Inhalt:
Cesira (Sophia Loren) lebt mit ihrer 13jährigen Tochter Rosetta (Eleonora
Brown) in Rom, während die Bombenangriffe der Alliierten im Sommer 1943 ständig
zunehmen. Die erfolgreiche, verwitwete Geschäftsfrau beschließt, um ihre
kränkliche Tochter zu schonen, mit dieser zu dem östlich von Rom gelegenen
Bergland „La ciociara“ zu fahren, ihrer früheren Heimat, um den sich
zuspitzenden Kämpfen zu entkommen. Zuvor trifft sie sich noch mit ihrem
Nachbarn und Kohlenhändler Giovanni (Raf Vallone), dessen Begehren sie
schließlich nachgibt. Dieser verabschiedet sie am Bahnhof und verspricht ihr,
auf ihren Lebensmittelladen aufzupassen.
Der Weg
nach Ciociara erweist sich als schwer, da die Zuggleise nicht mehr intakt sind,
aber nach einem anstrengenden Fußmarsch gelangen sie an ihr Ziel. Dort
angekommen, muss Cesira feststellen, dass die Menschen hier ebenfalls Hunger
leiden und die Frontlinien näher kommen, aber die tüchtige Geschäftsfrau weiß
sich zu helfen…
Als
Vittorio De Sica "La ciociara" (Und dennoch leben sie) 1960 gemeinsam
mit seinem favorisierten Drehbuchautoren Cesare Zavattini drehte, lag eine
längere Schaffenspause als Regisseur hinter ihm. Die letzten Filme De Sicas und
Zavattinis - "Il tetto" (Das Dach, 1956) und der Episodenfilm "L'oro di Napoli" (Das Gold von Neapel, 1954) - entstanden noch in der Tradition des
Neorealismus der italienischen Nachkriegszeit, den sie unter anderen mit
"Ladri di biciclette" (Fahrraddiebe, 1948) und "Umberto D."
(1952) entscheidend geprägt hatten.
Angesichts
der stilistischen Veränderungen im Werk anderer Regisseure des Neorealismus wie
Roberto Rossellini ("Viaggio in Italia", Liebe ist stärker, 1954)
oder Filmen jüngerer Regisseure wie Michelangelo Antonioni ("Il grido", Der Schrei, 1957), die den filmischen Realismus in Italien den
gesellschaftlichen Veränderungen anpassten, wirkte De Sicas Stil zunehmend
veraltet in seiner Mischung aus Realität und Sentimentalität, die den harten
Alltag menschlicher wirken lassen sollte. Diese inhaltliche Konsequenz hatte aber
auch zur Folge, das De Sica als Regisseur bis heute mit der Stilrichtung des
Neorealismus identifiziert wird, die spätestens seit "Riso amaro"
(Bitterer Reis, 1949) von Giuseppe De Santis auch an den Kinokassen erfolgreich
wurde. Nicht zuletzt, weil seit den ersten demokratischen Wahlen 1948, Filme
mit offensiv kommunistischer Haltung nicht mehr gefördert wurden. Einer
politischen Richtung, der sich De Sica - im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen
- nicht zugehörig fühlte.
Das er von
Carlo Ponti 1960 als Regisseur für "La ciociara" verpflichtet wurde,
wie auch Cesare Zavattini, der Alberto Moravias Roman als Drehbuch adaptierte,
war unter diesen Gesichtspunkten konsequent, denn Ponti verfolgte mit diesem
Projekt eine klare Zielsetzung - die Anerkennung seiner Frau Sophia Loren als
seriöse Darstellerin und nicht zuletzt ein Erfolg bei Kritikern und
Filmpreisen. Eine Rechnung, die vollständig aufging. De Sica hatte schon 1953
bei einem ähnlichen Projekt mitgemacht, als er "Stazione termini"
(Rom, Station Termini) mit Jennifer Jones, der Frau des amerikanischen
Produzenten Selznick, drehte, diese aber so konsequent in ein gegenwärtiges realistisches
Szenario einfügte, das es zum Fiasko kam - nur eine stark geschnittene Fassung
wurde in den amerikanischen Kinos gezeigt.
