Mittwoch, 7. Mai 2014

Il sicario (Das bittere Leben) 1961 Damiano Damiani

Inhalt: Als er sich mit einem früheren Freund seines verstorbenen Vaters trifft, ahnt er noch nicht dessen Beweggründe. Während sie gemeinsam die vielen Stufen einer Treppe hinaufgehen, macht der alte Mann, ein reicher römischer Geschäftsmann, dem agilen Bauunternehmer (Sergio Fantoni) unmissverständlich klar, dass er seinen hohen Kredit in Kürze zurück erhalten will. Ihm ist klar, dass die Laufzeit noch ein Jahr beträgt, aber er droht damit, falls das Geld nicht pünktlich an ihn überwiesen wird, dessen verschwenderisches Leben, dass nur der gute Name seines Vaters ermöglicht hätte, öffentlich anzuprangern. Nur sein Tod könnte das verhindern, wie er im Spaß hinzufügt.

Schon längere Zeit befindet sich das Bauunternehmen am Rand des Ruins, konnte aber dank des Kredits ebenso am Leben gehalten werden wie der Luxus, den er seiner schönen Frau (Sylva Koscina) bieten kann. Zuerst sucht er noch nach einem legalen Ausweg, aber immer mehr konkretisiert sich der Gedanke, den der alte Mann selbst geäußert hatte - nur dessen Tod kann ihn noch retten. Nur benötigt er dafür einen unauffälligen, ihn von jedem Verdacht befreienden Täter...


Wie entscheidend der frühe Einfluss des Neorealismus, speziell in Persona des Drehbuchautors Cesare Zavattini, für Damiano Damianis Weg zum Filmregisseur war, wird an ihrer intensiven Zusammenarbeit bei seinen drei ersten Filmen deutlich. Nach "Il rossetto" (Unschuld im Kreuzverhör, 1960) schrieben sie noch gemeinsam die Drehbücher zu "Il sicario" (Das bittere Leben) und "L'isola di Arturo" (Insel der verbotenen Liebe, 1962), deren inszenatorische Anlage noch die Nähe zum neorealistischen Stil der 40er Jahre verriet, die aber inhaltlich in der Gegenwart Italiens Anfang der 60er Jahre angekommen waren. Zusammengefasst werden sie heute als "Trilogia psicologica" (Psychologische Trilogie) bezeichnet, da sie sich komplex mit den Auswirkungen der sich parallel zum Wirtschaftswachstum der 50er Jahre verändernden Sozialisation der Nachkriegsgesellschaft befassten.

Doch während sich der nach einem Roman Elsa Morantes entstandene "L'isola di Arturo" am Beispiel des Lebens auf einer abgelegenen Insel dem Zerfall archaischer Familienstrukturen widmete, erscheint "Il sicario" wie eine unmittelbare Fortsetzung zu "Il rosetto" - nicht nur wegen des gemeinsamen Handlungsortes Rom, sondern in der Steigerung des Verlusts moralischer Integrität. Handelten die Protagonisten in „Il rossetto“ noch emotional und spontan, um sich einen Vorteil zu verschaffen – die Geliebte, die die Hochzeit mit einer jungen Frau aus reichem Haus gefährdet, wird im Affekt getötet – entwickelten Zavattini und Damiani in „Il sicario“ eine realistische Ausgangssituation, die zwei Männer aus gegensätzlichen Schichten zum Erhalt ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Reputation in einen unaufhaltsamen Strudel zieht, der sie auch vor kaltblütigem Mord nicht zurückschrecken lässt.

Der deutsche Titel “Das bittere Leben“ übernahm zwar nicht die Bedeutung des Originaltitels „Der Meuchelmörder“, spielte aber auf die Furcht der beiden Protagonisten an, ein solches Dasein erleiden zu müssen. Vielleicht sollte damit auch ein Bezug zu Cesare Zavattinis neorealistischer Vergangenheit hergestellt werden, aber mit den Zuständen nach dem Krieg hat das hier geschilderte Leben in Rom, Anfang der 60er Jahre, nichts mehr gemeinsam. Ging es nach ’45 um das nackte Überleben, hat die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs längst allgemeine Begehrlichkeiten geweckt. „Il sicario“ entfaltet das Szenario einer nach Konsumgütern lechzenden Gesellschaft, die versucht, den äußeren Schein zu wahren. Das verbindet den Bauunternehmer (Sergio Fontani) und den Auto-Mechaniker (Alberto Lupo), die jeweils unter dem Erwartungsdruck ihrer Umgebung, nicht zuletzt ihrer attraktiven Frauen (Sylva Koscina, Belinda Lee) und Kinder stehen - unabhängig davon, ob es sich um den Erhalt eines luxuriösen Lebens mit mondäner Villa oder den Erwerb eines Fernsehers und eines eigenen kleinen Autos handelt.

