Regelmäßig kam es zu italienisch-deutschen Co-Produktionen in den 60er und 70er Jahren, die in der jeweiligen Sprachfassung in nahezu identischer Form in die Kinos kamen. "Il re della mala" (Zinksärge für die Goldjungen) war in dieser Hinsicht eine Ausnahme, denn Jürgen Rolands Film an der Schwelle zum Poliziesco, wurde konzeptionell in zwei Fassungen gefertigt, die auf das Publikum der beiden Länder zugeschnitten waren. Die Unterschiede sind prägnant und gehen über den unterschiedlichen Namen der deutschen Hauptfigur (Otto Westermann/Hans Werner) hinaus - eine vergleichende Betrachtung und ein weiteres Bindeglied zwischen "L'amore in città" und "Grün ist die Heide", meinem Blog zum deutschen Film.
Inhalt: Hans Werner (Herbert Fleischmann) kontrolliert mit seiner Bande, die unter dem
Deckmantel eines Kegelclubs ihre Treffen abhält, das Glücksspiel und die
Prostitution in Hamburg und erpresst Schutzgeld. Wer nicht pünktlich bezahlt
oder sich nicht bei Wetten an Werners Forderungen hält, bekommt Besuch von
seinen Männern, die auch vor kaltblütigem Mord nicht zurückschrecken. Doch es
bahnt sich Ärger für den Platzhirsch an, als der italo-amerikanische
Unterweltboss Luca Messina (Henry Silva) ebenfalls plant, die friedliche Stadt
Hamburg unter seine Fittiche zu nehmen.
Nachdem er
mit Mutter (Ermelinda De Felice), Tochter Sylvia (Patrizia Gori) und seiner
Geliebten Kate (Véronique Vendell) aus den USA angekommen ist, geht er mit
seinen Männern gezielt gegen Westermanns Geschäfte vor, übernimmt die Leitung
und verlangt 40 Prozent von dessen Einnahmen. Doch so leicht lässt sich
Werner nicht verdrängen und nimmt den Kampf an, der zunehmend außer
Kontrolle gerät…
Betrachtet
man Jürgen Rolands Film "Zinksärge für die Goldjungen" von Italien
aus, kam er unter dem Titel "Il re della mala" (Der König des Bösen)
im Juli 1974 erst spät an der Schnittstelle zwischen Mafia-Film und Polizieschi
in die Kinos. Fernando Di Leos Trilogie über das organisierte Verbrechen hatte
mit "Il boss" (Der Teufel führt Regie) 1973 ihren Abschluss gefunden
und Andrea Bianchi Anfang 1974 mit "Quelli che contano" (Die Rache
des Paten) noch einen weiteren Mafia-Film nachgelegt, bevor die Hochphase des
Polizieschi mit Umberto Lenzis "Milano odia: la polizia non vuole sparare" (Der Berserker, 1974) endgültig begann. An allen genannten Filmen
war Henry Silva als Hauptdarsteller maßgeblich beteiligt, dem der Wechsel vom
Unterweltboss zum Commissario spielend gelang.
Dass Jürgen
Roland ihn ebenfalls in seinem Film über den Machtkampf zweier organisierter
Verbrecherbanden in Hamburg besetzte, geht auf den unmittelbaren Einfluss der
Di Leo-Trilogie zurück, verdeutlicht aber auch, dass sich Roland und seine
Mitstreiter – der renommierte Drehbuchautor Werner Jörg Lüddecke („Das Beil von Wandsbek“, 1951) und Produzent Wolf C. Hartwig - auf der Höhe der Zeit
befanden, denn ihr Film entstand noch vor Bianchis "Die Rache des
Paten" und kam Ende 1973 in die deutschen Kinos. Produzent Hartwig hatte
schon Mitte der 60er Jahre ein gutes Gespür für den Zeitgeist bewiesen und früh
Ernst Hofbauer unterstützt, der ihm mit dem "Schulmädchen-Report"
(1970) und dessen Fortsetzungen einen großen finanziellen Erfolg einbrachte.
Auch mit Jürgen Roland, der seit Ende der 50er Jahre ("Stahlnetz")
als Genre Spezialist galt, hatte er schon bei "St.Pauli Report"
(1971) und "Das Mädchen aus Hongkong" (1973) zusammengearbeitet, zu
denen Autor Lüddecke jeweils das Drehbuch beisteuerte.
Trotzdem
begingen sie nicht den Fehler, ohne italienisches Know-How an die geplante
Story heranzugehen. Mit Coriolano Gori holten sie sich einen erfahrenen
Komponisten ins Team, dessen Score das treibende Tempo des Films stimmungsvoll
unterstützte. Zudem wurden neben Silva viele weitere Rollen international
besetzt, was dem Konflikt zwischen dem deutschen und dem italo-amerikanischen
Gangsterboss und deren Anhang die notwendige Authentizität verlieh. Besonderes
Einfühlungsvermögen bewiesen die Macher auch damit, dass sie von einem deutschen
und einem italienischen Cutter zwei unterschiedliche Fassungen fertigen ließen,
die zwar auf das selbe Bildmaterial zurückgriffen und die selbe Story erzählten,
trotzdem aber über entscheidende Unterschiede verfügen, die signifikant sind
für die jeweiligen Erwartungshaltungen und Sehgewohnheiten in den zwei Ländern
– ein Vergleich, bei dem die 5 Minuten längere deutsche Fassung ein wenig
schlechter abschneidet.
