich ein zu großes Wort für Saverios Reaktion, aber dem Film gelingt es in wenigen Minuten das enge Geflecht zwischen Macht und Abhängigkeit, das in den engen Gassen Neapels blüht, herauszuarbeiten, ohne zu dramatisieren oder dafür eine Lösung anbieten zu wollen.



5. Episode „Teresa“

Bei „Teresa“ handelt es sich nicht nur um die längste Episode, sondern um das eigentliche Starvehikel des Films, denn Silvana Mangano, die hier die Titelrolle spielte, war seit „Riso amaro“ (Bitterer Reis) von 1949 in Italien sehr populär, während Sophia Lorens Karriere noch ganz am Anfang stand.

Interessanterweise ist diese Episode, trotz ihres hohen Unterhaltungswertes, die am wenigsten aussagekräftigste für das eigentliche Thema des Films, denn der Konflikt zwischen der Prostituierten und dem Edelmann, der sie überraschend aus dem Bordell heraus heiratet, ist spezifisch auf Silvana Mangano zugeschnitten. Natürlich weisen die Begleitumstände der Hochzeitsfeierlichkeiten und auch der Blick in den prächtigen Palazzo viel Lokalkolorit auf, aber letztlich sind sie hier nur Staffage zu einem perfiden Spiel und nicht – wie in den übrigen Episoden – untrennbarer Teil der Charakteristik.

Der Film lebt entsprechend von Silvana Manganos Spiel, die überzeugend die Rolle der anfangs eingeschüchterten Prostituierten spielt, die zunehmend an Profil gewinnt. Weniger diese Konstellation ist überraschend, als ihre abschließende Konsequenz, mit der sich auch dieser Kurzfilm, trotz seines am wenigsten an der Realität orientierten Charakters, wieder in „L’oro di Napoli“ eingliedert. Anders als viele Filme, die mit dem Gedanken an eine Verbindung zwischen Bürgersohn und einer Prostituierten spielen, hat „Teresa“ es nicht nötig, etwas zu beschönigen oder zu relativieren.



6. Episode „Il professore“

Die kurze abschließende Episode beschreibt dagegen wieder unprätentiös einen Aspekt aus dem Alltagsleben. Während sich ein Mann (Eduardo De Filippo) in seiner einfachen Wohnung umzieht, stehen viele Menschen draußen Schlange. Manchmal etwas drängend, aber doch diszipliniert, treten sie der Reihe nach in seine Wohnung, um ihn etwas zu fragen.

Dazu muss man wissen, dass Bezeichnungen wie „Il dottore“ oder „Il professore“ in Italien nicht nur offiziell zu erwerbende Titel, sondern auch Ehrentitel sind. Dass es sich bei dem Mann um keinen echten Professor oder Lehrer handelt, spielt entsprechend keine Rolle, denn innerhalb der neapolitanischen Gemeinschaft hat er sich den Ruf erworben, auf alle Fragen eine Antwort zu wissen, und seien sie noch so absurd.

De Sica demonstriert damit noch einmal sehr schön die inneren Verbindungen einer Sozialisation, die ihre eigenen Regeln und Gesetze schafft. Und beendet damit einen Film, dessen sechs Episoden - unabhängig von ihrer Reihenfolge - sich zu einem komplexen Bild über eine Lebensgemeinschaft formen, die einerseits viel von den eigenen Erfahrungen des Regisseurs beinhalten, aber, durch den Verzicht auf typische Klischees, generelle Aussagen über das städtische Leben aufzeigen.

"L'oro di Napoli" Italien 1954, Regie: Vittorio De Sica, Drehbuch: Cesare Zavattini, Vittorio De Sica, Giuseppe Marotta, Darsteller : Sophia Loren, Silvana Mangano, Eduardo De Filippo, Totó, Vittorio De Sica, Laufzeit : 130 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Vittorio De Sica:

"Ladri di biciclette" (1948)
"Miracolo a Milano" (1951)
"Umberto D" (1952)
"Stazione Termini" (1953)
"Il tetto" (1956)
"La ciociara" (1960)
"Boccaccio '70" (1962)
"I sequestrati di Altona" (1962)
"Ieri, oggi e domani" (1963)

Donnerstag, 8. Juli 2010

Il bestione (Die cleveren Zwei) 1974 Sergio Corbucci

Inhalt : Als Sandro (Michel Constantin) und sein Partner Matteo ihre Transportfahrt beendet haben, wissen sie noch nicht, dass das gerade ihre letzte gemeinsame Fahrt für ihr Speditionsunternehmen war. 

Bei einem Gesundheitstest wird Matteo als zu alt ausgesondert, weshalb ab sofort Nino (Giancarlo Giannini) mit Sandro fahren soll. Der jüngere Mann erweist sich zwar als geschickt am Steuer, aber auch als ziemlich geschwätzig, weshalb Sandro ihn erstmal ignoriert und sein eigenes Ding macht. Doch bei ihrer ersten gemeinsamen langen Fahrt nach Warschau kommen sie sich näher...

"Il Bestione" beginnt mit einem langen Furz, als Sandro Colautti (Michel Constantin) an der italienischen Grenze aus seinem Lastwagen steigt. Doch der Eindruck täuscht, denn bei Sergio Corbuccis Trucker - Film handelt es sich um keine Komödie, wie es auch der deutsche Titel zu vermitteln versucht, sondern um ein Drama, wie es so fast nur in den 70er Jahren entstehen konnte. "Bestie" (Il Bestione) nennt Sandro liebevoll den Lastwagen, mit dem er und sein Partner Matteo (Enzo Fiermonte) als Angestellte einer Spedition unterwegs sind.

Doch für Matteo war es die letzte Fahrt, die er unternommen hatte, denn bei dem regelmäßigen Gesundheitstest, dem sich die Fahrer unterziehen müssen, wird er als zu alt aussortiert. Stattdessen springt der junge Nino (Giancarlo Giannini) auf den Bock, als Sandro die nächste Tour unternehmen will. Zwar beweist er schnell, wie gut er mit dem Wagen umgehen kann, aber dem älteren Sandro ist sein Fahrstil zu forsch und sein Mundwerk zu flott. Die Art wie "Il Bestione" das Kennenlernen der beiden unterschiedlichen Männer aufbaut, erinnert in seinem Schwung, der respektlosen Sprache und der etwas grobschlächtigen Ereignisse zuerst an typischen rustikalen "Buddy" - Komödienstoff.

