Inhalt: Das Klavier-Konzert im römischen Palazzo der
Prinzessin (Marie Dubois) hat schon begonnen, als Tullio Hermil (Giancarlo
Giannini) und seine Frau Giuliana (Laura Antonelli) in der adligen Gesellschaft
eintreffen. Die Prinzessin bietet Giuliana den Platz an ihrer Seite an, ihr
Mann verlässt dagegen schnell wieder den Saal, um noch Teresa Raffo (Jennifer O’Neill)
abzufangen, die nach seiner Ankunft die festliche Stätte gemeinsam mit Graf
Stefano Egano (Massimo Girotti) verlassen wollte. Als er sie deshalb zur Rede
stellt, entgegnet sie, ihn nicht mit seiner Frau teilen zu wollen. Sollte er
noch weiter Interesse an ihr haben, erwartet sie, dass er sie sofort begleitet.
Hermil zögert einen Moment, aber dann setzt er seine Frau
davon in Kenntnis, wegen wichtiger geschäftlicher Termine noch in die Stadt
müssen. Ohne ihre Reaktion abzuwarten, entfernt er sich schnell, brüskiert auch
den Grafen Egano, der sich um die schöne Witwe Teresa Raffo bemüht und kümmert
sich nicht darum, dass alle wissen, dass er seine Frau betrügt – Tullio Hermil,
ausgezeichneter Fechter und reicher gutaussehender Charmeur gilt innerhalb der
gehobenen Gesellschaft Roms als unangreifbar. Doch auch seine schöne Ehefrau
hat Verehrer. Besonders Filippo d'Arborio (Marc Porel), ein begabter Autor und
Freund des jüngeren Bruders ihres Mannes Federico Hermil (Didier Haudepin), macht ihr
seine Aufwartung…
Nachruf zum Tod von Laura Antonelli (1941 – 2015):
"Incontro d'amore" (1970) |
"Sessomatto" (1974) mit Giancarlo Giannini |
"Mogliamante" (Frau und Geliebte, 1977) mit Marcello Mastroianni |
"Passione d'amore" (1981) |
"Casta e pura" (1981, Regie Salvatore Samperi) mit Fernando Rey |
L’innocente (Die Unschuld)
Entsprechend hätte Luchino Visconti die Figur der Giuliana
Hermil, Ehefrau des Adeligen Tullio Hermil (Giancarlo Giannini), in seiner Interpretation
des 1892 erschienenen Romans von Gabriele D'Annunzio „L’innocente“ nicht besser
besetzen können. Passiv erduldet sie die offensichtliche Ignoranz ihres Ehemanns
und dessen unverhohlen vor den Augen der gehobenen Gesellschaft Roms ausgelebten
Affäre mit Teresa Raffo (Jennifer O’Neill). Diese, eine schöne, finanziell
unabhängige Witwe, kann den ausgezeichneten Degenfechter und selbstbewusst
auftretenden Charmeur mit ihrer unabhängigen, sich nicht den gesellschaftlichen
Normen unterwerfenden Art faszinieren und reizt dessen männlichen
Eroberungswillen. Die Beziehung zu seiner Frau wird von ihm dagegen auf eine
Art geschwisterlich vertraute Zweckgemeinschaft herunter gebrochen.
Als im Freundeskreis seines jüngeren Bruders Federico
(Didier Haupin) mit Filippo d'Arborio (Marc Porel) ein so gutaussehender, wie
elegant intellektueller Schriftsteller auftaucht, der aus einfachen
bürgerlichen Verhältnissen stammt – eine autobiografische Anspielung auf den
als Frauenhelden bekannten Gabriele D'Annunzio - erwächst Tullio unerwartete
Konkurrenz. Filippo wird innerhalb der gehobenen römischen Gesellschaft dank
seiner Bildung und Kultur zum Frauenliebling und erweist besonders Giuliana
seine Verehrung. Visconti deutet die mögliche Verbindung zwischen dem jungen
Autor und der betrogenen Ehefrau nur an, zeigt sie nie im Bild. Einmal erfährt
Tullio nur zufällig, dass seine Frau ihn angelogen hatte, konkret wird die
Affäre erst, als Giuliana ihm gesteht, im dritten Monat schwanger zu sein.
Filippo d’Arborio spielt zu diesem Zeitpunkt keine Rolle mehr – Giuliana hatte
die unbemerkt gebliebene Beziehung beendet – und stirbt wenig später an einer
Infektion, die er sich bei einem Aufenthalt in Afrika zugezogen hatte.
