Inhalt: Nando Moriconi (Alberto Sordi), der sich selbst
„Santi Bailor“ nennt, weil es für ihn amerikanisch klingt, kommt wie üblich
spät abends nach Hause zu seinen Eltern. Er hatte sich im Kino einen US-Film
angesehen und blieb sitzen bis der Platzanweiser ihn rausschmiss. Anstatt seine
Eltern schlafen zu lassen, veranstaltet er einen Heidenlärm, schmeißt Ketchup
und Cornflakes zusammen und reizt seinen Vater (Giulio Calì) zu ständigen
Wutanfällen. Selbstverständlich ruft er mitten in der Nacht noch seine Freundin
Elvira (Maria Pia Casilio) an, um sie zu bitten, am nächsten Tag zu seinem
Auftritt als Gene Kelly zu kommen. Dass er dafür direkt am Bett der
Herrschaften landet, für die Elvira als Hausmädchen arbeitet, stört ihn nicht.
Zähneknirschend akzeptieren diese das nächtliche Telefonat, da sie nicht schon
wieder die Angestellte wechseln wollen.
Doch der Auftritt im Varieté misslingt, Nando und seine
Tänzerinnen werden ausgebuht, und er wird entlassen, nachdem er sich mit einem
Zuschauer angelegt hatte. Auch Elvira ist enttäuscht von ihm. Als er frustriert nach Hause geht, sieht er das Plakat für den
Hollywood-Film „Vierzehn Stunden“ und beschließt, es dem Protagonisten des
Films gleich zu tun. Wenig später steht er auf dem Kolosseum und droht zu
springen, falls er kein Visum für die USA erhält.
„Künstlerisch niveauloser Film, der amerikanischen
Lebensstil glossieren will.“
Nando (Alberto Sordi) und seine Mama (Anita Durante) im Kinderzimmer |
schrieb der Filmdienst. Ein vernichtendes Urteil, das in
direktem Gegensatz zur Aufnahme von "Un Americano a Roma" (Ein
Amerikaner in Rom) in die TOP 100 der italienischen Filmgeschichte steht -
zusammengestellt von einer Expertenrunde, die nicht im Verdacht steht, der
leichten Muse zu frönen. Korrekt nennt sich deren Filmliste "100 film italiani di salvare" (100 zu bewahrende italienische Filme), ein Titel, der zur
Aufklärung dieser widersprüchlichen Einschätzung verhilft. "Un Americano a
Roma" gehört zu den Filmen, die einen radikalen italienischen Standpunkt
einnehmen und in ihrer Mehrsprachigkeit, besonders wegen des von Alberto Sordi
improvisierten unverständlichen italienisch-englischen Kauderwelschs, nicht
adäquat synchronisiert werden können. Zudem persiflierte Sordi in seiner Rolle
eines vom US-Virus gepackten Römers nicht nur den amerikanischen Lebensstil,
wie der "Filmdienst" zurecht anmerkte, sondern auch die spezifisch
männlichen Eigenarten vom Gigolo bis zum Muttersöhnchen - für Italiener von
hohem Wiedererkennungswert, weshalb der Film dort bis heute populär geblieben
ist.
Als Highway-Policeman unterwegs mit Freundin Elvira (Maria Pia Casilio) |
An "Un Americano a Roma" lässt sich die
Entwicklung der "Commedia all'italiana" ausgehend vom Neorealismus
sehr gut ablesen. Reagierten frühe Komödien wie "Totò cerca casa"
(1950) noch unmittelbar auf die realen Nöte des italienischen Alltags, wirkt
"Un Americano a Roma" in seiner überdrehten Anlage vordergründig
abgehoben, obwohl die Handlung die erst wenige Jahre zurückliegende deutsche
Besatzungszeit mit einbezieht und eine Szene sogar im Strafgefangenenlager
spielt. Sordi als Nando Mericoni, der sich selbst den pseudo-englischen Namen
"Santi Bailor" gibt, agiert mit solch übertriebenem Aktionismus, dass
die Handlung trotz ihres meist ernsthaften Hintergrunds oft in scheinbaren
Klamauk abrutscht.