Daraus
hatten die Macher von "La ciociara" offensichtlich gelernt, denn
trotz der Ausrichtung auf einen internationalen Markt und Sophia Lorens Erfolg
in Hollywood (unter anderen „Das Hausboot“, 1958), blieb die Produktion in
europäischer Hand. Zudem wählte man mit Moravias Roman einen Stoff, der 1944
während der Endphase des zweiten Weltkriegs spielte, als Italien vom Ende der
faschistischen Regierung, der Besetzung durch deutsche Truppen und dem
Vormarsch der Alliierten erschüttert wurde, und vermied damit eine zu große
Nähe zur Gegenwart. Trotzdem vermittelte der in Schwarz/Weiß gedrehte Film, dank
De Sicas bewährten Stils, die Nähe zum Neorealismus - an den zeitgenössischen
Kritiken deutlich zu erkennen, die den Film damit in Zusammenhang brachten –
obwohl das wichtigste Stilelement, die Kritik an den herrschenden
Verhältnissen, in „La ciociara“ gar nicht vorhanden ist. Entscheidend ist dafür
weniger die Verlegung der Handlung in die nahe Vergangenheit, als die fehlende
Verknüpfung zur italienischen Gegenwart – der kritische Blick auf Mitläufer und
Faschisten bleibt reduziert, während an Tod und Vergewaltigung nur die
ausländischen Soldaten schuld sind.
Stattdessen
wurde der Film allein auf Sophia Loren zugeschnitten, aus deren Blickwinkel die
Story erzählt wird. Ursprünglich sollte die damals 25jährige die Rolle der jugendlichen
Tochter übernehmen und Anna Magnani ihre Mutter spielen, aber diese weigerte
sich, weshalb beide Rollen gegenüber Moravias Vorlage verjüngt wurden – die
jetzt 13jährige Tochter Rosetta spielte die damalige Newcomerin Eleonora Brown,
während Sophia Loren in der Rolle der Witwe Cesira als Mittdreißigerin
durchgehen sollte. Es ist weniger der Altersunterschied, als die Tatsache, das
Sophia Loren in jeder Szene – auch in Momenten der Verzweiflung - vital und
schön bleibt, die deutlich werden lässt, das Magnanis Absage ein Verlust war.
Schon in ihren Filmen der 40er Jahre, sah man Magnani die Lebenserfahrung und
trotz allen Temperaments auch eine gewisse Resignation an, was Sophia Loren mit
ihrer blühenden Jugend nicht vermitteln konnte. Für Carlo Ponti als Produzenten
ließ sich dieser Nachteil leicht verkraften, denn sein Film funktionierte konsequent als Starvehikel für seine Frau, die hier alle Register ziehen konnte –
von der temperamentvollen Südländerin, über die verantwortungsvolle Mutter bis
zum verzweifelten Opfer.
Der
deutsche Titel „Und dennoch leben sie“ ist frei erfunden, erfasst zwar ziemlich
genau die Rolle der Loren, die sich von nichts unterkriegen lässt, könnte
gleichzeitig aber nicht weiter entfernt sein von den Intentionen Alberto
Moravias. Dieser hatte seinen Roman nach der Region benannt, in die er selbst
von Rom aus geflohen war, als die deutschen Truppen dort einmarschierten, aber
während das „dennoch leben sie“ einen inneren Widerstand gegen die ständigen
Katastrophen suggeriert, beschreibt er auf dem Land eine Szenerie, die eher
unberührt von den Ereignissen scheint. Wie schon in seinem ersten Roman „Gli
indifferenti“ (Die Gleichgültigen, 1929) liegt sein Augenmerk auf der Lethargie
der Menschen, deren Interessen hauptsächlich im Sex, Geld und der damit
erzeugten Macht liegen. Wenn etwas „La ciociara“ von der Beliebigkeit eines
kalkulierten Dramas unterscheidet, dann, das diese Intention noch zu spüren
ist.
Damalige
moralische Standards verlangten von der weiblichen Hauptfigur einen gewissen
Widerstand, weshalb sowohl Giovanni (Raf Vallone) noch in Rom, wie auch später
Michele (Jean-Paul Belmondo) auf dem Land erst übergriffig werden müssen, bevor
sich Cesira sexuell auf sie einlässt. Kombiniert mit Sofia Lorens
selbstbewusster Art, kaschiert der Film damit deren Promiskuität, lässt aber
letztlich keinen Zweifel daran. Zwar haben auch die Landbewohner der Ciociara ihre
Probleme mit der Essensbeschaffung, wie auch die Kampfhandlungen näher rücken,
aber der Film schildert über einen sehr langen Zeitraum – zwischen den ersten
Minuten mit dem Bombenangriff auf Rom und den dramatischen Ereignissen des
letzten Drittels – ein ruhiges Leben, das viel Zeit für gemeinsame Mahlzeiten,
Lesungen und politische Diskussionen lässt, während man sich so gut wie möglich mit
den Faschisten und den deutschen Besatzern arrangiert.
Signifikant für diese Szenerie ist die Figur des Michele, einem
Intellektuellen, der nach seinem Studium wieder zu seinen Eltern aufs Land
gekommen ist. Er ist der Einzige, der eine deutliche politische Haltung gegen
das faschistische Regime einnimmt, den aber Niemand wirklich ernst nimmt.
Jean-Paul Belmondo gelingt es den leicht linkischen, wenig tatkräftigen Mann
überzeugend zu verkörpern, den erst die schöne, ältere Cesira aus seiner
Lethargie heraus holt. Michele ist sympathisch, auch Rosetta verliebt sich
heimlich in ihn, aber seine Haltung bleibt Theorie. Als ihn deutsche Soldaten
zwingen, sie über einen Berg zu führen, versucht sein Vater vehement, für ihn
einzustehen, aber Michele wehrt sich nicht und lässt sich passiv abführen.
Bis zu diesem Moment geschieht in „La ciociara“ nur wenig, scheinen die Kriegsdramen weit entfernt, während Cesira jederzeit einen souveränen Eindruck hinterlässt – sowohl im Umgang mit den Männern, als auch beim Geschäft, das die wohlhabende Frau erfolgreich betreibt, während sie selbst keine klare Stellung zu den politischen Ereignissen bezieht. Diese Situation steigert noch den Schock der brutalen Vergewaltigung, die völlig unvorbereitet auf die Mutter und ihre noch kindliche Tochter hereinbricht. Mit dieser extremen Symbolik wollte Moravia verdeutlichen, das es ein Trugschluss ist, sich heraushalten zu können. Und das die Mitläufer nicht weniger schuldig sind als die Täter, aber der Film kann diese kritische Intention, die auf die Gegenwart abzielte – sein Roman erschien 1957 – nicht transportieren.
Bis zu diesem Moment geschieht in „La ciociara“ nur wenig, scheinen die Kriegsdramen weit entfernt, während Cesira jederzeit einen souveränen Eindruck hinterlässt – sowohl im Umgang mit den Männern, als auch beim Geschäft, das die wohlhabende Frau erfolgreich betreibt, während sie selbst keine klare Stellung zu den politischen Ereignissen bezieht. Diese Situation steigert noch den Schock der brutalen Vergewaltigung, die völlig unvorbereitet auf die Mutter und ihre noch kindliche Tochter hereinbricht. Mit dieser extremen Symbolik wollte Moravia verdeutlichen, das es ein Trugschluss ist, sich heraushalten zu können. Und das die Mitläufer nicht weniger schuldig sind als die Täter, aber der Film kann diese kritische Intention, die auf die Gegenwart abzielte – sein Roman erschien 1957 – nicht transportieren.
