Inhalt: Gerade noch hatten Cristiana (Toti Achilli) und Luca
(Gerardo Rossi) über den Höhen von Athen gefeiert, schon setzen sie ihr
Liebesspiel im Heimatflug nach Italien fort. Vor den Augen der anderen
Passagiere treiben sie es zwischen den Sitzreihen. Doch ihre Stimmung ändert
sich schlagartig, als das Flugzeug ins Trudeln gerät und eine der Düsen Feuer
fängt. Der Absturz scheint unvermeidbar. In Todesangst schwört Cristiana in den
Armen einer Nonne, dass sie ihr Leben Gott weihen wird, sollte sie den Flug
überleben. Kaum ausgesprochen, fängt sich die Passagiermaschine und sie ist
gerettet.
Obwohl ihre Mutter (Eva Czemerys) und Freunde mit
Unverständnis reagieren, hält Cristiana ihr Wort und geht als Novizin ins
Kloster. Doch das zurückgezogene Leben fällt dem ehemaligen Party-Girl nicht
leicht. Versuchungen lauern überall. Massimo (Vassili Karis), der als Maler
Zutritt in die Abtei hat, erkennt schnell ihre sexuelle Aufgeschlossenheit und
weiß diese für seine Zwecke zu nutzen. Noch mehr spitzt sich die Lage zu, als
Luca auf der Flucht vor der Polizei bei ihr untertauchen will…
Rückblick Teil 2 auf das italienische Genre-Filmfestival "Terza visione 3" vom 01.04. bis 03.04.2016
So erlebte er seine Deutschland-Premiere beim Festival - mit deutschsprachigen Untertiteln und einer wunderbaren Kopie, von der meine von einem französischen Video stammenden Screenshots leider nicht zeugen können.
Das Glück zu Beginn: "Cristiana monaca indemoniata" |
"Silvia e l'amore" (1968) |
Für Regisseur und Autor Sergio Bergonzelli keine ungewöhnliche
Berg- und Talfahrt, denn die Gefahren der soziokulturellen Veränderungen nach
dem Krieg, besonders hinsichtlich der gesellschaftlichen Stellung der Frau,
standen früh auf seiner Agenda. In „Silvia e l’amore“ (1968) betrachtete er
semi-dokumentarisch die Auswirkungen der „Anti-Baby-Pille“ auf den Kinderwunsch
der Frau, um mit einer glücklichen Mutter von Zwillingen zu enden. Das
qualifizierte ihn offensichtlich für die Mitwirkung an einem deutschen
Aufklärungsfilm. „Libido – das große Lexikon der Lust“ kam 1969 als
deutsch-italienische Co-Produktion in die Kinos. Von diesem Mix aus Spielszenen
und Informationen verabschiedete sich Bergonzelli in „Io Cristiana, studentessa
degli scandali“ (Verbotene Zärtlichkeiten, 1971), der zwar noch Aufnahmen von
kopulierenden Tieren und erotischen Ansichten aus der Antike an den Anfang
stellte, dann aber in eine dramatische Story vor dem Hintergrund einer Studentenrevolte
mündete.
"Io Cristiana, studentessa degli scandali" (1971) |
Die deutschsprachige Synchronisation bemühte sich um einen komödiantischen
Gestus, der auch zum Plan zweier junger attraktiver Studenten zu passen schien,
die die Autorität des Dozenten und dessen Frau durch Sex diskreditieren wollen.
Die idealisierten Bilder des glücklichen Paars zu Beginn unterstützten diesen
Eindruck noch – ein Kniff, mit dem Bergonzelli wiederholt arbeitete, um die
Verlogenheit und folgerichtige Brüchigkeit dieses Lebensgefühls zu
demonstrieren. Eine moralisierende Sichtweise, die in „Silvia e l’amore“ vor
den Gefahren der künstlichen Verhütung und in „Io Cristiana, studentessa degli
scandali“ vor der sexuellen Liberalisierung warnen sollte. Die anfänglich so
libertinöse Gemeinschaft der Studenten wird zum konservativen Moral-Mob als
sich Cristiana in ihren Dozenten verliebt und mit diesem eine Beziehung
eingehen will. Cristiana wird zum Opfer (die Massenvergewaltigung wurde in der deutschen Version herausgeschnitten). Dass Bergonzelli in „Cristiana monaca
indemoniata“ erneut auf diesen weiblichen Vornamen zurückgriff, setzte diese Opferrolle fort und führte direkt ins Spannungsfeld von Sexualität und
Religion - „Cristiana“ steht im Italienischen für „Christin“.
"La sposina" (1976) |
Die Einbeziehung der katholischen Kirche war in Italien so zwangsläufig
wie riskant. Das musste selbst Giacomo Puccini erfahren, dessen 1918
uraufgeführte, aus drei thematisch unabhängigen Einaktern zusammengesetzte Oper
„Il trittico“ nur selten vollständig auf die Bühne gelangte. Der zweite Teil
„Suor Angelica“ (Schwester Angelica) fand nur wenig Gegenliebe und wurde auch
nach dem Krieg weiter ausgeklammert – nicht nur in Italien. Darin erzählte Puccini
die Geschichte eines gefallenen Mädchens, das wegen der Geburt eines
unehelichen Kindes im Kloster für ihre Sünden büßen muss. Zentraler Bestandteil
der Oper ist die Begegnung mit ihrer bigotten Mutter, die sie zugunsten ihrer
braven Schwester enterbt und ihr das Kind vorenthält – ausgedrückt in der Arie
„Senza Mamma“ (Ohne Mutter).
Die Mutter (Eva Czemerys) |
Ob sich Bergonzelli an Puccinis Nonnen-Oper orientierte,
lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, aber die Parallelen sind bemerkenswert
– beginnend beim Namen, denn nachdem sie ihr Gelübde abgelegt hat, wird
Cristiana zu „Suor Angelica“. Auch der Anlass für ihr Eintreten ins Kloster
lässt sich unter zeitgemäßen Gesichtspunkten vergleichen, aber mehr noch liegen
die Gemeinsamkeiten in der Rolle der Mutter - bei Puccini wie bei
Bergonzelli eine Gräfin. Steht sie in der Oper für die vorherrschende religiös-konservative
Haltung, verkörpert sie in „Cristiana monaca indemoniata“ den Geist ungehemmter
Promiskuität. Nur äußerliche Gegensätze, denn das Ergebnis ist für ihre Töchter
gleich: sie werden im Stich gelassen. Nachdem Cristiana Zuflucht bei ihrer
Mutter gesucht hatte, wird sie von ihr auf den Strich geschickt. Als
Edel-Prostituierte soll sie in die Fußstapfen ihrer Mutter (Eva Czemerys)
treten, die so zu Reichtum gelangt war – für Cristiana der Anfang vom Ende.
Party |
Die Bezeichnung „Nunsploitation“ für „Cristiana monaca indemoniata“
verweist auf die Hilflosigkeit, einen Film einordnen zu wollen, der sich keiner
eindeutigen Kategorie zuordnen lässt. Das Kloster ist hier kein Ort einer
verlogenen Scheinmoral oder übertriebener Autorität, sondern bietet Cristiana zumindest
einen Moment lang Schutz. Der von Bergonzelli gewohnte moralisierende Aspekt
lässt sich darin nicht übersehen. Schuld hat eine Gesellschaft, deren Interesse
allein dem egoistischen Ausleben sexueller und monetärer Bedürfnisse gilt – neben
der Mutter personalisiert in den Figuren des Luca (Gerardo Rossi), Cristianas dauergeilem
und kriminellen Freund, und des Massimo (Vassili Karis), einem modernen
Künstler, der die Attraktivität der jungen Frau für seine Zwecke nutzt. Die
Klostermauern können dagegen nur wenig ausrichten, wie an Schwester Eleonora
(Magda Konopka) deutlich wird, dem einzig ambivalenten Charakter in
Bergonzellis Film. Obwohl schon geweiht, erliegt sie wieder den Versuchungen
der körperlichen Liebe und wird zur Verräterin. Sie entscheidet sich, Nonne zu
bleiben und will Cristiana um Verzeihung bitten. Sie kommt zu
spät - die „Christin“ wird endgültig zum Opfer.
Straßenstrich |
Statt diese Botschaft in ein moralinsaures Drama zu packen,
schuf der Regisseur ein aufbrausendes, ungezähmtes Werk, dessen Anlage
und melodramatischer Charakter an eine Oper erinnert – die Ouvertüre im Flugzeug, der erste Akt im
Kloster bis zu Cristianas Gelübde, ihr Weg zurück zur Mutter und deren Lebensinhalten,
der endgültige Niedergang auf dem Straßenstrich als letzter Akt. Das geschieht linear,
zwangsläufig, die dramatischen Aspekte konsequent steigernd. Lebensfreude,
Ausgelassenheit, Verrat und Niedergang werden zu einer untrennbaren Einheit – mit
einer Protagonistin im Mittelpunkt, der Bergonzellis Sympathien gehören.
"Cristiana monaca indemoniata" Italien 1972, Regie: Sergio Bergonzelli, Drehbuch: Sergio Bergonzelli, Darsteller : Toto Achilli, Magda Konopka, Vasilli Karis, Gerardo Rossi, Marco Guglielmi, Eva Czemerys, Laufzeit : 95 Minuten
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