Inhalt: Das
Oberhaupt der Industriellenfamilie Von Essenbeck (Albrecht Schönhals) feiert
seinen Geburtstag, zu dem seine Verwandten alle zusammenkommen. Bevor sie sich
am Esstisch versammeln, haben die jüngsten Familienmitglieder etwas für den
Großvater vorbereitet, dass sie im hauseigenen Theatersaal vorführen wollen.
Die beiden kleinen Töchter seines Neffen Herbert Thallmann (Umberto Orsini) und
dessen Frau Elisabeth (Charlotte Rampling) tragen ein Gedicht vor, sein
Enkelsohn Günther (Renaud Verley) spielt Cello, was dessen Vater Konstantin
(Reinhard Koldehoff) nur wenig erfreut, und sein zweiter Enkelsohn Martin
(Helmut Berger), einziges Kind von Sophie von Essenbeck (Ingrid Thulin),
beginnt mit einer Travestie-Gesangsnummer.
Inzwischen
war auch sein Betriebsleiter Frederick Bruckmann (Dirk Bogarde) in Begleitung
des zivil gekleideten SS-Mannes Aschenbach (Helmut Griem) eingetroffen, weshalb
er Zeuge wird, wie Martins Aufführung jäh unterbrochen wird, als die Nachricht
vom Reichstagsbrand hereinplatzt. Sofort werden durch Konstantin Vorwürfe gegen
die Kommunisten laut, denen Herbert vehement widerspricht, der den
Nationalsozialisten zutraut, die Angelegenheit für eigene Zwecke inszeniert zu
haben. Die Stimmung nach dem Essen ist verdorben und Jeder zieht sich zurück,
auch Bruckmann, der eine Liebesbeziehung mit Sophie hat. Nur Martin spielt mit
den kleinen Töchtern seines Onkels Verstecken und zieht sich mit der Älteren
von ihnen unter einem Tisch zurück. Plötzlich hört man das Mädchen gellend
schreien, gleichzeitig findet man im Schlafzimmer den Großvater, der erschossen
in seinem Bett liegt. Aschenbach beschuldigt Herbert als Täter und wie bestellt
steht die SS schon vor der Industriellenvilla…
Die
Götterdämmerung
Obwohl nur
in einer Szene, im betrunkenen Zustand von Konstantin von Essenbeck (Reinhard
Koldehoff) auf der Feier der SA gesungen, Wagners Musik erklingt – der
„Liebestod“ aus Tristan und Isolde - hat
Luchino Visconti seinen Film "La caduta degli dei" nach dem 4.Tag
(3.Aufzug) des "Ring des Nibelungen" benannt. Dafür lassen sich
vielfältige Gründe nennen - Adolf Hitlers Begeisterung für Wagners Musik und
damit deren Bedeutung für die Nationalsozialisten, die Parallelen in der
Schilderung einer Führungselite, die sich durch Machtgier selbst zerstört, und
Viscontis grundsätzliche Affinität zur Oper, die seine Film-Inszenierungen
prägte. Schon die flammenden Aufnahmen aus dem Stahlwerk zum Beginn und am Ende
des Films, von orchestralem Furor begleitet, erinnern an die Unterwelt, in der
Alberich den Unheil bringenden Ring schmiedete.
Schwer
nachvollziehbar ist dagegen, warum der auch mit deutschen Produktionsgeldern
hergestellte Film hierzulande den Titel "Die Verdammten" erhielt,
außer man wollte eine zu große Nähe zu Wagners Oper vermeiden. So stimmig diese
Bezeichnung im ersten Moment klingen mag, angesichts der Geschichte über eine
Industriellen - Familie, die mit den Nationalsozialisten paktiert, so wenig ist
sie im Hinblick auf Viscontis Intention korrekt. Eine Verdammnis setzte voraus,
dass die Mitglieder der Familie von Essenbeck wegen nicht mehr beeinflussbarer
äußerer Faktoren zu ihrem Handeln gezwungen gewesen wären. Viscontis
"Götterdämmerung" impliziert aber das Gegenteil, denn hier agieren
Menschen, die sich selbst für die maßgebende Instanz halten und Verantwortung
für ihr Handeln tragen müssen. Der nationalsozialistischen Ideologie alleine
die zerstörerische Kraft zuzuschreiben, hieße dagegen, diese von ihren
Vertretern zu trennen. Denn um sie geht es generell in "la caduta degli
dei", nicht allein um die Familiengeschichte der Von Essenbecks.
