Dienstag, 27. Dezember 2016

Le farò da padre... (1974) Alberto Lattuada

Die Contessa (Irene Papas) stellt Anwalt Mazzacolli (Luigi Proietti)...
Inhalt: Der umtriebige, aber finanziell klamme römische Anwalt Saverio Mazzacolli (Luigi Proietti) ist ständig unterwegs, um Interessenten und mögliche Geldgeber für ein ehrgeiziges Projekt zu begeistern. Er will eine ganze Stadt für reiche Urlauber an der Adriaküste im südlichen Puglia entstehen lassen. Der Adlige Don Amilcare de Loyola (Mario Sciaccia), in dessen nahe gelegenem Stadthaus er untergekommen ist, unterstützt ihn. Hier befindet sich auch Mazzacollis Büro, von wo er aus mit Hilfe seines Sekretärs Peppe Colizzi (Bruno Cirino) die Strippen zieht. Don de Loyola verschafft ihm auch Kontakt zu der Contessa Raimonda Spina Tommaselli (Irene Papas), der einflussreichsten Persönlichkeit vor Ort, der auch die Ländereien gehören, auf denen der Anwalt sein Vorhaben plant. 

...ihre Tochter Clotilde (Theresa Ann Savoy) vor
Mazzacolli, ganz von seinem Charme und seiner Wirkung auf Frauen überzeugt, glaubt bei der attraktiven und etwas älteren Contessa leichtes Spiel zu haben, unterschätzt aber deren Selbstbewusstsein. Sie verbringt zwar eine Nacht mit ihm, hat darüber hinaus aber kein weiteres Interesse an einer persönlichen Beziehung. An einer Geschäftsbeziehung schon, aber dafür fordert sie als Voraussetzung, dass Mazzacolli ihre Tochter Clotilde (Theresa Ann Savoy) heiratet – eine sehr hübsche, knapp 16jährige junge Frau, die geistig auf dem Stand einer Zweijährigen geblieben ist. Für den Anwalt eine nur schwer zu erfüllende Bedingung, weshalb er einen perfiden Plan ersinnt...

 
Die 18jährige Theresa Ann Savoy in ihrer ersten Rolle...
Der Ruf eines "Entdeckers junger Mädchenblüte" (Corriere della sera) haftete Alberto Lattuada schon lange an. Neben der Besetzung der damals 17jährigen Jacqueline Sassard in „Guendalina“ (1957), verdankte er diese Einschätzung besonders Catherine Spaak, die als 15jährige in "I dolci inganni" (Süße Begierde, 1960) eine Schülerin im Moment ihres sexuellen Erwachsens spielte. In der Kombination junger Schauspielerinnen mit dem Thema Sex lag der entscheidende Grund für Lattuadas wenig schmeichelhaften Ruf, der gemessen an seinem Gesamtwerk nicht haltbar ist. Überwiegend besetzte er gestandene Darstellerinnen wie die damals 34jährige Martine Carol als Prostituierte in "La spiaggia" (Der Skandal, 1954), die mit der Doppelmoral des italienischen Bürgertums konfrontiert wird, als sie mit ihrer kleinen Tochter Ferien am Meer machen will. Mehr als das Alter seiner Darstellerinnen galt Lattuadas Augenmerk der Verlogenheit einer Zivilisation im Spannungsfeld von Religion und unterdrückter Sexualität.

...als Clotilde an der Seite von Irene Papas in der Rolle ihrer Mutter
Sein zwischen Voyeurismus und Sezierung pendelnder Stil wirkt aus heutiger Sicht inkonsequent. Einerseits legte er die damalige Situation offen und betonte den Anspruch der Frau auf Selbstbestimmung, andererseits stellte er den weiblichen Körper provokativ zur Schau. Für Lattuada kein Widerspruch, denn der Bruch moralischer Tabus war für den überzeugten Linken Ausdruck seiner Kritik an der stark vom Katholizismus geprägten italienischen Gesellschaft. Eine Haltung, die sich über zwei Jahrzehnte bis in die 70er Jahre im italienischen Filmschaffen wiederfinden lässt. Besonders im Episodenfilm der 60er Jahre lebte sich eine große Anzahl von Künstlern mit Lust an der Provokation innerhalb der sexuellen Thematik aus und schuf damit die Grundlage für die „Commedia sexy all’italiana“ (siehe den Essay "L'amore in città und die Folgen").

