Samstag, 30. November 2013

Marcia trionfale (Triumpfmarsch) 1976 Marco Bellocchio

Inhalt: Paolo Passeri (Michele Placido), Universitäts-Absolvent, wird von dem Ausbilder seiner Grundausbildungseinheit gezwungen, seinen Dienstgrad und Namen immer wieder laut aus zunehmender Entfernung zu wiederholen. Innerlich ballt der junge Rekrut die Fäuste in der Tasche, aber aus Angst vor weiteren Schikanen wagt er es nicht, sich zu beschweren. Nicht nur gegenüber diesen Methoden, sondern gegenüber dem gesamten Militärapparat verspürt er große Abscheu – dem täglichen Drill, dem großen Gemeinschaftsschlafraum, der beschränkten, geistig anspruchslosen Freizeitgestaltung und der Ernährung.

Sein verschlossenes und abweisendes Verhalten wird besonders von den länger dienenden, kurz vor ihrer Entlassung stehenden Kameraden negativ betrachtet, die sich das Recht herausnehmen, über die Neuankömmlinge zu bestimmen. Auch Passeri gerät in ihren Fokus und muss Erniedrigungen über sich ergehen lassen. Zudem hat es der gefürchtete Chef ihrer Einheit, Capitano Asciutto (Franco Nero) auf ihn abgesehen, der ihn zunehmend unter Druck setzt. Als Passeri in dessen Zimmer gerufen wird, beginnt Asciutto ihn zu provozieren und auf ihn einzuschlagen, bis der Rekrut sich wehrt. Langsam begreift Passeri die inneren Mechanismen des Militärs und gewinnt aus seiner stärker werdenden Position Vorteile, die seine Meinung über das Militär verändern. Asciutto bittet den ihm inzwischen wohl gesonnenen Soldaten um einen heiklen Auftrag – er soll seine Frau Rosanna (Miou-Miou) beobachten…


"Marcia trionfale" (Triumpfmarsch) gehört zu den Filmen, die alle Voraussetzungen mitbrachten, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Bei seinem Erscheinen 1976 traf der als deutsche, französische und italienische Co-Produktion entstandene Film mitten in eine politische Diskussion, die zerrissen war von zwei gegensätzlichen, unvereinbar scheinenden Haltungen - während konservative Kräfte nach einem starken Staat riefen, der dem Terrorismus und der wachsenden Kriminalität Einhalt gebieten sollte, forderte die Linke mehr Bürgerrechte und weniger Polizeiüberwachung. Zudem spitzte sich die Diskussion über Aufrüstung und atomare Abschreckung zu, die 1979 im Nato-Doppelbeschluss münden sollte, der eine Modernisierung der Atomwaffen regelte.

Obwohl die zur Wehrpflicht eingezogenen jungen Männer keinen Einfluss auf diese übergeordneten Vorgänge nehmen konnten, geriet ihre Position als Soldat - je nach Sichtweise "Staatsbürger in Uniform" oder "willfährige Handlanger" - ins Zentrum dieser Kontroverse. Marco Bellocchios Film "Marcia trionfale" begab sich in die Niederungen des einfachen Soldatenlebens und beschränkte seinen Handlungsrahmen auf eine Kaserne, in der die Rekruten zur Grundausbildung antreten müssen. Auch Michael Cinimos "The deer hunter" (Die durch die Hölle gehen, 1978) und "Full metal jacket" (1987) von Stanley Cubrick warfen ihren Blick in die innere Struktur einer Armee. Auf den damit einhergehenden Verlust demokratischer Rechte, die Täter- und Opferrollen, die bewusst geschürte Aggression und den Männlichkeitswahn. Im Gegensatz zu diesen bis heute bekannten Filmen ist "Marcia trionfale", der in Deutschland nur in einer um mehr als 10 Minuten gekürzten Version in die Kinos kam, in Vergessenheit geraten – eine Analyse der Gründe:

