Silvia Santi (Virna Lisi) will ihren Ohrring von Baron De Vittis zurück |
Commissario Tartamella (Nino Manfredi) erträgt die Situation mit Humor |
Wie zu erwarten war, muss sich der Commissario später noch
um den als Kleptomanen bekannten Baron kümmern, denn dieser hatte ausgerechnet
den wertvollen Ohrring der Hausherrin Silvia Santi (Virna Lisi) gestohlen und
gleich herunter geschluckt. Zwar muss Di Vittis mit auf die Wache, bis der
Ohrring wieder auftaucht, aber weitere Konsequenzen zieht sein Vergehen nicht
nach sich. Bei der nächsten Party ist er wieder mit dabei. Ähnlich großzügig
legen auch die übrigen Gäste die Gesetze für sich aus, die je nach Situation zu
eigenen Gunsten ausgelegt werden. Prinzessin Dede Marecscalli (Senta Berger) nutzt
ihre Attraktivität für die Beeinflussung von Politikern, Andere gehen weniger
dezent vor…
Carlo Lizzanis Film steht trotz seiner freizügigen Optik und seines authentischen Zeitkolorits Anfang der 70er Jahre noch für die Vergangenheit der "Commedia all'italiana". Ein nur wenig kaschierter Episodenfilm im Geist der 60er Jahre - provokativ, zynisch und gesellschaftskritisch, aber Anfang der 70er Jahr nicht mehr "up-to-date". Aus heutiger Sicht hat sich das geändert - eine empfehlenswerte Wiederentdeckung.
Enthalt’ ich mich, dir Schlimmeres zu sagen:
Dass schlecht die Welt durch eure Habsucht ist,
Die Guten sinken, und die Schlechten ragen.
(aus „Die göttliche Komödie“, 19. Gesang von Dante Alighieri)
Principessa und Prince Marescialli (Senta Berger und Umberto Orsini) |
Nur die Flucht in literarische Höhen lässt Commissario
Tartamella (Nino Manfredi) eine Umwelt ertragen, mit der er täglich
konfrontiert wird – die Schönen und Reichen von Rom. Ein Haufen korrupter und
eitler Selbstdarsteller, die nur ihren eigenen Vorteil im Blick haben. Moral, Respekt
vor Anderen oder den Gesetzen des Landes? - Fehlanzeige. Als Polizist bleibt
ihm nur wenig Handlungsspielraum. Er darf zwar den verarmten Baron Maurizio Di
Vittis (Vittorio Caprioli) verhaften, bis dieser den wertvollen Ohrring von
Silvia Santi (Virna Lisi) auf der Wache wieder ausgeschieden hat – wegen seiner
adligen Herkunft ist der notorische Kleptomane ein gern gesehener Gast auf den
diversen Feierlichkeiten – , aber darüber hinaus kann er trotz klarer
Beweislage Niemanden überführen. Weder bei einer vorgetäuschten
Kindesentführung, noch bei Gatten-Mord. Die Beziehungen der Beschuldigten
reichen bis in höchste politische Kreise.
„Arme brauchen einen Grund zu feiern, Reiche haben immer
Party“
Giorgio Santi (Phillippe Leroy) macht Geschäfte mit China |
sind die ersten Worte des Commissario auf die Frage seines
Adjutanten, aus welchem Anlass gerade zahlreiche Gäste mit ihren Luxus-Karossen
vor einem römischen Palazzo vorfahren. Von oben betrachtet sieht Rom in der
abendlichen Dunkelheit sehr friedlich aus. Die Silhouette des Kolosseum thront
zwischen dem Lichtermeer, während ein von Luis Bacalov komponierter Song
melancholisch erklingt. Alles „bene“ in Rom? – Zumindest für die fröhliche Gesellschaft
im Hause Silvia Santi, deren Mann Giorgio (Philippe Leroy) gerade geschäftliche
Kontakte mit China eingefädelt hat. Sexuelle Revolution und linke Ideologie
lassen sich elegant mit Kapitalismus und Dekadenz kombinieren. Entsprechend
ausgelassen wird gefeiert, während im intimen Rahmen politische und
wirtschaftliche Entscheidungen getroffen und die nächste Sex-Affäre eingeleitet
werden.
Ein Hoch auf Mao - Baron De Vittis (Vittorio Caprioli) |
Ähnlich illustre wie die hier versammelte Gesellschaft war
auch die Schauspielergarde, mit der die italienisch-französisch-deutsche
Co-Produktion unter der Leitung von Carlo Lizzani aufwarten konnte, der seine zynische
Komödie zudem ganz zeitgemäß mit viel Erotik würzte. Leider ohne den
gewünschten Erfolg. Trotz bester Voraussetzungen geriet „Roma bene“ schnell in
Vergessenheit, denn wirklich neu war nichts an Lizzanis Werk. An kritischen
Kommentaren über die sogenannte „bessere“ Gesellschaft hatte es im
italienischen Film zuvor ebenso wenig gefehlt, wie an einer ironischen
Aufarbeitung der sexuellen Liberalisierung und der Protestbewegung. Besonders
der ab Mitte der 60er Jahre in Italien intensiv gepflegte Episodenfilm (siehe "L'amore in città und die Folgen") war früher Mittelpunkt respektloser und
gesellschaftskritischer Statements einer Vielzahl italienischer Filmkünstler. Auch
Carlo Lizzani hatte als Regisseur in den 60er Jahren an drei Episodenfilmen (zuletzt "Amore e rabbia" (Liebe und Zorn, 1969)) mitgewirkt.
Wilma Rappi (Michèle Mercier) mit ihrer Geliebten (Annabella Incontrera) |
Der gesamte Cast liest sich wie ein „Who is who“ des
Episodenfilms und der aufkommenden „Commedia sexy all’italiana“. Vittorio
Caprioli führte früh Regie bei „I cuori infantri“ (1963) und wurde als
Schauspieler quasi omnipräsent im erotischen Film ("L'insegnante" (Die Bumsköpfe,
1975)). Senta Berger hatte in „Quando le donne avevano la coda“ (Als die Frauen
noch Schwänze hatten, 1970) ebenso unter Komödien-Spezialist Pasquale Festa
Campanile gespielt wie Episodenfilm-Dauergast Nino Manfredi in "Adulterio all'italiana" (Seitensprung auf Italienisch, 1966). Auch Virna Lisi ("Le bambole" (Die Puppen, 1965)), Michèle Mercier („I nostri mariti“ (Unsere
Ehemänner, 1966)), Gastone Moschin ("Le fate" (Die Gespielinnen, 1966)) und Philippe
Leroy („L’idea fissa“ (Wenn das die Männer wüssten, 1964)) gehörten zur
regelmäßigen Besetzung im Episodenfilm. Und mit Ely Galleani („La dottoressa
sotto il lenzuolo“ (Der Kleine mit der großen Schnauze, 1976)), Margaret Rose
Keil („Il decamerone proibito“, 1972) und Malisa Longo („La bella Antonia,
prima Monica e poi Dimonia“ (Wehe, wenn die Lust uns packt, 1972)) zeigten sich
in „Roma bene“ schon attraktive kommende Darstellerinnen der „Commedia sexy“.
Den Eindruck einer Art Bestandsaufnahme der 60er Jahre betonte
noch die Anlage des Films, der seinen episodenhaften Charakter nur wenig verbarg.
Zwischen der Eingangs- und Endsequenz, in der die Darsteller-Riege jeweils
zusammen kommt, werden die wenig schmeichelhaften Worte des Commissario zu
Beginn mit einzelnen Stories untermauert. Zuerst setzte Carlo Lizzani die Prinzessin
Dede Marecscalli (Senta Berger) ins Bild bei ihrem sexuellen Einsatz für ein
großes Immobilienprojekt. Nach mehreren Bettgeschichten, die die Planung
voranbringen, läuft ein Abendessen mit einem einflussreichen Politiker nicht
wie vorgesehen. Statt Dede erweist sich ihr Mann Rubio (Umberto Orsini) als
größere Attraktion, der in diesem Fall den Job übernimmt. Abgesehen von der
unlauteren Einflussnahme die sympathischste Episode – ein Gradmesser, der
zunehmend abnimmt.
Nino Rappi (Franco Fabrizi) wird bei Santi das Frühstück serviert |
Beginnt die Geschichte um das Ehepaar Wilma und Nino Rappi
(Michèle Mercier und Franco Fabrizi) noch komisch, als sie ihn in einem
Edel-Bordell erwischt und ihm die Hölle heißmacht, ohne dass er ahnt, dass sie
eine lesbische Beziehung mit dessen bevorzugter Prostituierten (Annabella
Incontrera) hat, gleiten die einzelnen Episoden zunehmend in bösartigere Gefilde.
Bei dem Versuch des zuvor gescholtenen Ehemanns Rappi, in die China-Connection
des Industriellen Giorgio Santi einzusteigen, stirbt er in der Sauna an
Herzversagen. Den tagelangen Marathon aus sportlicher Betätigung und Gruppensex, bei dem
er an der Seite des durchtrainierten Santi mitmachen musste, überlebte der
korpulente Mann nicht. Seiner Witwe ringt das keine Träne ab. Im Gegensatz zu
Irene Papas als griechische Millionärs-Gattin Elena Teopoulos, die aus Anlass
des Todes ihres reichen Ehemanns eine klassische Tragödie aufführt.
Noch lebt ihr Gatte (Mario Feliciani und Irene Papas) |
Womit sie Commissario Tartamella aber nicht täuschen kann,
der den gemeinschaftlich mit ihrer Mutter ausgeführten Mord sofort durchschaut.
Unternehmen kann er ebenso wenig, wie bei der durch die verwöhnten Santi-Kinder
Vivi und Lando (Ely Galleani und Dado Crostarosa) mit Hilfe der Mutter inszenierten
Selbst-Entführung, mit der sie ihren Vater um Kleingeld für ihre Spielsucht und
Shopping-Gelüste erleichtern wollten. Der Commissario durchkreuzt ihren Plan,
aber der reiche Papa verzichtet großzügig auf eine Bestrafung, auch um negative
Schlagzeilen zu verhindern. Mit dem Knaben, der auf einem Jagdausflug statt auf
Enten auf Menschen schießt, bekommt er gar nicht erst etwas zu tun. Weniger kriminell,
mehr entlarvend ist die Episode um einen Kardinal (Gaston Moschin), der ein Doppelleben
führt. Schwerreich im Ölgeschäft tätig und ebenfalls an der China-Connection
interessiert, führt er ein angenehmes Dasein zwischen Privatyacht und Vatikan.
Fließend gelingt ihm der Übergang zwischen dem Absetzen der Geliebten per
Ferrari und dem Einstieg als „Il monsignore“ in den Chauffeur gesteuerten Dienst-Mercedes.
Il monsignore (Gastone Moschin) im Ferrari mit der Principessa |
Provokativ war das 1971 allemal, gehörte aber zum guten Ton
im italienischen Episodenfilm. Noch im späten "I nuovi mostri" (Viva Italia,
1977)) wurde die Verlogenheit der katholischen Kirche genüsslich zelebriert. Einzig
mit der abschließenden, alle noch lebenden Protagonisten zusammenführenden
Sequenz, betrat Carlo Lizzani Neuland. Er bestrafte sie. Versammelt, um sich
nach erfolgreichen Wochen hemmungslos zu vergnügen, vergessen sie einen Moment,
dass sie ohne Personal auf der Yacht des Monsignore im Mittelmeer kreisen, der
als Einziger neben Giorgio Santi noch anderweitig beschäftigt ist. Als sie von
der Sonne erhitzt alle gemeinsam von Bord springen, um ein kühles Bad zu nehmen,
stellen sie zu spät fest, dass Niemand die Leiter herunter gelassen hatte. Im
Gegensatz zu den vorherigen Episoden, die die Realität ironisch bis sarkastisch
zuspitzten, wirkt die abschließende Szene wie reines Wunschdenken.
Verzweifelter Versuch zurück an Bord zu kommen |
"Roma bene" Italien, Frankreich, Deutschland 1971, Regie: Carlo Lizzani, Drehbuch: Carlo Lizzani, Nicola Badalucco, Edith Bieber, Luciano Vincenzoni, Darsteller : Nino Manfredi, Senta Berger, Vittorio Caprioli, Michèle Mercier, Franco Fabrizi, Virna Lisi, Philippe Leroy, Gastone Moschin, Umberto Orsini, Irene Papas, Annabella Incontrera, Malisa Longo, Ely Galleani, Laufzeit : 95 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Carlo Lizzani:
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