Sonntag, 19. Juli 2009

L’avventura (Die mit der Liebe spielen) 1960 Michelangelo Antonioni

Inhalt : Anna (Lea Massari) verabschiedet sich von ihrem Vater, um mit einigen Freunden ein paar Tage mit einer Luxusyacht auf dem Meer zu kreuzen. Ihre beste Freundin Claudia (Monica Vitti) und ihr Freund Sandro (Gabriele Ferzetti) begleiten sie, aber Anna ist nicht glücklich, da ihre Beziehung zu Sandro gestört ist.

Sie neigt zu Übersprungshandlungen, was ihren Freund leicht nervt und dazu führt, daß sie badend im Mittelmeer einen Haiangriff vortäuscht. Als sie kurz mit dem Boot an einer der kargen Felseninseln anlegen, kommt es noch einmal zu einem Gespräch zwischen Anna und Sandro, daß für sie unbefriedigend verläuft. Als die kleine Gesellschaft wieder ablegen will, stellen sie fest, daß Anna verschwunden ist. Selbst nach intensivem Suchen, finden sie keine Spur von ihr und stehen vor einem Rätsel...



Das letzte Bild erzeugt fast immer einen bleibenden Eindruck, aber es spiegelt selten den gesamten Charakter eines Films wider. "L'Avventura" entlässt uns mit einem sekundenlangen Blick auf eine stumme standbildartige Szene, die Antonionis Meisterschaft in der optischen Inszenierung zeigt und die keiner Worte bedarf.

Eine kahle Hauswand und ein Blick auf das Meer mit einer schemenartigen Vulkaninsel im Hintergrund teilt die Szene in zwei symmetrische Hälften. Horizontal wird sie zusätzlich durch ein schlankes Geländer gegliedert, welches eine kreuzartige Wirkung erzeugt. Auf der linken Seite vor dem Panorama befindet sich eine Bank mit zwei Menschen, deren Silhouetten im Gegenlicht zu sehen sind. Er kauert sitzend auf der Bank, während sie, hinter ihm stehend, ihre Hand auf seinen Kopf legt. Die Wirkung dieses Bildes erschließt sich ohne Nachzudenken und fasst das vorherige Geschehen zusammen - die Einsamkeit und die überdimensionale Größe des Lebens, dem die Menschen fast schutzlos ausgeliefert zu scheinen, aber auch der Trost, der in dieser letzten Geste ausgedrückt wird.

Antonioni konstruiert Bilder von unglaublicher Schönheit, die so exakt und bis ins kleinste Detail gestaltet sind, dass sie gleichzeitig überwältigend und unnahbar wirken. Zwar entwickelte Antonioni diese Bildsprache schon in seinen früheren Filmen, aber in seiner Trilogie, die er mit „L’Avventura“ beginnt, wird diese Ästhetik zu einem wesentlichen Bestandteil der inneren Zusammenhänge zwischen den drei von der Story her unabhäng
igen Teilen. Verbindendes Element dieser optischen Linie ist Monica Vitti, die in jedem der kurz hintereinander entstandenen Filme eine tragende Rolle spielt, aber auch die anderen Protagonisten sind in allen drei Filmen von auffallender moderner Attraktivität.

Ähnliches lässt sich zur Wahl der Orte sagen, die nicht nur den Hintergrund für die Handlung abgeben, sondern in ihrer Anordnung und in ihrem Baustil signifikant für Antonionis Intention sind. In diesem Zusammenhang nimmt der gegensatz Großstadt / Land eine übergreifende Rolle ein – in „La notte“ und „L’eclisse“ sind Mailand und Rom der Ort des Geschehens „L’avventura“ dient als Ausgangspunkt für eine weite Reise durch Italien. Darin wird die unterschiedliche Dynamik der drei Teile erkennbar, die im ersten Film noch von der Aufbruchstimmung des Beginns einer Beziehung geprägt ist, während in den weiteren Filmen Unbeweglichkeit und schleichender Niedergang das Tempo beeinflussen.

Die in „L’avventura“ gewählten Orte sind dazu von besonderer Attraktivität, beginnend bei den kargen Felseninseln im tyrrhenischen Meer bis hin zu der Altstadt Taorminas, die in ihrer pittoresken Schönheit einen kurzen Moment des Glücks versinnbildlicht. Diese „historische“ Schönheit, die Antonioni bis zur letzten Einstellung aufrecht hält, steht im starken Kontrast zu den Orten, an denen das Geschehen in „La notte“ und allerdings
in veränderter Form in „L’eclisse“ stattfindet. Antonioni zeigt Italiens Kapitale ausschließlich von der Moderne der 50er und frühen 60er Jahre geprägt. Ein vom Bauhaus beeinflusster Stil, mit dessen fast klinisch sauber wirkenden Beton, Stahl und Glas-Elementen Antonioni die Gegenwart symbolisiert. Dagegen wirkt „L’Avventura“ in seinen optischen Dimensionen noch vertraut.

Die Diplomatentochter Anna (Lea Massari) verabschiedet sich von ihrem Vater vor dessen römischer Villa. Sie möchte ein paar Tage mit Freunden eine Kreuzfahrt auf dem Mittelmeer machen. Sein Chauffeur bringt sie in einen nah gelegenen Küstenort, wo ihre Freundin Claudia (Monica Vitti) sie vor dem Haus erwartet, in dem Annas Freund Sandro (Gabriele Ferzetti) lebt. Ohne zu zögern geht sie zu ihm hinauf und es wird schnell offensichtlich, dass ihre Beziehung gestört ist. Anna fühlt sich unverstanden, was sie nicht davon abhält, mit ihm zu schlafen. Als er darauf hinweist, dass draußen ihre Freundin wartet, reagiert sie gleichgültig.


