Mittwoch, 21. April 2010

Viaggio in Italia (Liebe ist stärker) 1954 Roberto Rossellini

Inhalt: Der reiche englische Anwalt Axel Joyce (George Sanders) hat die Villa seines Großonkels in Italien geerbt und besucht nun gemeinsam mit seiner Frau Katherine (Ingrid Bergman) die neuen Besitztümer. Für ihn ist das eine lästige Aufgabe, denn er hat keine gute Meinung von Italien und seinen Einwohnern und versteht auch die Begeisterung seines Onkels nicht.

Seine Frau dagegen ist voll schwärmerischer Neugier, worin schon die Entfremdung zwischen den Partnern deutlich wird, die sich nur noch in verächtlicher Weise miteinander unterhalten. Einmal angekommen beginnen sie - zusätzlich durch ihre immer deutlich werdendere Trennung sensibilisiert und aufgewühlt - das Land Italien kennenzulernen. Beide können sich dem Einfluß nicht entziehen und sie beginnen sich zu verändern...
 


Als Roberto Rossellini "Viaggio in Italia" 1953 drehte, hatten sich entscheidende Parameter geändert. Stand er noch zu Beginn seiner neorealistischen Arbeiten, Mitte der 40er Jahre, ganz im Banne des eben zu Ende gegangenen Krieges ("Rom, offene Stadt", "Paisa", "Deutschland, Stunde Null"), hatte er sich schon in  "Stromboli"  1950 davon entfernt, indem er nicht mehr nur die unmittelbaren Folgen beschrieb, sondern seinen Blick auch auf die weitere Entwicklung in einer veränderten Welt warf, am Übergang zwischen Tradition und Moderne. Sicherlich spielte dabei auch die Beziehung zwischen ihm und dem Hollywood - Star Ingrid Bergman eine Rolle, die als solche schon die Konfrontation unterschiedlicher Pole symbolisierte.

Ging er mit ihr als Protagonistin in  "Stromboli"  scheinbar noch zurückhaltend vor, indem sie dort eine der vielen heimatlosen Vertriebenen nach dem Krieg spielte, ist sie in "Viaggio in Italia" schon ganz "Grand Dame" - die Ehefrau eines reichen Anwalts, der mit ihr im Rolls-Royce- Cabriolet durch das Nachkriegs - Italien reist, um sich das Erbe seines Onkels anzusehen. Betrachtet man Rossellinis Werk genau, überrascht dieser Schritt nicht, denn die ursprüngliche Intention seiner Filme lag in der realistischen Beschreibung von Missständen, während die 50er Jahre stark zukunftsorientiert waren - mit allen Unsicherheiten, die eine solche Entwicklung mit sich brachte.

Trotzdem wäre es falsch, "Viaggio in Italia" als Abkehr zum Neorealismus anzusehen, Rossellini entwickelte ihn nur konsequent weiter. Er nutzte den Blickwinkel des ausländischen Paares zu einer realistischen Betrachtung Italiens von zwei Gesichtspunkten aus. Schon auf der Fahrt im Rolls-Cabriolet wird ihre unterschiedliche Haltung deutlich. Während der erfolgreiche Anwalt Axel Joyce (George Sanders) nur abschätzige Bemerkungen für Land und Leute übrig hat und die Erbschaft nur als Belastung ansieht, weshalb er die Villa so schnell wie möglich verkaufen will, ist seine Frau Katherine (Ingrid Bergman) voller schwärmerischer Erwartungshaltung an Italien. Es wird deutlich, dass Beide ein denkbar schlechtes Verhältnis zueinander haben. Sämtliche Gespräche werden jeweils durch sarkastische Bemerkungen abgewürgt, was bei ihr zunehmend den Hass auf ihn schürt, während seine tatsächlichen Emotionen ungewiss bleiben.


Rossellini nutzt diese Haltungen, um in Konfrontation mit den beiden Protagonisten, Land und Leute einfach abzubilden. Dabei erzählt er im Grunde keine Geschichte. Ähnlich wie später bei Antonioni in "La notte" ist die Auseinandersetzung des Ehepaares und deren Verhalten das Vehikel für die Darstellung der Umgebung. Während Antonioni damit die Einsamkeit des modernen Menschen stilisierte, hält Rossellini quasi nur drauf, wenn Beide ihrer Wege gehen. Katherine besucht Museen und wichtige kulturelle Stätten in Neapel, Axel fährt auf die Insel Capri, zusammen besuchen sie die Ausgrabungsstätten von Pompeji (was wiederum Eriprando Visconti als Anspielung in seinem "Oedipus Orca" nutzte). Im Hintergrund ist immer wieder der Vesuv und das Mittelmeer zu sehen. Im Gegensatz zu  "Stromboli" , in dem der Vulkan die bedrohliche Atmosphäre versinnbildlichte, verzichtet Rossellini auf Bedeutungsschwere und Ideologie. Fast leicht ist er vor allem in seinen dokumentarischen Bildern des städtischen Lebens. Als zu Beginn Alex und Katherine im abendlichen Neapel vor ihr Hotel fahren, ist die ganze Kraft dieser mediterranen Abendstimmung mit den vielen sich auf der Straße befindlichen Menschen zu spüren. So überrascht es nicht, dass "Viaggio in Italia" in seiner Mischung aus Dokumentation und spielerischer Unbestimmtheit heute als Vorbote der "Nouvelle vague" gilt.

Es wird deutlich, daß Rossellinis eigentliche Hauptdarsteller Neapel und seine Bewohner - und damit weitgehend Italien selbst - sind. Das englische Ehepaar bleibt merkwürdig fremd, auch wenn sich ihre Ehekrise zuspitzt. Ihre Sturheit, trotz noch vorhandener Gefühle nicht aufeinander zugehen zu können, steht in immer größerem Gegensatz zur sonstigen Leichtigkeit, die das Land und seine Menschen ausstrahlen. Besonders Katherine wirkt immer ein wenig verknöchert und verschlossen, kaum in der Lage sich auszuleben und zu freuen. Axel versucht es eher mit Ablenkung, was ihm eine peinliche Abfuhr bei einer schönen Frau und ein aufschlussreiches Gespräch mit einer Prostituierten einbringt.
 

Dieses private Drama kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass "Viaggio in Italia" ein optimistischer Film wurde, denn trotz der vielen noch vorhandenen Missstände, liegt über allem die Kraft eines Landes, dem Rossellini die Zukunft zutraut - in seiner üblichen lakonischen Art. So ist auch das Ende zu verstehen, bei dem Alex und Katherine quasi von der Menge aufgesaugt werden und für einen Moment wieder zueinander finden. Der deutsche Titel "Liebe ist stärker" ist dabei ein veritables Missverständnis, denn nicht die Liebe ist hier stärker - über den tatsächlichen Ausgang der Ehekrise macht der Film keine Aussage - sondern das Land und seine Menschen.

"Viaggio in Italia " Italien 1954, Regie: Roberto Rossellini, Drehbuch: Roberto Rossellini, Vitaliano Brancati, Darsteller : Ingrid Bergman, George Sanders, Maria Mauban, Anna Proclemer, Paul Muller, Laufzeit : 100 Minuten

- weitere im Blog besprochene Filme von Roberto Rossellini :
  
"Roma, citta apertà" (1945)
"Stromboli" (1950)
"Amori di mezzo secolo" (1954)

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