Nachdem Sandro Nino ein paar Mal sprachlich auflaufen ließ, landen sie in einem Trucker - Restaurant, wo Corbucci genüsslich den Männern aufs Maul schaut und sie beim Vertilgen großer Mengen beobachtet. Später verschwindet Sandro mit der Kellnerin in einem Hinterzimmer, während Nino versucht, zwei Holländer beim Billard reinzulegen. Zuerst den Anfänger markierend, versenkt er die Kugeln mit einem Stoß, als es um Geld geht. Nicht erstaunlich, dass die Holländer das nicht lustig finden, ihn zusammenschlagen und sein Geld abnehmen.


Diese Ereignisse dienen Corbucci nur als Beschreibung einer sehr männlich geprägten Welt der Lastwagenfahrer, die er im weiteren Verlauf der Fahrt nach Warschau differenziert. Auch die Auseinandersetzung mit den Holländern hat in diesem Zusammenhang nur die Bedeutung eines kleinen Details, auf das er viel später noch einmal kurz zurückkommt. Neben zufälligen Liebschaften am Straßenrand und kurzen Vergnügungen in der Trucker - Kneipe, besteht die Arbeit vor allem aus Monotonie und der Einhaltung von Fahrtzeiten, weshalb Nino, als er sich nicht an die verabredete Pausenlänge hält, plötzlich ohne Lastwagen auf der Straße steht. Sein Verfolgungstripp als Anhalter entbehrt nicht einer gewissen Komik, aber sein Sprachwitz hilft ihm in Warschau auch nicht mehr weiter.

Die Szenerie im damaligen Ostblock ist gespenstisch. Während der erfahrene Sandro mit einem Blumenstrauß bewaffnet, sofort zu einer jungen Frau geht, die er hier regelmäßig besucht, versucht sich Nino die Zeit bis zur Abfahrt am nächsten Tag zu vertreiben. Mitten in der Nacht landet er schließlich verzweifelt vor Einsamkeit wieder bei dem betrunken schlafenden Sandro, den er bei dessen Weg zur Wohnung der jungen Frau verfolgt hatte, und schläft selbst mit ihr. Der Streit am nächsten Morgen zwischen den Männern ist kurz, denn Sandro kennt Ninos Empfindungen. Die sexuellen Interaktionen, die Corbucci hier beschreibt, sind nur Auswirkungen zerrütteter Beziehungen auf Grund eines nicht familientauglichen Jobs und Ablenkung von der Einsamkeit. Entsprechend unromantisch und fordernd inszeniert er hier den Sex.

Zunehmend verzahnt Corbucci seine Männergeschichte mit realen Ereignissen der frühen 70er Jahre in Italien. Sandro erfährt, dass sein alter Partner Matteo kaum Rente erhält und gezwungen ist, bei seiner Schwägerin zu leben. Als er die Gewerkschaft daraufhin anspricht, kann diese nur mit den Schultern zucken und ihre Hilflosigkeit bestätigen. Ähnlich wie im verklausulierten Western „Il grande silenzio“ (Leichen pflastern seinen Weg) gelingt es Corbucci auch in „Il bestione“ seinen unterhaltenden Stil beizubehalten, ohne die realistischen Verhältnisse auszusparen. Es ist Giancarlo Giannini zu verdanken, dass die Tristesse nie überhand nimmt, aber auch ihm vergeht fast sein Optimismus, als er, nachdem er gerade von seiner deutlich älteren Freundin den Laufpass bekam, zu Sandro auf dessen Silvesterparty geht. Doch die Stimmung stammt nur aus dem Fernseher, während Sandro allein in seiner heruntergekommenen Wohnung sitzt.

Gleichzeitig ist dieser Moment auch der Wendepunkt, an dem sie sich entschließen, sich als Transportunternehmen selbstständig zu machen. Corbucci nutzt diese neue Konstellation für thrillerartige Momente, die zu einer Art „Show – Down“ mit der Mafia führt, verlässt dabei aber keinen Moment den Boden der Realität. Viel mehr wird deutlich, dass ein Kleinunternehmen, wie das von Nino und Sandro, den Machtverhältnissen im Land ungeschützt ausgesetzt ist. „Il bestione“ ist in seiner Art, Realität und Unterhaltung radikal zu vermischen, ein seltenes, in seiner fehlenden Einseitigkeit verkanntes Juwel, dass einerseits von der Respektlosigkeit, der Sprache und Direktheit des Italo – Western beeinflusst ist, sich andererseits nicht scheut, Missstände der Gegenwart zu beschreiben. Auch das Ende liegt in dieser Tradition, denn es lässt den Männern wenigstens ihre Würde.

"Il bestione" Italien / Frankreich 1974, Regie: Sergio Corbucci, Drehbuch: Sergio Corbucci, Sergio Donati, Darsteller : Giancarlo Giannini, Michel Constantin, Giuliana Calandra, Enzo Fiermonte, Dalila Di Lazarro, Laufzeit : 98 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Sergio Corbucci:

Montag, 5. Juli 2010

Trhauma (Trauma) 1980 Gianni Martucci

Inhalt: Lilly (Domitilla Cavazza) und ihr Mann Andrea (Gaetano Russo) haben Gäste in ihr Landhaus eingeladen. Doch unter der äußerlich entspannten Atmosphäre am Pool brodelt es, denn Lilly ärgert sich darüber, dass ihr Mann ständig ihr Geld rausschmeisst, vor allem für seine krankhafte Spielleidenschaft. Auch die Sanierungskosten des Hauses, dass ihr Mann gekauft hatte, übersteigen deutlich den geplanten Etat. Ärger gibt es auch zwischem dem Fotografen Paul (Timothy Wood ) und seinem Model Olga (Anna Maria Chiatante), die sich nicht weiter von diesem herumkommandieren lassen will, und beleidigt davon geht. Doch ihr Weg führt direkt in den Tod...


Wie sympathisch wirken Menschen, die morgens auf einem herrlichen Landsitz aufwachen, in einem großen Swimmingpool baden können, während ihnen ein Frühstück serviert wird, dabei aber vor allem kritische Worte über den Zustand des Gebäudes und die störenden Mosquitos von sich geben ? - Neben dem Gastgeber Ehepaar Lilly (Domitilla Cavazza), Typ hübsche Blondine, und Andrea (Gaetano Russo), Typ aalglatter Schönling, befinden sich noch der Fotograf Paul (Timothy Wood ), sein Model Olga (Anna Maria Chiatante), die wohlhabende, ältere Silvia ( Silvia Mauri) und ihr deutlich jüngerer Liebhaber Carlo (Roberto Posse), sowie - leicht verspätet eintreffend - der übergewichtige Bitto (Franco Diogene) mit seiner jungen und hübschen Sekretärin Helen (Gina Mancinelli) auf der einsam gelegenen Anlage.

Autor und Regisseur Gianni Martucci (hier unter dem Pseudonym John Martucc) entwarf mit dieser Konstellation eine Variante zu Agathe Christies klassischem „Zehn kleine Negerlein“ Prinzip, dass zudem während der damals aktuellen „Slasher - Welle“ entstand. Entsprechend werden auch Parallelen zu „Freitag der 13.“ erkennbar, denn um welchen Täter es sich in „Trhauma“ handelt, steht von Beginn an fest. In einer Eingangsszene, die nach klassischem Vorbild Vorgänge in der Vergangenheit beleuchtet, werden zwei etwa 10jährige Jungen beim Spielen gezeigt. Dabei wird der eine, offensichtlich auf einem Auge blinde Junge, von dem anderen zu einer Mutprobe angetrieben. Als er darauf hin von einem hohen Baum fällt, hat der Andere nur Verachtung für den Schwerverletzten übrig und lässt ihn zurück. Wieder in der Gegenwart sieht man den Halbblinden, der zudem ein Bein nachzieht, beim Spielen mit Lego - Steinen – und damit das typische Bild eines gestörten Mannes (Per Holgher), der wenig überraschend im Gebüsch lauert, als sich die weiblichen Gäste des Landhauses entkleiden.

Vor allem Olga zeigt sich ausführlich in schönster Nacktheit, aber darin werden auch erste Eigenständigkeiten des Films erkennbar. Ihre Posen, zu denen sie von dem arroganten Fotografen Paul veranlasst wird, sind reine Arbeit, auf die sie offensichtlich keine Lust hat. Martucci entwirft hier das Gesamtbild einer Sexualität, die nie mit Freude, sondern nur aus egoistischen Gründen zelebriert wird. Anders als in den sogenannten „Teenie - Slashern“, agieren hier erwachsene Darsteller, deren Beziehungen nur als gestört bezeichnet werden können. Dass Olga als Erste zum Opfer fällt, passt zwar scheinbar in das klassische Schema der Bestrafung durch den Täter, kehrt sich aber sofort um, als dieser die Tote danach missbraucht. Die Motivation des Mörders lag zumindest teilweise in seiner persönlichen Befriedigung, aber das noch mehr dahinter steckt, wird offensichtlich, als er von einem Unbekannten danach mit zwei neuen Legostein – Packungen belohnt wird.

Der Mörder, der während des Films nie namentlich benannt wird, ist ganz offensichtlich nur das Werkzeug des eigentlichen Täters, was der Handlung die notwendige Schlüssigkeit verleiht, denn aus dem zu Beginn gezeigten Kindheitserlebnis und seiner geistigen Behinderung, lässt sich nur schwer ableiten, warum er plötzlich beginnt, die Gäste eines Landhauses zu meucheln. Trotzdem beantwortet diese Szene die Frage nach dem Verantwortlichen, denn sie verdeutlicht die Macht des anderen Jungen über ihn, weshalb diese an sich harmlose Szene in vielen Fassungen herausgeschnitten wurde. Das verleiht dem Film sicherlich einen Überraschungseffekt am Ende der Handlung, nimmt ihm aber viel von seiner Qualität, denn die Verhaltensweisen und Motive der Protagonisten bleiben hier immer nachvollziehbar
Es ist deshalb auch weniger die Frage nach dem Täter, genauso wie die Identifikation mit den Beteiligten schwer fällt, da sie, bis auf Gastgeberin Lilly, unsympathisch bleiben, sondern die Atmosphäre, mit der „Trhauma“ überzeugen kann. Die idyllische Landschaft und das herrschaftliche Landhaus verwandeln sich in der Dunkelheit in einen klaustrophobischen Ort. Und da sich Martucci nach dem Eingangsmord an Olga erst einmal viel Zeit lässt, gibt es genügend Gelegenheiten, Spannung zu erzeugen, zu der auch die Tatsache beiträgt, dass Niemand davon weiß. Olga bleibt zwar verschwunden, aber die Anderen vermuten lange, dass sie beleidigt in die Stadt zurück fuhr, nachdem sie sich mit dem Fotografen gestritten hatte.

„Trhauma“ ist sicherlich kein außergewöhnlicher Beitrag zur damals aufebbenden „Slasher – Welle“. Der halbverrückte Täter mit seinem Lockenkopf wirkt nicht besonders Furcht einflössend, die dargestellten Morde sind nicht explizit (entfernt wurde vor allem die Tötung eines Schäferhundes, der ihn beim nekrophilen Beischlaf störte), aber die Kombination aus bedrohlicher Atmosphäre und generell gestörter Sexualität kann überzeugen.



"Trhauma" Italien 1980, Regie: Gianni Martucci, Drehbuch: Gianni Martucci, Darsteller : Gaetano Russo, Domitilla Cavazza, Roberto Posse, Timothy Wood, Per Holgher, Laufzeit : 78 Minuten

Samstag, 12. Juni 2010

La smagliatura (Der dritte Grad) 1975 Peter Fleischmann

Inhalt: Georgis (Ugo Tognazzi) wird im Sportcafé seiner kleinen Heimatstadt verhaftet und in das Hauptquartier der Geheimpolizei gebracht. Der in einem Reisebüro arbeitende, unauffällige Mann muss seine gesamte Kleidung wechseln und wird dem Polizeichef zum Verhör gebracht. Dieser fragt ihn nur nach seiner Version, aber Georgis weiß gar nicht, wovon er spricht, bis dieser ihn konkret mit dem Vorwurf konfrontiert, Mitglied einer verbotenen Untergrundorganisation zu sein. Als Georgis weiterhin seine Unschuld beteuert, befiehlt der Polizeichef, ihn am nächsten Tag in die Hauptstadt transportieren zu lassen, um ihn dort weiter zu verhören.

Nachdem man ihm seine Kleidung zurückgegeben hatte, wird er am frühen Morgen vom Inspektor (Michel Piccoli) in Empfang genommen, um mit ihm in den Wagen des "Managers" (Mario Adorf) einzusteigen, der sogleich Richtung Hauptstadt abfährt. Doch die wüste Fahrt dauert nicht lange, denn das Auto bleibt mit einer Panne in einem kleinen Ort am Meer liegen. Während sich der Manager um eine Reparatur bemüht, nimmt die Beziehung zwischen dem Inspektor und Georgis freundliche Züge an. Der Inspektor scheint seinen Unschuldsbeteuerungen zu glauben...


Noch in Gedanken an seine Freundin (Adriana Asti), mit der er gerade Sex hatte, malt Georgis (Ugo Tognazzi) zwei Kreise mit einem Punkt in der Mitte auf seine Serviette im Sport - Caf'é, wo er noch eine kleine Pause einlegte, bevor er zu seinem Job ins Reisebüro zurückkehren will. Jäh wird er herausgerissen, als ihn ein anderer Gast, der von der Toilette kam, auf den Fuß tritt. Nach einem kurzen Disput, beruhigt sich Georgis wieder und beschließt, zu seinem Arbeitsplatz zu gehen. Doch dort wird er nicht ankommen, denn noch im Café wird er von der Geheimpolizei verhaftet und zum Hauptquartier der griechischen Kleinstadt gebracht.

Griechische Kleinstadt ? - "Griechenland" wird nie erwähnt in dieser französisch - italienisch - deutschen Koproduktion aus dem Jahr 1975, aber an dem realen Hintergrund, vor dem die Handlung stattfand, gibt es keinen Zweifel. Regisseur Peter Fleischmann hatte, ein Jahr nach dem Ende der Diktatur in Griechenland, den Roman des Athener Schriftstellers Antonis Samarakis vor Ort und mit größtenteils einheimischen Schauspielern verfilmt. Einzig die drei Protagonisten - Georgis und die ihn in die Hauptstadt (Athen) begleitenden Geheimdienstler - wurden von drei italienisch stämmigen Darstellern verkörpert, darunter, neben Ugo Tognazzi, Michel Piccoli und Mario Adorf, jeweils die Produktionsländer vertretend.


Fleischmanns kritische Intention scheint sich schon in der ersten Szene zu manifestieren, während noch die Credits laufen. Zwei Polizeiautos halten vor einem mehrgeschossigen Wohngebäude. Während die Polizisten unten ins Treppenhaus gehen, klettert oben ein Mann auf den Balkon und stürzt sich vor den Augen der schreienden Ehefrau in den Tod. Die Kamera bleibt dabei auf dem Standort eines unbeteiligten Außenstehenden, der nur die Auswirkungen sieht. Innere Abläufe werden nicht deutlich, doch es wird offensichtlich, dass der Mann lieber in den Tod stürzte, als sich von der Truppe des Inspektors (Michel Piccoli) festnehmen zu lassen. Und das Niemand davon Notiz nahm, geschweige denn eingriff.

Auch die Gründe für Georgis Festnahme passen in dieses Bild diktatorischer Willkür und der Missachtung von Menschenrechten. Ihm wird vorgeworfen, Mitglied einer verbotenen Untergrundorganisation zu sein, was der Polizeichef (Dimos Starenios) mit dessen Kreiszeichnungen begründet. Der Tritt auf den Fuß soll zudem ein verabredetes Zeichen gewesen sein. Trotz Georgis demütiger Haltung und der Beteuerung seiner Unschuld, beschließt der Polizeichef, ihn am nächsten Tag in die Hauptstadt bringen zu lassen. Georgis weiß, was das bedeutet, denn die Methoden, die dort angewendet werden, haben bisher Jeden zum Sprechen gebracht – egal, ob er etwas wusste oder nicht.

1975 befand sich Peter Fleischmann in guter Gesellschaft des ambitionierten Polit – Films. Regisseur Costa - Gavras hatte schon Ende der 60er Jahre mit „Z“ einen exemplarischen Film über die Diktatur seines Heimatlandes Griechenland gedreht, und 1973 mit Der unsichtbare Aufstand“ die Verhältnisse in Südamerika belichtet. Damiano Damiani, Elio Petri und Francesco Rosi hatten ebenfalls grundlegene Werke über den schleichenden Verfall von Bürgerrechten zugunsten politischer und wirtschaftlicher Machtinteressen in Italien abgeliefert, doch Fleischmann wählte einen eigenständigen Weg, der weniger die klassischen Konsequenzen einer Diktatur beleuchtet, sondern ab dem Zeitpunkt, als die zwei Polizisten des Geheimdienstes mit Georgis die Kleinstadt verlassen, teilweise skurrile Züge annimmt.

Das beginnt schon damit, dass Mario Adorf als „Marciallo“ (deutsch „Manager“) mit seinem getunten Auto losfährt, als wäre er bei einer Rallye. Auch die Art, wie die drei Männer gemeinsam auf der Vorderbank sitzen, hat wenig vom Anschein eines Gefangenentransports. Das gilt auch für den weiteren Verlauf, in dem der ruhige, sehr freundlich mit Georgis umgehende Michel Piccoli, zunehmend Streit mit den rauen, leicht proletenhaften Mario Adorf bekommt, dessen rücksichtslos gefahrenes Auto prompt in einem kleinen Dorf liegen bleibt. Während der „Manager“ sich mit einem LKW weiter transportieren lässt, um eine Reparatur zu organisieren, bleiben der Inspektor und Georgis allein zurück und beginnen sich, anzufreunden.

So scheint es zumindest, aber Fleischmann macht kein Geheimnis daraus, dass es sich bei den vielen seltsamen Vorfällen, um keine Zufälle handelt. Nur wird nie ganz deutlich, wer hier mit wem und auf welche Weise spielt, denn auch Georgis ist nicht der harmlose Mitläufer, als der er lange Zeit erscheint. Zwar stehen vor allem Michel Piccoli und Ugo Tognazzi im Mittelpunkt der sich zuspitzenden Handlung, während Mario Adorf die Rolle der unmittelbaren Bedrohung einnimmt, aber wirkliche Hauptperson ist der Polizeichef, vor dem nicht nur seine Untergebenen höllische Angst zu haben scheinen, sondern dem Peter Fleischmann zweimal ausführlich die Gelegenheit gibt, über die Macht im Staat und die Rolle der Polizei zu philosophieren.


Die Diktatur in Griechenland war 1975 beendet, aber Fleischmann wählte das bewusst nicht genannte Land nur als Hintergrund für eine generelle Abhandlung über die inneren Strukturen von Machtmissbrauch. Deshalb ist der deutsche Titel „Der dritte Grad“ - trotz seiner Anspielung auf eine spezielle Verhörmethode – unglücklich gewählt, während der italienische Originaltitel „La smagliatura“ (oder das französische Pendant „La faille“) viel genauer bezeichnet, um was es Fleischmann ging. Es sind die „Laufmaschen“ oder kleinen Fehler, die dank des menschlichen Faktors, auch in funktionierenden Systemen vorhanden bleiben, wie der Polizeichef ausführt. Die große Leistung der Polizeiarbeit liegt darin - wie er im Stil eines ambitionierten Künstlers verkündet - auch diese zu beseitigen.

