Im durch den Vorfall entstandenen Trubel auf der Strasse begegnet Luciani auch der jungen Silvana, die ausplappert, dass er die Ermordete doch auch gekannt hätte. Sie ergänzt, sie hätte ihn in der Wohnung der Toten gesehen, nicht ahnend, dass er gegenüber der Polizei das Gegenteil behauptet hatte. Als er sie plötzlich fragt, was sie am nächsten Tag vor hätte, reagiert sie beglückt, und verabredet sich mit ihm...
Ebenso wie bei Francesco Rosi, der früh 1948 mit Visconti zusammenarbeitete, bevor er ab Mitte der 50er Jahre selbst zu drehen begann, lässt sich auch an Damianis Filmen ablesen, dass der neorealistische Stil, inszenatorisch und stilistisch gewandelt, nach Mitte der 50er Jahre im italienischen Film weiter fortbestand. Der "Trilogia psicologica" ist die Verwandtschaft zum Neorealismus noch deutlich anzumerken, doch sie hatte die Phase der unmittelbaren Nachkriegszeit hinter sich gelassen und begab sich mitten in die sich rasch wandelnde Sozialisation Anfang der 60er Jahre. Entsprechend atmet in "Il rossetto" alles die Moderne. Vom historischen Rom ist wenig zusehen - die Stadt scheint nur aus hohen Wohnhäusern, breiten Strassen, Geschäften und Cafés zu bestehen, in denen die Menschen nicht nach Privatsphäre suchen, sondern einer scheinbar grenzenlosen Zukunft entgegen fiebern, deren gleichzeitige Tristesse aber ebenso unübersehbar ist.
Nah an der heutigen Gegenwart skizzierten Damiani und Zavattini das Umfeld der 12jährigen Silvana (Laura Vivaldi), die bei einer allein erziehenden Mutter aufwächst, die Liebesprobleme plagen und bereit ist, ihre Tochter für den neuen Mann ins Internat zu stecken. Silvana selbst schwärmt für den attraktiven und immer gut angezogenen Gino (Pierre Brice), der im Nachbarwohnblock wohnt. Sie muss deshalb das Gelächter der gleichaltrigen Mädchen ihrer Wohngegend ertragen, die sie vor dem jungen Mann bloßstellen. Dieser schmunzelt nur leicht über die aus seiner Sicht kindliche Silvana, die beschämt davonrennt. Er ahnt nicht, wie intensiv sie ihn von ihrem Fenster aus beobachten kann und deshalb auch mitbekam, dass er seine Nachbarin besucht hatte.
Schon in seinem ersten Film wählte Damiani ein Verbrechen als Ausgangspunkt, um die inneren Konflikte deutlicher heraus zu arbeiten. Ein Stilmittel, dass er in "Il sicario" wiederholte und das signifikant für seine Polit -Thriller der 70er Jahre wurde. Im Zusammenhang mit der Tat interessierten ihn weniger die kriminalistische Aufklärung - das Gino die Frau im Nachbarhaus ermordet hat, steht für den Betrachter von Beginn an außer Zweifel - sondern die Mechanismen, die sie in Gang setzt. Kurz nach der Entdeckung der Leiche wird ein Laufbursche verhaftet, weil er die Ermordete kannte. Sofort beginnt die Vorverurteilung des Verdächtigen, den die Fotoreporter gnadenlos ablichten, egal wie sehr er seine Unschuld beteuert. Für Gino, der als direkter Nachbar gegenüber der Polizei behauptet, er hätte noch nie mit der Frau gesprochen, eine ideale Situation. Zufällig begegnet ihm Silvana mitten in dem aufgeregten Treiben, die arglos ausplaudert, ihn mit der toten Frau zusammen gesehen zu haben. Ihm wird klar, dass er sie als Zeugin kontrollieren muss und überrascht das verliebte Mädchen damit, sich mit ihr treffen zu wollen.
Zwar schilderte Damiani detailliert die Polizeiarbeit, aber inhaltlich liegt der Schwerpunkt auf Ginos Beweggründen, die sich mit dem Erscheinen seiner Verlobten Lorella (Gorgia Moll), einer Tochter aus reichem Hause, aufzuklären beginnen. Thematisch gaben Damiani und Zavattini damit die Linie vor, die sie auch in "Il sicario" und "L'isola di Arturo" weiter verfolgten. Schon der Vorspann mit den Bildern von Stars und Blitzlichtgewitter vermittelte die Sogwirkung eines besseren Lebens oder was sich die Menschen darunter vorstellten - Geld, schicke Klamotten, Häuser und Autos. Die Sucht danach macht auch vor einem Mord nicht halt - als Gino erkennen muss, dass die Affäre mit der Nachbarin seine geplante Einheirat in eine reiche Familie gefährdet, muss sie sterben. Bewusst verzichtete Damiani darauf, Gino als krankhaften oder gefährlichen Gewalttäter hinzustellen, um die Alltäglichkeit seines Denkens und Handelns noch zu betonen. Entsprechend ist er auch unfähig, Silvana Gewalt anzutun, um sie als Zeugin loszuwerden.
