Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den

Für ihn war der Weg zur "Sexy"-Variante vorgezeichnet - den
Ein Rückblick in die Entstehungsphase der "Commedia sexy all'italiana"

Freitag, 7. August 2015

La terrazza (Die Terrasse) 1980 Ettore Scola

Inhalt: Das Buffet auf der Terrasse ist eröffnet und die zahlreichen Anwesenden unterbrechen für einen Moment ihre Gespräche. Der Drehbuchautor Enrico D'Orsi (Jean-Louis Trintignant), Produzent Amedeo (Ugo Tognazzi), Fernsehredakteur Sergio (Serge Reggiani), der Journalist Luigi (Marcello Mastroianni) und der Abgeordnete der Kommunistischen Partei Mario (Vittorio Gassman) sind alte Freunde, doch die Zeiten als sie das kulturelle Leben in Italien mit bestimmten, sind lange vorbei. Saturiert und ideenlos leben sie noch von ihrem früheren Ruf, aber ihre deutlich jüngeren Frauen haben ihnen längst den Rang abgelaufen.

Mario (Vittorio Gassman) und Giovanna (Stefania Sandrelli)
D’Orsi wird zwar noch von seiner Ehefrau Emanuela (Milena Vukotic) unterstützt, aber an seiner Schreibblockade ändert das nichts, weshalb er Amedeo auf der Terrasse aus dem Weg zu gehen versucht, der ihm schon vor einem halben Jahr Vorschuss auf das neue Drehbuch gegeben hatte. Doch wirklich aktiv ist Amedeo auch nicht. Seine Ehefrau Enza (Ombretta Colli) hat ihm längst den Produzenten-Job aus den Händen genommen, während er sich in ihrer grotesk riesigen Villa langweilt, und Carla (Carla Gravina) hat sich von Luigi getrennt und macht Karriere als Fernseh-Journalistin. Mario ist ohne seine Frau gekommen und gerät auf Grund einer despektierlichen Bemerkung über die Nachfolge-Generation mit Giovanna (Stefania Sandrelli) in Streit – der Beginn einer heftigen Liebes-Affäre…


Diskussion mit Regisseur Tazzo (Stefano Satta Flores)
Schon sechs Jahre zuvor in "C'eravamo tanti amati" (Wie waren so verliebt, 1974) hatte Ettore Scola ein erstes Resümee gezogen. An den unterschiedlichen Lebenswegen dreier Männer, die gemeinsam im Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht gekämpft hatten, beschrieb er beispielhaft die Fallhöhe zwischen Wunsch und Realität, zwischen Ideal und Ernüchterung dreier Jahrzehnte Gesellschaftspolitik in Italien. Auch der parallele Fortschritt im Medium Film gehörte zu seiner desillusionierten Nachbetrachtung, blieb aber hinsichtlich seiner eigenen Rolle noch verklausuliert. Im Mittelpunkt stand Vittorio De Sica, dem er zwar den Film widmete, dessen Entwicklung vom Vorbild als Neorealisten ("Ladri di biciclette" (Fahrraddiebe, 1948)) zum publikumswirksam angepassten Komödienregisseur er aber bedauerte - für Scola und seine Mitautoren Agenor Incrocci (kurz "Age") und Furio Scarpelli signifikant für die generelle Entwicklung im italienischen Kino.

Enza (Ombretta Colli) mit Amedeo und Enrico
Seitdem waren sechs Jahre vergangen, angesichts der politischen Ereignisse in Italien kein kurzer Zeitraum. Die bleiernen Jahre ("Anni di piombo"), eine Hochphase an Kriminalität und Terrorismus, waren noch nicht endgültig vorbei, die Ermordung des Christdemokraten Aldo Moro durch die "Roten Brigaden" (Brigade rosse) lag ebenso erst wenige Jahre zurück wie das damit verbundene Scheitern einer von Moro und dem kommunistischen Generalsekretär Enrico Berlinguer angestrebten Koalition der PCI (Partito Comunista Italiano) mit der konservativen Democrazia Cristiana. Ettore Scola und seine langjährigen Mitstreiter, die meisten von ihnen seit dem Krieg Sympathisanten der PCI, konnten 1980 noch nicht wissen, wie sehr diese Phase der kommunistischen Partei, die damals bei freien Wahlen mehr als 30% der Stimmen erhielt, geschadet hatte, aber sie ahnten die Konsequenzen. Weniger hinsichtlich der konkreten Auswirkungen, mehr auf Grund ihrer eigenen Rolle - sie waren in die Jahre gekommen, waren sowohl hinsichtlich ihres politischen wie filmischen Engagements bequem geworden.

