Inhalt: Paolo
Passeri (Michele Placido), Universitäts-Absolvent, wird von dem Ausbilder
seiner Grundausbildungseinheit gezwungen, seinen Dienstgrad und Namen immer
wieder laut aus zunehmender Entfernung zu wiederholen. Innerlich ballt der
junge Rekrut die Fäuste in der Tasche, aber aus Angst vor weiteren Schikanen
wagt er es nicht, sich zu beschweren. Nicht nur gegenüber diesen Methoden,
sondern gegenüber dem gesamten Militärapparat verspürt er große Abscheu – dem
täglichen Drill, dem großen Gemeinschaftsschlafraum, der beschränkten, geistig
anspruchslosen Freizeitgestaltung und der Ernährung.
Sein
verschlossenes und abweisendes Verhalten wird besonders von den länger
dienenden, kurz vor ihrer Entlassung stehenden Kameraden negativ betrachtet,
die sich das Recht herausnehmen, über die Neuankömmlinge zu bestimmen. Auch
Passeri gerät in ihren Fokus und muss Erniedrigungen über sich ergehen lassen.
Zudem hat es der gefürchtete Chef ihrer Einheit, Capitano Asciutto (Franco
Nero) auf ihn abgesehen, der ihn zunehmend unter Druck setzt. Als Passeri in
dessen Zimmer gerufen wird, beginnt Asciutto ihn zu provozieren und auf ihn
einzuschlagen, bis der Rekrut sich wehrt. Langsam begreift Passeri die inneren
Mechanismen des Militärs und gewinnt aus seiner stärker werdenden Position Vorteile,
die seine Meinung über das Militär verändern. Asciutto bittet den ihm
inzwischen wohl gesonnenen Soldaten um einen heiklen Auftrag – er soll seine
Frau Rosanna (Miou-Miou) beobachten…
"Marcia
trionfale" (Triumpfmarsch) gehört zu den Filmen, die alle Voraussetzungen
mitbrachten, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Bei seinem Erscheinen
1976 traf der als deutsche, französische und italienische Co-Produktion
entstandene Film mitten in eine politische Diskussion, die zerrissen war von zwei
gegensätzlichen, unvereinbar scheinenden Haltungen - während konservative
Kräfte nach einem starken Staat riefen, der dem Terrorismus und der wachsenden
Kriminalität Einhalt gebieten sollte, forderte die Linke mehr Bürgerrechte und
weniger Polizeiüberwachung. Zudem spitzte sich die Diskussion über Aufrüstung
und atomare Abschreckung zu, die 1979 im Nato-Doppelbeschluss münden sollte,
der eine Modernisierung der Atomwaffen regelte.
Obwohl die
zur Wehrpflicht eingezogenen jungen Männer keinen Einfluss auf diese
übergeordneten Vorgänge nehmen konnten, geriet ihre Position als Soldat - je
nach Sichtweise "Staatsbürger in Uniform" oder "willfährige
Handlanger" - ins Zentrum dieser Kontroverse. Marco Bellocchios Film "Marcia
trionfale" begab sich in die Niederungen des einfachen Soldatenlebens und
beschränkte seinen Handlungsrahmen auf eine Kaserne, in der die Rekruten zur Grundausbildung antreten müssen. Auch Michael
Cinimos "The deer hunter" (Die durch die Hölle gehen, 1978) und
"Full metal jacket" (1987) von Stanley Cubrick warfen ihren Blick in die
innere Struktur einer Armee. Auf den damit einhergehenden Verlust demokratischer Rechte, die Täter- und Opferrollen, die bewusst geschürte Aggression
und den Männlichkeitswahn. Im Gegensatz zu diesen bis heute bekannten Filmen ist "Marcia
trionfale", der in Deutschland nur in einer um mehr als 10 Minuten
gekürzten Version in die Kinos kam, in Vergessenheit geraten – eine
Analyse der Gründe:
Regisseur
Marco Bellocchio, dessen frühere Filme "I pugni in tasca" (Mit der
Faust in der Tasche, 1965), "La Cina è vicina" (China ist nahe, 1967)
und "Nel nome del padre" (Im Namen des Vaters, 1971) heute zu den nach
Meinung einer Expertenrunde 100 wichtigsten Werken Italiens zählen, hatte aus
seiner links gerichteten politischen Haltung nie ein Geheimnis gemacht.
