Sonntag, 20. März 2011

Umberto D. 1952 Vittorio De Sica

Inhalt: Der Versuch einer Gruppe von Pensionären, für eine höhere Rente zu demonstrieren, scheitert schnell am Eingreifen der Polizei und so muss sich Umberto Domenico Ferrari (Carlo Battisti) wieder allein mit seinen Problemen herumschlagen. Seine Vermieterin (Lina Gennari) droht dem allein stehenden, kinderlosen, alten Mann mit dem Rausschmiss aus seinem Zimmer, wenn er bis zum Monatsende nicht die fehlenden 15000 Lire bezahlt hat - ein hoffnungsloses Unterfangen, angesichts einer Monatsrente von 10000 Lire.

Trotzdem versucht Umberto, dessen einziges Glück sein kleiner Hund ist, alles, um Geld aufzutreiben, indem er seinen geringen Besitz veräußert. Doch seine Vermieterin lässt sich nicht auf Teilzahlungen ein, da sie ihn loswerden will, und als er nach ein paar Tagen aus dem Krankenhaus zurückkommt, wohin er sich wegen einer Kleinigkeit hatte einweisen lassen, muss er feststellen, dass in seinem Zimmer schon Renovierungsarbeiten begonnen haben. Doch viel schlimmer ist, das sein kleiner Hund, auf den das Dienstmädchen Maria (Maria-Pia Casilio) aufpassen sollte, verschwunden ist...


Die Phase des italienischen „Neorealismus“ auf die Zeit von 1942 bis etwa 1953 festzulegen, gehört heute genauso zum guten Ton der Filmwissenschaft, wie die dazu gehörige Einordnung von „Umberto D.“ als einer der letzten Filme dieser Epoche. Diese vereinfachende Darstellung einer mehr als zehn Jahre andauernden Schaffensperiode unterstellt eine Homogenität in der Wahl der Mittel, die - wenn überhaupt - nur in der unmittelbaren Zeit vor und nach dem Ende des 2.Weltkriegs bestanden hatte. Von einem späteren Zeitpunkt aus gesehen, schrumpft zudem die Phase nach 1945 meist auf den Begriff „Nachkriegszeit“ zusammen, dabei verkennend, dass sich Italien in den sieben Jahren bis zur Entstehung von „Umberto D.“ erheblich verändert hatte - und De Sica seinen Film auf der Basis einer Gegenwart, die den Krieg schon hinter sich gelassen hatte, aufbaute.

Gerade „Umberto D.“ beweist, dass eine Begrenzung der Realität im italienischen Film, egal wie man sie nennen mag, falsch ist, denn De Sicas Film beendete keine Phase, sondern bildet einen zeitlich, wie inhaltlich zentralen Punkt zwischen Filmen wie Rossellinis „Roma, città aperta“ (Rom, offene Stadt) von 1945 und Pasolinis „Accattone“ von 1961, die beide ebenso mit Laiendarstellern in Rom entstanden waren. Während Pasolini seinen Film vor den Slums von Rom am Rand der Stadt spielen ließ - für ihn das Symbol eines gesellschaftspolitischen Scheiterns nach dem Krieg - fand Rossellini in den Ruinen des Krieges noch den Mut zum Aufbruch. Von diesen Ruinen ist in „Umberto D.“ nichts mehr zu sehen, aber schon viel von den Auswirkungen, auf die De Sica in "Il tetto" (Das Dach, 1956) selbst zurückkam und die auch die Basis für Pasolinis "Accattone" bildeten.

Dass „Umberto D.“ diese Position einnimmt, obwohl Vittorio De Sica eine gänzlich andere Herangehensweise an die italienische Realität hatte, als die beiden genannten Regisseure oder ein Luchino Visconti, verdeutlicht die Besonderheit des Films in De Sicas Werk. Nicht ohne Grund gehören Filme wie „Ladri di biciclette“ (Fahrraddiebe, 1948) oder „Miracolo a Milano“ (Das Wunder von Mailand, 1951) bis heute zu den populärsten des „Neorealismus“, denn De Sicas Schilderungen der Realität in Italien verzichteten auf einen ideologischen Hintergrund, während sie den tröstlichen Zusammenhalt der Menschen, gerade mitten im Elend, beschworen. Obwohl nur ein Jahr nach „Miracolo a Milano“ entstanden, entwarf Cesare Zavattini dagegen in „Umberto D.“ ein Szenario, in dem von dieser Solidarität nichts mehr zu spüren ist - noch konsequenter und fatalistischer war De Sica später nur in "Il tetto".

Zu Beginn erweckt der Film noch einen anderen Eindruck, als eine große Zahl älterer, sehr gepflegt angezogener Herren, darunter Umberto Domenico Ferrari (Carlo Battisti), gemeinsam für eine höhere Rente protestieren, aber der Schein trügt. Nur wenig im Protest geübt, dazu noch schlecht organisiert, bricht die unangemeldete Demonstration beim ersten Widerstand durch die Polizei zusammen. Froh einer Verhaftung entgangen zu sein, steht Umberto kurz danach noch mit zwei anderen Herren zusammen, sich einig darüber, dass man von ihrer schmalen Rente kaum leben kann. Doch als Umberto in diesem Zusammenhang von seinen Schulden spricht, die er von der Rente nicht abzuzahlen in der Lage wäre, liegt die einzige Reaktion der beiden anderen Männer darin, zu erwähnen, dass sie keine Schulden haben. Damit ist Umberto endgültig isoliert, denn Verständnis kann er dafür nicht mehr erwarten.

Nicht nur durch ein gepflegtes Straßenbild und intakte Häuser, sondern besonders damit, dass die Menschen sich wieder andere Ziele setzen, als den nackten Überlebenskampf, macht De Sica deutlich, dass die Nachkriegszeit vorbei ist. Sehr schön zeigt sich das in der Figur der Hausbesitzerin Antonia Belloni (Lena Gennari), bei der Umberto seit 20 Jahren ein Zimmer gemietet hat. Nur vordergründig sind seine Schulden der Grund für den angedrohten Rausschmiss zum Monatsende, was auch darin erkennbar wird, dass sie Umbertos Bemühungen der Abzahlung – er verkauft sein weniges Hab und Gut für einen viel zu geringen Preis – nicht honoriert, sondern auf den gesamten Betrag beharrt. Der alte Mann stört sie schlicht bei ihrem Wunsch, ein aus ihrer Sicht angemessenes gesellschaftliches Leben zu führen. Sie steht kurz vor ihrer Hochzeit, veranstaltet gemeinsame Abende bei Musik und Gesang, und möchte mit Umbertos Raum ihr Wohnzimmer vergrößern. Ihre Rücksichtslosigkeit – sie beginnt mit der Renovierung schon, während Umberto D. noch in dem Zimmer schläft – ist nur besonders signifikant, denn in De Sicas Film gibt es eine Vielzahl von Beispielen für Menschen, deren Handeln zunehmend von egoistischer Effektivität geprägt wird.

Als Rentner, der nicht einmal eine Familie hat, die ihn unterstützen könnte, gehört Umberto D. zu den Verlierern der Nachkriegszeit. Der Staat ist noch zu sehr geschwächt, um seinen Pensionären eine ausreichende Rente zu bezahlen, aber sie sind zu alt, um von der Aufbaustimmung der Gegenwart noch zu profitieren. Sie sind auf einen Zusammenhalt in der Gesellschaft angewiesen, der mit der materiellen Besserstellung zunehmend verloren geht. Für Pasolini lag darin der Verrat an den marxistischen Idealen, die er und viele andere Regisseure nach dem Ende des Krieges noch hegten, und Ettore Scola, der in "C'eravamo tanti amati" (Wir waren so verliebt,1974) diese Veränderungen in seinem Zeitgemälde beschrieb, widmete seinen Film nicht ohne Grund De Sica, auch wenn er dessen spätere Entwicklung darin ebenso kritisierte.

„Umberto D.“ alleine auf die Probleme des Umgangs mit alten Menschen zu reduzieren, greift deshalb zu kurz, was Autor Zavattini noch mit der gegensätzlichsten Figur betont, die er Umberto zuordnen konnte – Maria (Maria-Pia Casillo), das 17jährige schwangere Mädchen, die als Dienstmagd für Umbertos Vermieterin arbeitet, ist der einzige Mensch, der freundlich zu ihm ist. Doch ihre Situation ist nicht wesentlich besser als seine – sobald ihre Schwangerschaft bekannt wird, wird sie ihre Anstellung verlieren, zu ihrem Vater kann sie in ihrem Zustand nicht zurückkehren und der junge Soldat, von dem sie glaubt, dass er der Vater ihres Kindes ist, reagiert nur mit Herablassung.

De Sica verfolgt ihr Schicksal nicht weiter, aber das gilt letztlich auch für Umberto Domenico Ferrari, dessen Namens-Reduzierung auf das anonyme „Umberto D.“ im Filmtitel, allein schon den generellen Charakter des Films beweist. Das dieser trotz seiner kritischen Intention zu keinem deprimierenden Dokument wurde, liegt an den Stärken De Sicas und Zavattinis, die es immer verstanden, ihren Filmen Leichtigkeit und menschliche Authentizität zu verleihen. Diese Dimension, die auf einer sehr genauen Beobachtungsgabe menschlicher Verhaltensweisen basierte, hatte Filmen wie „Scuscià“ (Schuhputzer) von 1946 oder „Ladri di biciclette“ (Fahrraddiebe, 1948) eine tröstliche Komponente hinzugefügt, gab einem Film wie „Stazione termini“ (Rom, Station Termini, 1953) trotz Hollywood-Einschlags die notwendige Tiefe und verband die einzelnen Episoden von „L’oro di Napoli“ (Das Gold Neapels, 1954) zu einem komplexen Charakterbild. Aber die Popularität dieser komödiantisch, menschlichen Seite führte auch dazu, dass De Sicas Filme immer mehr zu Lustspielen wurden, deren kritischen Aspekte sich auf das Zwischenmenschliche beschränkten, wie in „Ieri, oggi e domani“ (Gestern, heute und morgen, 1963) oder „Matrimonio all’italiana“ (Heiraten auf Italienisch, 1964).
In „Umberto D.“ verbinden sich beide Seiten – Emotionalität und Gesellschaftskritik – zu einer idealen Symbiose, die dem Film noch die notwendige Leichtigkeit verleiht, das Geschehene zu verarbeiten, ohne das kritische Potential damit zu verwässern.


"Umberto D." Italien 1952, Regie: Vittorio De Sica, Drehbuch: Cesare Zavattini, Darsteller : Carlo Battisti, Maria-Pia Casilio, Lina Gennari, Ileana Simova, Memmo Carotenuto, Elena Rea, Laufzeit : 89 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Vittorio De Sica:
"L'oro di Napoli" (1954)
"Il tetto" (1956)
"La ciociara" (1960)

Mittwoch, 9. März 2011

Il giorno della civetta (Der Tag der Eule) 1968 Damiano Damiani


Inhalt: Auf einer staubigen Straße am Rand einer sizilianischen Kleinstadt wird am frühen Morgen ein Lastwagenfahrer von einem Heckenschützen ermordet. Obwohl die Leiche auf der Straße liegt, fühlt sich Niemand dafür verantwortlich, bis zufällig ein Polizist diese entdeckt. Schon kurz nachdem Bellodi (Franco Nero), der neue, aus dem Norden Italiens stammende, Polizeioffizier vor Ort ist, wird deutlich, welches Motiv sich hinter der Tat verbirgt. Bei dem Toten handelt es sich um einen ortsansässigen Bauunternehmer, der sich nicht an die internen Absprachen hielt, die bei der Vergabe der Bauaufträge, aber auch bei der Qualität des Baumaterials von der ortsansässigen Mafia vorgegeben werden.

Auf der schwierigen Suche nach einem Zeugen, muss Bellodi zudem feststellen, dass ein Mann verschwunden ist. Ausgerechnet der Ehemann von Rosa Nicolosi (Claudia Cardinale), von dessen Haus man mühelos den Mord hätte beobachten können, ist unauffindbar. Zudem mehren sich die Stimmen, Nicolosi hätte den Bauunternehmer erschossen, weil dieser ein Techtelmechtel mit seiner Frau gehabt hätte. Bellodi sieht in diesen offensichtlich gelenkten Beschuldigungen die Chance, Rosa Nicolosi als Zeugin zu gewinnen. Aber obwohl sie sich gegen die falschen Vorwürfe wehrt, begibt auch sie sich zuerst zu Don Mariano Arena (Lee J.Cobb), dem Mann, der alle Fäden in der Hand hat...


"Il giorno della civetta" (Der Tag der Eule) ist nicht nur der erste Mafiafilm Damiano Damianis und der Beginn seiner langjährigen Zusammenarbeit mit Franco Nero, sondern hat sich auch ganz allgemein den Ruf bewahrt, einer der ersten Filme zu sein, die sich kritisch mit der Mafia und den Auswirkungen auf Italien auseinander setzten. Dieser Eindruck ist keinesfalls falsch, obwohl Elio Petri mit "A ciascuno il suo" (Zwei Särge auf Bestellung, 1967) ein Jahr zuvor schon einen Roman Leonardo Sciascias verfilmte, und sich Francesco Rosi 1962 mit "Salvatore Giuliano" ebenfalls mit den Verhältnissen auf Sizilien beschäftigte. Doch die Romanvorlage Sciascias, derer sich Damiani in seinem Film annahm, stammt aus dem Jahr 1961 und verdeutlicht noch heute sehr schön, wie sich die Form der Kritik nicht nur an den mafiösen Verhältnissen, sondern an der gesellschaftlichen Situation in Italien insgesamt mit den Jahren veränderte.

Der Sizilianer Sciascia beschrieb in „Il giorno della civetta“ die Geschehnisse in einem kleinen sizilianischen Ort noch in seiner unmittelbarsten Form. Don Mariano Arena (L.J.Cobb) ist der angesehenste und mächtigste Bürger der Stadt, der für Arbeit sorgt und über beste Verbindungen zu den Abgeordneten der Christlichen Partei in Palermo verfügt. Um ihn herum hat sich ein dichtes Netzwerk gebildet - aus Vasallen, die sich um die Drecksarbeit kümmern, aus Bauunternehmern, die von Arena profitieren, der ihnen öffentliche Aufträge zuschanzt, und letztlich aus den einfachen Bürgern, die auf diese Weise Lohn und Brot erhalten. Darin könnte man ein intaktes soziales System erkennen, wenn Don Arena nicht an allen Geschäften beteiligt wäre. Um entsprechende Profite einzuheimsen, wird an der Qualität der Baustoffe gespart, wodurch es immer wieder zu Unfällen kommt – eine Thematik, der sich Francesco Rosi 1963 in „Le mani sulla città“ (Die Hände über der Stadt) am Beispiel einer italienischen Großstadt widmete.

Der Blick in „Il giorno della civetta“ blieb aber auf die Kleinstadt beschränkt, da es Damiani und Sciascia um die Abhängigkeiten innerhalb dieser kleinbürgerlichen Struktur ging. Der Einzelne hat keine Möglichkeit aus diesem System auszubrechen, da er auf diese Art sofort zum Außenseiter und damit Geächteten wird. Prinzipiell gilt das für jede Gemeinschaft dieser Größenordnung, aber durch die kriminellen Ziele der Mächtigen und deren rigorosen Maßnahmen, entwickelt sich eine Atmosphäre der Angst, der sich keiner der Einwohner entziehen kann. Am Beispiel von Rosa Nicolosi (Claudia Cardinale) wird das deutlich, deren Mann nach dem Mord an einem ungehorsamen Bauunternehmer plötzlich verschwunden ist. Sein „Vergehen“ begründete sich auf der Tatsache, dass sein Haus in der Nähe des Tatorts lag, und er zufällig Zeuge des Geschehens wurde. Obwohl Rosa Nicolosi keinerlei Ambitionen hatte, das bestehende System in Frage zu stellen, wird sie zum Opfer, da Don Arena den Befehl gibt, ihren Ruf zu diskreditieren, um der Polizei so ein Tatmotiv zu liefern.

Das er überhaupt zu solchen Maßnahmen gezwungen wird, liegt an der einzigen katalytischen Figur, die Damiani hier auftreten lässt – den Polizei-Kapitän Bellodi, der neu an diesen Ort versetzt wurde und der nicht aus Sizilien stammt. Franco Nero spielt ihn entsprechend mit einer gewissen Arroganz, die auch nicht davor zurückschreckt, selbst unlautere Methoden anzuwenden, um das Netz der „Omerta“ - des Schweigens - zu durchbrechen. Dieser Polizeioffizier ist prinzipiell eine künstliche Figur, die auf Grund fehlender Abhängigkeiten (Bellodi hat keine Familie) in der Lage ist, intellektuell mit den Verflechtungen an diesem Ort umzugehen. Strategisch geschickt vorgehend, gelingt es ihm langsam, Strukturen aufzubrechen, wodurch er auch Don Arena unter Druck zu setzen vermag. Indem sie der Mafia an diesem Ort einen echten Gegner gegenüber stellten, machten Damiani und Sciascia erst deutlich, dass selbst eine solche, nur wenig realistische Konstellation, letztlich wirkungslos an den bestehenden Verhältnissen verpufft. Don Arena kann sich sogar die Großzügigkeit leisten, einen geplanten, aber nicht mit ihm abgestimmten Anschlag auf Belloni wieder zurück zu pfeifen.

Vergleicht man „Il giorno della civetta“ mit späteren Filmen Damianis zu diesem Thema oder mit Sciascias folgenden, auch von Elio Petri und Francesco Rosi verfilmten Werken, dann fällt auf, dass sie nie wieder das Prinzip eines äußeren, unabhängigen Standpunktes anwendeten, für den Belloni hier steht. Natürlich veranschaulicht der Film sehr genau die inneren Strukturen, zeigt die Zwänge des Einzelnen auf, beschränkt sich aber in der Beschreibung der unter diesen Verhältnissen Leidenden nur auf wenige Individuen – den Bauunternehmer, der keinen Pfusch abliefern will, die Ehefrau, deren Mann Pech hatte, und der kleine Spitzel (Serge Reggiani), der nicht begriffen hat, wohin er gehört. Alle Anderen scheint es dagegen gut zu gehen in diesem System. Die Empörung des Betrachters angesichts dieser ungesetzlichen Situation, entsteht nur aus dem Blickwinkel seines Stellvertreters im Film, Franco Nero, nicht aber in der Identifikation mit der Bevölkerung des kleinen Ortes.

Dank seiner Direktheit und einer klaren, Spannung erzeugenden Erzählstruktur, hat sich „Il giorno della civetta“ eine gewisse Popularität und Zugänglichkeit bis heute bewahrt, die aber nicht übersehen lässt, dass dem Film die Subtilität eines „A ciascuna il suo“, indem die Identifikationsfigur aus der Mitte der sizilianischen Gesellschaft kommt, oder Damianis folgendem Film „La moglie più bella“ (Macht und Leidenschaft) von 1970 fehlt. Dort spielen Polizei und Mafiabosse nur noch eine Nebenrolle, denn Damianis Blick gilt den generellen Auswirkungen auf eine Sozialisation, unter der letztlich Alle leiden, selbst wenn Einzelne vordergründig davon profitieren. Zudem verließen sowohl Damiani, als auch Sciascia die Zelle der sizilianischen Kleinstadt und begriffen das Mafia-System als eine übergreifende, politisch relevante Kraft, die sich auf das gesamte Land auswirkte. Unabhängig davon, bleibt „Il giorno della civatta“ relevant in seiner detaillierten und kritischen Beschreibung eines Systems, und wurde damit der gelungene Ausgangspunkt Damiano Damianis und seines Autors Leonardo Sciascia.

"Il giorno della civetta" Italien, Frankreich 1968, Regie: Damiano Damiani, Drehbuch: Damiano Damiani, Ugo Pirro, Leonardo Sciascia (Novelle)Darsteller : Franco Nero, Claudia Cardinale, Lee J.Cobb, Serge Reggiani, Tano Cimarosa, Laufzeit : 104 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Damiano Damiani:

Donnerstag, 3. März 2011

Il profumo della signora in nero (Das Parfüm der Dame in Schwarz) 1974 Francesco Barilli

Inhalt: Silvia Hacherman (Mimsy Farmer) lebt allein in einer großen Wohnung in einem herrschaftlichen alten Gebäude. Außer zu ihren Nachbarn, Signor Rossetti (Mario Scaccia), und der jungen Francesca (Donna Jordan), hat sie nur zu wenigen Menschen Kontakt und auch ihr Freund Roberto (Maurizio Bonuglia) hat es nicht immer leicht mit ihr. Denn Silvia ist gerne allein und zieht sich in ihre Wohnung zurück. Als sie nach einem Abend mit Roberto erst am nächsten Nachmittag von ihrer Haushälterin geweckt wird, erschrickt sie, denn sie hatte noch nie so lange geschlafen. Zudem liegt das alte Familienbild mit zersplittertem Rahmen auf dem Boden, weshalb sie es zur Reparatur weggibt. 

Die merkwürdigen Ereignisse häufen sich und Silvia sieht immer wieder Menschen, die scheinbar nicht real sind. Zunehmend empfindet sie ihre Umgebung als Bedrohung, aber die Gefahr lauert auch in ihrer Wohnung, in die sich sich zunehmend flüchtet...


Als Francesco Barilli mit "Il profumo della signora in nero" seinen ersten Film drehte, hatte er trotz seiner Jugend schon einige Erfahrungen als Darsteller, Regie-Assistent und Drehbuchautor gesammelt. Das der Film, neben "Pensione paura" aus dem Jahr 1977, sein einziger Kinofilm blieb, ist angesichts seiner Qualitäten auch als Regisseur bedauerlich, verdeutlicht aber auch die intensive Beziehung zu seinen wenigen Werken.

Silvia Hachermann, verkörpert von der amerikanischen Darstellerin Mimsy Farmer, wird von Barilli in einer Art inszeniert, die von einer unmittelbaren Emotionalität zu der selbst erdachten Hauptfigur zeugt. Es ist nicht nur die weibliche Schönheit, die fließenden Kleider, der leichte Gang und die anmutigen Bewegungen, die diesen Eindruck erzeugen, sondern eine Aura der Einsamkeit und Verletzlichkeit, die Silvia vom ersten Moment an umgeben. Obwohl äußerlich gesellschaftlich integriert - sie hat einen gut bezahlten Job und mit Roberto (Maurizio Bonuglia) einen attraktiven, gebildeten Freund - wirkt sie nie wie ein Teil dieser Realität. Auch sexuell entzieht sie sich einer plumpen Zuordnung - den wenigen Momenten ihrer Nacktheit fehlt jeglicher voyeuristischer Anstrich, so wie der einzige Sexualakt mit ihrem Freund fast grob wirkt in seiner Unmittelbarkeit, damit schon die Entfremdung zwischen Silvia und Roberto verdeutlichend.