"Santi Bailor" weist seine Tänzerinnen ein |
Die Parallelen zu "Totò a colori" (Totò in Farbe,
1952), den Steno zwei Jahre zuvor mit Lucio Fulci als Regie-Assistent an seiner
Seite gedreht hatte, drängen sich auf. Nicht nur brachte wieder ein Außenseiter
seine komplette Umgebung zur Weißglut, auch die äußere Form aneinander
gereihter sketchartiger Spielszenen entsprach dem Vorbild. Diesmal statt Totò
mit dem Komiker Alberto Sordi im Mittelpunkt, der auch am Drehbuch beteiligt
war. Zusammen mit Sordi, Lucio Fulci und Sandro Continenza hatte Steno schon
den Vorgängerfilm "Un giorno in pretora" (Drei Sünderinnen, 1954) entwickelt.
Ebenfalls ein aus verschiedenen Einzel-Storys zusammengesetzter vor Gericht
spielender Film. Und mit Ettore Scola stieß ein Autor neu zum Team, der erst
kurz zuvor zwei Episoden für "Amori di mezzo secolo" (1954)
geschrieben hatte, an dem auch Sordi und Continenza mitwirkten. Die Anlage
eines aus komischen Einzel-Szenen zusammengefügten Films lag also auf der Hand,
aber "Un Americano a Roma" ging darüber hinaus und entwickelte diese
Idee weiter.
Beginnt der Film noch konventionell und schildert, wie Nando
Mericoni (Alberto Sordi) erst spät nach einer Kino-Vorstellung zu seinen Eltern
nach Hause kommt – selbstverständlich lief ein Western - zitierte Steno nach etwa 30 Minuten die inszenatorische
Anlage des US-Films „Fourteen Hours“ (Vierzehn Stunden, 1951) von Henry Hathaway. Darin stellt
sich ein junger Mann im 15.Stock auf den Sims eines New Yorker Hotels und droht
damit herunterzuspringen. Um ihn zu retten, versucht ein Polizist die Gründe
für seine verzweifelte Situation herauszubekommen und beginnt langsam seine
Vergangenheit aufzuschlüsseln. Das Filmplakat von „Fourteen Hours“ motiviert
Nando, es dem Protagonisten gleich zu tun. Frustriert davon, dass er aus dem
Varietè-Programm geschmissen wurde, weil seine Gene-Kelly-Version beim Publikum
nicht ankam – fast wäre es zu einer Prügelei gekommen, auch seine Freundin
Elvira (Maria Pia Casilio) will nichts mehr von ihm wissen – steigt er auf das
Kolosseum und droht mit Selbstmord, falls er kein Visum in die USA erhält.
Diese Situation nutzte wiederum Steno, um Nandos Vergangenheit aus der Sicht
seines Vaters, seiner Freundin Elvira und seines Kollegen Romolo Pelliccioni
(Carlo Delle Piane) in Einzelszenen aufzuschlüsseln – Inszenierungsform und
Inhalt werden zu einer Einheit.
Auf der Flucht vor seinem Vater (Giulio Cali) |
Im Gegensatz zu dieser subtilen Anspielung auf die um sich
greifende Amerikanisierung, ging Albert Sordi von Beginn an die Vollen. Sein
"Santi Bailor“ ist eine echte Nervensäge und hinterlässt fast
ausschließlich mordlüsterne Zeitgenossen, beginnend bei seinem eigenen Vater (Giulio
Calì), der auch von seiner Mama (Anita Durante) nicht mehr im Zaum gehalten werden kann. Anders
als Totò in „Totò a colori“ entlarvte Sordi nicht die angepassten Verhaltensmuster
seiner Zeitgenossen, sondern persiflierte den nach dem Krieg einsetzenden
US-Wahn. Hinter dem Humor der „Commedia all’italiana“ verbirgt sich oft eine
Tragik, die die Realität nur langsam, dafür umso schmerzlicher bewusst werden
lässt. Zwar gilt Mario Monicellis „I soliti ignoti“ (Diebe haben’s schwer,
1958) als Beginn der „Commedia all’italiana“ – die Begrifflichkeit entstand
erst später - , aber die Komödien des
Gespanns Steno/Monicelli, ob gemeinsam oder getrennt, pflegten schon seit den
späten 40er Jahren einen subversiven Witz.