In beiden
Fassungen beginnt der Film mit einer Einleitung, die von einer Stimme aus dem Off
begleitet wird, die der Story einen gewissen Realitätsbezug verleihen sollte. Hinsichtlich
der Existenz des organisierten Verbrechens besteht daran kein Zweifel, aber „Zinksärge
für die Goldjungen“ reduzierte die Handlung einzig auf die Auseinandersetzung
zwischen den beiden Gangster-Banden, ohne das die Strafverfolgungsbehörden hier
irgendeine Rolle spielen, obwohl Schießereien, Hinrichtungen und wilde
Verfolgungsjagden mitten in Hamburg an der Tagesordnung sind. Damit folgte
Jürgen Roland strikt den Genre-Regeln, ohne der typischen Ausgewogenheit im
deutschen Kriminalfilm Rechnung zu tragen. Auch dass der Italo-Amerikaner Luca Messina (Henry
Silva) nach Hamburg kommt, um die Geschäfte von Hans Werner (Herbert
Fleischmann) zu übernehmen, benötigte keine schlüssige Intention – einmal
äußert er gegenüber seiner Mutter, dass er noch ein paar gute Geschäfte machen
will, bevor er sich auf Sizilien zur Ruhe setzen will, aber das wirkt nur wenig
überzeugend, angesichts der üppigen Geldmittel und sehr guten Organisationsstruktur,
die ihm in Hamburg von Beginn an zur Verfügung stehen.
Entscheidend
für das Genre sind die emotionalen Abhängigkeiten – beide Bosse haben im Film Familie
und sind damit angreifbar – und die entstehende Spirale von Gewalt und
Gegengewalt, gepaart mit der ewigen Jagd nach dem eigenen Vorteil, die aus der
zugespitzten Situation eines Machtkampfs zwischen zwei Verbrechersyndikaten eine
Sicht auf menschliche Abgründe entstehen lässt, die realistischer ist als das
Ergebnis einer ausgewogenen Betrachtungsweise. Auch wenn „Zinksärge für die
Goldjungen“ inzwischen unter Genre-Fans Anerkennung findet, schloss sich dieser
Meinung damals kaum Jemand an. Filme dieser Art – auch die italienischen
Vorbilder – sahen sich in Deutschland dem Vorwurf der Gewaltverherrlichung
ausgesetzt, mit der eine schnelle Mark an der Kinokasse gemacht werden sollte.
Der deutschen Fassung ist anzumerken, dass die Macher versuchten, dieser vorhersehbaren
Kritik entgegen zu treten, in dem sie die Szene, in der Karl von den Kung-Fu
Kämpfern erschlagen wird, kürzten, und die Story mit Klischee-Witzen über
italienische Gepflogenheiten anreicherten. Auch die konstruiert wirkende
Liebesgeschichte zwischen dem flippigen Horst Janson als Westermann-Sohn und
der attraktiven Patrizia Gori als Messina-Tochter, die im Gegensatz zu ihren
Vätern, die sich hübsche Betthäschen halten, ganz brav heiraten wollen, lässt
sich in italienischer Genre-Ware dieser Zeit kaum finden.
Sie blieb auch in der italienischen Fassung erhalten - im Gegensatz zu fünf Minuten, die fast ausschließlich
Vorurteile gegenüber italienischen Gewohnheiten betrafen. Darf Luca Messinas
„Mamma“ in „Zinksärge für die Goldjungen“ als streitbare und laute Mutter
auftreten, die Moral predigt und Ohrfeigen verteilt, während sie in ihren
Spaghetti wühlt, spielt sie in „Il re della mala“ kaum eine Rolle. Auch die
Ärztin, die angesichts des Herzinfarkts von Lucas Mutter nach der Art der
Krankenversicherung fragt, fehlt in der italienischen Fassung glücklicherweise.
Deutsche Fans mögen angesichts der „Clementine“ – Darstellerin in Erinnerungen
schwelgen, der Straffung der Szene, die zwischen der Hinrichtung Karls und
Westermanns großzügigem Verhalten in Messinas Haus pendelt, kommt dieser
Schnitt entgegen.
Teilweise
mutet die Art, wie die von Jürgen Roland ursprünglich gewählte
Szenenreihenfolge in der italienischen Fassung ummontiert wurde, abenteuerlich
an. Der Brandanschlag auf den Striptease-Club kommt in „Il re della
mala“ schon im Vorspann vor, um die Gewalttätigkeit der deutschen Gang früh zu betonen, und Werners Plan, die eigenen Überfälle und
Hinrichtungen der Italo-Gang in die Schuhe zu schieben, erfolgt hier als
unmittelbare Reaktion auf Messinas Übernahmeversuch. In der deutschen Fassung löst
erst der Mord an seinem Sohn Karl diese Konsequenzen aus, was sein Verhalten im
Auge des Zuschauers stärker legitimierte. Der italienische Schnitt versuchte so,
dass Verhältnis zwischen den Banden ausgewogener zu gestalten – eine notwendige
Maßnahme, da Silva in seiner Rolle wesentlich kompromissloser auftrat als
Fleischmann.
Trotz
dieser Unterschiede zwischen den Fassungen, die von der Anpassung an den
jeweiligen Markt geprägt sind, ändern diese Details nichts an der
grundsätzlichen Aussage eines Films, der konsequent und ohne zu beschönigen die
Folgen einer ungebremsten Gewaltspirale zeigt, rasant inszeniert ist und bis
zum Schluss hochspannend bleibt - getragen von zwei überzeugend agierendenden
Protagonisten.
weitere im Blog "Grün ist die Heide" besprochene Filme von Jürgen Roland:
"Polizeirevier Davidswache" (1964)
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