Regisseur Marco Bellocchio, dessen frühere Filme "I pugni in tasca" (Mit der Faust in der Tasche, 1965), "La Cina è vicina" (China ist nahe, 1967) und "Nel nome del padre" (Im Namen des Vaters, 1971) heute zu den nach Meinung einer Expertenrunde 100 wichtigsten Werken Italiens zählen, hatte aus seiner links gerichteten politischen Haltung nie ein Geheimnis gemacht. Gemeinsam mit Pier Paolo Pasolini, Carlo Lizzani, Bernardo Bertolucci und Jean-Luc Godard hatte er mit "Amore e rabbia" (Liebe und Zorn) 1969 unmittelbar auf die Studentenbewegung und die Proteste gegen den Vietnamkrieg reagiert - ein bis heute umstrittener Film, in dem seine in einem Hörsaal spielende Episode "Discutiamo discutiamo" (Wie diskutieren, wir diskutieren) die ergebnislos geführten ewigen Diskussionen kritisierte, die sich nur um die jeweiligen ideologischen Formeln drehten. Bellocchio blieb immer unabhängig und befriedigte keine politische Sichtweise vordergründig - eine Haltung, die auch für "Marcia trionfale" gilt.

Unterstützt wurde er beim Schreiben des Drehbuchs von Florian Hopf, der ein Jahr später einen Dokumentarfilm über Rainer Werner Fassbinder drehen sollte und wie die übrigen deutschen Beteiligten nicht zum ersten Film-Establishment gehörte, mit dem „Marcia trionfale“ sonst aufwarten konnte - Franco Nero und Michele Placido, sowie Miou-Miou und Patrick Dewaere waren internationale Stars. Dagegen war Eckehard Belle zuvor größtenteils in Sex-Filmen besetzt worden („Junge Mädchen mögen’s heiß, Hausfrauen noch heißer“ 1973) und Peter Berling spielte unter der Regie von Fassbinder („Liebe - kälter als der Tod“ 1969), Rudolf Thome („Rote Sonne", 1970) oder Werner Herzog („Aguirre, der Zorn Gottes“ 1972) jeweils Nebenrollen. Gemeinsam spielten sie 1974 an der Seite von Silvia Kristel in dem Erotik-Film „Der Liebesschüler“ (1974) und Berling arbeitete parallel als Drehbuchautor, darunter für den ein Jahr später entstandenen, umstrittenen Film „Maladolescensa“ (Spielen wir Liebe, 1977)).

Auch Produzent Silvio Clementelli galt vor allem als Förderer des noch jungen Erotik-Genres - darunter die Filme von Pasquale Festa Campanile („Il merlo maschio“ (Das nackte Cello, 1971)) und Salvatore Samperi („Peccato veniale“ (Der Filou, 1974). Nach „Marcia trionfale“ besetzte er Franco Nero erneut in Samperis nächstem Film „Scandalo“ (1976) in der Hauptrolle. Da sich Miou-Miou und Patrick Dewaere seit „Les valseuses (Die Ausgebufften, 1974) ebenfalls einen sehr freizügigen Ruf erworben hatten, wurde „Marcia trionfale“ in die Nähe des Erotik-Films gerückt, was als unpassend für einen gesellschaftskritischen Film galt und ähnlich provozierte wie Bertoluccis „Ultimo tango a Parigi“ (Der letzte Tango von Paris, 1972) oder Marco Ferreris „L’ultima donna“ (Die letzte Frau, 1976). Entsprechend wurde der Film in der deutschen Version geschnitten und eines Teils seiner Wirkung beraubt. Die offen gezeigte Sexualität verstand sich – wie auch in den Filmen von Ferreri oder Bertolucci - als anti-bürgerliche Haltung und wurde hier weder selbstzweckhaft, noch voyeuristisch benutzt.

Im Gegenteil stehen die sexuellen Interaktionen in „Marcia trionfale“ für Machtmissbrauch und Unterdrückung. Ob länger dienende Soldaten neue Rekruten anpissen und ihnen gebrauchte Präservative ins Gesicht drücken, ob Capitano Asciutto (Franco Nero) seine Frau Rosanna (Miou-Miou) vergewaltigt und sie nackt aussperrt oder Leutnant Baio (Patrick Dewaere) auch parallel zum Geschlechtsakt Pornofilme laufen lässt und die Sexgeräusche für seine Kameraden aufnimmt, die unten vor seinem Fenster stehen – Sex wird zum plakativen Ausdruck einer degenerierten Vorstellung von Männlichkeit und Dominanz, die sich auch in der gemeinsamen Aktion des Capitano und des einfachen Soldaten Paolo Passeri (Michele Placido) manifestiert, als sie einen homosexuellen Mann zusammenschlagen, weil dieser angeblich die Soldaten verführt.

