Daraufhin
fährt er direkt zum Polizeiquartier, wo er freudig erwartet wird, denn "Il
Dottore" (Gian Maria Volonté), wie er genannt wird, wird an diesem Tag vom
Chef der Mordkommission zu einem Bereichsleiter der Polizei befördert. Streng
befiehlt er noch seinen bisherigen Untergebenen, den gerade gemeldeten Vorfall
zu untersuchen, bevor er selbst zum Tatort schreitet...
In seinem
ersten Film "L'assassino" (Trauen Sie Alfredo einen Mord zu?, 1961)
hatte Elio Petri einen Kriminalfall als Basis gewählt, dessen kritischer Blick
auf die Vorgehensweise der Polizei ein Nebenaspekt blieb, damit aber trotzdem
schon Argwohn bei der Zensur erzeugte. Auch in seinen folgenden Filmen nutzte
er populäre Genres oder signifikante Stile als Grundlage, um seine Sicht auf
die menschliche Sozialisation unterschwellig zu entfalten. "I giorni contati" (1962) war purer Realismus, "Il maestro di Vigevano"
(1963), den er im Tausch mit Dino Risi statt des auf seiner Idee basierenden
"I mostri" (Die Monster, 1963) drehte, gehörte zur "Commedia
all'italiana" und "La decima vittima" (Das zehnte Opfer, 1965)
nahm Anleihen beim Science-Fiction-Film. "A ciascuna il suo" (Zwei
Särge auf Bestellung, 1967) wählte die Mafia-Thematik und "Un tranquillo
posto di campagna" (Das verfluchte Haus, 1968) verfügte über
Horror-Elemente - eine Vorgehensweise, die Petris Intention, das Publikum immer
auch unterhalten zu wollen, förderte, die von der zeitgenössischen Filmkritik
aber als zu konventionell bewertet wurde.
"Kurz
gesagt, wir waren auf der Schwelle zur Zeit der 68er und es war mein letzter
Film vor "Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto"
(Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger). Es war bevor
ich versuchte, mit Filmen etwas zu bewegen" (Elio Petri)
Trotzdem
blieb Petri seiner gestalterischen Linie treu und entwarf, gemeinsam mit Ugo
Pirro, einen Film, der sein kritisches Potential unmissverständlich, aber
indirekt entfaltete, ohne konkrete Anklagen oder Argumente vorbringen zu
müssen. Der überzeugte Kommunist Elio Petri wandte sich damit gegen die
Diskussionskultur seiner Zeit, die sich durch ihre sprachliche Vehemenz auszeichnete
und damit die Unvereinbarkeit in der Haltung der verschiedenen Lager nur noch
zementierte. Wegen dieser äußerlichen Zurückhaltung wurde sein Film nicht nur
ein Publikumserfolg und dank des großen Zuspruchs in seiner generellen Kritik
an autoritären Strukturen und Machtmissbrauch entsprechend unbequem, sondern
bewahrte sich auch seine Zeitlosigkeit. Nach wie vor hat die Darstellung der
Auswirkungen von Macht auf die menschliche Psyche nichts von ihrer Wirkung
verloren, genauso wie das Verhalten einer von Karrieredenken und
Obrigkeitshörigkeit bestimmten Sozialisation von Jedem - unabhängig von seiner
politischen Haltung - nachvollzogen werden kann. Nur die Gefahr, der sich Petri
und seine Mitstreiter damals mit diesem Film aussetzten, ist nur noch schwer
nachzuempfinden. Nachdem sich Regie-Kollegen den Film vor seiner Premiere angesehen
hatten, empfahlen sie die Flucht aus Rom, um dem Gefängnis zu entkommen.
Im
Mittelpunkt des Geschehens steht der von Gian Maria Volonté gespielte „Il
dottore“ - bisher Leiter der Mordkommission, der an diesem Tag seine
Beförderung in eine übergeordnete, der politischen Führung des Landes
unmittelbar unterstellte Sicherheitsabteilung erlebt. Es kommt zu den üblichen
Feierlichkeiten - erst gibt der „Dottore“ seinen Ausstand unter den Männern
seiner Abteilung, später hält er eine Antrittsrede vor der Versammlung seiner
zukünftigen Mitarbeiter. Beide Vorgänge laufen nach den gewohnten Mechanismen
ab, getragen von freundlichen Floskeln und motivierenden Ausblicken. Dabei
lässt Elio Petri den Dottore Zahlen und Statistiken vortragen, die nicht nur
die aktuelle Situation Italiens belegen, sondern das Land für das nächste
Jahrzehnt in Atem halten sollten. Es geht nicht mehr um die Aufklärung von
Mordfällen, bei der sich die frühere Abteilung des Dottore durch sehr gute
Quoten hervorgetan hatte, sondern um den Zustand des Landes allgemein –
Studentenproteste, Streiks und Sachbeschädigungen durch auf Wände gemalte
Parolen vermischen sich mit Terrorakten und Schwerverbrechen, von der Führung
des Landes keineswegs getrennt betrachtet. Die heute häufig geäußerte Ansicht,
es handelte sich bei dem Dottore um einen Mann mit stark rechts gerichteten
Ansichten, ist falsch – Streiks und Studentenproteste wurden generell von
bürgerlich konservativer Seite als Bedrohung verstanden und die von ihm
angekündigten Maßnahmen lagen ganz auf der damaligen Linie des Staates.