Antonioni malt schon in den ersten Minuten ein Bild verschiedener Abhängigkeiten. Anna erfüllt nicht den Wunsch ihres Vaters nach einem gemeinsamen Wochenende, gleichzeitig ist sie unglücklich, weil ihr Freund Sandro sie nicht - wie von ihr eingefordert - liebt. Sandro, ein junger, aber schon reif wirkender Architekt, begehrt sie, ist aber nicht in der Lage, sich in Anna hineinzufühlen und wirkt zunehmend genervt von ihren Eskapaden. Claudia ordnet sich Anna unter, da sie bürgerlicher Herkunft ist und nur dank ihrer Freundin zutritt zu den mondänen Kreisen bekommt. Lea Massari und Monica Vitti stellen Frauen vergleichbarer Schönheit dar, die in ihrem Charakter sehr unterschiedlich sind. Anna tritt wild und fordernd auf, während Claudia ruhiger und bescheidener ist.

Schon bald nach Beginn der Kreuzfahrt, an der auch weitere Paare aus gehobenen Gesellschaftsschichten teilnehmen, kommt es durch Anna zu einer Übersprungshandlung, als sie ins Meer springt und behauptet, sie wäre von einem Hai angegriffen worden. Gegenüber Claudia gibt sie diese Lüge zu, aber als sie kurz danach auf einer kargen Felseninsel einen Zwischenhalt machen, verschwindet Anna kurz nach einer letzten Aussprache mit Sandro spurlos. Sämtliches Suchen, auch der bald eintreffenden Polizei, bleibt ergebnislos, so dass Niemand weiß, ob Anna verunglückt ist, sich heimlich abgesetzt oder Selbstmord begangen hat. Da Gerüchte auftauchen, sie wäre an einem anderen Ort in Italien gesehen worden, machen sich Sandro und Claudia auf die Suche nach ihr.

In seiner psychologischen Anlage erinnert „L’Avventura“ an Hitchcock, denn das Unwissen darüber, ob Anna nicht jede Sekunde wieder auftauchen könnte, beeinflusst das Verhalten der übrigen Protagonisten und nistet sich in deren Psyche ein. Momente, in denen sie glauben, dass Anna gleich vor ihnen steht, wechseln mit dem Gefühl der Hoffnungslosigkeit, doch niemals verschwindet die Ungewissheit. Doch Antonioni ist nicht an einer Kriminalstory interessiert, sondern verdeutlicht mit dieser Konstellation die Belastung, mit der Sandro und Claudia fertig werden müssen und die ihre gerade füreinander entdeckten Gefühle nicht frei zur Entfaltung kommen lässt. Während Sandro damit keinerlei Probleme zu haben scheint und sehr forsch auf Claudia zugeht, macht diese zwar keinen Hehl aus ihren Empfindungen, wagt es aber noch nicht, diese auszuleben. Einerseits trauert sie um die vermeintlich tote Freundin, andererseits fürchtet sie, dass diese wieder auftaucht.

„L’Avventura“ verfügt in der Beschreibung eines Beziehungsbeginns über den optimistischsten Ansatz innerhalb der Trilogie, da hier noch die Hoffnung auf Glück und Gemeinsamkeit bestehen bleibt. Jeder der Teile könnte für sich allein stehen, da Antonioni Protagonisten und Story wechselt, aber schlüssig werden seine Intentionen erst bei der Betrachtung des Gesamtwerkes, dass trotz der inhaltlichen Unterschiede die Form einer Parabel einnimmt. Die Entstehung der Liebe zwischen Claudia und Sandro basiert auf der Zerstörung einer anderen Beziehung – eine Zerstörung, auf die Antonioni in „L’eclisse“ wieder zurückkommt – ohne das Eine, kann das Andere scheinbar nicht entstehen.

Allerdings täte man Antonioni unrecht, seine Trilogie nur als pessimistischen Blick auf die Beziehung zwischen Mann und Frau zu interpretieren. Komplex zeigt er ein Bild der gesellschaftlichen Veränderungen nach dem zweiten Weltkrieg, dass durch die optische Betonung der Moderne von ihm als äußerliche Entwicklung entlarvt wird, da eine gleichzeitige Selbstreflexion nicht stattfindet. Im Gegenteil nimmt die Hilflosigkeit, sich dem Gegenüber anzunähern und zu vertrauen, noch zu und Antonioni konfrontiert den Betrachter mit der zunehmenden Vereinsamung seiner Protagonisten und die wachsende Unfähigkeit, Emotionen leben zu können.

Dieses Empfinden betont er durch seine Bildkompositionen, denn sie lassen die Menschen oft klein und hilflos wirken und „L’avventura“ hinterlässt einen intensiven Eindruck aus großer Schönheit und Ästhetik, aus dem Wunsch nach Nähe und innerer Verschlossenheit – und damit eine kongeniale Symbiose aus Form und Inhalt.

"L'avventura" Italien 1960, Regie: Michelangelo Antonioni, Drehbuch: Michelangelo Antonioni, Tonino Guerra, Darsteller : Monica Vitti, Gabriele Ferzetti, Lea Massari, Dominique Blanchar, James Addams, Laufzeit : 141 Minuten


weitere im Blog besprochene Filme von Michelangelo Antonioni:

"I vinti" (1952)
"La notte" (1961)

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