Mit dieser Inszenierungsform betonte Visconti noch den
Eindruck eines einmaligen, unbedeutenden Fehltritts Giulianas, während Tullio sie
monatelang allein gelassen hatte und bei Teresa Raffo lebte. Statt Freude über
das Kind auszudrücken, fügt sie sich unterwürfig in ihre Rolle als Ehefrau. Nur
unterschwellig werden ihre Emotionen hinter ihrer äußerlich gezeigten
Gefühlskälte spürbar, von Laura Antonelli idealtypisch verkörpert. Naheliegender
wäre die Frage gewesen, wieso Giancarlo Giannini für die Rolle des so
kontrolliert und bestimmt auftretenden Adeligen von Visconti ausgewählt wurde?
- Giannini spielte in den 70er Jahren in
den Filmen von Lina Wertmüller die männliche Hauptrolle – in der Regel eine
„Tour de Force“ durch ein absurdes, gesellschaftskritisch zugespitztes
Panoptikum ("Pasqualino Settebellezze" (Sieben Schönheiten, 1976)).
Giannini scheute dabei weder Hässlichkeit, noch Slapstick wie auch in seinem
Sergio Corbucci Film „Il bestione“ (Die cleveren Zwei, 1974), in dem er den
aufgeregten Part eines ungleichen Duos verkörperte.
Doch Giannini ließ hinter seinem aktionistischen Auftreten auch
immer die Tragik seiner Figuren durchscheinen – in Viscontis Film kehrte er
diese Darstellungsform um. Tullio bleibt in der Öffentlichkeit jederzeit ruhig
und souverän, fürchtet keinen Gegner und ist seinem jüngeren Bruder ein
leuchtendes Vorbild. Als sich der ältere Graf Stefano Egano (Massimo Girotti)
um Teresa Raffo bemüht, kostet es ihn wenig Mühe, ihn ins Abseits zu stellen –
ganz im Bewusstsein, dass ihm Niemand gewachsen ist. Doch diese nach außen hin
gezeigte Stärke erweist sich zunehmend als brüchige Fassade, nachdem er von der
Schwangerschaft seiner Frau erfuhr. Obwohl Niemand ahnt, dass es nicht sein
Kind ist, und der kurzzeitige Liebhaber verstorben ist, arbeitet der Fötus wie
ein Virus in ihm und treibt ihn schwitzend und um Liebe bettelnd in die Arme
seiner von ihm zuvor abgelehnten Frau. Erst will er einen
Schwangerschaftsabbruch organisieren, um – nachdem sie dieses Ansinnen als
Sünde ablehnte – das geborene Kind nicht nur mit Verachtung zu strafen, sondern
dessen Tod herbei zu führen.
„…es ist zu
befürchten, daß Visconti als unbedingter Verehrer D’Annunzios, als der er sich
noch unlängst in einem italienischen Radiointerview bekannte, dem Dichter
Unrecht tut und „D’Annunzionismo“ in Reinkultur zelebriert…“ (François Bondy „D’Annunzios
Auferstehung - Der Überlebensgroße ist in Gefahr, noch einmal Kultfigur zu
werden“, in der ZEIT vom 09.01.1976)
Mit der Verfilmung des während der „Belle epoque“, gut 20
Jahre vor dem Ausbruch des 1.Weltkriegs spielenden Romans D’Annunzios‘, nahm
Visconti eines seiner Lieblingsthemen wieder auf – der Weg Italiens zum
Faschismus. Schon in „Senso“ (Sehnsucht, 1954), später in „Il gattopardo“ (Der
Leopard, 1962) beschrieb der Kommunist und Adelige Visconti die zerstörerischen
Mechanismen während der Gründungsphase des italienischen Einheitsstaates, die schon
den Samen des späteren Rechtsradikalismus in sich trugen. Dass seine Wahl auf D’Annunzios
Roman „L‘innocente“ für die Drehbuchvorlage fiel, war nicht alleine der Epoche
vor dem 1.Weltkrieg geschuldet, die sich im Werk des Autors trefflich
widerspiegelt, auch nicht Viscontis persönlicher Begeisterung für dessen
Literatur. Entscheidend ist das D’Annunzio als geistiger Wegbereiter des
italienischen Faschismus gilt, den Benito Mussolini konkret nachahmte. Vom „Marsch
nach Rom“, der zur Machtübernahme des Diktators führte, bis zu Details wie den Schwarzhemden
und dem Partei-Gruß gehen unmittelbar auf das Vorbild D’Annunzio zurück, der 15
Monate lang von 1919 bis 1920 mit seinen faschistischen Truppen den heute zu
Kroatien gehörenden Freistaat Fiume besetzte.