Der Journalist (Marcello Mastroianni)
Und was machten sie daraus? – Sie versammelten sich auf der titelgebenden Terrasse und hauten sich in einer letzten brachialen Komödie in der Tradition der „Commedia all’italiana“ gegenseitig in die Pfanne. Vittorio Gassman, Ugo Tognazzi , Serge Reggiani, alle Jahrgang 1922, sowie Marcello Mastroianni (1924) und der wenig jüngere Jean-Louis Trintignant (1930) streiten, diskutieren und lachen miteinander, im Hintergrund begleitet von Agenor Incrocci und Furio Scarpelli (beide 1919) sowie Regisseur Scola (1930). Und konfrontieren sich mit Frauen, die nicht nur deutlich jünger, sondern denen sie auch nicht mehr gewachsen sind. Auch Carla Gravina („I soliti ignoti“ (Diebe haben‘s schwer, 1958), Stefania Sandrelli („Divorzio all’italiana“ (Scheidung auf Italienisch, 1961) und Milena Vukotic (“Made in Italy“, 1965) gehörten früh zum Kreis der „Commedia all’italiana“, waren aber noch keine 40 Jahre alt. Carla Gravina wurde kurz nach Fertigstellung des Films bis 1983 Mitglied der Abgeordnetenkammer für die PCI, Vittorio Gassman verkörperte im Film den langjährigen kommunistischen Abgeordneten Mario. Nur noch wenig engagiert, aber als Selbstdarsteller immer noch in Bestform - besonders gegenüber der jungen Giovanna (Stefania Sandrelli). Authentischer ließen sich Gegenwart und Vergangenheit kaum gegenüber stellen.

Der Drehbuchautor (Jean-Louis Trintignant)
Daraus nun zu folgern der zweieinhalbstündige Film würde zu einer geschwätzigen Angelegenheit unter alten Männern werden, die nur noch in vergangenen Zeiten schwelgen, wäre weit gefehlt – und hieße, Ettore Scola und seine Mitautoren zu unterschätzen. Anders als in „C’eravamo tanti amati“ werden seine Protagonisten gnadenlos mit der Gegenwart konfrontiert. Ihre glorreiche Vergangenheit ist dagegen mehr Last als Lust, wie etwa der Zettel mit den Namen „Totò“ und „Wittgenstein“, den sich der Drehbuchautor Enrico D'Orsi (Jean-Louis Trintignant) an seine Schreibtischlampe geklebt hat. Eine Anspielung auf die Anfänge der „Commedia all’italiana“, als die „Totò“ - Filme, an denen auch Age, Scarpelli („Totò cerca casa“, 1949) und Scola („Totò nella luna“, 1958) maßgeblich mitwirkten, noch von den Kritikern verschmäht wurden, die sie inzwischen in den Rang philosophischer Werke gehoben haben. Der daraus formulierte Anspruch, im Sinn der „Commedia“ gleichzeitig kritisch und lustig sein zu müssen, ist wenig förderlich für D’Orsi. Seine Schreibblockade treibt ihn auf direktem Weg in die Nervenheilanstalt.

Der Produzent (Ugo Tognazzi)
Nur in einem kurzen Moment flackern noch seine Fähigkeiten auf, als er gegenüber seinem Produzenten, der seit Monaten auf das Drehbuch wartet, am Telefon improvisiert und den angeblich schon geschriebenen Inhalt der ersten Episode spontan erfindet. Gespielt wird der Produzent Amedeo von Ugo Tognazzi, der gerade auf einer aufblasbaren Insel mit Sonnenschirm und Bar in seinem Swimming-Pool schwimmt – und nicht weniger überfordert ist als D’Orsi. Während seine deutlich jüngere Frau Enza (Ombretta Colli) ihn in der Riesen-Villa allein lässt, um junge Regisseure zu fördern, kann Amadeo mit dem modernen Stil nichts anfangen. Die Kastration am Ende der internen Filmvorführung – eine Anspielung auf Marco Ferreris „L’ultima donna“ (Die letzte Frau, 1976) - provoziert spontanen Applaus bei den Anwesenden, was den exzentrischen Regisseur Tizzo (großartig Stefano Satta Flores) sofort an seinem Werk zweifeln lässt. Zustimmung ist ihm zuwider – für den wenig intellektuellen Amadeo, der dank seiner beim Publikum erfolgreichen Filme reich wurde, eine fremde Welt.