Barillis Blick auf diese weibliche Figur überträgt sich in einer Art auf den Betrachter, welche die Identifikation mit ihr weniger durch eine charakterliche Nähe prägt, als dem Miterleben ihrer solitären Situation. Schon in den ersten sehr ästhetischen Bildern, untermalt von einer gleichzeitig altmodisch wie geheimnisvoll klingenden, immer wieder kehrenden Musik, baut sich eine innere Spannung auf und wird der Betrachter zum Teil ihres sehr geordneten, ruhigen Lebens. Dieses Tempo behält Barilli über die gesamte Laufzeit bei, verfällt nie in schnelle Bewegungen, sondern verharrt selbst in den Momenten des Erschreckens in einer Ruhe, die sich nie der Banalität einer Realität hingibt.

Auch die Silvia umgebenden Figuren, neben Roberto vor allem die hübsche Francesca (Donna Jordan), die auch in ihrem Haus wohnt, der väterliche Nachbar Signor Rossetti (Mario Scaccia) oder Andy (Jho Jhenkins), ein Bekannter von Roberto, der Silvia mit seinen Erzählungen über afrikanische Kult-Handlungen erschreckt, sind ausgesprochen freundlich und wohl erzogen, aber der Film fokussiert sie zunehmend aus Silvias Blickwinkel, durch den alles Außenstehende bedrohlich wirkt. Dabei gelingt es dem Film, das Vertrauen in die Menschen, mit denen Silvia befreundet ist, zu verändern - Skepsis verursachende Personen erweisen sich als vertrauenswürdig, schützende Menschen wirken plötzlich gefährlich. Doch wirklich konkret wird der Film nie, sondern behält immer den Blickwinkel einer durch Silvias Empfinden geprägten Subjektivität.

Das gilt auch für ihre Vergangenheit und sie stark prägende Ereignisse ihrer Kindheit, die Barilli nie mit einem aufklärerischen Gestus verfolgt, sondern nur durch Andeutungen, real wirkende Verknüpfungen und dem Auftauchen einer geheimnisvollen Dame in Schwarz, die sich mit Parfüm bestäubt - offensichtlich Silvias Mutter. Diese Szenen scheinen, vor allem wenn sich Silvia mit sich selbst als Kind unterhält, ein deutliches Anzeichen für die geistige Verwirrtheit der Protagonistin abzugeben, aber der Film verweigert trotzdem eine eindeutige Bewertung dieses Verhaltens - ist es ihr sich verschlechternder geistiger Zustand, wie ihr Freund Roberto vermutet, oder nur eine Reaktion auf eine sie real bedrohende Umwelt ?

Die sich langsam steigernde Gefahr, die sich häufenden verwirrenden Ereignisse, entziehen sich üblichen Erklärungen und einer nachvollziehbaren Logik, da Barilli nie deutlich werden lässt, ob sie im Innen- oder Außenraum stattfinden. Das gilt letztlich auch für die abschließende Szene, die in ihrer groben Schockwirkung scheinbar aus dem Rahmen fällt - weniger durch die konkrete Handlung, als durch ihren realistischen Anstrich, der sich einen Moment von der Ästhetik des Films entfernt und eine unwirkliche Kälte annimmt. Doch die Finsternis des Endes, aus dem der Betrachter auf die weit entfernte Silvia blickt, lässt erahnen, dass damit der Schrecken noch nicht beendet ist.


"Il profuma della signora in nero" Italien 1974, Regie: Francesco Barilli, Drehbuch: Francesco Barilli, Barbara Alberti, Amedeo Pagani, Darsteller : Mimsy Farmer, Maurizio Benuglia, Mario Scaccia, Jho Jenkins, Donna Jordan, Laufzeit : 99 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Francesco Barilli: