Samstag, 26. Januar 2013

La polizia chiede aiuto (Der Tod trägt schwarzes Leder) 1974 Massimo Dallamano


Inhalt: Eine Mädchenleiche wird erhängt in einer Dachwohnung aufgefunden. Da die Minderjährige, eine eigensinnige Tochter aus wohlhabendem Hause, die Wohnung selbst angemietet hatte, glaubt Commissario Valentini (Mario Adorf) und die stellvertretende Staatsanwältin Vittoria Stori (Giovanna Ralli) zuerst an Selbstmord. Doch die näheren Untersuchungen ergeben nicht nur, dass die nicht einmal 15jährige Sex vor ihrem Tod hatte, sondern dass dieser an einem anderen Ort eingetreten war
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Der für Mord zuständige Commissario Silvestri (Claudio Cassinelli) übernimmt ab diesem Zeitpunkt den Fall und entdeckt Verbindungen zu einer Organisation, die minderjährige Mädchen an potente Kunden vermittelt. Doch Silvestri ist nicht allein auf seiner Jagd nach dem Mörder, ein geheimnisvoller Motorradfahrer kommt ihm regelmäßig in die Quere. Der mit einem Helm und einer Ledermontur bekleidete Mann tötet nicht nur mögliche Zeugen mit einem Schlachtermesser, sondern hat es auch auf die Staatsanwältin Stori abgesehen… 


Leider wurde schon der erste mit "La polizia..." beginnende Titel - "La polizia ringrazia" (Das Syndikat, 1972) - nicht entsprechend ins Deutsche übersetzt, so dass die im Poliziesco häufig angewendete Sitte, schon im Filmtitel auf die Situation der Polizei hinzuweisen - mal ironisch, mal ernsthaft - nicht übernommen wurde. "Der Tod trägt schwarzes Leder" hat zwar seine Berechtigung, da ein Mann in einer schwarzen Motorradkluft Morde mit einem Schlachtermesser begeht, aber im Gesamtkontext des Films bleibt er eine letztlich austauschbare Randfigur.

"La polizia chiede aiuto" (wörtlich "Die Polizei ersucht um Hilfe") beginnt mit den Bildern von ausgelassen wirkenden Jugendlichen nach Schulschluss, begleitet von Stelvio Ciprianis mit hellen Kinderstimmen angereicherter Musik. Es ist die einzige fröhliche Szene eines Films, der unmittelbar danach zu dem erhängten, entblößten Körper eines nicht einmal 15jährigen Mädchens wechselt. Bei einer wiederholten Betrachtung der zu Beginn gezeigten Schüler, fällt auf, dass der positive Eindruck der Szene über die tatsächlichen inneren Abläufe hinwegtäuschte. Es ist die Illusion einer heilen Welt, mit der Regisseur und Autor Massimo Dallamano seinen Film beginnt - eine Illusion, die unzerstörbar bleiben muss.

Dallamano hatte viele Jahre als Kameramann gearbeitet - darunter auch bei den ersten Sergio Leone Western "Per un pugno di dollari" (Für eine Handvoll Dollar, 1964) und "Per qualche dollaro in più" (Für ein paar Dollar mehr, 1965) - bevor er mit "Bandidos" 1967 seinen ersten Film und einzigen Italo-Western drehte. Nach Ausflügen ins Giallo-Fach ("Cosa avete fatto a Solange?" (Das Geheimnis der grünen Stecknadel, 1972)) drehte Dallamano mit "Si può essere più bastardi dell'ispettore Cliff?" (Super-Bitch) 1973 seinen ersten Poliziesco, der noch einen starken Mix aus unterschiedlichen Genres darstellte. Diese Horror- und Giallo-Einflüsse blieben auch in "La polizia chiede aiuto" noch spürbar, die Grundlage bildete aber ein detailliert vorgehender Polizeifilm, der sich einer schwierigen Thematik seriös annahm.