Saverio Mazzacolli in seinem Büro...
Alberto Lattuada selbst beteiligte sich nach "L'amore in città" (1953) an keinem weiteren Episodenfilm, aber er gab seinem überwiegend ernsthaften Stil zusätzlich eine humorvolle Richtung. Mit dem Komiker Totò drehte er „La mandragola“ (Mandragola oder Der Liebhaber als Arzt, 1965) und bei „Don Giovanni in Sicilia“ (1967) arbeitete er mit Lando Buzzanca zusammen, einem Protagonisten der „Commedia sexy all’italiana“ der 60er und frühen 70er Jahre. Parallel schritt der soziokulturelle Wandel voran, einhergehend mit der sexuellen Liberalisierung. Trotz der nach wie vor sehr konservativen italienischen Gesellschaft, wurde es Anfang der 70er Jahre im Kinofilm zunehmend schwieriger, mit Tabubrüchen zu provozieren. Inhaltliche und optische Freizügigkeiten, mit denen Lattuada früher das Publikum (und die italienische Zensur) aus der Reserve locken konnte, wurden zur Normalität.

...und beim Abendessen mit Don de Loyola (Mario Sciaccia)
Auch „Le farò da padre...“ fiel weder inszenatorisch, noch stilistisch aus dem Rahmen typischer Erotik-Komödien seiner Zeit. Luigi „Gigi“ Proietti, Anfang der 70er Jahre in allen Genres aktiv - zuletzt in Elio Petris Polit-Farce „La proprietà non è più un furto“ (1973) - spielte den so charmanten, wie skrupellosen römischen Anwalt Saverio Mazzacolli, der im Süden Italiens große Geschäfte machen will. In Puglia an der Adria-Küste plant er eine ganze Stadt für zahlungskräftige Urlauber hochzuziehen – neben Appartement-Häusern mit Meeresblick sollen ein Einkaufszentrum und ein Krankenhaus für eine Vollversorgung in der sonst strukturschwachen Region dienen. Sein Büro befindet sich in einem alten Palazzo, der dem Landadligen Don Amilcare de Loyola (Mario Sciaccia) gehört, der Mazzacolli bei seinem Vorhaben unterstützt. In dem nahe gelegenen kleinen Ort stehen die herrschaftlichen Stadthäuser mit ihren hohen, dunklen Räumen dicht gedrängt. Alles atmet noch den Geist der Vergangenheit.

Concettina (Lina Polito) steht bereit, Peppe (Bruno Cirino) muss zusehen
Das Aufeinanderprallen der Moderne mit dem als rückständig angesehenen Süden Italiens gehörte genre-übergreifend zum Standard-Repertoire im italienischen Film. Auch in „Le farò da padre...“ scheint sich dieser Eindruck zu bestätigen, wenn Mazzacolli mit seinem Jaguar durch die engen Gassen rast und wie selbstverständlich dem Dienstmädchen Concettina (Lina Polito) unter den Rock fasst, als sie das Abendessen serviert. Sein ihm zur Seite gestellter einheimischer Sekretär Peppe Colizzi (Bruno Cirino) möchte ihm nacheifern, verfügt aber nicht über die Reputation eines modernen Lebemanns wie Mazzacolli, dem die junge Concettina abends noch zur Verfügung steht. Nach außen herrscht strengstes Patriarchat, während die Herren heimlich ihren frivolen Gelüsten nachgehen? – Für Alberto Lattuada ein alter Hut. Nicht die einheimische Bevölkerung ist es, die hier mit einer liberalen Lebensart provoziert wird - der junge Anwalt wird an seine Grenzen geführt.