„Marcia trionfale“ ist kein ausgleichender, verschiedene Seiten abwägender Film, sondern ein Schlag ins Gesicht. Bellocchio wühlte im Dreck, aber er verlor dabei nicht die Realität aus den Augen. Wer mit inner-militärischen Regeln vertraut ist, wird die Abläufe, denen sich die erste Hälfte des Films widmet, detailliert und genau wiedergegeben empfinden. Die unsinnigen Befehle und regelmäßigen Schikanen, die nur die Funktion haben, die eigene Meinung zu brechen und die Rekruten zu erniedrigen, oder die Hierarchien der Mannschaften untereinander, bei denen die kurz vor der Entlassung stehenden Soldaten die Neuankömmlinge psychisch quälen, werden in Bellocchios Film ohne Übertreibung oder zugespitzte Dramatisierung geschildert – der Universitätsabsolvent Paolo Passeri, dem die anderen Soldaten fremd sind, wird automatisch zum Außenseiter und damit zum Opfer. Die Schilderung seiner Wandlung in einen überzeugten Soldaten dank der rigorosen Methoden seines Vorgesetzten Capitano Asciutto fand allgemeine Zustimmung, aber Bellocchio vollzog diese Metamorphose schon zur Mitte der Laufzeit, um sich in der zweiten Hälfte des Films dem Privatleben der Offiziere, besonders der Beziehung zwischen dem Capitano und seiner Frau Rosanna, zu widmen.

Wie wenig dieser Perspektivwechsel ankam, wird auch an dem Werbetext der deutschen Video-Veröffentlichung deutlich, der teilweise auch als Filmtitel genutzt wurde. Franco Nero als „Il Capitano, der Sadist“ heißt es dort, um dessen Unterdrückungsmechanismen plakativ zu betonen, aber falscher lässt sich Bellocchios Film nicht interpretieren. Anstatt die verbreitete Haltung über militärische Methoden zu bestätigen, mit denen friedliche junge Männer zu Handlangern eines Machtapparates umerzogen werden, verortete der Film die Armee mitten in der Gesellschaft und ließ deutlich werden, dass Capitano Asciutto gleichzeitig Täter und Opfer ist. Nero spielte keinen Sadisten, dem es Spaß bereitet, Andere leiden zu sehen, sondern er will die ihm anvertrauten Soldaten zu besseren und stärkeren Männern erziehen. Michele Placido gelingt es in seiner Rolle überzeugend, die innere Dankbarkeit zu transportieren, die er ihm gegenüber empfindet – ein Gefühl, dass kein Sadist bei ihm hätte erzeugen können. Noch deutlicher wird Asciuttos Intention, wenn er von dem Sohn spricht, den er sich bisher vergebens wünscht und den er von Beginn an nach seinen Vorstellungen formen möchte. Nicht Sadismus treibt ihn an, sondern die Liebe eines Vaters.

Eine Liebe, die von einem Geschlechterbild beeinflusst wurde, dessen Ursprung nicht im Militär, sondern generell in der Gesellschaft zu suchen ist. Nachdem Paolo Passeri vom Capitano den Auftrag erhielt, seine Frau zu beobachten, von der er glaubt, dass sie ihn betrügt, beginnt dessen Bewunderung für den Offizier zu bröckeln. Zunehmend gelingt es Franco Nero diesem psychisch schwachen, zu verzweifelter Gewalt neigenden Paranoiker, menschliche Züge zu verleihen, die seine dominante Rolle der ersten Hälfte demontiert. Asciutto verliert die Unterstützung seiner Umgebung, selbst dem lange Zeit loyalen Passeri gelingt es, rechtzeitig wieder auf die Seite der Mannschaft zu wechseln, womit „Marcia trionfale“ deutlich werden lässt, wie komplex das Wechselspiel von Macht und Ohnmacht ist und Niemand die alleinige Schuld zugeschoben werden kann. Die Armee – das ist die unbequeme Konsequenz des Films – ist nur ein Spiegelbild der Gesellschaft, die in „Marcia trionfale“ einen denkbar schlechten Eindruck hinterlässt.

"Marcia trionfale" Italien, Frankreich, Deutschland 1976, Regie: Marco Bellocchio, Florian Hupf, Drehbuch: Marco BellocchioDarsteller : Franco Nero, Michele Placido, Miou - Miou, Patrick Dewaere, Eckehard Belle, Peter Berling, Laufzeit : 116 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Marco Bellocchio:

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