Gemeinsam mit Pier Paolo Pasolini, Carlo Lizzani, Bernardo Bertolucci und
Jean-Luc Godard hatte er mit "Amore e rabbia" (Liebe und Zorn) 1969
unmittelbar auf die Studentenbewegung und die Proteste gegen den Vietnamkrieg
reagiert - ein bis heute umstrittener Film, in dem seine in einem Hörsaal
spielende Episode "Discutiamo discutiamo" (Wie diskutieren, wir diskutieren)
die ergebnislos geführten ewigen Diskussionen kritisierte, die sich nur um die jeweiligen
ideologischen Formeln drehten. Bellocchio blieb immer unabhängig und befriedigte keine politische Sichtweise vordergründig - eine Haltung, die auch für "Marcia trionfale" gilt.
Unterstützt
wurde er beim Schreiben des Drehbuchs von Florian Hopf, der ein Jahr später
einen Dokumentarfilm über Rainer Werner Fassbinder drehen sollte und wie die
übrigen deutschen Beteiligten nicht zum ersten Film-Establishment gehörte, mit
dem „Marcia trionfale“ sonst aufwarten konnte - Franco Nero und Michele
Placido, sowie Miou-Miou und Patrick Dewaere waren internationale Stars. Dagegen
war Eckehard Belle zuvor größtenteils in Sex-Filmen besetzt worden („Junge
Mädchen mögen’s heiß, Hausfrauen noch heißer“ 1973) und Peter Berling spielte
unter der Regie von Fassbinder („Liebe - kälter als der Tod“ 1969), Rudolf
Thome („Rote Sonne", 1970) oder Werner Herzog („Aguirre, der Zorn Gottes“ 1972)
jeweils Nebenrollen. Gemeinsam spielten sie 1974 an der Seite von Silvia Kristel
in dem Erotik-Film „Der Liebesschüler“ (1974) und Berling arbeitete parallel
als Drehbuchautor, darunter für den ein Jahr später entstandenen, umstrittenen
Film „Maladolescensa“ (Spielen wir Liebe, 1977)).
Auch Produzent
Silvio Clementelli galt vor allem als Förderer des noch jungen Erotik-Genres -
darunter die Filme von Pasquale Festa Campanile („Il merlo maschio“ (Das nackte
Cello, 1971)) und Salvatore Samperi („Peccato veniale“ (Der Filou, 1974). Nach
„Marcia trionfale“ besetzte er Franco Nero erneut in Samperis nächstem Film
„Scandalo“ (1976) in der Hauptrolle. Da sich Miou-Miou und Patrick Dewaere seit
„Les valseuses (Die Ausgebufften, 1974) ebenfalls einen sehr freizügigen Ruf erworben
hatten, wurde „Marcia trionfale“ in die Nähe des Erotik-Films gerückt, was als
unpassend für einen gesellschaftskritischen Film galt und ähnlich provozierte wie
Bertoluccis „Ultimo tango a Parigi“ (Der letzte Tango von Paris, 1972) oder
Marco Ferreris „L’ultima donna“ (Die letzte Frau, 1976). Entsprechend wurde der
Film in der deutschen Version geschnitten und eines Teils seiner Wirkung beraubt. Die
offen gezeigte Sexualität verstand sich – wie auch in den Filmen von Ferreri oder
Bertolucci - als anti-bürgerliche Haltung und wurde hier weder selbstzweckhaft, noch voyeuristisch benutzt.