Dass sich
diese an der Industriellen-Familie Krupp orientierte, die von Essen aus den
Stahlkonzern zu einem der größten Unternehmen Europas aufbaute und maßgeblich
an der Rüstungsindustrie während des Nationalsozialismus beteiligt war, ist
hinlänglich bekannt, bildet aber nur den äußeren Rahmen für die Handlung. Auch
wenn Bertha Krupp und ihre Nachkommen, nach ihrer Hochzeit mit dem preußischen
Diplomaten Gustav von Bohlen und Halbach 1906, ebenfalls einen Adelstitel
erhielten, weist die sonstige Familienkonstellation keine weiteren Parallelen zu
der des Drehbuchs auf. Es ist der Faszination Viscontis für die deutsche Kultur
zu verdanken, das er die Handlung nach Deutschland ins Ruhrgebiet des Jahres
1933 verlegte und damit seine „Deutsche Trilogie“ begann, die mit „Morte a Venezia“ (Tod in Venedig, 1971) und „Ludwig II.“ (1972) in thematisch
unabhängigen Filmen ihre Fortsetzung fand.
Der tatsächliche
Anlass für „La caduta degli dei“, der ursprünglich in Viscontis Heimatland
spielen sollte, lag für den Regisseur in der damaligen Gegenwart, denn er
erkannte bei vielen seiner Zeitgenossen nach wie vor die selbe Denkweise, wie
sie zur Zeit des Faschismus vorgeherrscht hatte. Ende der 60er Jahre, gut 20
Jahre nach dem Ende des 2.Weltkriegs und damit der faschistischen Diktatur,
entstanden die Konflikte auf Grund der Auseinandersetzung einer jungen
Nachkriegsgeneration mit Denjenigen, die nach dem Krieg wieder schnell zur
Tagesordnung übergegangen waren. Es ist deshalb falsch, wie es häufig
interpretiert wurde, „La caduta degli dei“ als ausschließlich historischen Film
zu betrachten, auch wenn Visconti atmosphärisch genau die Zeit kurz nach der Machtergreifung
der Nationalsozialisten erfasste und sich hinsichtlich des Reichstagsbrands und
des sogenannten „Röhm-Putschs“, den die SS zum Anlass nahm, den unbequem
gewordenen Röhm und viele Mitglieder der SA zu ermorden, an die zeitlichen
Abläufe hielt.
Betrachtet
man Viscontis zuvor gedrehte Filme, kommt der Schritt zu „La caduta degli dei“
keineswegs überraschend. Schon „Il gattopardo“ (Der Leopard, 1963) wies in der
Darstellung eines sich wandelnden Italiens auf den späteren Faschismus hin. Und
in „Vaghe stelle dell’Orsa…“ (Sandra, 1965) entsteht der Konflikt aus der
Konfrontation zweier junger Erwachsener, die nach Jahren zur Ehrung ihres
jüdischen Vater in ihr Heimatdorf zurückkehren, mit einer Mutter, die ihren
Mann während des Faschismus nicht nur verriet, sondern ihre Haltung seitdem
nicht veränderte. Selbst „Lo straniero“ (Der Fremde, 1967), eine Verfilmung
nach Albert Camus’ Novelle, verstand sich als unmittelbarer Kommentar zu den
Ereignissen der Gegenwart, weshalb „La caduta degli dei“ auch in dieser
Hinsicht betrachtet werden sollte – als ein Werk, dass in der hier formulierten
Verschmelzung von Wirtschaft und Politik einen der infamsten Momente des
Machtmissbrauchs in den Mittelpunkt stellte, und dass dank seiner stilistischen
Mittel - einer schwelgerisch opernhaften, bewusst mit Übertreibungen
arbeitenden Inszenierung, die Visconti zudem die Gelegenheit gab, seinen jungen
Lebensgefährten Helmut Berger kongenial zu besetzen – auch den Bogen zur
Gegenwart schlug.
