Inhalt:
Ntoni (Antonio Arcidiacono) gehört einer Familie in Aci Trezza an, einem Ort an
der sizilianischen Ostküste, die seit Generationen als Fischer arbeiten.
Nachdem sein Vater tödlich verunglückte, ist er als ältester Sohn
verantwortlich für das Überleben seiner Familie. Doch er will sich dem ewigen
Kreislauf nicht mehr hingeben, der die Fischer jeden Abend aufs Meer zwingt, um
am nächsten Morgen nur einen Hungerlohn von den Großhändlern zu erhalten. Gegen
den Willen der dörflichen Gemeinschaft nimmt er eine Hypothek auf sein Haus
auf, kauft sich von dem Geld ein eigenes Schiff und fischt auf eigene Rechnung.
Die von den weiblichen Familienmitgliedern gesalzenen Fische will er selbst zu
eigenen Preisvorstellungen auf dem Markt verkaufen.
Zuerst
läuft es gut und er gewinnt Ansehen als Geschäftsmann, aber da er gezwungen
ist, täglich zu fischen, um den Kredit abzahlen zu können, riskiert er zu viel.
Bei einem Sturm wird sein Schiff so stark beschädigt, dass er und seine Brüder
froh sind, mit heiler Haut davon zu kommen. Ein anderes Fischerboot schleppt
sie an Land, aber seine Geschäftsidee ist zerstört. Nicht nur, dass er selbst
nicht mehr aufs Meer fahren kann, auch die anderen Fischer wollen ihn nicht
mehr bei sich arbeiten lassen…
Der neue
realistische Stil im italienischen Kino verstand sich seit Luchino Viscontis
"Ossessione" (1942) als Antwort auf den Mussolini-Faschismus, nicht
nur in der Abkehr einer geschönten Realität mit einer idealisiert dargestellten Sozialisation, sondern ganz konkret in seiner politischen
Ausrichtung - Regisseure wie Luchino Visconti oder Roberto Rossellini machten
aus ihrer kommunistischen Haltung keinen Hehl. Während der Spätphase des Kriegs
und den ersten Nachkriegsjahren konnten sie den Freiraum für exemplarische
Werke wie "Roma, città aperta" (Rom offene Stadt, 1945, Rossellini) ,
"Scuscia" (Schuhputzer, Vittorio De Sica, 1946) oder "Caccia tragica" (Tragische Jagd, Giuseppe De Santis,1947) nutzen, aber die
gesellschaftlichen Veränderungen holten sie schnell ein. Der aus sehr
wohlhabenden Verhältnissen stammende Adlige Luchino Visconti finanzierte
"La terra trema" 1947 aus privaten Mitteln, konnte damit aber nur den
ersten Teil „Episodio del mare“ seiner geplanten Trilogie über die arbeitende
Bevölkerung auf Sizilien verwirklichen, denn nachdem die christliche Partei
1948 die ersten demokratischen Wahlen gewonnen hatte, wurden offen
linksgerichtete Filme nicht mehr finanziell gefördert.
Neben
diesen pragmatischen Veränderungen zeigten sich auch die Grenzen eines konsequent
realistischen Stils. Die vom Krieg zerstörten Häuser und die ärmliche Situation
der Menschen bildeten in den frühen neorealistischen Filmen einen authentischen
Hintergrund für die inmitten dieser Verhältnisse spielenden Dramen, aber
zunehmend wurde der Grat zwischen Stilwillen, Intention und einem realen
Szenario schmaler. Die Konsequenz, eine Insel als solitären Raum zum
Hintergrund zu wählen, traf nicht nur Visconti. Rossellini ließ seinen 1950
entstandenen Film „Stromboli“ auf der gleichnamigen Vulkaninsel spielen und
auch Damiano Damiani drehte den vom Neorealismus beeinflussten "L'isola di Arturo" (Insel der verbotenen Liebe, 1962) vor dem Hintergrund einer archaisch
geprägten Gesellschaft, an der die zukünftige soziale Entwicklung noch
exemplarisch durchdacht werden konnte. „La terra trema“ entstand 1947 in dem
Fischerdorf Aci Trezza an der Ostküste Siziliens, einem von industriellen
Einflüssen noch unberührten Ort, in dem die Menschen seit Generationen nach
unveränderten Regeln lebten.