Mit dieser
unmittelbar auf die Ereignisse in Italien reagierenden Rede des Dottore, in der
er eine rigorose Vorgehensweise zum Erhalt der Demokratie ankündigte, traf
Petri den Nerv seiner Zeit – Marco Risi, selbst Regisseur und der Sohn Dino
Risis, erzählte, mit welcher Wucht der Film ihn als damals 19jährigen traf -
und bereitete damit die Grundlage nicht nur für den politischen Film, sondern
auch für dessen populärere Variante, den Poliziesco, der sich zwar
vordergründig als Unterhaltungsfilm verstand, letztlich aber nicht weniger
kritisch die Mechanismen des Staates und des Polizeiapparates betrachtete.
Selbst Francesco Rosi, dessen Filme „Salvatore Giuliano“ (1961) und „Le mani sulla città“ (Die Hände über der Stadt, 1963) Petri als vorbildhafte, große
Filme benannte, hatte diese konkrete Kritik an den Machtstrukturen des Landes
noch nicht gewagt, sondern bildete bewusst lokalere Situationen ab. Und
Bernardo Bertoluccis im selben Jahr gedrehter Film „Il conformista“ (Der große
Betrug, 1970) verklausulierte seine Kritik noch, indem er die Handlung während
des Faschismus spielen ließ.
Doch allein
die Beschreibung der sozialen Mechanismen innerhalb einer Behörde, der
polizeilichen Verhörmethoden, der Abhörzentrale oder einer modernen
computergestützten Datenspeicherung, hätte wenig bewirkt – Niemand wird deren
Realität bezweifeln – entscheidend für die Wirkung des Films ist der Mord, den
der Dottore zu Beginn an seiner Geliebten Augusta Terzi (Florinda Bolkan)
begeht. Offensichtlich diente das Spiel mit tödlichen Absichten ihrem
gemeinsamen Lustgewinn, wie eine Vielzahl entsprechend arrangierter Fotos
beweisen, aber diesmal meint es der Dottore ernst, als er ihr auf ihre Frage
nach der heutigen Tötungsmethode androht, ihr den Hals aufzuschneiden. Doch
anstatt seine Spuren zu verwischen, erzeugt er noch zusätzliche Indizien und
lässt sich von einem jungen Mann, Antonio Pace (Sergio Tramonti), sehen, der im
selben Haus wohnt.
Dieses
Verhalten schlüsselte Petri mit Rückblenden langsam auf, parallel zu den
Ereignissen in der Polizeibehörde, und erzeugte damit den Charakter eines
Mannes, der gleichzeitig von seinem Machtbewusstsein und seinem Minderwertigkeitsgefühl
bestimmt wird. Einerseits versucht er seine Position dafür zu nutzen, für einen
offensichtlich von ihm begangenen Mord nicht belangt zu werden, andererseits
fühlt er sich dem Staat und seinen Gesetzen so verpflichtet, dass er es nicht
ertragen kann, nicht dafür bestraft zu werden. Volonté gelingt es, diese Figur
nicht als Karikatur entstehen zu lassen, sondern ihr menschliche Züge zu
verleihen. Der Film erzählt auch die tragische Geschichte eines Mannes, der
seiner schönen Geliebten nicht gewachsen ist. Sie ist es, die den Gedanken
äußert, er könnte in seiner Position jedes Verbrechen begehen, ohne dafür
bestraft zu werden, sie durchschaut seine Kleinmütigkeit und macht sich über
sein wenig männliches Verhalten beim Sex lustig, weshalb sie ihn ungeniert
betrügt. Mit Antonio Pace, dessen Attraktivität sie auch mit dessen
revolutionärer, linker Attitüde begründet.
Erst durch
diese vordergründigen Ereignisse erhält der Subtext seiner Beförderung und der
damit zusammenhängenden Mechanismen die kritische Bewertung. Das beginnt im
Kleinen, wenn er die zwei Flaschen Sekt, mit denen er seinen Ausstand gibt,
noch aus dem Kühlschrank der gerade ermordeten Geliebten mitnimmt, nimmt
unangenehme Züge an, wenn der Dottore einen unbeteiligten Klempner (Salvo
Randone) – eine direkte Anspielung auf Petris Film „I giorni contati“ von 1963,
in dem Randone ebenfalls einen Klempner spielte – in seine Spielchen mit
einbezieht und damit seine Macht gegenüber einem einfachen Arbeiter ausspielt,
und verdeutlicht die Verlogenheit, wenn Studenten nach einem Protest in Massen
verhaftet werden, aber ein Mörder, selbst als er seine Tat gesteht, von seinen
Kollegen in Schutz genommen. Es ist nicht sein Individuum, das sie schützen,
sondern seine Funktion als Vertreter des Staates und seiner Gesetze. Petri gibt
seinem Protagonisten deshalb keinen Namen, sondern nur die Bezeichnung „Il
dottore“ – ein Prädikat für Anstand, Bürgerlichkeit und Gesetzestreue.
"Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto" Italien 1970, Regie: Elio Petri, Drehbuch: Elio Petri, Ugo Pirro, Darsteller : Gian Maria Volonté, Florinda Bolkan, Gianni Santuccio, Sergio Tramonti, Salvo Randone, Laufzeit : 110 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Elio Petri:
"La decima vittima" (1965)
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