Inhalt: Celestina
(Irene Galter) eilt die winkligen Treppen ihres Bergdorfs hinab, um den Bus
nach Rom noch zu bekommen. Ihre Eltern waren gestorben und ihre Brüder sind
gezwungen, sich andernorts nach Arbeit umzusehen, weshalb sie von befreundeten
Nonnen in einem wohlhabenden Haushalt in Rom als Hausmädchen untergebracht
wurde. Celestina weint beim Abschied, da sie nicht aus ihrer Heimat weg will. Ihre
Ängste scheinen sich in Rom zu bestätigen. Die Herrin des Hauses lässt kein
gutes Haar an ihr, behandelt sie wie eine Sklavin und bezahlt sie schlecht.
Auch die
Nachbarschaft belustigt sich über das einfache Landmädchen, aber andere junge
Frauen, die ebenfalls als Hausmädchen arbeiten, kümmern sich um sie. Als
Celestina endlich einmal frei bekommt, nehmen sie sie mit zu einer
Tanzveranstaltung und verschönern sie zuvor noch ein wenig. Fernando (Gabriele
Ferzetti) gefällt die hübsche junge Frau, aber Celestina lässt den als
Frauenschwarm bekannten Klempner abblitzen. Noch mehrfach versucht er es bei
ihr, aber da er sich nicht an die ihr beigebrachten Verhaltensweisen hält,
lehnt sie ihn gegen ihre Gefühle ab bis er aufgibt. Wenig später wird sie von
ihrer Hausherrin fristlos entlassen, weil sie versuchte, das ständig schreiende
Baby mit Gas zu beruhigen, aber der Pfarrer kann sie schnell bei einem netten alten
Ehepaar unterbringen, das sie wie eine Tochter behandelt. Leider verfügen sie
nur über geringe finanzielle Mittel, weshalb sie versuchen, Celestina durch die
Heirat mit einem gottesfürchtigen, fleißigen Sizilianer abzusichern…
Antonio
Pietrangelis erster Film "Il sole negli occhi" (Die Sonne in den
Augen) beginnt im frühen neorealistischen Stil, als ob der Regisseur seine
eigenen Wurzeln in Erinnerung rufen wollte. Er war als Assistent und Co-Autor
an Luchino Viscontis "Ossessione" (Besessenheit, 1942) und "La terra trema" (Die Erde bebt, 1948) beteiligt und hatte während der
Hochphase des Neorealismus unter anderen Drehbücher für Alberto Lattuada
("La nostra guerra", 1945), Pietro Germi ("Gioventù perduta"
(Strandgut der Sünde, 1948)), Gianni Franciolini ("Ultimo incontro"
(Erotik, 1951)) und Roberto Rossellini ("Europa 1951" (1952))
geschrieben, bevor er hier erstmals als Regisseur und Autor in Personalunion aktiv wurde. Beim Drehbuch unterstützt wurde er von Suso Cecchi D'Amico, deren Stil ebenfalls entscheidend vom
Neorealismus geprägt wurde ("Ladri di biciclette" (Fahrraddiebe,
1948)), und Ugo Pirro, der nach "Achtung! Banditi!" (1951) für Carlo
Lizzani noch am Anfang seiner langen und erfolgreichen Karriere stand.
Die Kamera
verfolgt die junge Celestina (Irene Galter) bei ihrem schnellen Abstieg durch
die schmalen Gassen ihres in Umbrien gelegenen Bergdorfs. Sie beeilt sich, um
den Bus nach Rom zu bekommen, wo sie eine Stelle als Hausmädchen antreten soll.
Nachdem sie sich von ihren zwei Brüdern verabschiedet hatte, war ihr beim
Einstieg in den Bus ihre Madonnenfigur zerbrochen - ein Unglück, das ihre
inneren Gefühle exakt wiedergibt, denn um nichts in der Welt will sie ihre
Heimat verlassen. Ganz dem Realismus verpflichtet zeigt der Film eine karge,
ärmliche Umgebung, in der es zu wenig Arbeit für die hier lebenden Menschen
gibt. Materielle Not und die daraus entstehenden Zwänge wurden in den meisten
neorealistischen Filmen zum Auslöser der geschilderten Dramen, aber Pietrangeli
verharrte nur einen Moment lang in dieser Situation, bevor er sie bei
Celestinas Ankunft in Rom bricht. Die junge, einfach gekleidete Frau wird von
den glänzenden Fassaden moderner Häuser empfangen, um sofort das weinende Baby
ihrer zukünftigen Herrin in die Arme gedrückt zu bekommen, deren Sorge vor
allem der Einrichtung ihrer großen neuen Wohnung gilt.