Der TV-Redakteur (Serge Reggiani)
Scola teilte nicht nur intern, sondern genauso extern aus. Tizzo, sonst nie um eine Provokation verlegen, flippt vor moralischer Entrüstung regelrecht aus, als er erfährt, dass seine über 50jährige Mutter überraschend ein Kind erwartet. Richtig böse wird „La terrazza“ in dem Abschnitt über das italienische Fernsehen, vertreten von Serge Reggiani, der einen schmalen, gealterten Redakteur spielt, der zunehmend wegrationalisiert wird, weil sein Anspruch nicht mehr gefragt ist. Nachdem sein Büro dank der beweglichen Wandmodule auf Schreibtischgröße verkleinert wurde, begibt er sich in den Keller und lässt sich vom künstlichen Schnee einer Fernsehinszenierung zu Tode schneien.

Luigi und Carla (Carla Gravina)
Carla (Carla Gravina) hat dagegen beste Beziehungen zum Intendanten und startet als Moderatorin gerade eine erfolgreiche Karriere im TV. Sie ist die Noch-Ehefrau von Luigi (Marcello Mastroianni), einem linken Journalisten, dem seine jüngeren Kollegen gerade auf eine sehr steife, technologische Weise zu verstehen gaben, dass man seine Dienste nicht mehr benötigt. Angesichts der Tatsache, dass er nur noch reflexartig und ohne Engagement Parolen in die Tasten haute, auch eine für ihn nachvollziehbare Entscheidung. Wirklich interessiert ist Luigi - jahrzehntelang gewohnt problemlos bei jungen Frauen zu landen - nur daran, mit Carla wieder zusammen zu kommen. Ein aussichtsloses Unterfangen.

Der Politiker (Vittorio Gassman)
Mit Drehbuchautor, Produzent, Fernsehredakteur, Journalist und Politiker stellte der Film fünf entscheidende Typen für das links-intellektuelle italienische Kino der vergangenen Jahrzehnte in den Mittelpunkt, denen Scola jeweils einen Abschnitt widmete, immer von der Eröffnung des Buffets auf der Terrasse ausgehend. Dieser klaren Strukturierung, die an ihre vielen gemeinsamen Episoden-Filme erinnert, verdankt der Film nicht nur seinen hohen Unterhaltungswert, sondern gab den Machern die Möglichkeit, die inneren Verflechtungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Es entstand ein komplexes Gebilde, dass sowohl die Vergangenheit reflektierte, als auch die Gegenwart sezierte, ohne dass Irgendjemand gut dabei wegkam, so amüsant die vielen Verwicklungen und Anspielungen im Einzelnen sind. Ganz in der Tradition der „Commedia all’italiana“, in der Komik und Tragik, Illusion und Realität immer nah beieinander lagen.

Ettore Scolas Film war auf Grund seiner pessimistischen Aussage hoch umstritten, die Kritiken reichten von großer Begeisterung bis zu totaler Ablehnung. Aus heutiger Sicht lässt sich nur statuieren, dass Scolas Blick auf die Kollegen und ihr politisch-kulturelles Engagement, trotz aller Anzeichen einer negativen Entwicklung, liebenswert blieb – das gemeinsame Singen am Ende des Films erhält angesichts der schon wenige Jahre später eintretenden Realität einen melancholisch-sentimentalen Charakter. Dass „La terrazza“ ein letzter Vertreter dieser Art sein würde, war 1980 ebenso wenig vorauszusehen, wie die Größenordnung des Niedergangs der italienischen Filmindustrie oder die Entwicklung der PCI zu einer Splitter-Partei. In die „Top 100“ der wichtigsten italienischen Filme schaffte es „La terrazza“ trotz seiner Bedeutung und Qualität nicht – Filme, die nach 1978 entstanden, wurden nicht mehr berücksichtigt.

"La terrazza" Italien 1980, Regie: Ettore Scola, Drehbuch: Ettore Scola, Agenore Incrocci, Furio Scarpelli, Darsteller : Vittorio Gassman, Marcello Mastroianni, Jean-Louis Trintignant, Ugo Tognazzi, Serge Reggiani, Stefano Satta Flores, Stefania Sandrelli, Carla Gravina, Milena Vukotic, Galeazzo Benti, Laufzeit : 151 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Ettore Scola:

"Se permettete parliamo di donne" (1964)
"C'eravamo tanti amati" (1974)
"Brutti, sporchi e cattivi" (1976)
"I nuovi mostri" (1977)

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Der Name "L'amore in città" bezieht sich auf einen Episoden Film aus dem Jahr 1953, der erstmals Regisseure in Italien dazu brachte, ihre extra dafür geschriebenen und gedrehten Kurzfilme zu einem Gesamtwerk zu vereinen. Der Episodenfilm steht symbolisch für eine lange, sehr kreative Phase im italienischen Film, die in vielerlei Hinsicht stilbildend für die Kunstform Film wurde. Die intensive Genre-übergreifende Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden war eine wesentliche Grundlage dafür.