Zu sehr
steht die Dramatik der letzten Minuten im Vordergrund, das Bild der
verzweifelten Mutter und ihrer apathischen Tochter, die von fremden, zudem aus dem arabischen Raum stammenden Soldaten
vergewaltigt wurden - eine bewusst verfälschende Konstellation, wie der Regisseur J.P.Melville, der zu den Dreharbeiten von "Ciociara" eingeladen war, um mit Jean Paul Belmondo über seinen nächsten Film zu reden, später in "Kino der Nacht" erläuterte ("Aber das erstaunlichste war, dass dieser Film, den er drehte, eine Geschichte erzählte, in der wir französischen Soldaten uns so benommen hatten wie die Soldaten, die De Sica als Marokkaner präsentierte. In Wahrheit waren diese Männer, die in Italien die Frauen vergewaltigten, aber keine Marokkaner, die zu solchen Akten nie fähig gewesen wären, sondern französische Soldaten"). Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 1960 war Niemandem mehr daran gelegen, Verbündete mit einem solchen Vorwurf zu konfrontieren, sondern es galt einzig, die Situation weiter zuzuspitzen. Der Wutanfall Cesiras gegenüber amerikanischen Militärs,
denen sie auf der Straße wahnsinnig vor Schmerz gegenüber tritt, steigert noch
diesen Eindruck und lässt vergessen, das erst der von den Faschisten begonnene Krieg die Alliierten ins Land brachte. Letztlich verdichtet sich das Bild, beginnend mit
dem Auftritt des singenden Florindo (Renato Salvatori), der die beiden Frauen
wieder zurück ins Leben bringt, zu einem gemeinsamen Nenner – der Krieg und
seine Auswirkungen sind schrecklich, aber das Leben geht weiter.
Für Carlo
Ponti bedeutete diese generelle Botschaft, der sich jeder ehrlich Betroffene
anschließen konnte, den Gewinn des „Golden Globe“ als bester ausländischer Film
und viele weitere Preise, Sophia Loren wurde in Cannes als beste Darstellerin
ausgezeichnet, gewann sogar den Oscar für ihre Hauptrolle und für Vittorio De
Sica brach seine erfolgreichste Phase an. Er verfeinerte noch die Kombination
aus allgemein verständlichem Drama und Lebensfreude, immer in Zusammenarbeit
mit Sophia Loren und Cesare Zavattini, und gewann nur wenige Jahre später mit
„Ieri, oggi, e domani“ (Gestern, heute und morgen, 1963) den Oscar für den
besten ausländischen Film. Nur das von Seiten der Kritik, „La ciociara“ in die
Nähe des Neorealismus gerückt wurde, war ein Missverständnis, denn diese Phase
war für De Sica endgültig vorbei.
"La ciociara" Italien 1960, Regie: Vittorio De Sica, Drehbuch: Cesare Zavattini, Alberto Moravia (Roman), Darsteller : Sophia Loren, Jean-Paul Belmondo, Eleonora Brown, Raf Vallone, Renato Salvatori, Laufzeit : 97 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Vittorio De Sica:
"Ladri di biciclette" (1948)
"Miracolo a Milano" (1951)
"Umberto D." (1952)
"Stazione Termini" (1953)
"L'oro di Napoli" (1954)
"Il tetto" (1956)
"Boccaccio '70" (1962)
"I sequestrati di Altona" (1962)
"Ieri, oggi e domani" (1963)
"Umberto D." (1952)
"Stazione Termini" (1953)
"L'oro di Napoli" (1954)
"Il tetto" (1956)
"Boccaccio '70" (1962)
"I sequestrati di Altona" (1962)
"Ieri, oggi e domani" (1963)
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