Auch das Hinrichtungskommando kann Nandos Begeisterung nicht stoppen |
„Un Americano a Roma“ ist ein Paradebeispiel dafür. Zuerst ist
Sordis Spiel noch als Parodie auf den „American way of life“ zu verstehen. Jedem
klopft er brachial auf die Schulter, schmeißt mit „okay“ und „allright“ nur so
um sich, obwohl er nichts versteht, und geht o-beinig wie sein Vorbild John
Wayne. Auch dass ihm Cornflakes mit Ketchup doch nicht schmecken und er -
selbstverständlich notgedrungen - die von seiner Mutter gekochten Spaghetti
„vernichten“ muss, ist noch urkomisch, aber langsam nimmt seine innere
Überzeugung, perfekt us-amerikanisch assimiliert zu sein, psychosomatische Züge
an. Seine – rückwirkend erzählte – Inhaftierung in einem deutschen
Strafgefangenenlager überlebt er nur mit Glück, obwohl er den Funkspruch an die
US-Armee versaut. Seinen Mitgefangenen hatte er versichert, perfekt Englisch zu
können. Mit dem Ergebnis, dass ihn die US-Kommandantur beinahe standrechtlich
als Kollaborateur erschießen lässt, nachdem er mit seinem unverständlichen
Kauderwelsch auf sie eingeredet hatte.
Die Situation bei den Amerikanern eskaliert |
Pflegen diese Szenen eher einen schwarzen Humor, kippt das
Geschehen endgültig in Richtung Farce, als Nando einer jungen Amerikanerin (Ilse Peterson) begegnet.
Felsenfest davon überzeugt, dass sie ihn heiraten und in die USA mitnehmen
will, versteht er nicht, dass sie von seiner römischen Statur begeistert ist
und ihn bittet, ihr Akt zu stehen. Aus diesem Missverständnis entwickelte Steno
eine absurde Szene, die nur noch am Rand mit Nandos USA-Fimmel zu tun hat, aber
viel mit italienischen Eigenarten. Eben noch ganz der von sich überzeugte Macho,
irrt der nackte Nando völlig verschreckt durchs Bild einer TV-Live-Übertragung
(mit der jungen Ursula Andress in ihrer ersten Rolle). Die Freunde der Amerikanerin
hatten ihn für eine Aktzeichnung in Nero-Pose ausgezogen, nachdem ihn ihr Vater
in einem Box-Kampf bewusstlos geschlagen hatte. Nando hatte mit wachsender
Hysterie auf die junge Frau eingeredet – nichts verstehend, aber alles zu
wissen glaubend.
Jede der Einzelszenen, auch die Ereignisse am Kolosseum, wo
die Massen zusammen gekommen sind, um den Selbstmörder zu sehen, besitzen ihre
eigene Komik, aber puzzleartig entsteht das Bild einer tragischen Figur. Nicht
wegen des übertriebenen Hangs zu allem Amerikanischen, sondern der generellen
Unfähigkeit zur Kommunikation, die von wildem Gestikulieren und lautem Reden kaschiert
wird. Bezeichnend ist, dass selbst der italienisch sprechende Amerikaner nicht
mehr zu Nando durchdringen kann – Sprache hilft nicht mehr, wenn die Sperre im
Kopf eingerastet ist. An diesem Punkt treffen “Un Americano a Roma“ und “Totò a colori“ wieder zusammen. Die Umwelt kann auf das Verhalten der Außenseiter nur mit
Gewalt reagieren - ein Motiv, dass signifikant für die „Commedia all’italiana“
wurde. Nando landet im Koma liegend im Krankenhaus. Wie in „Totò a colori“ schiebt
Steno ein übertriebenes, unrealistisches „Happy-End“ hinterher, um es sofort
wieder ad absurdum zu führen. Es bleibt komisch, aber ohne Lösung.
"Un Americano a Roma" Italien 1954, Regie: Steno, Drehbuch: Steno, Lucio Fulci, Alberto Sordi, Ettore Scola, Sandro Continenza, Darsteller : Alberto Sordi, Maria Pia Casilio, Ilse Peterson, Anita Durante, Giulio Calo, Carlo Delle Piane, Rocco D'Assunta, Galeazzo Benti, Ursula Andress, Laufzeit : 85 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Steno:
"Totò a colori" (1952)
"L'uomo, la bestia e la virtù" (1953)
"Le avventure di Giacomo Casanova" (1955)
"Guardia, ladro e cameriera" (1958)
"Letti sbagliati" (1965)
"La polizia ringrazia" (1972)
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