Mazzacolli glaubt sich nach einer Nacht mit der Contessa am Ziel...
Um Geldgeber für seine teuren Investitionen zu finden, hatte ihn De Loyola in die bessere Gesellschaft eingeführt, genauer mit Contessa Raimonda Spina Tommaselli (Irene Papas) bekannt gemacht, die einflussreichste und finanzkräftigste Persönlichkeit vor Ort. Sie steht einem reinen Frauen-Haushalt vor mit ihrer Mutter Principessa Anastasia (Maria Pia Attanasio), zwei alten Tanten (Isa Miranda und Clelia Matania) und ihrer knapp 16jährigen Tochter Clotilde (Theresa Ann Savoy). Ihr Mann ist vor mehr als zehn Jahren gestorben. Schon bei dieser ersten Begegnung wird Mazzacolli stark irritiert, als Clotilde inmitten der Gesellschaft vor seinen Augen ihren Rock hebt und in ihr Höschen nässt. Für die Umstehenden keine Überraschung, da sie wissen, dass Clotilde geistig zurück geblieben ist und sich noch wie eine knapp Zweijährige verhält. Gleichzeitig ist ihre Libido voll entwickelt, weshalb sie von ihrer Amme (Nina de Padova) erst gefüttert und dann vor dem Einschlafen mit der Hand körperlich befriedigt wird. Ein für alle Beteiligten selbstverständlich ausgeübter Umgang.

...aber diese hat eigene Pläne mit dem Anwalt
Mazzacolli versucht diese Erfahrung zu vergessen und konzentriert sich auf die Contessa, bei der er als jüngerer Mann leichtes Spiel zu haben glaubt. Er verbringt mit ihr eine gemeinsame Nacht in einem Landhaus inmitten ihrer Ländereien, aber das Ergebnis entspricht nicht seinen Erwartungen. Die attraktive und selbstbewusste Adlige nahm den Sex gerne mit, aber an ihre geschäftliche Zusammenarbeit knüpft sie eine andere Bedingung – er soll ihre Tochter Clotilde heiraten. Dem finanziell klammen Anwalt bleibt keine Wahl und ihr Arrangement wird notariell beglaubigt. Doch um sich der Verantwortung zu entziehen, ersinnt er einen perfiden Plan. Es ist der römische Jungspund Mazzacolli, der sich hier einer alten Regel des patriarchalischen Südens bedient. Er lässt Clotilde mit Hilfe seines Sekretärs und des Dienstmädchens Concettina entführen. Clotilde soll vergewaltigt werden, worauf er die Ehe ablehnen kann, weil sie keine Jungfrau mehr ist. Diese im Italienischen „Fuitina“ genannte Methode zwang die Vergewaltigte ihren Schänder zu heiraten – nur das Clotilde nicht dazu in der Lage sein wird, diesen zu benennen. 

Mazzacolli nimmt sich der entführten Clotilde an...
Wieder scheint „Le farò da padre...“ eine eindeutige Richtung zu nehmen, aber erneut wechselt der Film die Perspektive. Schon die Charakterisierung des Anwalts vermittelt die komplexe Herangehensweise Lattuadas und seiner Co-Autoren Bruno di Geronimo und Ottavio Jemma, denn trotz der rücksichtslosen Vorgehensweise und sexuellen Übergriffigkeit, verliehen sie dieser Figur sympathische Züge. Überzeugend von Proietti umgesetzt: freundlich, jungenhaft und wenig verbissen versucht er mit möglichst geringem Aufwand ein bequemes Leben zu führen. Entsprechend glaubwürdig wirkt es, als er sich der entführten Clotilde annimmt, die herausgerissen aus ihrer gewohnten Umgebung wie jedes Kleinkind verstört und weinend reagiert. Concettina war nicht in der Lage, sie zu beruhigen, aber Mazzacolli findet den Zugang zu ihr. Er nimmt sich viel Zeit für sie und stellt eine enge, zärtliche Nähe zu ihr her. Er verhält sich wie ein Vater.