Gabriele D’Annunzio war eine schillernde Persönlichkeit, ein
Frauenheld und Bonvivant, der viele Extreme ausprobierte. Nach dem 2.Weltkrieg
gab es deshalb wiederholt Versuche, den fähigen Literaten vom Ruch der Mussolini-Nähe
zu befreien, worauf François Bondy in seinem Zitat in der „Zeit“ auch
anspielte. Er hatte den fertigen Film noch nicht sehen können, sonst hätte er
seine Befürchtungen hinsichtlich Viscontis Umsetzung nicht geäußert.
„Visconti hatte D'Annunzios Buch zur Vorlage eines Films
gemacht, der die Distanz zum Roman nicht aufhebt, sondern sie verstärkt. Er
hatte von dem Roman alles abgelöst, was dieser nur seinem gedanklichen Gehalt,
seiner Stellung im Werk D'Annunzios verdankt. Die Adaption des Stoffes ist zu
einer genuinen Anverwandlung geworden. Visconti zieht die Geschichte von der
Unschuld in seine Abschiedsgeste an eine versunkene Welt mit ein.“ (Eberhard Rathgeb, „Zu groß für die Möbel, zu klein für den
Palast“ über D’Annunzios Roman „L‘innocente“ in der FAZ vom 14.10.1997)
Doch nicht allein der Abgesang auf den Adel und seine
Begleiterscheinungen trieb Visconti an, der wie gewohnt gemeinsam mit Suso
Cecchi D’Amico und Enrico Medioli das Drehbuch verfasste, sondern die Essenz
einer Denkweise, die den Prozess in Richtung faschistischer Diktatur weiter
trieb. In diesem Sachverhalt verstärkte er nicht die Distanz zum Roman, sondern
hob dessen Aktualität hervor – so oft Viscontis Filme in der Vergangenheit
spielten, sein Antrieb lag immer in der Gegenwart.
Der Regisseur entschlackte nicht nur die Romanvorlage, um
seine Intentionen deutlicher herauszuarbeiten, er wertete im Vergleich auch die
beiden Frauenrollen Giuliana und Teresa Ruffo auf. Im Roman ist Giuliana schon zweifache
Mutter, bevor sie von dem Geliebten schwanger wird – im Film ist ihr Sohn das
erste Kind. Damit bekommt die Reaktion Tullios auf das „fremde Blut“ und
Giulianas Verhalten einen exemplarischen Charakter. Die Tötung des Babys
zerstört ihre gesamte gemeinsame Basis. Auch Teresa Ruffo hat als Geliebte eine
herausragende Stellung, während Tullio bei D’Annunzio eine Vielzahl an Affären
hat. Im Film besitzt sie dank ihrer Unabhängigkeit nicht nur großen Einfluss
auf Tullio, sie wirkt ihm auch psychisch überlegen. Ihre Frage, warum die
Männer die Frauen immer auf Händen tragen wollen anstatt sie an ihrer Seite
gleichwertig zu akzeptieren, steht für die in dieser Phase beginnende Emanzipationsbewegung
und damit für die Infragestellung eines überholten Männerbildes.
"L'innocente" Italien, Frankreich 1976, Regie: Luchino Visconti, Drehbuch: Luchino Visconti, Suso Cecchi D'Amico, Enrico Medioli, Gabriele D'Annunzio (Roman), Darsteller : Laura Antonelli, Giancarlo Giannini, Jennifer O'Neill, Massimo Girotti, Marc Porel, Didier Haudepin, Rina Morelli, Laufzeit : 125 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Luchino Visconti:
"Rocco e i suoi fratelli" (1960)
"Boccaccio '70" (1962)
"Il gattopardo" (1963)
"Boccaccio '70" (1962)
"Il gattopardo" (1963)
"Vaghe stelle dell'orsa" (1965)
"Lo straniero" (1967)
"Le streghe" (1967)
"La caduta degli dei" (1969)
"Morte a Venezia" (1971)
"Lo straniero" (1967)
"Le streghe" (1967)
"La caduta degli dei" (1969)
"Morte a Venezia" (1971)
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