Der Auslöser für die Mordpläne liegt im Entzug einer großen Geldsumme, die das schwankende Kartenhaus des Bauunternehmers bedroht. Ein alter Freund des verstorbenen Vaters verlangt das geliehene Geld gegen die vertragsgemäße Abmachung innerhalb weniger Tage zurück – und droht damit, den über seinen wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden und vom Ansehen des Vaters profitierenden Unternehmer öffentlich zu diskreditieren, falls dieser nicht, wie von ihm gefordert, zurückzahlt. Geschickt bettet der Film dieses Szenario in Nebengeschichten, die den Druck auf den Protagonisten noch erhöhen. Ein befreundetes Paar der römischen High Society ist pleite und gezwungen, sich von Luxusgütern zu trennen, was die Frau des Bauunternehmers, die gerade erst ein teures Bild für die Innenausstattung ihres Hauses erworben hat, dazu bewegt, ihre Überlegenheit auch als Paar zu betonen. Dass sie sich schon mehrfach gegenseitig betrogen haben, wirkt angesichts der Bedeutung von Wohlstand und gesellschaftlichem Ansehen nebensächlich.

Im Vergleich zur Situation des Mannes, der in Vittorio De Sicas, ebenfalls nach einem Drehbuch Zavattinis entstandenen „Ladri di biciclette“ (Fahrraddiebe, 1948) am Ende selbst zum Dieb wird, sind selbst die ärmlichen Voraussetzungen des Automechanikers von gediegener Solidität. Er hatte sich finanziell übernommen, saß schon ein paar Monate wegen Diebstahls im Gefängnis, und will nicht, dass seine Frau als Bardame für den Familienunterhalt sorgt. Er hatte früher einmal für den Bauunternehmer gearbeitet, weshalb sich dieser an ihn erinnert, als er nach einem geeigneten Täter für seinen Mordanschlag sucht. Diese Suche nutzte Damiani für tiefere Einblicke in eine Gesellschaft, die nur nach schnellem Erfolg zu streben scheint. Der ebenfalls vom Neorealismus geprägte Regisseur und Gelegenheitsdarsteller in seinen eigenen Filmen Pietro Germi („Divorzio all’italiana“ (Scheidung auf Italienisch, 1961) ließ es sich nicht nehmen, nach „Il rossetto“ ein zweites Mal unter der Regie Damianis zu spielen – diesmal einen glücklosen Spieler.

In „Il rossetto“ wurden die Protagonisten nicht nur als Täter, sondern gleichzeitig als Opfer einer sich wandelnden Sozialisation charakterisiert, in „Il sicario“ trieben es Damiani und Zavattini damit zynisch auf die Spitze, als ob der Erhalt wirtschaftlicher Prosperität eine Frage von Leben und Tod wäre. Die in der ersten Hälfte des Films entstehende Drohkulisse ist von solcher Intensität - auch dank der ausgezeichneten Darsteller - dass sie zwangsläufig auf einen Mord als einzige Lösung hinauszuführen scheint. Im Vergleich zu den fatalistischen Konsequenzen seiner 70er Jahre Polit-Thriller, gestand Damiani den Tätern noch Schuldgefühle und Selbstzweifel zu, die einen Rest an moralischer Instanz vermitteln können, aber innerhalb der „Trilogia psicologica“ hinterlässt das hier ausgebreitete, bis heute zeitlose Gesellschaftsszenario den pessimistischsten Eindruck, da es über keine positiv besetzte Figur verfügt. Als der Bauunternehmer seiner Ehefrau seinen Plan gesteht, weshalb er mit ihr per Zug eine Reise in den Süden antrat, um ein überzeugendes Alibi zu erhalten, offeriert er ihr kurz, dass er seinen Handlanger bei einem Zwischenhalt noch zurückhalten könnte, wenn sie es verlangt – sie lässt die Gelegenheit verstreichen und bezeichnet ihn als „widerlich“. Doch „widerlich“ ist nur, dass er sie eingeweiht hatte und damit in eine Tat einbezieht, deren Auswirkungen sie nur allzu gerne in Anspruch nimmt.

"Il sicario" Italien 1961, Regie: Damiano Damiani, Drehbuch: Damiano Damiani, Cesare ZavattiniDarsteller : Belinda Lee, Silva Koscina, Sergio Fantoni, Alberto Lupo, Pietro Germi, Laufzeit : 106 Minuten

Dieser rare Film war Eröffnungsfilm des zweiten Tages beim 1. Festival des italienischen Genre-Filmfestivals "Terza Visione" in Nürnberg vom 25. bis 27.04.2014

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