Mit Hilfe der Verhörmethoden des Commissario Fioresi (Regisseur Pietro Germi in einer seiner wenigen Auftritte als Darsteller), auf den sich die zweite Hälfte des Films konzentriert, werden der eitle Täter Gino und die leicht verführbare Silvana als Prototypen des gesellschaftlichen Wandels charakterisiert. Die Schlüsselszene gilt dem Titel gebenden Lippenstift („Il Rossetto“), den der Kommissar in der Handtasche des Mädchens fand - sie hatte ihn vor dem Treffen mit Gino aufgetragen. Er bemalt damit aggressiv ihr Gesicht, um eine Aussage gegen Nino zu erzwingen und erzeugt damit vor weiteren Zeugen eine aufgeladene Situation, in der die jeweiligen Vorurteile herausbrechen. Eine Momentaufnahme, in der keiner der Beteiligten einen positiven Eindruck hinterlässt, aber Damiani ruderte in "Il rossetto" zurück. Dank der sonst souveränen Figur des Commissarios, dessen rücksichtslose Polizeimethoden verzeihlich wirken, fehlt dem Film noch der spätere Fatalismus des Regisseurs.
Mit Hilfe der Verhörmethoden des Commissario Fioresi (Regisseur Pietro Germi in einer seiner wenigen Auftritte als Darsteller), auf den sich die zweite Hälfte des Films konzentriert, werden der eitle Täter Gino und die leicht verführbare Silvana als Prototypen des gesellschaftlichen Wandels charakterisiert. Die Schlüsselszene gilt dem Titel gebenden Lippenstift („Il Rossetto“), den der Kommissar in der Handtasche des Mädchens fand - sie hatte ihn vor dem Treffen mit Gino aufgetragen. Er bemalt damit aggressiv ihr Gesicht, um eine Aussage gegen Nino zu erzwingen und erzeugt damit vor weiteren Zeugen eine aufgeladene Situation, in der die jeweiligen Vorurteile herausbrechen. Eine Momentaufnahme, in der keiner der Beteiligten einen positiven Eindruck hinterlässt, aber Damiani ruderte in "Il rossetto" zurück. Dank der sonst souveränen Figur des Commissarios, dessen rücksichtslose Polizeimethoden verzeihlich wirken, fehlt dem Film noch der spätere Fatalismus des Regisseurs.
"Il rossetto" wurde Rückblick und Ausblick zugleich. Trotz seiner im Neorealismus verankerten Filmsprache fing der Film die aufkommende Moderne mit bis heute anhaltender Zeitlosigkeit ein und formulierte darin eine kritische Sichtweise auf die sich wandelnde Gesellschaft - ein Prozess, den Damiani gemeinsam mit Zavattini in den folgenden Filmen der "Trilogia psicologica" fortsetzte. Damiano Damiani blieb die verdiente Anerkennung dafür verwehrt. Allein der deutsche Titel lässt schon den Versuch erahnen, den Film in eine sensationsheischende Ecke zu schieben, die angesichts der ruhigen, lakonischen, zeitweise dokumentarischen Erzählweise kaum unpassender sein könnte.
"Il rossetto" Italien 1960, Regie: Damiano Damiani, Drehbuch: Damiano Damiani, Cesare Zavattini, Darsteller : Pierre Brice, Giorgia Moll, Pietro Germi, Bella Darvi, Laura Vivaldi, Laufzeit : 93 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Damiano Damiani:
"Il sicario" (1961)
"L'isola di Arturo" (1962)
"Quien sabe" (1966)
"Il giorno della civetta" (1968)
"La moglie più bella" (1970)
"Confessione di un commissario di polizia al procuratore della republicca" (1971)
"L'isttruttoria è chiusa: dimentichi" (1971)
"Perché si uccide un magistrato" (1974)
"Io ho paura" (1977)
"I'avvartimento" (1980)
"Quien sabe" (1966)
"Il giorno della civetta" (1968)
"La moglie più bella" (1970)
"Confessione di un commissario di polizia al procuratore della republicca" (1971)
"L'isttruttoria è chiusa: dimentichi" (1971)
"Perché si uccide un magistrato" (1974)
"Io ho paura" (1977)
"I'avvartimento" (1980)
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