Doch ein Kleinkind ist Clotilde nur dem Verhalten nach, äußerlich ist sie eine junge Frau. Die Nacktaufnahmen der damals 18jährigen Theresa Ann Savoy in ihrer ersten Rolle fielen nicht aus dem Rahmen gängiger Erotikfilme, aber die Kombination eines Frauen-Körpers mit einem kindlichen Verstand führte direkt ins Zentrum der Frage nach der eigenen Auffassung von Sexualität und Geschlechterrolle – sowohl aus der Sicht des Protagonisten, wie des Voyeurs vor der Leinwand. Lattuada trieb mit dieser Konstellation die Verfügbarkeit des weiblichen Körpers auf die Spitze. Clotilde ist die Verkörperung einer unschuldigen, wehrlosen jungen Frau – ein archaischer männlicher Wunschtraum. Mazzacolli wahrt im Umgang mit Clotilde zwar die Grenze zum Geschlechtsakt, aber seine Zärtlichkeiten lassen sich nur schwer zwischen Vater und Liebhaber trennen. Dass er - bisher offensichtlich bindungsunfähig - sich in Clotilde verliebt, ist nur erträglich, weil er ihr entgegen seiner ursprünglichen Absicht gut tut.

Erst verhindert er Clotildes Vergewaltigung durch Peppe Colizzi, der damit nur Mazzacollis Anweisungen folgte, dann bringt er sie unversehrt zu ihrer Mutter zurück. Ohne ihm eine Mittäterschaft nachweisen zu können, durchschaut die Contessa den Anwalt und widerruft ihren Wunsch, ihre Tochter mit ihm zu verheiraten. Und stürzt damit den in Liebe entflammten Mazzacolli, der jedes Interesse an seinen Geschäften verloren hat, in tiefe Verzweiflung. Doch auch Clotilde hat sich verändert und ist nicht mehr durch ihre Amme zu beruhigen. Ihr fehlt die Liebe und Zärtlichkeit des Vaters. Ihre Mutter will sie beschützen, ist aber nicht in der Lage, ihre Nähe zu geben und wird damit konfrontiert, dass die Behörden ihr das Mädchen wegnehmen und in ein Heim einweisen wollen.

...um nach der Trennung jedes andere Interesse zu verlieren
Ganz in der Tradition der „Commedia all’italiana“ verliert „Le farò da padre...“ trotz der ins Bösartige driftenden Handlung nie seinen komödiantischen Unterton. Und kann zudem mit einem überzeugenden Happy-End aufwarten. Zumindest im Auge des männlichen Protagonisten in seiner absoluten Hingabe an die Kind-Frau. Doch weder eignet sich Mazzacolli zur Identifikation, noch erlaubt die Charakterisierung der Clotilde den notwendigen Abstand, um als visuelles Objekt zu dienen. Alberto Lattuada nutzte die Mittel der Erotik-Komödie, ging im Detail noch darüber hinaus, konfrontierte den Betrachter aber so direkt mit dessem eigenem Voyeurismus, dass „Le farò da padre...“ nahezu vergessen ist und keinen Eingang fand in die heute noch große Anzahl bekannter Erotikfilme dieser Zeit. Angesichts der Qualität und des hohen Unterhaltungswerts des Films zu unrecht, aber der Beweis dafür, dass Alberto Lattuada in seiner Kritik an der bürgerlichen Doppelmoral immer noch provozieren konnte. 

"Le farò da padre" Italien, Frankreich 1974, Regie: Alberto Lattuada, Drehbuch: Alberto Lattuada, Ottavio Jemma, Bruno Di Geronimo,  Darsteller : Luigi Proietti, Theresa Ann Savoy, Irene Papas, Mario Sciaccia, Isa Miranda, Bruno Cirino, Lina Polito, Laufzeit : 98 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Alberto Lattuada:

"L'amore in città" (1953)
"La spiaggia" (1954) 
"I dolci inganni" (1960)

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