"Il
sole negli occhi" vermittelt geradezu exemplarisch die Schnittstelle
zwischen Nachkriegszeit und dem Wirtschaftswachstum der 50er Jahre, das die
Sozialisation, besonders hinsichtlich der Rolle der Frau, entscheidend
verändern sollte - Antonio Pietrangelis bevorzugtes Thema. In dieser Hinsicht
lässt sich auch eine Brücke bis zu Pietrangelis letztem vollständig vor seinem
frühen Tod fertig gestellten und bekanntesten Film "Io la conscevo bene" (Ich habe sie gut gekannt, 1965) schlagen, der eine ähnliche
Geschichte erzählt. Doch während die junge Frau Mitte der 60er Jahre, angezogen
von den Verheißungen eines Luxus-Lebens als Schauspielerin, freiwillig ihre
ländliche Heimat verlässt und nach Rom geht, wird Celestina noch durch die
äußeren Umstände dazu gezwungen.
Zwar
schildert der Film auch die Abhängigkeit Celestinas, die als billige
Arbeitskraft ausgebeutet wird und den ungerechtfertigten Tiraden ihrer
Hausherrin ausgesetzt ist, aber Pietrangeli dramatisierte diese Situation nicht mehr wie es in den frühen neorealistischen Filmen üblich war, denn der Wohlstand nahm Anfang
der 50er Jahre schon deutlich zu und Arbeit für Hausmädchen gab es genug. Als
Celestina nach dem verzweifelten Versuch, dass ständig weinende Baby mit Gas zu
beruhigen, fristlos entlassen wird, bekommt sie schnell eine neue Stelle. Auch
in Vittorio De Sicas "Umberto D." (1952) lässt sich diese Entwicklung
nachvollziehen, aber der alte Mann gehörte zu den Verlierern des
wirtschaftlichen Aufschwungs, während die junge Frau davon profitierte. In
einer späteren Szene des Films nimmt sie gezielt eine neue Anstellung an, nur um in
die Nähe von Fernando (Gabriele Ferzetti) zu gelangen, in den sie sich verliebt
hat - den selbstbewussten Umgang mit ihren häufig wechselnden Hausherren hat
sie inzwischen gelernt.
"Il
sole negli occhi" ist in seiner Porträtierung einer jungen Frau zwischen
Tradition und Moderne schon ein reiner Pietrangeli - Spaß, Freizeit und Liebe
gibt es nicht ohne Einsamkeit, Abhängigkeit und Enttäuschung. Ihn
interessierten daran weniger die äußeren Umstände, als die inneren sozialen
Verflechtungen. Celestina verliert nach ihren verstorbenen Eltern auch ihre
Brüder, die nach Australien auswandern, und damit den familiären Zusammenhalt,
der die Grundlage des traditionellen Italien bildete. Celestina, noch im
konservativen Geist ihrer Heimat erzogen, wird in Rom mit einer liberaleren
Gesellschaft konfrontiert, speziell in der Auseinandersetzung mit Männern, aber
auch im langsamen entstehen einer Art Ersatzfamilie - gemeinsam mit anderen jungen Frauen, die sich in
einer ähnlichen Situation wie sie befinden.
Auch
Pietrangelis kritische Bewertung männlicher Verhaltensmuster nahm in "Il
sole negli occhi" schon ihren Anfang. Mit der Figur des Fernando stellte er
einen jungen Mann in den Mittelpunkt, der die neu entstehenden Freiheiten gerne
für sich nutzt, nicht aber die Verantwortung zu übernehmen in der Lage
ist. Celestina lernt den Frauenschwarm bei einer Tanzveranstaltung kennen und
wehrt sich gegen dessen Avancen, die den ihr anerzogenen Verhaltensregeln
zwischen Mann und Frau vehement widersprechen - obwohl er ihr gefällt. Wie
zuvor an ihrem Arbeitsplatz, wird sie auch in ihrer Rolle als Frau dazu gezwungen, sich einer verändernden Gesellschaft anzupassen. Nachdem sie aus einer verabredeten Hochzeit mit
einem Sizilianer ausgebrochen war - der letzte Versuch eines alten
Professoren-Ehepaars, sie traditionell zu versorgen - muss sie lernen, sich
selbstständig um ihre Zukunft zu kümmern. Und versucht, Fernando wieder zu
treffen.
Von
"Il sole negli occhi" bleiben nicht die enttäuschenden Erfahrungen in
Erinnerung, die Celestina zwangsläufig erleben muss, sondern ihre Entwicklung
zu einem eigenen Selbstbewusstsein. Pietrangelis Sympathien galten eindeutig
ihr und den anderen jungen Frauen, denen der letzte Blick des Films gilt. In
dieser Intention lässt sich der größte Unterschied zum Schicksal der jungen
Frau in "Io la conoscevo bene" erkennen, denn "Il sole negli
occhi" betrachtete deren Zukunft noch optimistisch.
"Porträt Antonio Pietrangeli"
- weitere im Blog besprochene Filme von Antonio Pietrangeli :
"Amori di mezzo secolo" (1954)
"Adua e le compagne" (1960)
"La parmigiana" (1963)
"La visita" (1963)
"Adua e le compagne" (1960)
"La parmigiana" (1963)
"La visita" (1963)
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