Die „Nazi-Oper“
Die Story selbst
ist einfach erzählt und verläuft, ähnlich einer Operninszenierung, linear und
in verschiedene, zeitlich abgesetzte Akte aufgeteilt. Die Familienfeier zum
Geburtstag des Oberhauptes Joachim von Essenbeck (Albrecht Schönhals) endet mit
dessen Ermordung. Zuvor nutzt Visconti die Zusammenkunft aller
Familienmitglieder, diese detailliert vorzustellen. Gleich zu Beginn erfasst
die Kamera den grobschlächtigen Sohn Konstantin, der sich selbstbewusst auf dem
Höhenflug wähnt. Als Offizier der SA ist er der Einzige in der Familie, der
schon frühzeitig den Nationalsozialisten beitrat und sich nach Hitlers
Machtergreifung vor wenigen Wochen bestätigt sieht. Seine Figur scheint das
Klischee des lärmend, brachialen Nazis zu erfüllen, dem sein musisch
veranlagter Sohn Günther (Renaud Verley) fremd ist, aber das hieße Visconti zu
unterschätzen, denn tatsächlich handelt es sich bei dem nach Außen so direkt
auftretenden Schwergewicht um einen Verlierer, der die tatsächlichen Vorgänge
nicht begreift. Auch wenn Ernst Röhm bei der SA-Veranstaltung in Bad Wiessee verhaftet
und nicht durch die SS ermordet wurde, orientiert sich die Figur des Konstantin
von Essenbeck an ihm – nicht nur in der Statur, sondern auch in dem
soldatischen Gestus, dem das Gefühl für politische Ränkeschmiede fehlte.
Dieses hingegen
besitzt Konstantins Schwester und Tochter des Familienoberhauptes Sophie von
Essenbeck (Ingrid Thulin), die eine Liebesbeziehung mit Frederick Bruckmann
(Dirk Bogarde), dem Betriebsleiter der Firma, eingegangen ist. Dieser befindet
sich noch auf dem Weg zur Villa der von Essenbecks, in Begleitung von
Aschenbach (Helmut Griem), mit dem er ein Gespräch über seine Beziehung zu
Sophie führt. In diesem Moment wirkt Aschenbach noch wie ein Begleiter, der
einem Freund Mut zuspricht, doch der SS-Mann in Zivil ist mit seinen Plänen
schon viel weiter. Er wird an diesem Abend den Mord an dem Familienoberhaupt
arrangieren, den Bruckmann in Abstimmung mit Sophie ausüben wird und für den er
als Zeuge deren Cousin Herbert Thallmann (Umberto Orsini) beschuldigen wird,
der sich durch Flucht der Verhaftung der SS entziehen kann. Damit wiederholt
Aschenbach nur den Vorgang, der zuvor schon als Meldung in die Familienfeier
hineinplatzte – der Reichstagsbrand, der der NSDAP durch eine falsche Anschuldigung
ermöglichte, die bürgerlichen Rechte in Deutschland außer Kraft zu setzen.
Herbert
Thallmann, der gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth (Charlotte Rampling) und
ihren beiden kleinen Töchtern zu der Geburtstagsfeier gekommen war, ist das
einzige Familienmitglied, dass vehement gegen die Nationalsozialisten
argumentiert, weshalb es zwischen ihm und Konstantin fast folgerichtig zum
Disput kommt, worin Viscontis Intention deutlich wird. Beide, die so lautstark
ihre Position vertreten, spielen für die weiteren Vorgänge keine wesentliche Rolle
mehr. Eine klare Haltung zu besitzen, unabhängig davon, ob sie humanistisch geprägt
ist oder mit menschenverachtender Attitüde vorgetragen wird, ist für die
Machtinteressen eher eine hinderliche Eigenschaft. Besonders deutlich wird der
Verrat an den angeblichen Idealen der Nationalsozialisten in einer
beeindruckenden Szene, die Visconti als 15minütige Sequenz komplett in Deutsch
beließ, während die Darsteller sonst italienisch sprechen. Es handelt sich um
die Feier der SA in Bad Wiessee Ende Juni 1934, die Ernst Röhm im Rahmen des
Urlaubslagers seiner Truppen veranstalten ließ.
Viscontis
wurde häufig vorgeworfen, die Feier sei in ihrer dekadenten, offen homosexuellen
Gestaltung mit schönen, gut gebauten Jünglingen zu sehr stilisiert, zu wenig an
der Realität orientiert. Abgesehen davon, dass Ernst Röhm sich frühzeitig zu
seiner Homosexualität bekannt hatte – was Adolf Hitler zusätzlich nutzte,
dessen Hinrichtung zu begründen – liegt das Gewicht der Szene weniger in der durch
die Homosexualität nur noch betonten Männerkameradschaft, als in den
gemeinsamen Gesängen. Nachdem sie sich in Wehrsportübungen gemessen hatten oder
im nahe gelegenen See schwimmen waren, lässt Visconti minuten- und strophenlang
das SA-Lied und das Deutschlandlied erklingen. Auch Adolf Hitler und die Partei
lassen die SA-Männer hochleben, so wie sie ihre gemeinsamen Feinde beschimpfen,
aber das ändert nichts daran, dass sie in den frühen Morgenstunden alle von den
Maschinengewehren der SS niedergemäht werden. Visconti inszenierte dank dieser
Hochstilisierung die Selbstzerstörung eines nationalsozialistischen Ideals und
machte deutlich, dass dieses nur zu Propagandazwecken und der Rekrutierung der
Massen benötigt wurde. Die inneren Mechanismen einer Diktatur bleiben dagegen
immer gleich und offenbaren die ideologischen Argumentationen als hohles
Gerede, dass jederzeit auch gegen gleich gesinnte Kameraden verwendet werden
kann, wenn diese sich zu weit vorwagen.
Bis zu
diesem Zeitpunkt spielt Sophies Sohn Martin von Essenbeck (Helmut Berger),
Enkel des ermordeten Familienoberhauptes, nur eine untergeordnete Rolle, denn
für eine Machtposition in dem Familienunternehmen kommt er nicht in Frage. Im
Gegenteil irritiert Martin mit seiner Travestie-Nummer aus Anlass der
Geburtstagsfeier die konservativen Familienmitglieder und hinterlässt auch
sonst einen unreifen Eindruck. Einzig seine machtbewusste Mutter, die ihre
Hochzeit mit Bruckmann vorbereitet, um so die Führung zu übernehmen, hält seine
Hand über ihn und bewahrt ihn auch davor, wegen seiner pädophilen Neigungen eingeliefert
zu werden. So zurückhaltend Helmut Berger im Umgang mit den Mädchen spielt, so
verstörend sind diese Szenen, weshalb seine Figur, auch wegen ihrer Entwicklung
zum späteren SS-Mann, als dämonisch und besonders widerwärtig angesehen wird.
Doch Martin
ist keine selbstständig handelnde Person, sondern obsessiv von Kontrolle
abhängig. Als er sich bei seinen regelmäßigen Besuchen bei der leichtlebigen
Olga (Florinda Bolkan) zur Verführung der kleinen Tochter der Nachbarin
hinreißen lässt, die darauf hin Selbstmord begeht, gerät er in die Hände der
SS. Wenn ihm der eloquent lächelnde Aschenbach erzählt, dass er gar kein
Verbrechen begangen hätte, da es sich bei der kleinen Lisa (Irina Wanka) um ein
jüdisches Mädchen gehandelt hätte, dann spürt man, wer das wirkliche Monster
ist. Bruckmann, der sich zunehmend schuldig fühlt, und Sophie von Essenbeck
sind ihm zu selbstständig geworden, aber wahrscheinlich hatte Aschenbach die
Option, Martin als zukünftigen Firmenchef einzusetzen, schon von Beginn an in
Betracht gezogen. Auch der Versuch von Sophie, sich ihm anzubiedern – eine
Gelegenheit, die Aschenbach dazu nutzt, ihr zu zeigen, das alle Deutschen unter
Beobachtung stehen – ändert daran nichts.
Das Martin
die Trennung von seiner Mutter, deren Verhältnis inzestiöse Züge trägt, mit
ihrer Vergewaltigung vollzieht, womit er die bisherige Abhängigkeit zerstört,
erscheint sehr plakativ in der Darstellung eines psychisch kranken Menschen,
der fast folgerichtig zum brutalen Handlanger der SS wird. Diese provokante
Sichtweise fügt sich aber nicht nur stimmig in das gestalterisch opulente Gesamtbild
von „La caguta degli dei“ ein, der in seinem Mut zur Übertreibung und
Plakativität von hohem Unterhaltungswert ist, sondern beschreibt Martin
letztlich als einen Charakter unter Vielen, die innerhalb eines restriktiven,
diktatorischen Systems nur zum Verlierer werden können.
"La caduta degli dei (Götterdämmerung)" Italien, Deutschland, Schweiz 1969, Regie: Luchino Visconti, Drehbuch: Luchino Visconti, Nicola Badalucco, Enrico Medioli, Darsteller : Dirk Bogarde, Ingrid Thulin, Helmut Griem, Helmut Berger, Umberto Orsini, Charlotte Rampling, Laufzeit : 150 Minuten
"La caduta degli dei (Götterdämmerung)" Italien, Deutschland, Schweiz 1969, Regie: Luchino Visconti, Drehbuch: Luchino Visconti, Nicola Badalucco, Enrico Medioli, Darsteller : Dirk Bogarde, Ingrid Thulin, Helmut Griem, Helmut Berger, Umberto Orsini, Charlotte Rampling, Laufzeit : 150 Minuten
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