Viscontis
Konsequenz, nur Einheimische zu besetzen, die ausschließlich ihre sizilianische
Muttersprache benutzten – nur die Stimme aus dem Off spricht Italienisch – und
die Handlung ungeschönt in dem kleinen, kargen Ort am Meer spielen zu lassen,
ließ „La terra trema“ zu einem Hauptwerk des Neorealismus werden, vermittelte
gleichzeitig aber auch, wie gezielt die hier gezeigte Authentizität vom Regisseur,
Drehbuchautor Antonio Pietrangeli und Regie-Assistent Francesco Rosi erschaffen
wurde. Dafür war weniger der Handlungsrahmen verantwortlich, der auf dem 1881
erschienenen Roman „I malavolia“ des sizilianischen Dichters Giovanni Verga beruhte
– er beschreibt darin das harte Leben der Fischer auf der Insel - als die
Drehbuchbearbeitung durch Antonio Pietrangeli und Luchino Visconti. Die sonst allgegenwärtige
katholische Kirche, sieht man von den Heiligenbildern an den Wänden einmal ab,
spielt in „La terra trema“ keine Rolle, denn Visconti ging es darum, den
Konflikt zwischen Kapital und Arbeitern detailliert heraus zu arbeiten,
verbunden mit den tradierten Verhaltensmustern der Ausgebeuteten, deren
Einhaltung erst die bestehenden Machtverhältnisse bestärken.
Ntoni
(Antonio Arcidiacono) ist der älteste Sohn einer alteingesessenen
Fischerfamilie, der nach dem Tod des Vaters – er war von einem Fischfang nicht
wieder zurückgekehrt - verantwortlich für seine zahlreichen Familienmitglieder
ist, die gemeinsam in ihrem einfachen Haus leben. Jeden Abend geht er auf einem
Fischerboot seiner Arbeit nach, begleitet von seinen jüngeren Brüdern, die -
kaum dem Kleinkindalter entwachsen - mitarbeiten müssen. Zur Schule geht Niemand
von ihnen, denn auch so reicht es für die Familie gerade zum Überleben. Obwohl
sie einer anstrengenden und gefährlichen Arbeit nachgehen, kaufen ihnen die
Großhändler die Fische nur zu geringen Preisen ab, ihren eigenen Gewinn damit
maximierend. Die Konsequenzen dieser Konstellation sind offensichtlich – die
Fischer haben keine Möglichkeit aus dieser Position der Abhängigkeit
auszubrechen und leiden unter geringer Bildung, Armut und fehlenden
Aufstiegschancen. Detailliert beschreibt der Film das traditionelle soziale
Gleichgewicht. Als Töchter eines armen Fischers haben Ntonis hübsche Schwestern
Rosa (Rosa Catalano) und Mara (Nelluccia Giamonna) nur wenig Chancen auf eine angemessene
Heirat, aber auch Ntoni selbst ist kein geeigneter Bräutigam für die von ihm
begehrte Nedda (Rosa Costanzo).
„La terra
trema“ gelingt trotz der Gratwanderung zwischen Viscontis formaler Bildsprache,
die die karge Landschaft und ihre Bewohner in wunderschönen, klar aufgebauten,
dabei die Tiefe des Raums betonenden Bildern erfasst und der beabsichtigten
politischen Botschaft, ein reales Abbild des Lebens der Menschen an diesem Ort.
Zudem verzichtete Visconti auf einen vordergründigen ideologischen Duktus, so
wie Ntonis Verstoß gegen die herrschende Ordnung nicht kommunistisch motiviert
ist, sondern sein Bestreben, selbstständig als Fischer arbeiten zu wollen, um das
Preisdiktat der Abnehmer zu brechen, schlicht geschäftstüchtig ist. Doch Visconti
ging es weniger darum, auf die Ausbeutung kleinerer Berufsgruppen aufmerksam zu
machen, sondern wollte das archaische Szenario dazu nutzen, um grundsätzliche
gesellschaftspolitische Missstände aufzuzeigen, deren hier in reiner Form gezeigten
Mechanismen bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben.
Ntonis nicht
konformes Verhalten und damit sein Ausbruch aus der ihm traditionell zugewiesenen Rolle,
konfrontiert die anderen Fischer mit ihrer eigenen Passivität und Feigheit.
Doch anstatt seine nahe liegende Idee aufzugreifen, lehnen sie sein aus ihrer
Sicht unangemessenes Verhalten ab und lassen ihn allein. Es bedarf weder eines
großen Unglücks, noch einer Kette von Missgeschicken, um Ntoni die Grenzen
aufzuzeigen. Sein mit einem Kredit finanziertes Schiff gerät in einen Sturm und
wird stark beschädigt - ein alltägliches Risiko für einen Fischer und
gleichzeitig ein Ereignis, dass Visconti nicht ohne Grund in der Mitte des
Films geschehen lässt. Denn sein Hauptgewicht liegt auf der zweiten Hälfte, die
sich den daraus entstehenden Konsequenzen widmet. Es sind nicht die Gutachter
und Bankangestellten, die vertragsgemäß das Haus pfänden, als er seine
Kreditraten nicht mehr zahlen kann, sondern der Ausschluss aus der
Gemeinschaft, der ihn scheitern lässt und in deren Folge auch seine Geschwister
beschädigt werden.
Ntoni wird
zutiefst erniedrigt und bekommt keine Arbeit mehr, eine seiner Schwestern lässt
sich auf einen Carabinieri ein und verliert damit ihr moralisches Ansehen und
sein Bruder gerät an zwielichtiges Gesindel und verlässt die Heimat, aber das
eigentliche Drama liegt darin, dass diese Folgen leicht zu verhindern gewesen
wären, hätten die Fischer, die alle unter den bestehenden Verhältnissen leiden,
zusammen gehalten. Visconti lässt an diesem exemplarischen Beispiel deutlich
werden, dass der Einzelne zu schwach ist, um sich gegen eine bestehende Ordnung
aufzulehnen, selbst wenn diese die Mehrheit offensichtlich benachteiligt. Vorurteile,
tradierte Rollen und Werte erschweren die Entstehung einer Solidargemeinschaft,
die Visconti in „La terra trema“ als Ideal zwar beschwört, aber nicht einlöst, denn
die Machtverhältnisse bleiben bestehen, womit sich der Film seinen
realistischen Charakter bis heute bewahrt hat.
"La terra trema: Episodio del mare" Italien 1948, Regie: Luchino Visconti, Drehbuch: Luchino Visconti, Antonio Pietrangeli, Giovanni Verga (Roman), Darsteller : Antonio Arcidiacono, Giuseppe Arcidiacono, Rosa Catalano, Rosa Costanzo, Alfio Fichera, Laufzeit : 153 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Luchino Visconti:
"Rocco e i suoi fratelli" (1960)
"Boccaccio '70" (1962)
"Il gattopardo" (1963)
"Boccaccio '70" (1962)
"Il gattopardo" (1963)
"Vaghe stelle dell'orsa" (1965)
"Lo straniero" (1967)
"Le streghe" (1967)
"La caduta degli dei" (1969)
"Morte a Venezia" (1971)
"L'innocente" (1976)
"Lo straniero" (1967)
"Le streghe" (1967)
"La caduta degli dei" (1969)
"Morte a Venezia" (1971)
"L'innocente" (1976)
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