"La smagliatura" Frankreich, Italien, Deutschland 1975, Regie: Peter Fleischmann, Drehbuch: Peter Fleischmann, Antonis Samarakis (Novelle), Darsteller : Ugo Tognazzi, Michel Piccoli, Mario Adorf, Adriana Asti, Dimos Starenios, Laufzeit : 102 Minuten

Dienstag, 8. Juni 2010

IL deserto rosso (Die rote Wüste) 1964 Michelangelo Antonioni

Inhalt: Giuliana (Monica Vitti) hatte vor einigen Wochen einen Unfall, der zwar nur geringe Folgen nach sich zog, ihr aber einen solchen Schock versetzte, dass sie vier Wochen im Krankenhaus bleiben musste und immer noch darunter leidet. Während ihr Mann Ugo, als verantwortlicher Leiter einer Fabrikanlage zusätzlich durch einen Streik der Belegschaft in Anspruch genommen, ihre Anfälle pragmatisch angeht, verhält sich Corrado Zeller (Richard Harris), ein Kollege ihres Mannes, deutlich sensibler.

Sofort begeistert von der schönen Frau, will er sie näher kennenlernen und begreift zunehmend ihren Zustand der inneren Zerrissenheit. Doch auch Corrado selbst leidet unter dem Zwang zur Anpassung und gerät in seinen Reaktionen ihr Gegenüber in Schwierigkeiten…



Drei Frauen und drei Männer räkeln sich in einem engen Raum auf einer Matratze. Blicke begegnen sich, ein Kleid wird geöffnet, Berührungen werden angedeutet. Das anzügliche Gespräch dreht sich um ein Aphrodisiakum und dessen Wirkung. Nachdem eine der Frauen es spontan zu sich genommen hat, verkündet sie laut, jetzt mit einem Mann schlafen zu wollen.

Diese zentrale Szene steht beispielhaft für das eigentliche Thema des Films - die menschlichen Emotionen. Das klingt widersprüchlich, da Michelangelo Antonioni im Ruf steht, der Form den Vorzug vor dem Inhalt zu geben. Seine grafischen, immer bis ins Detail gestalteten Bilder, strahlen eine Perfektion aus, die einen gegensätzlichen Eindruck vermitteln - innere Leere und Gefühlskälte. In "La notte", dem Mittelteil seiner zuvor entstandenen Trilogie, brachte er diese Optik zur Perfektion, aber schon in "L'eclisse", dem Schlußteil, spürte man das Brodeln unter der Oberfläche, dass sich in "Il deserto rosso" zum inneren Orkan verstärkte.


Antonioni verwendete erstmals Farbe in einem Film, um diesen Zustand auch optisch zu unterstreichen. Verbunden mit den Bildern von technischen Anlagen - womit er auf die Gestaltung seines Dokumentarfilms von 1949 "Sette canne, un vestito" zurückgreift - entsteht ein explosives Gemisch aus Lärm, Feuer und Rauch, dass noch durch eine Filmmusik betont wird, die fast ausschließlich aus Geräuschen besteht. Das Ergebnis des ungehinderten Absonderns industriellen Mülls ist eine zerstörte Umwelt, die sich in eine ölverseuchte, rötlich schimmernde Wüste verwandelt hat.


Das einzige Grün zeigt sich auf dem Mantel Giulianas (Monica Vitti), als sie mit ihrem Sohn an den Streikenden vorübergeht, die vor den Toren der Fabrikanlage stehen. Ihr Mann Ugo (Carlo Chionetti) ist leitender Ingenieur der Anlage, was sie nicht daran hindert, einen der Streikposten um dessen schon angebissenes Brot zu bitten. Ihr kleiner Sohn weigert sich, davon zu essen, aber sie beißt begierig hinein. Ihr grüner Mantel kann nicht verbergen, dass es in ihrem Inneren rot glüht.

Monica Vitti lässt diese Frau langsam vor dem Auge des Betrachters entstehen. Es beginnt mit einer Geschichte über einen Unfall, den sie vor einigen Wochen hatte. Dabei war es nur zu geringen Verletzungen gekommen, aber Giuliana hatte einen Schock erlitten, von dem sie sich nur langsam erholt. Immer wieder wird sie von Anfällen ergriffen, leidet unter Schlaflosigkeit und versucht krampfhaft, das Gefühl innerer Zerrissenheit in den Griff zu bekommen. Für einen Außenstehenden wirken diese Reaktionen, da der Unfall selbst kaum Folgen hatte, wenig nachvollziehbar - und Antonioni hatte dafür ausgerechnet Giulianas Ehemann Ugo auserkoren. Er wählte für diese Rolle einen Laien, um damit dessen fehlendes Einfühlungsvermögen noch zu betonen. Ugo bleibt entsprechend blass, argumentativ immer sachlich und verschwindet bald.


Ganz anders dagegen sein Kollege Corrado Zeller (Richard Harris), der sofort von Giuliana begeistert ist, und versucht, sie näher kennenzulernen. Dabei kommt es zu einer ersten Begegnung in ihrem neuen Ladengeschäft, dass sie schon angemietet hat, ohne zu wissen, was sie dort verkaufen will. Antonioni gestaltet diese Sequenz fast farblos - in einem Einheitsgrau, aus dem jedes Leben gewichen zu sein scheint. Als Giuliana Corrado erzählt, dass sie ihr Geschäft blau und grün anstreichen will, wird daraus ihr Wunsch nach Anpassung deutlich. Diese gedeckten Farben passen zu der farblosen Umgebung.

Corrado verfügt einerseits über genügend Sensibilität, um den inneren Zustand Giulianas zu begreifen, wirkt andererseits seltsam gehemmt. Auch wenn er gut ausdrücken kann, was ihn bewegt, ist seine Körpersprache gegenteilig. Dabei ist Richard Harris optisch der Prototyp eines starken, selbstbewussten Mannes, betont noch durch seine klaren Gesichtszüge und die akkurat gescheitelte Frisur. Trotzdem ist seine Haltung immer leicht gekrümmt und auch seinem Vorgehen gegenüber Giuliana fehlt die letzte Konsequenz. In seiner Figur zeigen sich ähnliche Unterdrückungsmechanismen beim Versuch, sich der gesellschaftlichen Norm anzupassen. Corrado gelingt dieses zwar besser als Giuliana, aber die Liebesszene, die irgendwann doch zwischen ihnen entsteht, ist in ihrer gequälten Verkrampftheit kaum zu ertragen, und letztlich ein deutliches Anzeichen für sein Versagen. Hätte er tatsächlich Giulianas inneren Zustand begriffen – und damit auch seinen eigenen – hätte es nicht dazu kommen dürfen.


"Il deserto rosso" deshalb als Studie einer depressiven Frau aufzufassen, ist viel zu kurz gedacht, denn Antonioni und sein Mitautor Tonino Guerra begreifen die gesamte Gesellschaft als depressiv. Tatsächlich ist Giulianas Reaktion noch am nächsten an ihrem inneren Empfinden, denn angesichts der Bilder, die Antonioni beispielhaft für den Zustand der menschlichen Sozialisation vor dem Auge des Betrachters ausbreitet, bekommt ihr Verhalten 
geradezu normale Züge. Doch Antonioni wäre nicht Antonioni, wenn er die Möglichkeit einer menschlichen Eruption in Erwägung gezogen hätte. Diese bleibt den Maschinen und Fabrikanlagen vorbehalten, während seine Protagonisten weiter den Weg der Anpassung gehen. Antonioni gelingen dabei grandiose Bilder, aber die Qualität des Films auf seine Form zu reduzieren, wäre ungenügend. Im Gegenteil sind diese Bilder, obwohl sie Fabrikanlagen und deren Auswirkungen zeigen, gleichzeitig von überwältigender Schönheit - eine Versinnbildlichung der Unterdrückung menschlicher Emotionen und Bedürfnisse.


In einer der schönsten Szenen des Films, vermittelt Antonioni für einen Augenblick eine Alternative. Giuliana erzählt ihrem krank im Bett liegenden Sohn das Märchen von einem Mädchen, dass ihre Tage immer allein in einer wunderschönen Bucht verbringt. Sie mag ihre Altersgenossen nicht, da diese sich schon wie Erwachsene benähmen. Eines Tages nähert sich ein geheimnisvolles, scheinbar leeres Boot der Bucht, dass in dem Moment wieder abdreht, als das Mädchen es fast schwimmend erreicht hätte. Äußerlich ist nichts geschehen, aber plötzlich erklingt eine Stimme, die eine seltsame Melodie in einer atonal klingenden Tonfolge singt (die einzige begleitende Melodie des gesamten Films). Das Mädchen versucht herauszubekommen, woher die Stimme kommt und entdeckt, dass die Felsen, die sie bisher nicht beachtete, menschliche Züge haben. Von dort kommt die immer angenehmer klingende Melodie. Als ihr Sohn Giuliana fragt, welcher Felsen denn gesungen hätte, antwortet sie "Alle!".

"Il deserto rosso" Italien 1964, Regie: Michelangelo Antonioni, Drehbuch: Michelangelo Antonioni, Tonino Guerra, Darsteller : Monica Vitti, Richard Harris, Carlo Chionetti, Xenia Valderi, Aldo Grotti, Laufzeit : 105 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Michelangelo Antonioni:

"Gente del Po" (1943)
"Superstizione" (1949)
"Sette canne, un vestito" (1949)
"Cronaca di un amore" (1950)
"I vinti" (1952)
"L'amore in città" (1953)
"Il grido" (1957)
"L'avventura" (1960)
"La notte" (1961)
"L'eclisse" (1962)

Freitag, 4. Juni 2010

La banda Vallanzasca (Vallanzasca's Gang) 1977 Mario Bianchi

Inhalt: Als man sie für den Tod eines Häftlings verantwortlich machen will, nutzen Roberto (Enzo Pulcrano) und Italo (Gianni Diana) die Gunst der Stunde, überwältigen zwei Wärter und fliehen aus dem Gefängnis. Zwar können sie sich erfolgreich absetzen, aber als sie sich Waffen bei einem Kontaktmann Robertos besorgen, geraten sie erneut in Schwierigkeiten. Allerdings nicht ganz unverschuldet, denn ihre Idee gleich noch die Hochzeitsgesellschaft auszurauben, stößt schnell auf den überlegenen Widerstand der Leibwächter des Gangsterbosses, dessen Tochter gerade vermählt wurde.

Als diese sie fertig machen wollen, kommt ihnen überraschend eine andere Bande zu Hilfe, die sie aus der Gewalt der Gangster befreit. Auch das geschah nicht ganz uneigennützig, denn ihr Interesse gilt den beiden Ausbrechern, die für sie ein paar Jobs erledigen sollen. Als die Beiden, frisch ausstaffiert mit Anzügen und neuen Papieren, auf dem Weg zu ihrem Zielort sind, geraten sie in eine Polizeikontrolle...


 
Mario Bianchis Intentionen, mehr als 30 Jahre nach Entstehung des Films "La banda Vallanzasca", exakt zu beschreiben, bleibt Spekulation, aber es gibt genügend Anzeichen dafür, dass den sonst eher der leichten erotischen Kost zugewandten Regisseur, der später auch einige Hardcore-Pornos drehte, die realen Ereignisse in Italien, Mitte der 70er Jahre, ebenfalls nicht kalt ließen.

Ganz konkret spricht er in dem abschließenden Kommentar eines Polizisten die chaotischen, letztlich sogar die Demokratie gefährdenden, Verhältnisse in Italien an, provoziert durch eine ausufernde, unkontrollierbar werdende Kriminalität. Mit dieser Aussage adelte er eine Handlung, die zuvor in wüster Form einen kriminellen Akt an den anderen reihte, ohne das die Polizei jemals Herr der Lage wurde. Das es sich dabei nicht um einen bloßen Etikettenschwindel handelt, wird an weiteren Details deutlich, vor allem am Titel des Films.

Bei Renato Vallanzasca handelte es sich um einen Verbrecher, der in den 70er Jahren in Italien Berühmtheit erlangte. Schon sehr jung kriminell aufgefallen, erhielt er den Spitznamen "Der schöne René", wegen seines angenehmen Äußeren und seines Erfolgs bei Frauen. Tatsächlich nutzte er das gestohlene Geld vor allem für einen luxuriösen Lebensstil, was ihm Sympathien in der Bevölkerung einbrachte. Als knallharter Gangsterboss fiel er weniger auf, auch wenn er wegen mehrerer Morde, an denen er beteiligt gewesen sein soll, bis heute im Gefängnis sitzt. Deshalb klingt es vordergründig merkwürdig, dass Bianchi seinen Namen für einen Film nutzt, in dem Vallanzasca gar nicht vorkommt.

Sicherlich setzte er damit auch auf die damals vorhandene Popularität, aber dessen Name steht hier symbolisch für eine anonyme Eminenz, die im Hintergrund die Fäden zieht, während alle anderen Personen wie Schachfiguren handeln, auf die bei Bedarf verzichtet werden kann. Obwohl "La banda Vallanzasca" sonst geradlinig und wenig geheimnisvoll daher kommt, bleibt er in diesem Punkt verschwiegen, womit Bianchi die paranoide Atmosphäre noch betont. Wie ernst es ihm damit ist, wird auch an den für seine Verhältnisse sehr sparsam eingesetzten, zwei Soft - Erotik - Szenen deutlich, die in manchen Fassungen zurecht herausgeschnitten wurden. Vor allem das kopulierende Paar, dass sich ausgerechnet den Fluchtort der beiden entflohenen Häftlinge für sein Liebesspiel aussuchte, ist überflüssig. Robertos (Enzo Pulcrano) Wutanfall, als er sie bemerkt, ist nicht nur kontraproduktiv, sondern passt auch gar nicht zu seinem sonst souveränen Charakter.


Er war zuvor mit seinem Zellenkumpel Italo (Gianni Diana) aus dem Stadtgefängnis ausgebrochen, als die Wärter versuchten, ihnen einen Mord an einem Mithäftling zu unterschieben, der im Auftrag eines Gangsterbosses von gedungenen Tätern ermordet worden war. Bianchi legt in seinem Film ein eigenwilliges Tempo vor, indem er Szenen, in denen es vor Action nur so kracht, weshalb es an deren innerer Logik teilweise hapert, mit langen Passagen verbindet, in denen die Protagonisten ausführlich dabei gezeigt werden, wie sie Auto oder Bus fahren oder schlicht zu Fuß unterwegs sind. Diese sind von rhythmischer, aktueller Musik unterlegt, die dem Film eine dynamische Mischung aus Realität und Fiktion verleihen, in deren Mittelpunkt Roberto steht, der versucht seinen eigenen Weg zu gehen.

Letztlich erhält er von dem ominösen Bandenchef den Auftrag, eine Tochter aus gutem Hause zu entführen, um ein Lösegeld zu erpressen - eine Szenerie, die deutliche Parallelen zu dem ein Jahr zuvor erschienenen "La Orca" von Eriprando Visconti aufweist, ohne über dessen psychologisches Feingefühl zu verfügen. Bei Bianchi ist - wie der gesamte Film schon zuvor - alles grober - die zur Schau gestellte Nacktheit des Opfers, der geile, hässliche Kumpan, der sie immer belästigt (obwohl völlig unnachvollziehbar eine weibliche Kontaktperson sogar mit ihm ins Bett geht) und auch die oberflächlich bleibenden Sympathien zwischen der jungen Frau und Roberto, der sich zunehmend für sie einsetzt. Doch in der Grundaussage ähneln sie sich wieder. Wie in "La orca", werden die Entführer von den Hintermännern wochenlang hingehalten und erhalten keine Informationen über die Lösegeldübergabe.

"La banda Vallanzasca" verfügt in den einzelnen Actionszenen sicherlich über ein gewisses Trash - Potential, aber insgesamt vermittelt er eine überzeugende paranoide Atmosphäre. Hauptdarsteller Enzo Pulcrano kann Sympathien als Einzelkämpfer erwerben, der innerhalb einer kriminellen Gesellschaft noch über einen Rest von Moral verfügt. Und auch wenn der Film nicht völlig Bianchis sonstige Gepflogenheiten verleugnet, überrascht "La banda Vallanzasca" mit seiner konsequenten Sichtweise.

"La banda Vallanzasca" Italien 1977, Regie: Mario Bianchi, Drehbuch: Mario Bianchi, Darsteller : Enzo Pulcrano, Gianni Diana, Stefania D'Amario, Antonella Dogan, Franco Garofalo, Laufzeit : 95 Minuten

Mittwoch, 19. Mai 2010

Vaghe stelle dell'Orsa... (Sandra) 1965 Luchino Visconti

Inhalt: Sandra (Claudia Cardinale), inzwischen mit dem Amerikaner Andrew (Michael Craig) verheiratet, kehrt nach vielen Jahren wieder in ihr Heimatdorf Volterra in der Toscana zurück, weil ihr Vater, ein bekannter Wissenschaftler, dort geehrt werden soll. Sie selbst hatte ihn kaum gekannt, da er 1942 als Jude in Ausschwitz in der Gaskammer gestorben war.

In Volterra trifft sie nach langer Zeit auch ihren Bruder Gianni (Jean Sorel) wieder, einen angehenden Schriftsteller, mit dem sie ein inniges Verhältnis hatte. Vor allem der Konflikt mit ihrer Mutter (Marie Bell), einer ehemaligen Konzertpianistin, die später den Anwalt Gilardini (Renzo Ricci) geheiratet hatte, schweisste die Geschwister zusammen. Auch jetzt ist die Begrüssung der Mutter, die auf Grund ihrer psychischen Erkrankung entmündigt wurde und unter ärztlicher Aufsicht bei ihrem Mann lebt, mehr als frostig. Ihr Hass auf den jüdischen Anteil in ihren Kindern bricht wieder aus ihr heraus...

 

Als Visconti „Vaghe stelle dell’Orsa...“ 1965 in die Kinos brachte, stieß er damit auf Verwunderung, denn gegensätzlicher hätte sein Film im Vergleich zu seinem letzten, dem zwei Jahre zuvor erschienenen „Il gattopardo“, nicht ausfallen können. Schwelgte er dort in farbenprächtigen Panoramen, griff er hier wieder auf einen kräftigen Schwarz – Weiß - Kontrast zurück, umfasste er dort gedanklich mehrere Epochen voll gesellschaftspolitischer Relevanz, wirft er hier einen intimen Blick auf den Besuch einer jungen Frau in ihrem Heimatort nach einigen Jahren Abwesenheit. Die einzige Konstante schien Claudia Cardinale zu sein, die auch schon in „Rocco e suoi fratelli“ (Rocco und seine Brüder,1960) die weibliche Hauptrolle spielte, aber dieser Eindruck änderte sich schon bei dem ersten Blick auf ihr Gesicht. Fleckiger und grobkörniger hatte man die schöne Darstellerin bis dahin noch nicht gesehen.

Wie bewusst Luchino Visconti die Schwarz-Weiß-Technik verwendet, erkennt man schon an den ersten Szenen des Films, nachdem Sandra (Claudia Cardinale) und ihr amerikanischer Mann Andrew (Michael Craig) Genf in Richtung ihres toskanischen Heimatortes Volterra verlassen hatten. Am Abend zuvor hatten sie noch eine Cocktail-Party für ein internationales Publikum gegeben - eine Szene, die vor allem wegen ihres Erstarrens beim Spielen des Pianisten von Bedeutung ist – nun wirken die Bilder, die die Kamera aus einer subjektiven Sicht der Reisenden aufnimmt, mit schwachem Hell/Dunkel Kontrast überbelichtet. Der Himmel scheint wolkenlos weiß, Landschaft und Städte sind in ein grelles Licht getaucht, und erst als sie ihr Ziel erreichen und in den alten Palazzo ihrer Familie hinein treten, kehrt sich die Helligkeit in ihr Gegenteil. Damit betont Visconti die Schicksalhaftigkeit eines Geschehens, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt.

Gerade diese opernhafte Schwere und die nur von Klaviermusik begleitete Düsternis, mit der Sandras Familiengeschichte hier ausgebreitet wird, stellte den größten Unterschied zu Viscontis „Il gattopardo“ dar, der trotz aller Tragik und Konsequenzen emotional zurückhaltend
geblieben war, beherrscht von der souveränen Attitüde des Adeligen. Doch darin liegt letztlich die Parallele zwischen beiden Werken, die sich in ihrer Intention mehr ähneln, als die äußere Umsetzung Glauben machen will. Viscontis eigene adelige Herkunft, der er dank erheblicher Geldmittel auch seine künstlerische Freiheit verdankte, war ein ständiger Quell der Reibung zu seiner kommunistischen Haltung und seinen homosexuellen Neigungen, die alle seine Filme beeinflussten, hier - wie in „Il gattopardo“ - konkret thematisiert. Auch in seinem Beitrag zu „Boccaccio '70“ lag darauf schon der Schwerpunkt, allerdings mehr spielerisch umgesetzt.

Ähnlich zur Historie in „Il gattopardo“, beschreibt er auch in „Vaghe stelle dell’Orsa...“ den Niedergang einer herrschaftlichen Familie, an deren einstige Pracht nur noch der große Palazzo und die angrenzenden Gärten erinnern. Begreift man die Konsequenzen in „Il gattopardo“ als Ausblick auf die zukünftige Politik Italiens bis zur Machtergreifung der Faschisten, ist „Vaghe stelle dell’Orsa...“ die logische Fortführung dieser Thematik. Obwohl der Film in der damaligen Gegenwart spielt, liegt das ausschlaggebende Ereignis für die Handlung mehr als 20 Jahre zurück. Der Anlass für Sandras Rückkehr in ihre Heimatstadt, ist die Ehrung ihres Vaters mit einer Büste im Garten des Palazzo, der damit der Öffentlichkeit übergeben werden soll. 1942 war der berühmte jüdische Wissenschaftler in Auschwitz in der Gaskammer gestorben.

Nur langsam schlüsselt der Film die Konsequenzen daraus auf, die sich vor allem in der Szene manifestieren, in der Sandra ihre Mutter (Marie Bell) wieder trifft. Die ehemalige Konzertpianistin überhäuft sie mit ihrem Hass gegen alles Jüdische, beleidigt sie und hätte auch den Garten für die Ehrung ihres früheren Mannes nicht hergegeben, wenn sie auf Grund ihrer psychischen Erkrankung nicht entmündigt worden wäre. Sie lebt unter ärztlicher Aufsicht im Haus des Anwalts Gilardini (Renzo Ricci), den sie nach dem Krieg geheiratet hatte. Visconti lässt offen, ob sie selbst ihren Mann an die Faschisten auslieferte, aber macht kein Geheimnis aus der moralischen Situation, in der ihre Kinder aufwuchsen, die beim Tod ihres Vaters noch sehr klein waren.

In diesem Zusammenhang wird auch die Rolle von Sandras Bruder Gianni (Jean Sorel) deutlich, dessen künstlerische, psychisch anfällige Seele dieser Konfrontation nicht gewachsen ist. Nur die Nähe zu seiner Schwester und der geheime Ort, an dem sie sich trafen, ließen ihn diese Situation überleben. Als er jetzt Sandra zum ersten Mal wieder trifft, wirkt er zunächst gefestigt, sich auf dem Weg zu einer Karriere als Schriftsteller befindend, aber seine innere Labilität kommt am Ort seiner Kindheit zunehmend zum Vorschein. In seiner filigranen Figur verarbeitet Visconti die Außenseitersituation eines Menschen, der nicht der sexuellen Norm entspricht – die inzestiöse Beziehung zu seiner Schwester ist ein Synonym zu Viscontis Homosexualität und erfährt hier ebenso Abscheu - vor allem durch die Mutter und den Stiefvater.

Entsprechend missverstanden, wenn nicht gar aus dem historischen Kontext heraus beleidigend, sind frühere deutsche Filmtitel wie „Die Triebhafte“ oder Inhaltsangaben, die von familiärer Dekadenz sprechen. Im Gegenteil steht Sandra in ihrer Selbstkontrolle und Souveränität in Nichts dem Fürsten in „Il gattopardo“ nach. Selbst als ihr Ehemann, überfordert von den sich hochschaukelnden Ereignissen, die Kontrolle verliert, bleibt sie ein Muster an Beherrschung, ohne dabei ihre Emotionen zu unterdrücken. In ihr verweist Visconti noch einmal auf den früher vorherrschenden Geist in der Familie, aber retten kann sie damit Niemanden mehr.

Offensichtlich wird dadurch auch seine Intention für die Wahl der künstlerischen Mittel, die in ihrer direkten Opposition zu der Farbenpracht in „Il gattopardo“ diesen wieder ähneln. Die Klaviermusik symbolisiert die ständige Anwesenheit der Mutter und vermittelt, ähnlich wie die dramatische Optik, nur eine äußerliche Emotionalität, während die Interaktion der Protagonisten von Kälte gekennzeichnet ist. Diese äußerliche Wucht lässt erst das Spannungsverhältnis deutlich werden, unter dem Sandra und ihr Bruder aufwuchsen, und damit ihre Stärke und seine Schwäche.

Viscontis Haltung zu den Geschwistern spricht aus dem Filmtitel, der leider nicht ins Deutsche übersetzt wurde. „Liebliche Sterne im Zeichen des großen Bären...“ - gleichzeitig der Titel von Giannis erstem Buch - zeugen von ihrer Schönheit, aber auch von ihrer Verlorenheit in der Unendlichkeit.

"Vaghe stelle dell'Orsa..." Italien 1965, Regie: Luchino Visconti, Drehbuch: Luchino Visconti, Suso Cecchi d'Amico, Darsteller : Claudia Cardinale, Jean Sorel, Michael Craig, Renzo Ricci, Marie Bell, Laufzeit : 100 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Luchino Visconti:

Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.