Da die Polizei nach dem Auffinden der Mädchenleiche zuerst von Selbstmord ausgeht, ermittelt der dafür zuständige Commissario Valentini (Mario Adorf) gemeinsam mit der stellvertretenden Staatsanwältin Vittoria Stori (Giovanna Ralli) in dieser Sache. Schon bald müssen sie feststellen, dass der Selbstmord nur fingiert wurde und das Mädchen nicht in dem Dachraum starb, den sie als Refugium gemietet hatte. Ab diesem Zeitpunkt übernimmt Claudio Cassinelli, der mit dieser Rolle zu einem wichtigen Vertreter des Genres aufstieg, als Commissario Silvestri den Fall. Dieser Wechsel in der Zuständigkeit betont einerseits die Genauigkeit in der Beschreibung der Polizeiarbeit, gibt dem Film aber auch die Gelegenheit, zwei unterschiedliche Männer mit der Tatsache zu konfrontieren, dass eine Minderjährige nach sexuellem Missbrauch ermordet wurde. Während Silvestri die Suche nach dem Mörder mit Vehemenz geradlinig angeht, ist Valentini als Vater einer minderjährigen Tochter auch persönlich betroffen. Adorf gelingt es in seiner kleinen Rolle großartig, seine innere Wut auszudrücken, ohne dabei in Stammtischparolen zu verfallen.

Ähnliches gilt für die Rolle des Staatsanwältin, die ohne persönliche Ressentiments vorgeht, auch als sie und Silvestri langsam feststellen, dass eine Organisation dahinter steckt, die die Mädchen an potente Geldgeber aus gehobenen Kreisen zum Sex vermittelt. Dank dieses seriösen, sich an die Gesetze haltenden Umgangs (als Silvestri einmal dagegen verstößt, bekommt er sofort Ärger mit der Staatsanwältin), entsteht erst der moralische Gegensatz zur Haltung ihrer Vorgesetzten, die versuchen, die Täter vor der Strafverfolgung zu beschützen. Entsprechend sensibel und gleichzeitig unmissverständlich beschreibt Dallamano, was den Mädchen angetan wurde. Minutenlang werden Tonbandaufzeichnungen der Sitzungen wieder gegeben, die heimlich von einem Detektiv aufgenommen wurden, der die Pädophilen damit erpressen wollte. Die zu hörenden sanften, sich einschmeichelnden Stimmen, mit denen sie die Mädchen zu beeinflussen versuchen, lassen den Horror erst im Kopf entstehen.

Der konkrete Horror des Motorradfahrers, über dessen Intentionen und Hintergründe der Film wenig preisgibt, wirkt dagegen wie die Versinnbildlichungen dieser Verbrechen, deren Existenz mit aller Macht vertuscht werden sollen. Doch so atemberaubend spannend die Szenen mit dem Killer inszeniert wurden, so leicht ist letztlich der Umgang mit ihnen. Man kann nach dem Mörder fahnden, ihn jagen und die Bevölkerung um Hilfe bitten - bei der Ermittlung der pädophilen Freier kann man das nicht. Die ungewöhnliche Konsequenz, diese Figur nicht näher zu charakterisieren und ihr damit kein Gesicht zu geben, lässt Dallamanos Intention erst deutlich werden, denn der Mann in der schwarzen Lederkleidung dient nur der Ablenkung. Er wird der Bevölkerung zum Fraß vorwerfen und sein Ergreifen als Fahndungserfolg verkauft, um die tatsächlichen Täter nicht bloßstellen zu müssen.

Der gesellschaftskritische Gestus des Films ist entsprechend weniger politischer, denn genereller Natur. Auch wenn die Täter teilweise aus höchsten politischen Kreisen stammen, gilt ihr Schutz nicht der damit verbundenen Machtposition oder einer Ideologie, sondern einer moralischen Illusion, die vor der Gesellschaft zwingend aufrecht erhalten werden muss. "La polizia chiede aiuto" gelingt es, das schwierige und besetzte Thema der Pädophilie konsequent und intelligent in ein überzeugend gestaltetes Action-Szenario zu integrieren.

"La polizia chiede aiuto" Italien 1974, Regie: Massimo Dallamano, Drehbuch: Massimo Dallamano, Ettore Sanzò, Darsteller : Claudio Cassinelli, Giovanna Ralli, Mario Adorf, Franco Fabrizi, Farley Granger, Laufzeit : 87 Minuten

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