Im
Gegenteil stehen die sexuellen Interaktionen in „Marcia trionfale“ für Machtmissbrauch
und Unterdrückung. Ob länger dienende Soldaten neue Rekruten anpissen und ihnen
gebrauchte Präservative ins Gesicht drücken, ob Capitano Asciutto (Franco Nero)
seine Frau Rosanna (Miou-Miou) vergewaltigt und sie nackt aussperrt oder
Leutnant Baio (Patrick Dewaere) auch parallel zum Geschlechtsakt Pornofilme laufen
lässt und die Sexgeräusche für seine Kameraden aufnimmt, die unten vor seinem
Fenster stehen – Sex wird zum plakativen Ausdruck einer degenerierten Vorstellung
von Männlichkeit und Dominanz, die sich auch in der gemeinsamen Aktion des
Capitano und des einfachen Soldaten Paolo Passeri (Michele Placido)
manifestiert, als sie einen homosexuellen Mann zusammenschlagen, weil dieser
angeblich die Soldaten verführt.
„Marcia
trionfale“ ist kein ausgleichender, verschiedene Seiten abwägender Film, sondern
ein Schlag ins Gesicht. Bellocchio wühlte im Dreck, aber er verlor dabei nicht
die Realität aus den Augen. Wer mit inner-militärischen Regeln vertraut ist,
wird die Abläufe, denen sich die erste Hälfte des Films widmet, detailliert und
genau wiedergegeben empfinden. Die unsinnigen Befehle und regelmäßigen
Schikanen, die nur die Funktion haben, die eigene Meinung zu brechen und die
Rekruten zu erniedrigen, oder die Hierarchien der Mannschaften untereinander,
bei denen die kurz vor der Entlassung stehenden Soldaten die Neuankömmlinge
psychisch quälen, werden in Bellocchios Film ohne Übertreibung oder zugespitzte
Dramatisierung geschildert – der Universitätsabsolvent Paolo Passeri, dem die
anderen Soldaten fremd sind, wird automatisch zum Außenseiter und damit zum
Opfer. Die Schilderung seiner Wandlung in einen überzeugten Soldaten dank der
rigorosen Methoden seines Vorgesetzten Capitano Asciutto fand allgemeine
Zustimmung, aber Bellocchio vollzog diese Metamorphose schon zur Mitte der
Laufzeit, um sich in der zweiten Hälfte des Films dem Privatleben der
Offiziere, besonders der Beziehung zwischen dem Capitano und seiner Frau
Rosanna, zu widmen.
Eine Liebe,
die von einem Geschlechterbild beeinflusst wurde, dessen Ursprung nicht im
Militär, sondern generell in der Gesellschaft zu suchen ist. Nachdem Paolo
Passeri vom Capitano den Auftrag erhielt, seine Frau zu beobachten, von der er
glaubt, dass sie ihn betrügt, beginnt dessen Bewunderung für den Offizier zu
bröckeln. Zunehmend gelingt es Franco Nero diesem psychisch schwachen, zu
verzweifelter Gewalt neigenden Paranoiker, menschliche Züge zu verleihen, die
seine dominante Rolle der ersten Hälfte demontiert. Asciutto verliert die
Unterstützung seiner Umgebung, selbst dem lange Zeit loyalen Passeri gelingt
es, rechtzeitig wieder auf die Seite der Mannschaft zu wechseln, womit „Marcia
trionfale“ deutlich werden lässt, wie komplex das Wechselspiel von Macht und
Ohnmacht ist und Niemand die alleinige Schuld zugeschoben werden kann. Die
Armee – das ist die unbequeme Konsequenz des Films – ist nur ein Spiegelbild
der Gesellschaft, die in „Marcia trionfale“ einen denkbar schlechten Eindruck
hinterlässt.
"Marcia trionfale" Italien, Frankreich, Deutschland 1976, Regie: Marco Bellocchio, Florian Hupf, Drehbuch: Marco Bellocchio, Darsteller : Franco Nero, Michele Placido, Miou - Miou, Patrick Dewaere, Eckehard Belle, Peter Berling, Laufzeit : 116 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Marco Bellocchio: