Inhalt: In wenigen Stunden beginnt das neue Jahr und die
Römer freuen sich schon auf die Feierlichkeiten. Einzig Otello Cucchiaroni
(Nino Manfredi) hat noch keine Ahnung, wohin er gehen soll, denn selbst die
Bar, in der er sich sonst die Zeit vertreibt, schließt an diesem Abend. Und da
er notorisch pleite ist, nimmt ihn Niemand mit zu einer der vielen Partys.
Notgedrungen schließt er sich deshalb Franco (Marco Guglielmi) und Angelino
(Giampiero Littera) an, die die Abwesenheit wohlhabender Römer nutzen wollen,
um in deren Wohnung einzusteigen. Den Plan hat der „Professor“ (Mario
Caretonuto) ersonnen, der dafür einen geschickten Fassadenkletterer benötigt. Den
Job soll Otello übernehmen.
Aus demselben Grund verzichtete auch Amerigo Zappitelli
(Fausto Cigliano) auf Alkohol und Party, denn der ehrgeizige Polizist weiß,
dass die Gauner den allgemeinen Trubel für ihre Zwecke nutzen wollen. Als er Hilfeschreie
aus einem Wohnhaus vernimmt, zögert er nicht lange um einzugreifen. Das
Dienstmädchen Adalgisa Pellicciotti (Gabriella Pallotta) hatte ihren Schrei
inzwischen bereut, nachdem der ungeschickte Einbrecher Otello ihr seine
Situation erklärt hatte, kann aber nicht mehr verhindern, dass der Wächter die
Wohnung durchsuchen will…
Hilfe, die Diebe kommen !
"Il professore" (Mario Carotenuto) kassiert für seinen Plan |
"Gauner-Komödien" gehören schon lange zum
Kino-Alltag. In der Regel plant eine zusammengewürfelte Gruppe den ganz großen
Coup - entweder um sich ein sorgenfreies Leben zu bescheren oder einem echten
Bösewicht zu schaden. Oft beides zusammen, denn die moralischen Regeln werden
durch die Identifikation mit den Kriminellen keineswegs außer Kraft gesetzt. Diese
gehen selbstverständlich gewaltfrei vor, sind im Vergleich zu ihrem Gegner
harmlose Gesellen und nicht selten stehen sie selbst am Ende mit leeren Händen
da - arm, aber cool. Als Geburtsstunde dieser Spezies gilt Mario Monicellis „I soliti ignoti“ (Diebe haben`s schwer, 1958), der Jules Dessins dramatische
Version eines raffinierten Einbruchs „Rififi“ (1956) in die römische Realität
Kleinkrimineller transferierte, die versuchten ihrer Armut und Perspektivlosigkeit
zu entkommen. Kombiniert mit einer humorvollen Anlage ließen sich so soziale
Missstände unterhaltsam auf die Kinoleinwand bringen – signifikant für die
„Commedia all’italiana“.
Franco (Marco Guglielmi) und Angelino (Giampiero Littera) überreden Otello |
Der Ursprung dieser besonderen italienischen Vorliebe für
den Typus „Dieb“ lässt sich im „Neorealismus“ finden. In „Ladri di biciclette“
(Fahrraddiebe, 1948) beschrieb Vittorio de Sica die dramatischen Konsequenzen
eines Fahrraddiebstahls. Aus Verzweiflung wird der Protagonist am Ende selbst
zum Dieb und sieht sich der öffentlichen Empörung ausgesetzt. De Sicas
generellem Ansatz ließ das Regie-Duo Mario Monicelli und Steno in „Guardie e
ladri“ (Räuber und Gendarm, 1951) einen spezifisch italienischen Blickwinkel
folgen. Vor dem Hintergrund einer prekären wirtschaftlichen Situation schickten
sie die Komödianten Totò und Aldo Fabrizi als Dieb und Polizist aufeinander los.
Mit dem Ergebnis, dass sie mehr einte als trennte. Tricksen und Organisieren
gehörte zum Alltag einer Bevölkerung, der nach dem Kriegsende das Nötigste
fehlte – der kleine Dieb oder Gauner, der ums eigene Überleben kämpfte, wurde
zu einer Sympathiefigur.
Der deutsche Graf (Luciano Salce) will das echte römische Nachtleben |
Totò variierte diese Rolle in den 50er Jahren noch mehrfach.
Konkret in „I tre ladri“ (Gaunerparade, 1954) und als Geldfälscher in „La banda
degli onesti“ (Die Bande der Ehrlichen, 1956), oder auch unterschwellig in
„Totò all’inferno“ (Totò in der Unterwelt, 1955), in dem er sich als
erfolgloser Dieb zu Beginn das Leben nehmen will. Auch in „I soliti ignoti“ mimte
er noch einmal einen alternden Geldschrankknacker, wirkte aber nicht an dem geplanten
Coup mit. Ende der 50er Jahre erlebte der „Dieb“ im italienischen Kino eine Renaissance,
obwohl sich dessen Bild zu wandeln begann. In „Parola di Ladro“ (Mit Melone und
Glacéhandschuhen, 1957), „Ladro lui, ladra lei“ (Dieb hin, Dieb her, 1958) oder
„I ladri“ (Jeder Dieb braucht ein Alibi, 1959) ging es weniger um die nackte
Existenz wie in der Nachkriegszeit, sondern mehr um die Teilhabe an der fortschreitenden
wirtschaftlichen Prosperität. Die Legitimation für die Gaunereien entstand aus
der zunehmend größer werdenden Schere zwischen arm und reich.
Räuber und Gendarm: Otello (Nino Manfredi) und Amerigo (Fausto Cigliano) |
Dieser Entwicklungsschritt lässt sich auch in Stenos Werk
nachvollziehen, zumal Lucio Fulci und Sandro Continenza jeweils unmittelbar daran
beteiligt waren. In ihrer letzten im Kleinkriminellen-Milieu spielenden Komödie
„Un giorno in pretura“ (wörtlich: „Ein Tag vor Gericht“, deutscher Titel „Drei
Sünderinnen“, 1954) nach einem gemeinsamen Drehbuch interessierten sie sich noch
für die Schicksale der „I soliti ignoti“ (üblichen Verdächtigen), wie ein
eingeblendeter Text zu Beginn betonte. In drei Episoden betrachteten sie die alltäglichen
Umstände, unter denen diese mit dem Staat in Konflikt gerieten. Scheinbar legte
auch „Guardia, ladro e camereria“ (Nachtwächter, Dieb und Dienstmädchen) sein
Gewicht auf drei Prototypen, aber der Filmtitel verstand sich als ironischer
Kommentar auf „Guardie e ladri“. Das Dienstmädchen störte das Gleichgewicht
zwischen Gesetzeshüter und Gesetzesbrecher. Zudem verschwand der generalisierende
Plural aus „Guardie e ladri“, der die Gemeinsamkeiten und Solidarität untereinander
betonen sollte – beides hatte sich Ende der 50er Jahre erledigt.
Tatsächlich bevölkern in „Guardia, ladro e camereria“ eine Menge
Gauner die Szenerie, aber der Dieb, auf den der Filmtitel anspielte, ist nur
ein harmloser Zeitgenosse, der eher unfreiwillig zum Einbrecher wird. Sein
Charakter besäße noch Gemeinsamkeiten mit den armen Schluckern der Nachkriegszeit,
ginge es bei Otello Cucchiaroni (Nino Manfredi) ums Überleben. Dass er sich
Franco (Marco Guglielmi) und Angelino (Giampiero Littera) anschließt, um ein
„sicheres Ding“ zu drehen, ist nur der Notlage zu verdanken, aus finanziellen
Gründen nicht an den Silvester-Feierlichkeiten teilnehmen zu können. Manfredi gab
gewohnt überzeugend den so charmanten, wie abgebrannten Aufschneider, der das
Interesse der Gauner weckt, weil er mit seinen angeblichen Flieger-Erfahrungen
aus dem Krieg angegeben hatte. Das qualifiziert ihn in deren Augen als
Ersatzmann für einen frisch inhaftierten Fassadenkletterer, aber als Otello
erblickt, in welchen Höhen er in das angeblich verlassene Appartement eines
reichen Grafen (im Original „Conte tedesco“ (deutscher Graf), schön arrogant gespielt
von Regisseur Luciano Salce) eindringen soll, bekommt er Fluchtgedanken.
Bei der Stimme kann Adalgisa (Gabriella Pallotta) nicht widerstehen |
Zu spät, denn die Leitung des Unternehmens hatte inzwischen
der „Professor“ (Mario Carotenuto) übernommen, der keinen Rückzieher zuließ.
Ihm war der „todsichere“ Plan zu verdanken, für den Franco und Angelino im
Voraus bezahlen mussten – eine Geschäftstüchtigkeit, die jeden Gedanken an
Räuber-Romantik austrieb. Schon die Besetzung mit Mario Carotenuto als
selbstgefälligem „Master-Mind“ lässt deutlich werden, dass die Sympathien hier
nicht auf der Seite der Gauner lagen, sondern einzig bei Otello, der in der
Wohnung des Grafen auf das Dienstmädchen Adalgisa Pellicciotti (Gabriella
Pallotta) trifft, mit der er schnell warm wird. Käme ihm nicht der eifrige
Schutzmann Amerigo Zappitelli (Fausto Cigliano) in die Quere, der seine
Pflichten auch an Silvester nicht vernachlässigt und besonders gern gefährdeten
jungen Frauen zu Hilfe kommt. Sehr autoritär geht er dabei nicht vor, sondern
überzeugt mehr mit seiner samtenen Gesangs-Stimme. Der bekannte italienische
Sänger Fausto Cigliano verlieh der Auseinandersetzung Dieb / Polizist mit einer
seiner seltenen Filmrollen eine zusätzliche ironische Komponente.
Klassenlose Gesellschaft an Silvester |
Entsprechend spielte die reale Situation der Protagonisten
in „Guardia, ladro e camereria“ nur eine Nebenrolle. Die Gaunerbande um den
„Professor“ besteht aus wenig ernstzunehmenden Trotteln und das Dreieck
Schutzmann, Dieb und Dienstmädchen interessierte mehr in amouröser Hinsicht. Im
Mittelpunkt stand eine feiernde römische Gesellschaft, deren demonstrativ solidarische
Ausgelassenheit angesichts zementierter Klassenzugehörigkeit und Doppelmoral
oberflächlich und verlogen ist. Gemessen an Monicellis parallel erschienenem „I soliti ignoti“ blieb der gesellschaftskritische Aspekt aber zurückhaltend, lag
das Schwergewicht des Films auf einem Mix aus Gauner- und Liebeskomödie mit
abschließendem Happy-End - garniert mit Gesangsnummern, die an Lucio Fulcis
Engagement im Musik-Film erinnerten („La ragazza di Via Veneto“, 1955). Es
blieb ein sympathischer Beinahe-Dieb, dessen Charakterisierung signifikant für
den sich wandelnden Typus des kleinen Gauners im 50er Jahre-Film stand.
"Guardia, ladro e camariera" Italien 1958, Regie: Steno, Drehbuch: Steno, Lucio Fulci, Sandro Continenza, Darsteller : Nino Manfredi, Gabriella Pallotta, Fausto Cigliano, Mario Carotenuto, Luciano Salce, Marco Guglielmi, Bice Valori, Laufzeit : 93 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Steno:
"Totò a colori" (1952)
"L'uomo, la bestia e la virtù" (1953)
"Un americano a Roma" (1954)
"L'avventura di Giacomo Casanova" (1955)
"Letti sbagliati" (1965)
"La polizia ringrazia" (1972)
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